Besuch im Märchenwald
von Joana Angelides
Lisa und Klaus waren
schon sehr aufgeregt. Heute hatte Tante Monika versprochen mit ihnen in den
großen Märchenwald, gleich hinter dem Wasserfall, zu gehen.
Sie hatte gleich in
aller Frühe viele Kekse gebacken, das ganze Haus roch nach Zimt, Vanille und
Marmelade.
Lisa stand am
Treppenabsatz und wartete auf Klaus, der wie immer herumtrödelte.
„Komm doch endlich,
wir gehen in den Märchenwald!“ rief sie
hinauf zu Klaus.
Da hörte sie aus der
Küche die Stimme von Tante Monika.
„Mit wem sprichst Du
da?“ rief sie hinunter in die Küche.
„Mit der Biene Salfi,
ich habe ihr gesagt, dass wir heute in den Märchenwald kommen und Kekse
mitbringen. Sie hat von der Marmelade gekostet und gleich ein Eimerchen
mitgenommen...“ Lachte Tante Monika.
Das war ja
unglaublich! Wie konnte Tante Monika mit einer Biene sprechen?
Inzwischen war auch
Klaus fertig und sie liefen beide in die Küche zu Tante Monika.
„So, da sind wir.“
Rief Lisa und stürmte in die Küche. Sie wollte unbedingt die Biene Salfi sehen.
Doch leider war keine Biene mehr zu sehen, sie war schon weggeflogen.
Tante Monika hatte
den großen Korb mit den Keksen, der mit einem blau karierten Tuch abgedeckt war,
über den Arm genommen, schnappte ihren Schirm und sie verließen das kleine
Häuschen am Waldesrand.
„Ist das der
Märchenwald?“ Fragte Klaus
„Nein, nein, der ist
hinter dem Wasserfall, dort am Fuße des Berges.“ Tante Monika deutete mit ihrem
Schirm vage in die andere Richtung.
Sie stiegen in das kleine alte Auto von Tante Monika
ein und fuhren am kleinen Bach vorbei, in die Richtung zum Berg am Horizont. Am
Fuße des Berges angekommen, stiegen sie aus und Tante Monika ging zielstrebig
auf den Wasserfall zu, der sich in der Mitte des Berges herunterfallen ließ.
„So, da müssen wir
durch.“ sagte sie und spannte ihren großen Regenschirm auf. Dieser Schirm war
so mächtig und groß, dass Lisa und Klaus nur so staunten.
Sie nahm Lisa rechts
und Klaus links an die Seite, den Korb mit den Keksen in die Mitte und sie
gingen durch den Wasserfall durch, ohne naß zu werden.
Drüben spannte sie
den Schirm wieder ab und stellte den Korb mit den Keksen ab.
„Seht einmal, da ist
der Märchenwald!“ Sie machte mit der Hand einen Bogen und die Kinder schauten
der Hand nach und waren ganz verzaubert von der Schönheit die sich ihnen bot.
Der Wald lag da,
dunkel und geheimnisvoll. Vor sich sahen sie einen kleinen See, da spiegelte sich
der Himmel darin und die Bäume an seinem Rande verursachten Sonnenkringel an
der Wasseroberfläche. Die Seerosen schaukelten hin und her und die Libellen
flogen ihre Runden darüber.
„Oh, wie kommen wir
denn da rüber?“ Klaus schaute ganz ängstlich.
„Die Feenkönigin wird
uns eine Brücke bauen, einen Regenbogen. Über den gehen wir dann hinüber.“
Lächelte Tante Monika.
Da flog über sie eine
Biene hinweg. Lisa hörte nur das leise Summen, doch Tante Monika hatte die
Biene verstanden.
„Sie wird jetzt
unsere Ankunft melden und ihr werdet sehen, gleich können wir über den See
gehen.“
Und wirklich, in
diesem Augenblick erblickten die Kinder einen wunderschönen Regenbogen, der
sich vor ihren Füßen aufbaute und bis über den See zum anderen Ufer reichte.
Tante Monika bückte
sich nahm den Korb mit den Keksen auf den Arm und nahm die Hand von Lisa.
„Kommt, wir gehen da
jetzt hinüber.“
Und mit energischem
Schritt betrat sie den Regenbogen. Lisa hielt ihre Hand fest und mit der
anderen Hand zog sie Klaus hinterher. Sie hatte ein ganz mulmiges Gefühl und
fürchtete, der Regenbogen wird sie unmöglich alle Drei tragen können.
Klaus hielt vor Angst
die Augen geschlossen und ließ sich von Lisa ziehen.
Doch als sie ganz
oben auf dem Regenbogen angekommen waren, verloren sie ihre Angst, Klaus
öffnete seine Augen wieder und Lisa ließ die Hand von Tante Monika los.
