Schuldgefühle
von Joana Angelides
Die Dunkelheit
macht den Raum unheimlich und tief. Der so genannte „Rittersaal“ des alten
Schlosses ist bei Tage ungemütlich und strahlte immer schon eine gewisse Kälte
aus. Sind es die Steinmauern, die auch durch die alten Gobelins nicht
heimeliger werden, oder ist es der unheimliche Kamin, der schwarz und
geheimnisvoll in der Mitte der großen Wand in den Raum starrt. Er wirkt wie
eine Höhle und erweckte den Eindruck eines offenen Einganges in die Unterwelt.
Der alte Hausdiener
geht langsam, den rechten Fuß hinter sich nachziehend, quer durch den Vor dem
Kamin angekommen, stockt er einen Augenblick und macht dann einen kleinen
Bogen, um diesem auszuweichen.
Wenn er in dunklen
Nächten schlaflos und einsam diesen Raum betrat, glaubt er manchmal schon
gesehen zu haben, wie hohe schlanke Gestalten plötzlich darin verschwinden.
In Gedanken daran
zuckte er mit der Schulter und seine beiden Mundwinkel ziehen sich nach unten. Früher
erzählte er manchmal davon, man glaubte ihm jedoch nicht und er behielt es in
der Folge bei sich.
„Gnädiger Herr, ich
habe wieder die Frauengestalten gesehen!“ Berichtete er einige Male dem Baron.
„Hirngespinste“, sagte der alte Baron jedes Mal und versank immer in einem der
tiefen Lehnsessel.
Doch er wusste es
besser, er kehrte ja an den betreffenden Morgen danach immer die Asche und den
Ruß vor dem Kamin weg!
Auch heute wieder sieht er vor dem Kamin Reste von Ruß und da liegt auch ein
kleines weißes Spitzentuch gleich neben dem Kamin, halb verdeckt durch eines
der Holzscheite.
„Warst du wieder
da?“ Er sagt es laut in den Raum hinein,
bekommt jedoch keine Antwort.
Der Baron schreckt
aus seiner Lethargie einen Moment auf und blickt ihn mißbilligend an.
Mit einem scheuen Blick auf den Baron geht er dann doch zögernd auf den Kamin
zu, bückte sich, hebt das weiße Spitzentuch mit einer schnellen Bewegung auf,
riecht daran und läßt es unter seinem Hemd verschwinden.
Der Baron
beobachtet ihn kopfschüttelnd. Dann geht er langsam weiter zu dem großen
Fenster mit den schweren dunklen Vorhängen, öffnete es um ein wenig Sonnenlicht
in den Raum zu lassen.
Das Licht kann nicht wirklich eindringen und erhellt die Tiefe des Raumes nur
spärlich und es ist ihm, als würde auch er wieder flüsternde Stimmen hören,
doch es ist scheinbar niemand hier.
Vor vielen Jahren, es scheint hundert Jahre her zu sein, da war noch Leben in
diesen Gemäuern. Es wurden Feste gefeiert, Musik ertönte und die Schlange der
Fahrzeuge der Gäste schien nicht enden zu wollen.
Der Alte bleibt einen Moment mitten im Raum stehen und machte eine kleine
Drehung, so als würde er sich zur Musik wiegen und schließt die Augen.
Die Vergangenheit
kehrt zurück. es ist wie wenn Nebel im Raum aufsteigen würde und der Saal im
alten Licht erglänzen würde, rundherum tanzen und lachen Menschen.
In einem der
Nebenräume hält er in seinen Armen jene junge Frau, die sein ganzes Glück ist!
Leicht wie eine Feder, mit strahlenden Augen und einem alles versprechenden
Mund. Sie ist Dienstbote wie er, doch etwas ganz Besonderes. Sie sind glücklich
und voller Pläne.
In dieser Nacht nimmt sie der Baron mit in sein Zimmer, einfach so, nur so aus
Laune.
An den beiden
nachfolgenden Tagen hackt er Holz für die Scheune, stundenlang und verbissen
und der Haß steigert sich mit jedem Scheit, das zu Boden fällt.
