Ein Trägerkleid
von Joana Angelides
Liebste Freundin,
ich verfasse diesen Brief in einer von Glück und Unsicherheit beleuchteten
Stimmung.
Ich muss es Dir erzählen. mir ist ein außergewöhnlicher Mann begegnet,
unerwartet und unter ganz eigenartigen Umständen.
Unsere Augen trafen sich zum erste Mal bei einer Vernissage Er war der
Veranstalter dieser Ausstellung und kam extra aus Paris in Luises Galerie.
Luise hat uns vorgestellt und sofort spürte ich seine ungeheure Ausstrahlung.
Ich löste meinen Blick nur zögernd aus dem seinen und musste noch minutenlang
an ihn denken.
Nun stand ich mit dem Rücken an eine Wand gelehnt und hielt mein Sektglas mit
zwei Fingern der rechten Hand in Schulterhöhe. Den linken Arm ließ ich
seitwärts hängend, mit meiner Handtasche spielen. In diesem Moment rutschte der
Träger meines Kleides über meine linke Schulter hinunter.
Ich wusste es. Dieses Kleid war nicht das Richtige für eine Vernissage, es war
unbequem, weil ein wenig zu eng und die Träger waren nie dort, wo sie
hingehörten.
Nun hatte ich das Glas in der einen Hand, die Handtasche in der anderen und
überlegte, wie ich nur den Träger wieder hinauf schieben sollte. Da stand er
plötzlich vor mir.
„Sie gestatten“, sagte er mit einer sehr dunklen Stimme, aus der Erregung zu
hören war.
Er nahm den verrutschten Träger mit einem Finger und schob in sehr langsam über
meine Schulter. Dabei blickte er mir unentwegt in die Augen.
Also, ich sage dir, mir lief es ganz heiß über den Rücken und ich hatte Angst,
dass meine Knie nachgeben würden.
Der Träger war längst auf seinem Platz, da machte seine Hand eine rückläufige
Bewegung und streifte den Träger wieder hinunter.
„Eigentlich gefallen Sie mir so besser“, sagte er mit einem kleinen Lächeln in
seinen Augen und blieb vor mir stehen.
„Aber, wenn Sie wollen...“, er schob den Träger wieder langsam hin auf,
sorgfältig darauf bedacht, dass sein Finger auch weiterhin Kontakt mit meiner
Schulter hatte.
So standen wir uns gegenüber und es war wie ein Spiel mit dem Feuer. Er schob
den Träger immer wieder hinauf und sofort wieder hinunter. Er machte es jedes
Mal ganz langsam und seine Augen ließen mich dabei nicht los.
Es entstand zwischen uns eine eigenartige Spannung, die sich nur für mich
hörbar, mit einem Knistern vermischte.
Vielleicht hätte ich mich empört abwenden sollen, oder ihn auffordern sollen,
das zu unterlassen?
Ich konnte es nicht und wollte es auch gar nicht. Seine so unmittelbare Nähe,
sein Blick, ganz tief in meiner Seele, forschend und mit einem kleinen Lächeln
in den Augenwinkeln, hielten mich davon ab.
„Sie haben sicher schon alle Bilder gesehen, oder?“
Ohne meine Antwort abzuwarten, nahm er mir das Sektglas aus der Hand und
stellte es ab.
Mit einer endgültigen Bewegung, aber langsam und sanft rückte er nun den Träger
meines Kleides an seinem Platz und nahm mich wie ein Schulmädchen bei der Hand.
Er führte mich die Treppe, die in den ersten Stock führt, hinauf und öffnete
dort einen Raum, der einer Bibliothek glich.
„Bitte nehmen Sie doch Platz, noch ein Glas Sekt, wir bleiben doch bei Sekt?“
Er sah mich fragend an.
Ich nickte.
„Moment“, er machte einen Schritt auf mich zu und streifte den linken Träger
meines Kleides wieder hinunter.
„So, jetzt ist es wieder richtig“, sagte er mit einem kleinen Lächeln. Seine
Hand verblieb auf meiner Schulter.
Was soll ich dir sagen, eigentlich hätte ich mich wehren sollen, seine Hand
abwehren, aber es schien mir wie selbstverständlich, dass er meine Brust
berührte. Es war, wie wenn ich das schon lange erwartet hätte.
Ab diesem Moment stand ich in Flammen. Ich wunderte mich, dass es nicht wehtat.
Es erfasste ein Knistern und Prickeln meinen ganzen Körper und es war mir, als
würde ich von Innen her verbrennen und verglühen.
Wir saßen nun nebeneinander auf einer Ledersitzbank, in der Mitte des Raumes im
Halbdunkel und wir sprachen miteinander, während seine Hand noch immer von der
Schulter gestützt, sanft meine Brust berührte.
Ich weiß gar nicht, worüber wir sprachen, ich glaube wir sprachen über uns und
über Wünsche, Gefühle und Sehnsüchte.
Wir beide, zwei Menschen, fremd noch vor einer Stunde, waren uns sehr nahe
gekommen.
Wir merkten gar nicht, dass die Stimmen unter uns in dem großen Raum der
Galerie verstummten.
Zwei Menschen sind sich begegnet in einem mit Kristallen gefüllten Raum. Die
Kristalle berührten sich und gaben leise Töne von sich.
Inzwischen war die Bibliothek sehr dunkel geworden, nur ein wenig erhellt vom
Licht, das von draußen hereindrang.
Wir bemerkten es kaum. Ich ließ es geschehen, dass mich seine Hände, seine
Lippen zärtlich berührten. Diese Berührungen erzeugten wellenförmige,
gekräuselte Ringe auf der
Oberfläche meiner Seele.
An diesem Abend haben wir uns in der Bibliothek geliebt. Die Art und Weise, wie
es geschah, war ein noch nie da gewesenes Ereignis für mich. Ich hatte das
Gefühl von vielen vibrierenden Flügeln emporgehoben zu werden, schwebend über
einem tiefblauen See verweilend. Dann plötzlich tauchten wir in diesen
unergründlichen See ein, wurden hinunter getragen von den Wellen und
flüsternden Stimmen bis zum Grund. Es umtanzten mich Tausende Lichter,
leuchtende Blüten und Knospen und silberne Schleier verbargen unserer beiden
Körper.
Alles bisher gewesene verblasste in der Erinnerung. Nur mehr dieses erfüllende,
beglückende Gefühl, das mich an diesem Abend erfüllte, blieb.
Liebste Freundin, ich werde diesen Mann heute wieder treffen, werde sehen, ob
der Zauber anhält, ob es nur ein aus der Stimmung geborenes Erlebnis war. Ich
werde es Dir dann berichten.
Liebe Grüße
J.
P.S.: Er bat mich, wieder das Trägerkleid anzuziehen. Es gehöre irgendwie zu
mir...........
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