Das
Gemälde.
Wir können oft nicht
artikulieren, warum uns ein Bild anspricht, warum wir manchmal den Wunsch
haben, es einfach zu betreten, in die Tiefe dieses Bildes zu tauchen und uns in
dem kühlen Schatten einer der Bäume auszuruhen.
Ich kannte ein solches Bild und die Faszination, die es auf mich ausübte, wurde
von Tag zu Tag grösser.
Es hing in einem großen Saal des Museums und ich verbrachte viele Stunden
davor, um es zu betrachten.
Mein „Lieblingsbild“ stellte eine Sommerlandschaft dar, im Hintergrund, in der
Tiefe des Bildes, konnte man eine Ansammlung von Häusern ahnen, Hügel und
Ebenen wechselten ab und im Vordergrund war ein See mit Seerosen und einer
illustren Gesellschaft von jungen Menschen, die sich um einen Picknickkorb
versammelt haben, zu sehen.
Die Brücke im Mittelpunkt spannte sich über den stillen, dunklen See, in dem
eben einige Seerosen schwebten, die sich nur scheinbar bewegten. Wir wissen,
sie können sich nur in einem begrenzten Radius bewegen, ihre Stiele werden von
den Wurzeln am Grunde des Sees festgehalten, ich fühlte mit ihnen.
Auf den tellerartigen Blättern glänzten einige Wassertropfen und irgendwo hörte
ich eine Libelle summen.
Bilder werden je lebendiger, je länger wir sie ansehen, in sie eintauchen.
Mädchen in leichten, flatternden weißen Kleidern mit aufgelöstem Haar und
lachenden Gesichtern lehnten an zwei Baumstämmen, während ihnen drei junge
Männer mit brennenden Augen, offenen Rüschenhemden und Weingläser in den Händen
zuprosteten.
Das Sonnenlicht umhüllte diese Szene, Sonnenkringel spielten auf der Wiese mit
dem Wind und die Blätter der Bäume scheinen sich zu bewegen.
Ich konnte stundenlang vor diesem Bild sitzen, lauschen ob ich vielleicht doch
ein Wort dieser kleinen Gesellschaft erhasche oder ein Lachen der Mädchen zu
mir herüber klingt. In meiner Fantasie hörte ich es natürlich und sonst
niemand. Eingesponnen in meine Welt verwunderte mich das eigentlich.
Wenn ich lange genug in die Gesichter der kleinen Gesellschaft schaute, merkte
ich immer mehr, wie ihre Blicke konkreter wurden, mich voll anschauten oder mir
zulächelten.
Jener junge Mann, etwas abseits der Gruppe, der alleine und verträumt das
dunkle Rot seines Weines gegen das Licht betrachtete, sprach mich besonders an.
Ich stellte mir vor, neben ihm zu sitzen. Sein Haar war ein wenig gelockt und
eine dieser Locken wippte über seiner hohen, klaren Stirne. Ich würde sie gerne
nach rückwärts streichen, meine Hand sodann in seinem Haar versinken lassen.
Sein weißes Rüschenhemd war ebenfalls vorne offen und ich glaubte, ihn atmen zu
sehen, denn es bewegte sich im Rhythmus seines Atems.
Ich stellte mir dann vor, dass meine andere Hand in sein offenes Hemd schlüpfte
um seine warme Haut zu spüren. Ich schloss die Augen und atmete tief ein. Oh,
wie mich der Duft des Sommers, der Duft seiner Männlichkeit und sein warmer
Atem verwirrte!
Ob er das Glas zum Mund heben wird, es mir dann reichen und wir gemeinsam
daraus trinken würden?
Ich stellte mir dann auch vor, dass er lächelnd meinen Kopf mit der anderen
freien Hand zu sich heranzieht, mir in die Augen blickt und mich küsst. Durch
das Vorbeugen meines Körpers aus meiner sitzenden Position würde der Rand
meines Dekolletés tiefer rutschen und meine zarten Brüste hervortreten lassen.
Es war immer die gleiche Situation, ich erlebte sie jedes Mal immer wieder und
eine ungeheure Sehnsucht danach erfasste mich gleichzeitig.
Nun stehe ich heute wieder vor diesem Bild und kann den Moment nicht erwarten,
wo meine Fantasie mich wieder langsam in diese Traumwelt führt, er mich
anlächelt, sein Glas hebt oder mir vielleicht zu verstehen gibt, dass er weiß,
was ich fühle.
Doch heute ist alles anders, er scheint weiter vorne im Bild zu sitzen, seine
Haltung ist noch hingebungsvoller, sinnlicher. Er schien mich sofort anzusehen,
als ich den Saal des Museums betrat, ich spürte es mit jeder Faser.
Ich werde mich nicht wieder auf die Bank in der Mitte des Saales setzen, heute
gehe ich näher an das Bild heran, ich will ihn ganz nah sein, ihm in die Augen
schauen.
Zögernd trete ich ganz nahe an das Bild heran, hebe meinen Blick und wir sehen
uns direkt an.
Sein Blick geht mir durch und durch, das Blut beginnt in meinen Kopf zu
steigen, es klopft an den Schläfen.
Seine rechte Hand hält wie immer das Weinglas, seine schlanken, langen Finger
heben sich wunderbar vom Rubinglanz des Weines ab. Seine linke Hand streckt
sich plötzlich mir fordernd entgegen und wie unter Zwang, lege ich meine rechte
Hand hinein und betrete wie selbstverständlich die Wiese und befinde mich im
Bild.
Es war nur ein kleiner Schritt, ein tiefer Atemzug und unglaubliches Staunen in
mir, es war für die Ewigkeit!