Nach einigen Wochen
setzt sie die Baronin vor die Türe, ihre Habseligkeiten waren über der Treppe
verstreut und die große schwere Eichentüre schloß sich mit einem dumpfen
Geräusch.
Er steht am
Treppenabsatz und starrte die Baronin vorwurfsvoll an
„Schau mich nicht so an, sie ist selber schuld.
Das mußt du einfach einsehen!“
Doch er antwortet
ihr nicht und wendet sich ab.
Es sah aus, als
wollte sie seine Zustimmung, sein Verzeihen. Er dreht sich um und geht wortlos
die Treppe hinunter hin zu den Räumen der Bediensteten.
Das Mädchen kauert
draußen weinend am Ende der Treppe die zum Eichentor des Schlosses führt und
rafft ihre Habseligkeiten zusammen.
Er steht drinnen,
rechts von der Treppe am Fenster seines Zimmers hinter den zugezogenen Gardinen
und schaut mit brennenden Augen hinaus.
Ihre Blicke sind
flehentlich auf dieses Fenster gerichtet. Vielleicht sollte er hinausgehen und
sie in die Arme nehmen? Er kann es nicht und wand sich ab.
Am Abend war sie
verschwunden. Man weiß nicht wohin. Es wird gemunkelt, sie hause im Walde
hinter dem Schloß. Doch er vermeidet es bewußt nach ihr zu suchen. Er ist viel
zu tief verletzt.
„Sie hat sich über
die Felsen gestürzt!“ Ruft jemand, die Frauen bekreuzigen sich. Ihr Leichnam
wird nie gefunden, die rauhe See hat ihn wahrscheinlich weggespült.
Er glaubt jedoch,
sie in manchen Vollmondnächten am Waldrand stehen zu sehen. Er glaubt auch, sie
manchmal in den Kellergewölben in Nischen verschwinden zu sehen, doch er tut es
als Täuschung ab.
„Kann nicht sein,
muß eine Täuschung sein! Sie ist doch tot“, sagt jedesmal der Baron und geht
zur Tagesordnung über.
Wenn er hin und wieder vom Weinkeller kommend um die Ecke biegt sieht er sich
einer, ihr gleichenden Gestalt
gegenüber, mit tief in den Höhlen liegenden Augen, mitfliegenden Haaren und
einem schwarzen Umhang. Doch der Schreck läßt ihm die Lampe und den Wein aus
der Hand gleiten. In der Dunkelheit verschwindet diese Gestalt im Nichts.
Immer wieder glaubt er solche Begegnungen zu haben, sie verfolgten ihn in den
Schlaf, entwickelten sich zu Albträumen, lassen ihm Trugbilder von tanzenden
Gestalten in der Dunkelheit sehen, flüsternde Stimmen hören und an manchem
Morgen wacht er völlig erschöpft und sich krank fühlend, auf.
Er träumt von wilden Jagden durch den Wald, immer hinter irgendwelchen Schatten
her, von wilden Tänzen rund um den Friedhof des Dorfes und immer wieder sieht
er sie, ihren wunderbaren Körper in dunkle Umhänge gehüllt, seine Schönheit nur
erahnen lassend, mitfliegenden Haaren und tief in den Höhlen liegenden Augen,
wie sie ihn anstarren.
Einige Monate nach dem Verschwinden des Mädchens wird die Baronin krank. Er ist
sich sicher, dass auch die Baronin diese seltsamen Erscheinungen hat und sich
auch die Schuld am Tod des Mädchens gab.
Sie wird immer
blässer, schleicht nächtens durch das Schloß und nimmt fast keine Nahrung zu
sich, bis sie eines Tages stirbt, wie eine Kerze erlischt.
In der Nacht ihres
Todes heulen die Hunde im Hofe jämmerlich und es sind undefinierbare Geräusche
zu hören, dunkle, unbekannte Gestalten in den Gängen. Ein starkes, tobendes
Unwetter fegt über das Schloß.
