Patient gestorben.
von Joana Angelides
Es wäre natürlich
interessant zu wissen, woran ich gestorben bin.
Ins Spital eingeliefert wurde ich an einem Samstagnachmittag mit Schmerzen in
der Magengegend. Was Genaues wußte man nicht, man hat mich durchleuchtet,
abgehorcht und abgeklopft. Ich sehe noch immer den ratlosen Blick des Arztes
und das bedeutungsvolle Hinaufrutschen der linken Augenbraue.
Die Schmerzen hatte ich danach immer noch.
Dann wurde ich stationär aufgenommen und in ein Bett gelegt. Man kommt sich
gleich viel kränker vor, wenn man in einem Bett liegt.
An das Bett wird eine Tafel angehängt und geheimnisvolle Zeichen und Zahlen
werden darauf geschrieben. Damit ich nicht verloren gehe, bekam ich ein Armband
aus Plastik mit Name, Spital und Station drauf geschrieben. Also registriert
wie ein Paket in der Paketaufbewahrung.
Besonders beruhigend ist, dass das Spital drauf steht. Denn es könnte ja sein,
dass man irrtümlich in einem Krankenwagen landet, der dann in der ganzen Stadt herumirrt,
weil man nicht weiß, wohin der Patient gehört. Das könnte Tage dauern. Ob ich
jemand abgehen würde?
Dann kam eine kleine süße Schwester, eine so genannte Karbolmaus, mit
Mandelaugen und lispelnd und stellte mir viele Fragen, deren Beantwortung sie
in einen Bogen eintrug.
Die Schmerzen hatte ich immer noch.
Danach kam ein Arzt und begann mir neuerlich Fragen zu stellen. Er zählte
meinen Puls, las meinen Blutdruck ab und ging wieder. Hoffentlich haben ihm die
Resultate gefallen, gesagt hat er nichts. ich habe nicht gefragt. Man will ja
schließlich nicht negativ auffallen.
Nach einer Weile kommt eine Schwester, schaut auf die Tafel am Fußende des
Bettes und will meine Bettdecke wegziehen, da ich ein Klistier bekommen soll.
Ich verweigere dies. Warum auch soll ich zustimmen?
Nach neuerlicher Kontrolle der Tafel stellte sie fest, dass der Vorname nicht
stimmt. Es gab
scheinbar noch einen Herrn Berger auf der Station. Ich vergönnte ihm das
Klistier.
Die Schmerzen sind ärger geworden.
Ich läutete der Schwester, die diesmal ohne Klistier hereinkam und erklärte ihr
meine Schmerzen. Sie lächelt und kommt ein wenig später mit einer
Infusionsflasche herein. Sicherlich hat sie sich in der Zwischenzeit die Hände
gewaschen. Sie hängte diese an den über mir hängenden Galgen.
"Der Doktor kommt gleich und hängt Ihnen die Infusion an“
Diesen Satz kenne ich von meinem Stammlokal.
„Kollege kommt gleich“, heißt es da auch immer. Ich wartete.
Die Schmerzen sind unverändert.
Die abendliche Visite ergab auch nichts Besonderes. Der Chefarzt nahm die Tafel
vom Ende des Bettes und murmelte mit dem Assistenzarzt einige beiläufige Sätze.
Eigentlich wollte ich fragen, was mir fehlt, doch am Samstagabend wird sich das
wohl nicht klären lassen.
Nachher bekamen wir das völlig geschmacklose Abendessen serviert, die Frage
nach einem Salzstreuer wurde mit einem Kopfschütteln quittiert. Eigentlich
wollte ich aber gar kein Diätessen.
Die Schmerzen haben inzwischen Dank der Infusion, nachgelassen.
Vielleicht wäre es besser die Ursache zu bekämpfen, anstatt der Wirkung. Doch
mit wem sollte man das diskutieren?
Durch die offene Türe drangen plötzlich laute Stimmen herein, einige Schwestern
liefen vorbei und schoben einen Notfall-Wagen. Hektik war ausgebrochen. Dann
plötzlich Stille.
Die restliche Nacht war sehr ruhig, nur hin und wieder hörte man das leise
Geräusch der Summer, wenn jemand die Schwester rief.
Gegen Morgengrauen kamen meine Schmerzen wieder zurück.
Sie waren hartnäckig und so eine läppische Infusion konnten sie nicht dauerhaft
vertreiben.
Ich läutete panisch nach der Schwester. Sie kam fast sofort. Ich wurde nochmals
untersucht und danach brach auch hier die Panik aus. In meinem Bett liegend
wurde ich den Gang entlang gefahren. Die Beleuchtung lief über mir hinweg, das
grelle Licht des Operationssaales tat mir in den Augen weh. Der Arzt von
gestern Abend schaut mich besorgt an und versuchte zu lächeln. Ich schloß meine
Augen und nahm nur mehr sehr vage die Narkosemaske auf meinem Gesicht wahr.
Die Schmerzen waren weg.
Ich fand mich wieder in einem großen Raum, rundherum weiße Polster und
gleißendes Licht.
Nachdem ich wieder einige Fragen beantworten mußte, einige Formulare ausfüllen
und mir eine kleine freundliche Person das Plastikband mit Nummer von der
großen Zehe abschnitt, wurde ich hinausgeschickt und durfte mir eine Wolke
aussuchen.
Ich nahm die Wolke neben der von Herrn Berger, meinem Namensvetter, den ich ja
schon aus dem Spital kannte und mit dem ich fast ein Klistier geteilt hätte!
Wir sind offenbar beide tot!
Leider weiß ich noch immer nicht, woran ich eigentlich gestorben bin!