Die Perle
von Joana Angelides
Also, los geht’s!
Pünktlich jeden zweiten Tag der Woche betritt Luise, die Putzfrau, den
Vorraum der Villa und stellt ihre übergroße Tasche ab.
Nicht etwa auf das halbrunde Tischchen unter dem großen geschliffenen
Spiegel darüber. Nein, darunter auf den Fußboden. Die „Gnädige“ nennt ihn
„Louis irgendwas“, und hat Angst, ihre Tasche könnte die Oberfläche des Tisches
zerkratzen. Lachhaft, wo das sowieso so ein altes Möbelstück ist! Und wieso
kann ein Möbelstück „Ludwig irgendwas“ heißen? Haben die denn Namen?
Diese Woche kann sie es sich einteilen, die Herrschaften sind in Urlaub
gefahren, irgendwo auf den Malediven. Wo immer das ist, hoffentlich weit genug
weg, sie kann Überraschungen nämlich gar nicht leiden. Ob die Leute dort
Maledivianer heißen? Und hoch oben muß es sein, wenn es „auf den Malediven“
heißt. Komisch, Berge waren bisher noch nie das Ding der Gnädigen.
Na egal, sie kann daher in dieser Woche in Ruhe schalten und
walten. Sich um alles kümmern. Was ist
eigentlich im Kühlschrank geblieben? Schließlich muss der Mensch ja auch was
essen, wenn er schwer arbeitet. Und schwer arbeitete sie nun einmal, nachdem
vorige Woche der Geschirrspüler kaputt war. Wer wäscht denn heute noch manuell ab?
Da sollte man gleich kündigen! Naja, ausnahmsweise wollte sie es dieses eine Mal
durchgehen lassen.
Schade nur, dass nun schon zum zweiten Mal eine Kaffeeschale aus dem
teurem Service zu Bruch ging. Aber das Muster ist sowieso sehr altmodisch und
scheußlich.
Wie einem nur so was gefallen kann. Wahrscheinlich gefällt es nur, weil
es teuer ist. Die Reichen sind so.
Außerdem soll man drauf bestehen, dass die Familie das schmutzige
Geschirr immer selbst in den Spüler einräumt. Das wurde bei der letzten
Gewerkschaftsversammlung laut und deutlich gesagt. Irgendetwas müssen die
Herrschaften ja schließlich auch tun! Man belastet sonst die Wirbelsäule. Immer
dieses Bücken!
Ja und auch das Raufsteigen auf Leitern ist abzulehnen. Man kann da
sehr leicht herunterfallen. Unfälle im Haushalt sind die häufigsten
Unfallursachen bei Frauen. Und Fenster putzen sind auch kein Thema, da gibt es
schließlich ja professionelle Fensterputzer.
Zuerst einmal ins Bad und das Wasser einlassen. Hoffentlich hat die
Gnädige endlich wieder das so wunderbar duftende Badeöl gekauft. Bis auf den
letzten Tropfen hat sie es verbraucht vergangene Woche! Eigentlich
rücksichtslos.
Heute ist einmal Körperpflege angesagt. Schließlich gibt es in vielen
Firmen ja auch Duschräume für das Personal. Warum also nicht in
Privathaushalten für solche Perlen wie Luise?
„Babalu, dubidu!“
Die Treppe hinauflaufend, nimmt sie zwei Stufen auf einmal.
Der linke Schuh bleibt auf der dritten Stufe liegen, der Rechte auf der
fünften Stufe. Die Bluse, schwupps, sie hängt jetzt auf der Lampe unten im
Vorraum. Naja, sie wird sie nachher runterholen, mit der Besenstange, denn auf
die Leiter stiegen kommt nicht in Frage.
Den Rock läßt sie mit leichtem Hüftschwung und einer Hula-Hula-Drehung
auf den Boden gleiten.
Oh, wie das riecht! Himmlisches Badeöl in veilchenblau, samtweich auf
der Haut und schäumend.
Der Champagner hat die richtige Temperatur, der Lachs balanciert auf
dem Rand der Wanne und aus dem Radio tönt Ravell. Eigentlich fehlt nur mehr
eine Kerze am anderen Rand der Wanne. Naja, man kann nicht alles haben.
Heute lief ihr irgendwie die Zeit davon.
Vormittags im Haus der Gerbers, welch ein durcheinander! Will Frau
Gerber doch tatsächlich, dass sie jedes Mal die Küche aufwäscht und im Bad die
Kacheln putzt. Die sollten mehr aufpassen, nicht alles so verschmutzen.
Schließlich sind ja drei Kinder in der Familie. Das macht schon eine Menge
Arbeit, alleine die Wäsche! . Eigentlich könnte Frau Gerber die Waschmaschine
ja selbst in Gang setzten, damit man dann nur mehr die Wäsche raus zu nehmen
braucht. Aufhängen aber muss Frau Gerber sie dann auf jeden Fall wieder selbst.
Dies immerwährende Strecken beim Aufhängen ist auch nicht gut für die
Wirbelsäule, und man hat ja nicht nur den einen Haushalt!
Naja und dann das Einkaufen! Alleine kann man das gar nicht bewältigen.
Frau Gerber muß da mit dem Auto mitfahren und die schweren Taschen hineinheben,
schließlich…. die Wirbelsäule!
Und als Frau Gerber dann mit dem Kochen fertig war, blieb keine Zeit
mehr, um die Küche in Ordnung zu bringen, es war Zeit um nach Haus zu gehen.
Man muss sich ja schließlich auch ausruhen können.
Außerdem müssen morgen alle Bücher bei Gerbers vom Regal heruntergenommen,
gründlich gesaugt und abgewischt werden. Da muss man heute schon Kräfte
sammeln. Naja, auf die Leiter muss aber
Frau Gerber steigen, denn, wie gesagt, Leitern sind viel zu gefährlich!
Oh, das wird wieder ein sehr anstrengender Tag! Da wird Herr Gerber,
wenn er abends nach Hause kommt, den Mist selbst hinaustragen müssen. Man kann
ja schließlich nicht alles machen!
Nun ist das Badewasser aber schon etwas kühl. Raus aus der Wanne, rein
in den flauschigen Bademantel der Gnädigen. Man könnte sich noch etwas ausruhen
auf dem Sofa im Wohnzimmer?!
Naja, lieber nicht, sonst kommen zu viele Stunden zur Abrechnung und
man will ja nicht unverschämt sein. Man ist ja schließlich ehrlich, auch wenn
die Herrschaften einmal nicht da sind!
Ja, nicht jeder hat so eine Perle im Haushalt, wie es Luise nun einmal
ist.