Mittwoch, 8. Dezember 2021

Fast ein Engel, Weihnachtsgeschichte

 

Fast ein Engel

Von Joana Angelides




 

Wie jeden Tag, gegen Mittag kommt ein vielleicht zwölfjähriger Bub und leitet seine Schwester mit ihrem Tragkorb zu der Stiege bei der Ponte die Pugni in der Nähe vom Campo San Barnaba in Venedig. Dort bietet ein Mann immer seine Ware an: Geröstete Maronen und Kartoffel. Der Ofen verbreitet wohlige Wärme. Das Mädchen hat einen Korb mit kleinen Blumensträußchen mit, die sie dort feilbietet. Sie setzt sich auf ihr mitgebrachtes Polster, auf die vierte Stufe der Treppe, zieht den Umhang enger um sich und lächelt ins Leere. Erst wenn man neben ihr steht, bemerkt man, dass sie blind ist. Der Bub rückt ihr noch den Schal zurecht, streicht ihr über die Wange, was ihr Lächeln vertieft, läuft die Treppe hinauf und lässt sie allein.  Er wird sie am späten Nachmittag wieder abholen.
Und wie jeden Tag erklingt, kaum dass sie sich hinsetzte, aus dem zweiten Stock des Palazzos Fini leise Geigenmusik. Sie hebt den Kopf, blickt hinauf und lauscht. Sie liebt es.
Am Balkon des Palazzos steht ein junger Mann und spielt, nur für sie! Er verlässt selten das Haus, lebt nur seine Musik. Er verunglückte als Kind und hinkt seitdem. Einen Teil seines Gesichts entstellt eine üble Narbe, die von der Stirn über das linke Auge bis zur Wange reicht. Er hasst die mitleidigen und neugierigen Blicke der Menschen und bleibt daher lieber zuhause.
Er spielt heute „Nessun Dorma“ aus Puccinis Turandot und sie lauscht ihm verzückt! Ihr Lächeln ermutigt ihn. Vielleicht sollte er es doch wagen? Einmal nur ihre Hand berühren, ihre Stimme hören? Er könnte seine Entstellung durch einen Kapuzenumhang verbergen, den Kopf geneigt lassen. Als er es wagt und endlich neben ihr steht, hebt sie ihre Hand und reicht ihm eines der Blumensträußchen.
„Das ist ein kleiner Dank, für ihre Musik. Heute ist vigilia di Natala, Weihnachtsabend, bitte nehmen Sie!“ Er beugt sich herab, sieht erst nur ihr bezauberndes Gesicht und dann erst, dass sie blind ist!
„Darf ich Ihr Gesicht berühren? Wie ist Ihr Name?“, fragt sie leise und hebt die Hand.
„Ja!  Mein Name ist Angelo“, stammelt er.
„Oh, Angelo, ein Engel! Hab mir schon gedacht, dass nur ein Engel so schön spielen kann!“, lächelt sie und tastet sich über sein Gesicht mit geschlossenen Augen, „un bel viso, ein schönes Gesicht!“
„Wirklich, finden Sie?“, fragt er mit leiser, verhaltener Stimme.
„Ja, und eine wunderbare Stimme, una voce meravigliosa!“
Sie lacht dabei und ihr Lachen klang wie eine silberne Glocke, sodass einige Leute sich lächelnd umdrehten.
„Eigentlich sollte mein Bruder schon wieder da sein. Ich habe schon fast alle Sträußchen verkauft!“ und ein suchender Ausdruck prägt ihre Miene.
„Darf ich Sie nach Hause begleiten? Es würde mir Freude bereiten!“
Als er dann, das Mädchen am Arm führend, die Treppe hinaufgeht, streift er die Kapuze ab. Gleichgültig gegenüber den Blicken anderer. Ihre Schönheit überstrahlte für ihn alles!


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