Der Mann vom Strand
Es sind die ausklingenden
Tage, die immer diese melancholische Stimmung aufkommen lassen.
Wer kennt nicht diese beginnende Dämmerung; es ist noch Tag, der Abend jedoch
kündigt sich schon an.
Es erscheint dann alles in einem durchscheinenden Licht, teurem Porzellan
gleich. Wenn man dann auch noch das Glück hat, von einer Terrasse über das Meer
bis zum Horizont blicken zu können, kann man das zarte Rosa der hinter den
Wolken versinkenden Sonne in sich aufnehmen und träumen.
An den Rändern der Wolken setzt sich diese zarte Farbe ab und wenn man es will,
verheißt sie Zartheit, Stille und Bereitschaft seinen Gefühlen Platz zu geben.
Sie geht dann am Strand entlang, wühlt mit den Zehen im feuchten Sand und nimmt
die beginnende Kühle in sich auf.
Und dann kommt er, regelmäßig und verlässlich, immer zur selben Zeit. Er kommt
aus der entgegengesetzten Richtung, hat die untergehende Sonne im Rücken, einen
großen Sonnenhut auf und ein kleiner lebhafter Hund läuft vor ihm oder hinter
ihm her und findet hin und wieder etwas Interessantes, um es zu beschnüffeln.
Er taucht immer plötzlich auf, wie aus dem Nichts. Manchmal bleibt er stehen
und stochert mit dem Stock in seiner rechten Hand in den Sand, so als würde er
etwas suchen. Der kleine Hund stürzt dann sofort herbei und schnüffelt
neugierig herum, um dann enttäuscht wieder weiter zu laufen.
Er ist sicher nicht mehr jung, sein Alter ist aber nicht so leicht bestimmbar
für sie. Sie sieht seine Silhouette immer nur gegen die Sonne, die lange weite
Hose und das dünne, vorne offene Hemd sind konturlos, verschwimmen mit dem
Hintergrund.
Seine Erscheinung erinnerte sie an Ernst Hemmingway. Sonne, Meer und die
Fischerboote die hinauszogen taten ihr Übriges.
Wenn er für sie sichtbar wird, dann ist er immer noch weit weg und sie hat
Gelegenheit, ihren Gedanken und Fantasien freien Lauf zu lassen.
Sie glaubt erkennen zu können, dass sein Körper trainiert und kräftig ist,
seine Schritte elastisch und sicher, seine Schultern breit und gerade.
Trotz der legeren Kleidung macht er einen eleganten Eindruck.
Meist setzt sie sich auf den großen Stein neben den Sträuchern am Strand und
versucht, ihn einzuordnen. Noch nie kam er bis zu ihr um vorbei zu gehen.
Einige Meter vor ihr drehte er immer um und ging wieder zurück in die
inzwischen stärker werdende Dämmerung. In derselben unnachahmlichen Art,
schlendernd und doch elegant, wie er gekommen war.
Er schien sie nicht zu bemerken, oder wollte es nicht. Nur ein einziges Mal kam
der kleine Hund zu ihr gelaufen, schnupperte an ihren Füßen, lief aber sofort
wieder weg, als leises Pfeifen zu hören war.
Dieser geheimnisvolle Mann nahm Besitz von ihren Gedanken und trieb sie jeden
Tag auf demselben Weg in die Abenddämmerung. Sie konnte schon am Nachmittag
nichts anderes denken und Unruhe machte sich in ihr breit.
Sie nahm sich an einem der Abende vor, etwas früher da zu sein, weiter vor zu
gehen, um seinen Weg kreuzen zu können, ihn anzusehen und vielleicht einen Gruß
von ihm zu erhalten, einen Blick auf ihn werfen zu können.
Doch genau an diesem Abend kam er nicht zur üblichen Zeit. Sie war schon sehr
weit über ihrem üblichen point of return hinausgegangen und kehrte resigniert
wieder um.
Heute wird ganz offenkundig aus ihrer Begegnung mit ihm nichts werden wird. Ein
wenig enttäuscht setzte sie sich wieder auf ihren Stein neben den Büschen und
warf kleine Steinchen auf die Wasseroberfläche des leicht gekräuselten Meeres.
