Blutspuren
von Joana Angelides
Das Reisebüro "Blutspur" bietet ja bekanntlich
Touren zu den weltbekanntesten und herrlich grausamsten Stätten der Welt an.
Gar nicht überraschend
gibt es sehr viele Interessenten, sodass das Reisebüro bereits einige Male pro
Monat diese Routen belegt.
Die Tour beginnt diesmal
in Deutschland und hat als Schwerpunkt die Hexenverbrennungen, da ja die erste
Hexenverbrennung in der Kirchengeschichte im Jahre 1272 in Toulouse stattfand.
Die Hexenverbrennung war
damals die gängigste und effektivste Methode, seinen Nachbarn oder Konkurrenten
loszuwerden. Bis zu 60.000 Menschen fielen diesem Wahn zum Opfer.
Eine besondere Gnade war,
wenn das Opfer vorher erdrosselt wurde. Was für humane Gedanken, damals schon,
im dreizehnten Jahrhundert!
Ein wahnsinnig
aufregendes Spektakel muss das gewesen sein! Alle versammelten sich am
Hauptplatz, Es gab Gaukler, Artisten und Gaffer, sicher wurden auch
Erfrischungen gereicht und die Damen des Horizontalen Gewerbes konnten nach dem
mittelaltrigen Barbecue die aufgegeilten Männer nach Strich und Faden
ausnehmen.
Das Sightseeing beginnt
gleich nach dem Frühstück im Hotel.
Das Reisebüro hat einen
fix aufklappbaren Scheiterhaufen mit, der dann eine Stunde vorher am Hauptplatz
aufgestellt wird. Leider darf man ihn nicht anzünden, da es die
Feuerrechtsbestimmungen meist nicht erlauben. Aber mittels eines Tonbandes kann
man die schauerlichen Schreie der brennenden Opfer vom Tonband genießen und wer
will, kann sich an den Pfahl binden lassen und mit geschlossenen Augen die
Atmosphäre nachempfinden.
Während der Weiterfahrt
nach Frankreich wird noch weiter gerätselt, ob es heute noch Hexen gibt?
Die Französische
Revolution 1789 bis 1799, also zehn Jahre aufregender Ereignisse, rückte die
Guillotine wieder in den Mittelpunkt!
Der Führer vom Reisebüro
erklärte vor dem Schloss Versailles die Funktion und lobte die Zuverlässigkeit
des Instrumentes. Er betonte auch, dass die Hinrichtungen auf einem Schafott,
wo der Kopf mit einem einzigen Schlag abgetrennt wurde, nur den Adeligen
vorbehalten waren. Erst durch die Erfindung der Guillotine kam auch das gemeine
Volk in den Genuss einer humaneren Hinrichtung, früher wurde es, ebenfalls
öffentlich, einfach nur gehenkt.
Man muss sich, dass
vorstellen, die Menge wartet auf den Leiterwagen, wo die Verurteilten
angebunden herbei gekarrt werden. Mit vor Angst geweiteten Augen und meist auch
noch weinend.
Die Menge wirft mit
allerlei Obst und Eiern nach ihnen! Also, heute gibt es solche
Freiluftveranstaltungen leider gar nicht mehr. Naja das Werfen mit Lebensmittel
ist ja in unserer Zeit obsolet.
Was für ein Tod! Man muss
sich das vorstellen, man wird mit dem Kopf und den Händen eingeklemmt und über
dem Haupt schwebt ein scharfes Dreieck, dass jeden Moment herab sausen kann!
Man lauscht auf jedes Geräusch, jeder Bewegung hinter einem. Ein Nervenkitzel
sondergleichen.
Im Endeffekt kommt ja der
Tod oft unverhofft, nicht wahr?
Kalte Schauer laufen dem
Touristen über den Rücken!
Der Delinquent sieht
nicht viel, nur den Korb unter ihm. Da wird ja voraussichtlich der Kopf hineinfallen.
Um genügend Applaus zu
bekommen kann der Henker den Kopf danach aber auch aus dem Korb nehmen und dem
johlenden Publikum zeigen!
Schauer laufen uns über
den Rücken und ein wenig Mitleid regt sich. Obwohl, es ist ja schon
Jahrhunderte her!
Die Fahrt geht weiter
nach London, zur Besichtigung des Towers.
In den Verliesen des
Towers, der im Mittelalter erbaut und immer wieder ausgebaut und erweitert
wurde, sind vorwiegend Menschen des oberen Standes verschwunden. Bischöfe,
Prinzen, unliebsame Verwandte des Königshauses, usw. Damals gab es deren ja
viele!
Die drei Königinnen Anne
Boleyn, Catherine Howard
und Lady Jane Grey haben den Tower nie
verlassen. Sie fanden dann aber dafür in der Kapelle ihre letzte Ruhestätte.
Eine Wiedergutmachung sozusagen.
Man kann von einer
Balustrade in die Kellergewölbe hinunterschauen, sich vorstellen, wie halbnackte
Männer an Eisenringen an den Wänden hängen und die Ratten hin und her huschen.
Im Prospekt liest man,
dass sie entweder verhungert sind oder hingerichtet wurden, oder vielleicht
sogar beides.
Man kann sich im Geiste
vorstellen, wie feine Damen mitten im Stroh sitzen und den verzweifelten Kampf
gegen Ungeziefer beginnen. Schauerlich, aber doch vielleicht irgendwie gerecht?
War da nicht irgendwo ein
Schluchzen?
Es klingt schauerlich in
den Gewölben, wenn die Touristen, nur so zum Spaß, Hilferufe hinunterrufen.
Klingt aber doch gut, oder?
