Der
Fächer
von Joana Angelides
Der Dachboden riecht nach
Staub und längst vergessenen Träumen.
Dieses Knarren der Türe war
ein vertrautes Geräusch aus längst verhallten Kindheitstagen. Sie stand auf der
Schwelle und spähte in den dunklen, tiefen Raum. Seit dem Tode der alten Tante
waren nun schon einige Wochen vergangen, doch sie scheute sich noch immer, die
Laden der Kommoden in dem alten Haus, oder in den Schränken befindliche
Schachteln und Schatullen aufzumachen. Es war ihr, als würde sie in das
Intimste der alten Dame eindringen.
In einer der kleinen Laden
des Schreibtisches lagen einige Briefe, die Umschläge waren im Laufe der Zeit
ganz gelb geworden und an den Kanten teilweise gebrochen. Sie waren mit einem
rosa Bändchen umschlungen, und sicher schon viele Male gelesen.
Sie hatte sie schon in den
Sack für die Entsorgung geworfen und dann wieder herausgeholt. Nein, sie wollte
sie nicht lesen, aber es schien ihr geradezu frevelhaft, sie einfach so wegzuwerfen.
Sie hielt sie in der Hand und spürte durch das alte Papier Gefühle und
Sehnsüchte durch. Sie legte die Briefe wieder in die Lade zurück, doch hatte
sie sie in den letzten Tagen mehrmals geöffnet und vermeinte leises Flüstern zu
hören. Es war ihr, als würden die Worte ein Eigenleben entwickeln. Sie hatte
dann immer wieder erschrocken die Lade zugeschoben.
Nun stand sie da, an der
Schwelle zum Dachboden, dem Archiv ihrer Jugend. In der großen Truhe dort wusste
sie unter alten Unterröcken, gestickten Tischdecken und einem Umhängetuch aus
brauner Spitze, ihre alten Puppen und Plüschtiere liegen.
Sie selbst hatte sie dort
eingepackt als sie wegging, in die große Welt, um die Enge der kleinen Heimat
hinter sich zu lassen. Doch oft hatte sie sich danach zurückgesehnt. Nach der
Stille am Abend, der Geborgenheit. Sie hörte gerne all die Geschichten die
diese alte Frau ihr abends in der Pergola erzählte, als draußen der Wind durch
den Garten fegte und die Blätter aufwirbelte. Das Windlicht flatterte dann und
sie dichtete in die beweglichen Schatten geheimnisvolle Geister, Zwerge und
Kobolde hinein.
Der alte Korbstuhl, in dem
sie immer saß, den irgendjemand einmal vor vielen Jahren aus den Kolonien
mitgebracht haben soll, stand dort in der Ecke und übervoll mit unachtsam
hingeworfenen Kleidern halb verdeckt. Sie waren mit einer Staubschicht bedeckt,
die Farben waren vergilbt, und doch schienen sie zu atmen, sich in einem
geheimnisvollen Rhythmus zu heben und senken.
Da muss Licht her, dachte sie
um die Schleier und Spinnweben der Vergangenheit wegzuwischen.
Sie erinnerte sich, dass es
hier irgendwo eine Stehlampe gegeben hat, mit einem überdimensionierten Schirm
mit Fransen.
Ah, ja, da war sie ja. Sie
stand in der Ecke neben einer Schneiderbüste und schien sich abwehrend zu
verhalten. Es war als hätte sie den Kopf gesenkt, um ihre imaginären Augen zu
verbergen, um nicht aufblicken zu müssen. Doch sie hatte sie erspäht, suchte
das andere Ende des Kabels und steckte es in die Steckdose.
Die schwache Lampe erhellte
den Raum kaum und die Fransen waren in Bewegung geraten. Sie warfen bewegliche
kleine Schatten und täuschten Bewegung im Raum vor.