Es war ein wunderbares
Gefühl, so über den Regenbogen zu gehen. Vor allem das Licht umspielte sie in
allen Farben des Spektrums und es war ein leises Klirren zu hören. Waren das
die Lichtkristalle? Lisa wusste es nicht.
Als sie auf der
anderen Seite ankamen staunten die Kinder sehr.
Vor ihnen auf der
Lichtung war emsiges Treiben zu sehen.
Heute ist großes
Frühlingsfest im Märchenwald. Alle haben schon seit Tagen Großputz gemacht.
Die Eichhörnchen
haben ihre Nester von den Nußschalen des Winters befreit und alles, zum Fuß des
Baumes hinuntergeworfen.
Da kam gerade die
Schlange Birr vorbei und zischte wütend hinauf. Wobei ihre Zunge ganz erregt züngelte.
„Seid ihr verrückt“,
zischte sie, „komme da nichts ahnend vorbei und kratze mir meinen Bauch auf,
mit den harten Nußschalen.“
Da lugte auch der
kleine Kobold zwischen den Farnen hervor und begann die Eichhörnchen zu
ermahnen.
„Das müsst ihr
wegräumen“, rief er.
„Ja ja“, beeilten
sich die Eichhörnchen zu versichern, „Wenn alles draußen ist, dann kommen wir
runter und räumen weg!“
Da schleppte gerade
eine große Heuschrecke ein braunes Blatt hinter sich her. Sie musste
verschnaufen, weil das Blatt so groß ist und immer wieder an den Wurzeln hängen
bleibt. Das Blatt musste ebenfalls zum Mistplatz, am Rande der Lichtung.
Die Eule sitzt am
untersten Ast der großen Tanne und gibt ihre Befehle laut und deutlich, damit
die kleinen jungen Tiere und Elfen und Feen aus ihrer Schulklasse auch ja
nichts übersehen wegzuräumen. Denn die Eule war die Lehrerin der Waldschule.
Da lagen getrocknete
Eicheln am Boden, abgebrochene Äste und Tannenzapfen. Die mussten alle
weggeräumt werden, denn wenn am Abend dann das große Frühlingsfest im
Märchenwald stattfindet, musste alles sauber sein.
Die Elster sammelt
nur die glitzernden Dinge ein, die sie dann aber zu ihrem Nest ganz hoch oben
auf dem höchsten Baum des Waldes trug und dort versteckte.
Lisa und Klaus
setzten sich am Rande der Lichtung nieder und schauten fasziniert zu.
Tante Monika stellte
ihren Korb mit den Keksen in die Mitte der Lichtung und nahm das blau karierte
Tischtuch weg und legte es auf die Wiese. Dann schüttete sie alle Kekse darauf.
Nun erst setzte sie sich auch neben die beiden.
„Wir werden jetzt
hier auf die Feenkönigin warten.“ Sagte sie leise zu den Kindern.
Der große braune Bär
kam vorbei und trug einen Baumstamm ächzend auf seiner Schulter.
„Wo soll bitte der
Baumstamm hin?“ Fragte er die Eule.
„Dort in die Mitte
der Lichtung, denn dort werden dann die Glühkäfer sitzen und alles beleuchten
und die Borkenkäfer und die Grillen werden drauf Platz nehmen und Musik machen.
Auch der Specht hat dort seinen Platz, er wird den Rhythmus angeben.“
Der braune Bär ging
zur Mitte der Lichtung und lud den Baumstamm ab und setzte sich darauf. Er nahm
ein großes Blatt vom Efeu und wischte sich seine Stirne. War doch anstrengend
gewesen!
Dann kam die große
Libelle vom See herbei und hinter ihr eine ganze Schar von Glühwürmchen. Die
Eule wies jedem der Glühwürmchen einen Platz an den Bäumen rundherum an, damit
am Abend dann auch die Beleuchtung richtig verteilt war.
Nur die Pilze im Wald
beklagten sich, dass sie leider ihren Platz nicht verändern konnten, und so
wenig sehen werden. Da kam die kleine Waldfee Lamis vorbei und versicherten
ihnen, dass sie ihnen alles genau schildern wird.
Die Waldfee Fari kam
und stellte rund um die Lichtung Glockenblumen auf, aus denen dann der Nektar
am Abend getrunken werden konnte. Dann schleppten die Kobolde noch große
Blätter herbei und füllten sie mit Beeren und Früchten des Waldes, die Gäste
mussten dann nur zugreifen.
Der große Baumstumpf
am Rande der Lichtung wurde mit einem goldenen Kissen belegt und weiße Schleier
darübergebreitet. Da wird die Feenkönigin sitzen und zuschauen.
