SINNESTÄUSCHUNG
von Joana Angelides
te die Frische der Nacht bei jedem Atemzug. Der Aufstieg bereitete ihm einige Mühe, er musste des Öfteren Halt machen und sich an einen der Bäume lehnen. Er war ja nicht mehr der Jüngste, hatte den Zenit seines Lebens bereits weit überschritten.
Es gab zwar einen
ausgetretenen Pfad, der sich durch die sanften Hügel wand, doch er suchte die
Stille des Waldes, die eigentlich gar keine Stille war. Man hörte es knacken
und flüstern, es war, als wären rund um ein noch vieles, unsichtbares Wesen,
die sich im Schutze des Waldes herumtreiben.
Die Blätter und Zweige des
Mischwaldes schwangen leicht im Wind und erzeugten eine eigenartige Melodie.
Die Sonne stand schon
ziemlich hoch und fand immer wieder Wege, ihre Strahlen durch das dichte, grüne
Dach des Waldes auf den weichen, mit Moos bewachsenen Boden zu senden. Seine
Schritte wurden durch das Moos gedämpft, nur unterbrochen von leisem Knacken,
wenn sie auf einen herabgefallenen dünnen Ast oder Zweig trafen.
Er nahm sich vor, eine kurze
Rast noch im Schutze des Waldes einzulegen, um dann von der Lichtung aus, die
schöne Landschaft zu seinen Füßen zu genießen. Er hatte da einen bestimmten
Platz im Auge, von dem aus die Aussicht besonders schön war. Es war eine
Felsengruppe, umgeben von sieben oder acht alten, Schatten spendenden Fichten.
Der Blick war nach einer Seite völlig frei
Als er nach kurzer Rast aus
der Tiefe des Waldes hervortrat, sah er sie. Sie hatte sich an den Felsen
angelehnt die Beine angezogen und das Kinn auf den Knien aufgestützt. Sie
blickte geradeaus vor sich, als würde sie ihren Gedanken nachhängen.
Kann das denn sein, kann sich
die Geschichte wiederholen?
Können sich längst
vergangene, versunkene Ereignisse erheben und Wirklichkeit werden?
Ein weißer Hut aus Organza
beschattete ihr Gesicht bis zu den Augen, die im Schatten lagen, nur ihr
voller, roter Mund trat aufreizend ins Licht hervor. Oh, wie bewunderte er
diesen Mund immer, wie schmerzte jede Entbehrung in jeder Minute!
Wie damals war der Rest ihrer
Kleidung wieder war ganz in Weiß gehalten, ihre kleinen, ebenfalls weißen
Schuhe standen neben ihr im Gras und ihre nackten Füße bohrten sich langsam in
die weiche Erde. Er blieb stehen und betrachtete fasziniert diese unwirkliche
Gestalt. Sie schien auch deswegen so unwirklich, da das gleißende Sonnenlicht
die Umrisse verschwimmen ließ und die Konturen des Bildes, das sich ihm bot,
immer wieder vor seinen Augen verschwammen.
Wie schnell vergisst man
Namen, aber niemals Bilder oder Konturen die unvergesslichen Erlebnisse
zementieren.
Er trat einen Schritt nach
vor in ihre Richtung, doch sie rührte sich nicht, schien ihn gar nicht zu
bemerken.
Als sie nun beide Arme hob
und hinter ihrem Kopf verschränkte, erkannte er, lediglich an dieser, ihm so
vertrauten Bewegung, dass es Marion war. Marion, aus einem anderen Leben, das
er längst vergessen hatte. Sie waren jung, unbeschwert und unheimlich verliebt.
Er erinnerte sich an dieses Kleid aus dünnem, fast durchscheinendem Organza,
ihre weiße, zarte Haut, die sich im Ausschnitt des Kleides verlor und ihm in
der Fantasie die tollsten Bilder vorgaukelte! Er erinnerte sich an das zarte
rosa, die ihre Brustspitzen ahnen ließen und ihm die Sinne raubten. Damals
wollte er in diesen Sekunden nichts anders, als sie mit seinen Lippen berühren,
vielleicht ihr Seufzen hören.
Er trat noch einige Schritte
näher an sie heran und sein Schatten fiel auf ihr Gesicht. Nun erst schien sie
ihn zu bemerken. Sie öffnete die Augen und lächelte ihn an. Er hatte kurz Angst
sie würde erschrecken, oder aufspringen. Doch nichts dergleichen geschah.
Er konnte auf sie hinunterblicken,
ihren dunkelroten, halb offenen Mund, das tiefe, alabasterfarbene Dekollete vor
sich und konnte wieder, wie damals, die rosa Spitzen ihrer Brüste sehen. Ihre
Brust hob und senkte sich in gleichmäßigen Atemzügen. Mit einer langsamen Bewegung nahm sie den Hut
vom Kopf und warf ihn von sich. Wie damals, als sie beide von tiefen Gefühlen
für einander beseelt waren.
Er fiel in die Knie, nahm
ihren Kopf in beide Hände und senkte seine Lippen auf diese lockende, rote
Blüte mitten in ihrem Gesicht. Seine Hände glitten abwärts, streiften auf ihrem
Körper auf und ab, fassten ihre vollen Brüste und schoben sie nach oben, sodass
sie die enge der Korsage verließen. Sie lagen in voller Pracht vor ihm und er
konnte endlich seine Lippen über ihre Spitzen wandern lassen. Nach so vielen
Jahren, war dies die Erfüllung eines Traumes.
„Endlich bist du wieder da,
wo warst du denn so lange?“
Er hörte diese Frage wie aus
weiter Ferne, konnte jedoch nicht antworten, seine Kehle war trocken und wie
zugeschnürt. Sein Gesicht wühlte in der Fülle des Dargebotenen er nahm ihren
Duft in sich auf, die Wärme ihrer Haut und das Pulsieren seines eigenen Blutes.
Es war als würde sich der
feine, dünne Stoff ihres Kleides unter seinen Händen auflösen, als würden seine
Hände direkt ihre Haut berühren. Es war als würden all diese Jahre, die
inzwischen vergangen waren, im Nichts verschwinden und sie wären wieder jung
und verliebt und ohne Gedanken an die Zukunft.
Sie lagen nebeneinander, halb
angelehnt an den Felsen im Gras und er genoss die sie umgebende Stille.
Mit geschlossenen Augen
konnte er ihren erregten Atem hören, hörte sie leise flüstern, Worte die er
nicht verstand, aber doch wusste, dass sie ihm galten und war seit langem
wieder sehr glücklich. Er träumte einen wunderschönen Traum
Eine Wolke, die sich vor die
Sonne schob, holte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück. Er blickte sich um
und stellte fest, dass er alleine war. Wo war sie hin? Sein Blick streifte in die Runde, suchte den
weißen Organzahut im Gras, ihre Lichtgestalt in seinen Armen. Nur die sich bewegenden Schatten der Bäume um
ihn herum zauberten helle und dunkle Flecken ins Gras. Er fuhr sich mit der
Hand über die Augen.
Es war also offensichtlich
eine Sinnestäuschung gewesen, Täuschung durch das Sonnenlicht, als er aus dem
dunklen Schatten des Waldes trat. Täuschung durch die eigenen Wünsche und
verschütteten Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit.
Und doch fühlte er sich
wunderbar, ja fast glücklich.
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