Die Sonne blendete sie, sie kniff die Augen ein wenig zusammen und nahm das
Flimmern der untergehenden Sonne auf den kleinen Wellen besonders deutlich
wahr.
Da hörte sie in der Ferne das helle Bellen des kleinen Hundes und sah auch
schon die hohe Silhouette des Mannes aus dem abendlichen Dunstschleier
heraustreten.
Es war ihr, als würde er sich heute etwas schneller vorwärts bewegen, schneller
auf sie zukommen, als sonst
.
Sie hielt den Atem an, als sie merkte, dass er nicht wieder kehrt machte, um in
der Ferne zu entschwinden, sondern die kleine
Bodenerhebung zu ihr hin
überschritt und genau vor ihr stehen blieb.
Sein großer Hut und seine breite Gestalt warfen ihren Schatten auf sie und sie
blickte zu ihm auf.
Er sprach kein Wort, schaute nur zu ihr herab und sie konnte seine blauen Augen
sehen, die unergründlich tief waren.
Was hatte Hemmingway für eine Augenfarbe? Sicher blau, ja blau, sie erinnerte
sich, es irgendwo gelesen zu haben.
Er trug sogar den gleichen Bart und auch der Hut war ähnlich.
Sie blickte ihn fasziniert an und hob ihr Gesicht dabei. Er streckte seine
rechte Hand aus und hob ihr Kinn noch höher, um sie prüfend anzusehen.
Ihr Herz begann zu klopfen, als er sich zu ihr hinab beugte und sie küsste. Es
geschah so urplötzlich, so selbstverständlich, dass sie sich weder sträubte,
noch den Willen aufbrachte, sich zu wehren; es ja auch gar nicht wollte.
Im Gegenteil, es war so, dass sie es als Erfüllung eines geheimen Wunsches
wertete. Ja, sie wollte, dass er sie küsste.
Als er sie empor zog, mit beiden Armen umfasste, schmiegte sie sich an ihn und
spürte seinen nackten Brustkorb, den Sand auf seiner Haut und den festen Druck
seiner Arme auf ihrem Rücken.
So standen sie eine Weile, versunken in diesen langen nicht enden wollenden
Kuss und dieser Umarmung, die alles rundherum in Vergessenheit geraten ließ.
Als ihre beiden Beine nachgaben und sie unweigerlich in den Sand glitten,
spürte sie jeden Sandkorn sich unter ihr bewegend, Gefühle verstärkend.
Sein Begehren steigerte sich von einem leichten Windhauch, zu einem stürmischen
Wind und steuerte einem Orkan zu. Sie wurden beide empor gehoben, trieben
zwischen den Wolken am tiefblauen Himmel und ließen sich treiben, bis sie sich
auflösten. Auflösten wie diese kleinen Wolken, die ihre Gestalt dauern
verändern, sich zusammenfinden, teilen und sich dann ganz verlieren.
Aufgeschreckt durch den Ruf einer Möwe hoch oben am Himmel wurde sie wieder in
die Wirklichkeit zurückgeholt.
Sie saß im Sand, an den Stein gelehnt, ihr Puls raste und der Aufruhr in ihrem
Körper war noch immer nicht abgeklungen. Sie spürte das Salz des Meeres und
seine Küsse auf ihren Lippen und atmete gierig den verbliebenen leichten Duft
seines Körpers ein.
Verwirrt richtete sie sich auf und ihre Blicke streiften suchend umher. Dort
vorne, mit dem Rücken zu ihr, ging er langsam als dunkle Silhouette in die
Dämmerung hinein. Wie lange war sie hier gelegen, hatte seine Umarmung und sein
Begehren in sich aufgenommen und sich mit den Wolken treiben lassen?
Es war wie jeden Tag, die Sonne hatte fast den Horizont erreicht, die Schatten
wurden länger und seine Gestalt schien sich langsam in der Dämmerung
aufzulösen.
Sie schwankte zwischen Traum und Wirklichkeit und beschloss, es nicht näher
erforschen zu wollen.
Ihr Herz stockte einen Moment, als er sich plötzlich umdrehte und sie anzusehen
schien.
Es war also doch ein besonderer Tag.
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