Und rundherum legten
die Feen ebenfalls kleine goldene Pölsterchen, bestimmt für die vielen Feen und
Elfen des Waldes.
Eine Gruppe von Rehen
mit ihren Kleinen kam ganz neugierig aus dem Wald hervor und schauten den
Treiben mit großen Augen zu. Der kleine Dachs lief hurtig von Baumstamm zu
Baumstamm und sucht sich einen guten Platz zum Zuschauen.
Und plötzlich füllte
sich der Wald mit Leben. Aus allen Richtungen kamen sie. Die Feen, mit ihren
weißen Schleierkleidern, die Elfen in grünen Hosen und weißen Hemden, die Hasen
und Häschen, Birr die Schlange, sogar die Eichhörnchen kamen von ihren Bäumen
herunter. Der Specht schritt gemächlich über die Lichtung zum Baumstamm hin, er
gehörte ja zur Kapelle. Die Glühwürmchen schwärmten aus und entzündenden ihre
Laternen und nahmen in den Blättern und Zweigen der Bäume Platz. Ganz plötzlich
war der Märchenwald in blinkendes flackerndes Licht getaucht.
Die kleine Hexe
Samantha streute überall Blumen, die sie am Nachmittag im Garten pflücken
durfte. Sie überlegte allen Ernstes einen kleinen Zauber zu machen, um das Fest
noch schöner zu machen, aber es fiel ihr kein Zauberspruch ein. Im Moment noch
nicht.
Einige Glühwürmchen
setzen sich auf den Baumstamm, um Licht für die Musik zu machen. Und da kamen
sie schon, die Grillen mit Ihren Violinen, ein Borkenkäfer mit seiner Oboe, ein
anderer mit einem Saxophon und der Kobold hatte eine Ziehharmonika in der Hand.
Sie nahmen Alle Platz am Baumstamm.
Der große Bär stand
am Rande der Lichtung und klopfte schon in Erwartung auf die Musik mit seinem
linken Fuß den Takt an. Seine Hände hatte er vorne verschränkt und sein Kopf
ging hin und her. Er schmunzelte.
Alle Waldfeen nahmen
auf ihren Pölsterchen Platz. Man wartete auf die Feenkönigin, denn ohne sie
konnte das Fest nicht beginnen.
Da, ein Fanfarenstoß aus
der Trompete von Mo dem Elfen und die Feenkönigin schwebten herab. Sie war
wunderschön. Sie hatte ein golden glänzendes Schleiergewand an und darüber
einen hellblauen Umhang mit glitzernden Blüten. Auf dem Kopf trug sie einen
Kranz aus goldenen Sternen. Sie schwebte langsam zu Boden und setzte sich auf
den vorbereiteten Thron.
„Hallo, Tante Monika,
es freut mich, dass du auch da bist!“ Rief die Königin ihnen zu und winkte mit
ihren zarten weißen Händen Tante Monika zu.
„Majestät!“ Tante
Monika erhob sich leicht und verneigte sich.
„Ich freue mich immer,
wenn ich bei eurem Fest mit dabei sein darf. Heute habe ich auch meine Nichte
und meinen Neffen mitgebracht.“
Die Feenkönigin
blickte freundlich auf die beiden Kinder und winkte ihnen auch zu.
„Bitte unterhaltet
euch gut.“ Sagte sie dann und nahm auf ihrem Pölsterchen Platz.
Lisa und Klaus waren
ganz sprachlos. Die Feenkönigin kannte also tatsächlich Tante Monika!
Also, wenn sie das
der Mutter erzählen, die wird das alles nie glauben!
Alles wartete
gespannt. Die Feenkönigin erhob sich wieder und drehte sich langsam im Kreise,
um alle zu sehen.
„Ich erkläre den
Frühling für eröffnet!“ Rief sie und streute mit der rechten Hand eine Handvoll
Samen im Kreise, um sozusagen symbolisch den Frühling zu begrüßen.
Alle jubelten und
umarmten sich und die Musik fing leise zu spielen an und es bot sich ein
faszinierendes Bild, als alle Elfen und Feen auf der Lichtung sich ein wenig
vom Boden erhoben und zu den schönen Klängen einen schönen Tanz darboten. Sie
wiegten und bogen sich, sie stiegen auf und ließen sich wieder auf den Boden
nieder.
Es war ein
wunderschöner Anblick.
Die Eule musste ihr
Taschentuch hervorholen und sich hörbar schneuzen, so gerührt war sie. Wie
jedes Jahr.
Der Bär wiegte sich
im Takt und wackelte mit seinem Kopf und seinem Po hin und her. Die Kobolde
warfen ihre Zipfelmützen in die Luft und fingen sie wieder auf.