Sie schob die Schneiderbüste
etwas auf die Seite und bückte sich, um den Deckel der Truhe zu öffnen. Der
Deckel ließ sich nur schwer öffnen, verursacht durch kraftvolles nach oben
Drücken fiel er jedoch nach hinten und wirbelte dabei eine Menge Staub auf.
Einen Moment lang konnte sie
gar nichts sehen.
Ohja, da waren die
Spitzenunterröcke, die Deckchen und auch das braune Umhängetuch, an dessen
lange Enden sie sich oft geschmiegt hatte.
Sie nahm es in die Hand und
roch daran. Es roch immer noch nach Lavendel.
Ungeachtet des Staubes
rundherum setzte sie sich auf den Boden. Sie legte das Umhängetuch auf ihre
Knie und setzte die Erforschung der Truhe fort.
Die alte Puppe öffnete
plötzlich ihre Glupschaugen, als sie sie herausnahm, dem Teddybären fehlte
leider ein Knopfauge. Sie musste lächeln.
Was war das? In einer flachen
Pappschachtel lag ein alter weißer Fächer aus Pfauenfedern. Darunter lagen ein
paar lange weiße Damenhandschuhe, und eine getrocknete rote Rose. Sie strich
mit den Fingerspitzen leicht über die Federn des Fächers und sie bewegten sich.
Sie nahm den Fächer heraus. Das Gerippe bestand aus gelblich weißem Elfenbein,
mit einer alten, schon sehr schütteren Quaste.
Der Fächer ließ sich ganz
leicht öffnen. Sie begann ihn langsam, so aus dem Handgelenk zu bewegen. Er
bedeckte ihr ganzes Gesicht und roch ebenfalls nach Lavendel. Je länger sie den
Fächer bewegte, desto lauter wurde plötzlich die Musik, sie wähnte sich in
einem großen Ballsaal mit vielen Menschen.
Sie beugte sich zurück um die
glitzernden Lüster zu betrachten und spürte den stützenden Arm des Mannes um
ihre Mitte, der sie im Arm hielt und sie zu den Walzerklängen im Kreise dreht.
Seine Augen versenkten sich
in die ihren, sein Lächeln war bezaubernd. Er sagte etwas zu ihr, doch sie
konnte ihn nicht verstehen, die Musik und die vielen Menschen rundherum waren
zu laut. Sie entschloss sich, ihn anzulächeln, ihm ihr schönstes Lächeln zu
schenken, das sie hatte. So lange schon hatte sie kein Mann so zärtlich und
doch festgehalten, es tat richtig wohl.
Sie kamen am Rande des Saales
zum Stehen und er reichte ihr elegant ein Glas mit Champagner und prostete ihr
zu. Sah das Glas nicht aus, wie aus dem Schrank der alten Dame?
Nun nahm er aus der auf einem
kleinen Tischchen stehenden Vase eine rote Rose und überreichte sie ihr. Jedoch
nicht ohne vorher einen Kuss darauf zu hauchen und ihr dabei tief in die Augen zu
blicken. Sie nahm die Rose und hielt sie in der Hand während er sie wieder zum
Klang der Musik über das Parkett fast trug, sie festhielt und ihr wieder
wunderbare Worte ins Ohr flüsterte.
Es schien eine Ewigkeit und
ein paar Stunden mehr verflogen zu sein, als sie den Fächer wieder
zusammenklappte und die Musik unmittelbar darauf verstummte. Sie bettete den
Fächer und die Rose zu den Handschuhen und schloss die Schachtel wieder. Sie
legte alles wieder in die Truhe zurück, mit dem Unterschied, dass sie die
Schachtel mit dem Fächer oben auflegte.
Sie wird wiederkommen und
diesen eingeschlossenen Traum immer wieder träumen. Sie wird sich diese
Erinnerung von der alten Dame immer wieder borgen, um Sehnsüchte und Wünsche
zumindest eine kurze Zeit in ihr kleines Leben hinüber zu bringen.
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