Auf jeden Fall gibt es
nichts, womit man die Menschheit nicht unterhalten kann, wenn es nur
sensationell genug ist und den anderen passiert.
Liebliche Täler und
sanfte Höhen werden immer wieder in Reiseprospekten angeboten und lösen
eigentlich bei sensationshungrigen Touristen nur innerliches Gähnen aus.
Aus der Geschichte wissen wir doch, dass es immer wieder Gräueltaten gab, die
in die Weltgeschichte eingingen. Warum gibt es nun keine Angebote der
Reisebüros, diese Orte zu besuchen, sich ein wenig Gänsehaut und Entsetzen zu
verschaffen?
Schließlich gibt es ja Menschen, die sich gerne fast zu Tode fürchten und sich
das auch was kosten lassen.
Diese Marktlücke hat nun das Reisebüro „Blutspur“ entdeckt und dementsprechende
Touren zusammengestellt.
Besonders zum Fürchten ist schon die Reise mit dem rumänischen Reisebus, mit
defekten Bremsen, abgefahrenen Hinterrädern und nur einem Chauffeur, der sich
in den Kurven immer schräg nach rechts oder links beugt.
Vom Rückspiegel blickt uns ein hin und her schwingender kleiner Vampir mit
roten blinkenden Augen und sehr großen Eckzähnen an.
Gruß vom Grafen Vlad Dracula.
Das Reiseziel ist Siebenbürgen in Rumänien, besser noch bekannt als Transsylvanien.
Übernachtet wird im Schlosshotel Dracula. Die Betten da sind wundervoll
gearbeitete Särge und in allen Durchgängen hängen Kruzifixe und
Knoblauchkränze. Wir hören nachts schauriges Heulen und Schreien aus den
Untergeschossen, die mit Lautsprechern in die Zimmer übertragen werden und an
der Außenmauer des Schlosses huschen verhüllte schwarze Gestalten wie Molche
rauf und runter.
Wunderbare Schauer durchlaufen uns. x
Eine andere Tour führt nach Joannina im Norden Griechenlands.
Hier beherrschte bis 1822 der osmanische Herrscher Ali Pascha das damals
türkische Albanien und den Norden Griechenlands.
Es gibt Stadtführungen, die an denkwürdigen Stellen vorbei führen, wo die
damalige griechische Bevölkerung auf Rosten gebraten, auf Spieße gespießt oder
irgendwie anders fantasievoll zu Tode gequält wurden. Diese Stellen sind
besonders gekennzeichnet und man kann sich auch gleich mit Souvenirs eindecken.
Man vermeint die Schreie der Gequälten noch immer zu hören. Wir machen die
Stadtführung zwei Mal, einmal gleich nach dem Frühstück, das zweite Mal vor dem
Abendessen.
Wunderbare Schauer durchlaufen uns.
Besonders die Reise nach Istanbul, dem ehemaligen Konstantinopel, gestaltet
sich herrlich schaurig! Als Mehmet der Eroberer im Jahre 1453 nach langer
Belagerung die Stadt eroberte, kamen 50.000 Menschen zu Tode. Sehr viele davon
wurden gepfählt oder gekreuzigt, das Sterben zog sich tagelang auf den Hügeln
rund um die Stadt hin. Einige Reste von Pfählen, oder sind sie von Kreuzen,
stecken anscheinend noch in der Erde, meint der Stadtführer vom Reisebüro
„Blutspur“.
Oh muss das grausam und schmerzvoll gewesen sein! Wunderbare Schauer
durchlaufen uns!
Die Reise nach Rom unter dem Motto „Blutspur“ führt uns an besonders grausame
Plätze der Weltgeschichte und ist daher auch um einige Euro teurer.
Im Kolosseum schildert der Prospekt die Verfütterung der Christen an die Löwen,
die blutigen Todeskämpfe und Verbrennungen von Sklaven.
Daumen abwärts, das Volk will Blut sehen!
Schade nur, dass das Kolosseum kaputt und nicht mehr in Betrieb ist.
Der Reiseführer erzählt von dem Brand, den Kaiser Nero auslöste, als er die
Stadt an vier Ecken anzünden ließ. Hunderte Menschen starben im Feuer, oder
unter herabfallenden Trümmern der Gebäude. Muss ein gigantischer Anblick
gewesen sein!
Leider sind da alle Spuren im Laufe der Zeit verschwunden. Aber dafür gibt es
ja eine Menge von Filmen, made in Hollywood, wo uns das ja anschaulich genug
gezeigt wird.
Die Bilder im Prospekt jagen uns wilde Schauer über den Rücken.
Weiter geht’s nach Pompeji, einer Stadt unter Asche vergraben.
Wie aufregend musste es gewesen sein, als der Vesuv im Jahre 79 n. Chr.
ausbrach und Asche, Glut und Steine auswarf. Man kann heute noch sehen, wie die
Menschen im Schlaf, im Beischlaf und beim Essen überrascht wurden!
Sie wurden einfach überrumpelt von der Macht der Eruptionen. Also, das ist
schon erschreckend, wenn die Natur so ihre Kräfte ausspielt. Schade, dass es
damals noch keine Filmkameras oder Polaroid-Sofort-Bild-Kameras gegeben hat.
Das hätte wundervolle Bilder von den erstickenden Nachbarn ergeben!
Die Nachwelt hätte sie dann sicher katalogisiert!
Wunderbare Schauer durchlaufen uns.
Nach Ende der Reisen nehmen wir uns noch Prospekte mit, um die weiteren Reisen
zu planen. Gibt ja noch viele Plätze auf dieser Erde, wo man die Gänsehaut und
das Entsetzen so richtig genießen kann!