Der
alte Fischer
Der Morgen ist langsam
aufgestiegen aus dem Meer. Zuerst war es
nur ein Silberstreif am Horizont. Dann wurden die Schatten schärfer und man
konnte zwischen den einzelnen Häusern die Lichtstrahlen mit den Augen einfangen.
Vereinzelt krähte ein Hahn,
es wurden einige Fenster, die Türen und Läden der Geschäfte geöffnet. Das Dorf
erwachte.
Das Geräusch des
herankommenden Fischkarrens war im ganzen Dorf zu hören. Der alte Manolis ging
neben seinem Esel, den breitkrempigen Hut tief ins Gesicht gezogen, über den
Platz vom Gemeindeamt zur Kirche und pries mit lauter Stimme seine Fische an.
Diese lagen fein säuberlich nebeneinander auf den Eisstücken und wurden
außerdem immer wieder mit Wasser übergossen, um frisch zu bleiben. Die Waage hing an einem am Wagen befestigten
Galgen in der Luft und schaukelte im Wind. Es war einer jene Waagen, die man in
die eine Hand nahm und mit der anderen Hand wurde abgewogen. Niemals war sie
genau, einmal schlug sie mehr nach links, einmal mehr nach rechts aus. Aber das
störte niemand wirklich.
Nun blieb er stehen um auf
Kundschaft zu warten. Die Erste war eine kleine rundlich wirkende Frau aus dem
Haus des Bäckers. Sie kam, nur mit Pantoffel an den Füßen, die Kleiderschürze
sorgfältig gebunden, mit der Geldbörse in der Hand über den Platz gefegt und
begann, die Fische neugierig zu beäugen.
Scheinbar gefiel ihr was sie
sah. Sie suchte einige kleinere Fische aus, indem sie mit dem Zeigefinger
darauf tippte und der alte Mann warf sie auf die Waage und steckte sie dann in
eine durchsichtige Plastiktüte, die er zuband. Diese kam dann noch in ein
weißes undurchsichtiges Plastiksäckchen. Sie wechselten noch ein paar Worte
miteinander während er ihr das Kleingeld herausgab und dann ging die kleine rundliche
Frau wieder zum Haus des Bäckers hinüber, das Plastiksäckchen vorsichtig vor
sich hertragend.
Inzwischen hatten sich noch
einige andere Frauen eingefunden, und auch der Gendarm musterte mit Kennerblick
die angebotenen Fische und gab seine Kommentare ab. Alle tauschten mit dem
alten Fischer Neuigkeiten aus, er erzählte ihnen vom nahen Nebendorf.
Heute Nacht wurde ein Kind
geboren, die Fensterscheibe vom Friseurladen ging zu Bruch. Neuigkeiten
verbreiten sich schnell.
Ein reges hin und her begann
und nach und nach leerte sich der Behälter mit den Fischen. Auch eine Katze,
die neben dem Karren hin und her schlich ergatterte eine kleine Sardine, die
während dessen hinunterfiel.
Manoli hatte fast alle seine,
an diesem Morgen gefangenen Fische verkauft. Er setzte sich auf den Randstein
neben seinen Karren, nahm den Hut vom Kopf und wischte sich mit einem Tuch über
die Stirne und noch etwas weiter hinauf, wo einst üppiger Haarwuchs war. Dann
setzte er den Hut wieder auf. Neben dem Behälter mit Eis hatte er einen Tonkrug
mit Wasser stehen und auch ein kleiner Imbiss, kleine Käsestrudel und Tomaten,
waren dort eingepackt.
Langsam erhob er sich und
nahm sich etwas von dem vorbereiteten Frühstück und setzte sich wieder.
Es war heute seine letzte
Fahrt gewesen. Er schaute mit einem scheuen Blick hinüber auf die andere Seite
des Platzes. Dort wird ab morgen ein Geschäft eröffnen, mit blitzender Auslage
in Nirosta, einer großen elektronischen Waage die jedes Gramm genau zeigen wird
und fließendem Wasser sowie gekacheltem Fußboden. Auch die Kasse ist
elektronisch und wird jedes Mal im gleichen Tonfall klingeln, wenn sie den
Rechnungszettel ausspuckt. Der Besitzer wird die Fische von einer
Genossenschaft aus dem Nachbarort kaufen, in der sich die meisten Fischer
zusammengeschlossen haben.
Wehmut ergriff ihn und er
musste sich mit dem Tuch über die Augen wischen, scheinbar war im etwas ins
Auge gekommen. Er wird sich in sein kleines Häuschen am anderen Ende der Bucht
zurückziehen, nur mehr für den Eigenbedarf fischen gehen; oder wenn ihm danach
zu Mute war. Denn die Stille, draußen auf den Wellen des Meeres, in Zwiesprache
mit Gott, mochte er auf keinen Fall missen.
Er hatte sein bescheidenes
Mahl verzehrt, machte noch einen großen Schluck aus seinem Wasserkrug und stand
auf.
„Komm,“ sagte er zu dem Esel,
„es ist getan, wir gehen in den Stall.“
Und mit langsamen Schritten
gingen die beiden die Straße hinauf, an den nun geöffneten Geschäften vorbei.
Der Esel kannte den Weg, er hätte dabei schlafen können. Jeder Stein war ihm
vertraut.
Da der alte Mann den Hut sehr
tief ins Gesicht gedrückt hatte, sah er gar nicht, dass ihm einige zuwinkten
und dass manch wehmütiger Blick zu ihm herüberflog.
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