Eine Zipfelmütze fiel
zu Boden und bedeckte einen Pilz. Dieser schrie ganz laut, weil er jetzt gar
nichts mehr sah.
Sofort kam der kleine
Kobold holte seine Mütze und entschuldigte sich bei dem Pilz.
Die Musik war im
ganzen Wald zu hören, sogar die Bäume, schien es, bewegten die Äste im Takt und
die kleinen Glühwürmchen hatten Angst runterzufallen.
Etwas verspätet und
daher außer Atem kam auch die Feenköchin angelaufen. Sie hatte bis zuletzt in
der Küche gebacken und brachte das nun warme Backblech mit einem wunderbaren
Apfelstrudel mit auf die Lichtung. Sie stellte es vorsichtig zwischen den
Glockenblumen ab und stellte sich auf die Zehenspitzen, um auch etwas zu sehen.
Aber sie war zu klein und konnte nicht über die anderen hinweg schauen.
Der kleinen Hexe Samantha
tat die Köchin sehr leid. Da sie aber ein schlechtes Gewissen hatte, weil sie
die Köchin schon einmal mit einem falschen Zauber belegt hatte, wollte sie ihr
helfen. Sie machte die Augen zu und sprach einen Zauberspruch an den sie sich
erinnerte.
In diesem Moment
erhob sich die Köchin in die Luft und schwebte über dem Fest, wie ein großer
bunter Luftballon.
Lisa und Klaus
kicherten und Klaus stieß Lisa mit dem Ellenbogen an.
„Schau, die Köchin
kann fliegen!“ Sagte er.
„Samantha, “ schrie
sie, “lasse mich sofort wieder runter, ich weiß, dass du das bist!!“
Alle starrten auf die
Köchin, wie sie da im roten Gewande, mit ihrem weißen Spitzenhäubchen über der
Wiese schwebte und alle mussten lachen und kichern.
Samantha bekam einen
roten Kopf und wußte nicht, was sie machen sollte. Sie mußte die Köchin auf
jeden Fall weit weg von ihr runterholen, sonst würde diese vielleicht auf sie
losgehen.
Sie schloss wieder
die Augen und versuchte die Köchin etwas weiter weg zu schieben, was ihr auch
gelang.
Sie atmete auf,
schloss die Augen und ließ die Köchin wieder runter. Aber leider hatte sie den
See vergessen, der gleich hinter Lichtung lag. Die Köchin fiel in den See und
schrie wild, sie könne nicht schwimmen.
Mo, der Elfe lief
sofort zum See und sprang hinein und zog die wild um sich herumschlagende
Köchin zum Ufer.
Sie war pitschnass,
ihre Spitzenhaube hatte sie verloren und die Haare hingen ihr naß ins Gesicht.
„Wo ist diese Samantha,
die Hexe!?“
Aber Samantha war so
erschrocken und hatte große Angst. Sie versteckte sich hinter dem großen Bären
und zitterte fürchterlich.
„Niemals wieder werde
ich hexen.“ Schwor sie sich wieder einmal. Sie war eben nicht geeignet dafür.
Als sich das
Gelächter gelegt hatte, die arme Köchin triefend nass Richtung Schloss lief um
ihre Kleider zu wechseln, begann auch wieder die Musik zu spielen. Alle labten
sich an dem Nektar den Waldfrüchten und dem Apfelstrudel der Köchin. Nicht zu vergessen die wunderbar nach Zimt
und Honig duftenden Keksen von Tante Monika.
Als das Fest so
richtig laut wurde und die Nacht hereinbrach, stand Tante Monika wieder auf und
deutete Lisa und Klaus, sie sollten mit ihr kommen.
Sie winkten allen zu,
verneigten sich in die Richtung der Feenkönigin und gingen wieder über den
Regenbogen, durch den Wasserfall zu dem kleinen Auto am Fuße des Berges.
Die beiden setzten
sich auf den Rücksitz des Autos und kuschelten sich aneinander. Sie waren schon
sehr müde und nach einigen Minuten Fahrt waren sie eingeschlafen.
Sie wachten erst
wieder auf, als sie vor dem kleinen Haus von Tante Monika hielten.
„Na, ihr beiden,
wacht auf, wir sind zu Hause. Ihr habt ja gut geschlafen!“
„Ja, und haben
geträumt von Feen und Elfen, von einem Frühlingsfest im Märchenwald und von der
kleinen Hexe Samantha und...“ Sie überschlugen sich beim Erzählen über ihren
Traum.
In ihrem Bettchen
liegend überlegte sich Lisa dann doch, wie es möglich war, dass sie beide den
gleichen Traum hatten. Oder war es gar kein Traum gewesen?
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