Man munkelt, der Sarg der Baronin sei leer, sie sei in das Reich der Untoten
gegangen und manchmal glaubt man sie in dunklen Nächten sogar gemeinsam mit
unheimlichen Gestalten durch den Wald eilen zu sehen. Die Menschen im Dorf
meiden den Wald zusehends, sogar die Forstarbeiter gehen nie mehr alleine
hinein. Und wenn, dann nur bei Tage.
Der Baron wird immer schweigsamer und zieht sich schlußendlich gänzlich aus der
Öffentlichkeit zurück.
**********
Nun zieht ein
Gewitter auf und der alte Diener findet wieder in die Gegenwart zurück. Er
beeilt sich, alle Fenster zu schließen.
Das Taschentuch unter seinem Hemd beunruhigte ihn. Es brennt fast auf seiner
Haut Er vermeint IHREN Geruch zu verspüren und nimmt sich vor, heute Nacht im
Rittersaal zu wachen und der Wahrheit ins Auge zu schauen. Wenn sie tatsächlich
in jenes Reich der Finsternis gegangen war, dann will er es jetzt wissen!
Inzwischen hat der
Baron sich wieder erhoben und verläßt den Saal, nicht ohne vorher einen
dumpfen, nachdenklichen Blick auf den Kamin zu werfen.
Der Hausdiener läßt sich in einem der großen schweren Lehnsessel gegenüber dem
Kamin fallen und wartet, doch nichts rührt sich. Es sind nur die Blitze im Raum
und der Donner des noch immer anhaltenden Gewitters ist zu hören.
Er ist eingeschlafen, als ihn ein leichter Luftzug und ein grelles Lachen
aufschrecken lassen. Er spürt, dass er nicht mehr alleine im Raum ist. Hinter
ihm und seitwärts bemerkt er einige in dunklen Umhängen gekleidete Gestalten
die ihre Arme nach ihm ausstrecken. Er versucht noch tiefer in den Lehnsessel
zu sinken.
Dann steht SIE
plötzlich vor ihm!
Ihr Gesicht ist blaß, ihre Augen liegen tief in den Höhlen, doch man kann ihre
Schönheit noch immer sehen. Sie sieht noch immer so jung aus wie damals. Ihre
Haut ist nun wie durchscheinender Alabaster, ihre schweren Wimpern bedecken die
Augen halb und der blutrote, etwas geöffnete Mund läßt eine Reihe von weißen,
kräftigen Zähnen sehen. Ihr Lächeln ist jedoch kalt und grausam.
„Hast du auf mich gewartet?“ Die Frage durchschneidet den Raum wie mit tausend
Messern.
„Ich habe dich beobachtet, all diese Jahrzehnte, sah wie du alt und grau
wurdest. Wie dein kaltes Herz noch kälter und dann zu Stein wurde. Ohne Mitleid
hast du mich gehen lassen!
Heute bin ich gekommen, um dich zu holen. Du wirst Jahrhunderte als alter Mann
leben, im Reich der Untoten. Du wirst mich nie berühren dürfen!“
Sie öffnet ihren Mantel und er konnte ihre schöne, weiche Gestalt, eingehüllt
in fast durchsichtigem Gewande, sehen. Man konnte das Pulsieren ihres Atems
oberhalb des Brustansatzes sehen, ihre Erregung erahnen.
Hinter ihr steht eine andere weibliche Gestalt, die ihn sehr an die verstorbene
Baronin erinnert. Auch sie streckt ihre Arme nach ihm aus und läßt dieses
grausame Lachen hören, dass er heute schon einmal vernommen hat.
Hinter den beiden
Frauen sind andere bleiche, fast durchsichtige Gestalten zu sehen, die alle
ihre Arme mit gespreizten Fingen nach ihm ausstrecken.
In Panik springt er auf und läuft seitlich an den beiden Frauen vorbei. Er
läuft, soweit es die Behinderung des rechten Beines erlaubt, aus dem Saal
hinaus in Richtung des großen Eichentores und reißt es auf. Er spürt mehr, als
er es hört die Meute hinter sich und läuft, wie von Furien gehetzt zu den
Klippen vor dem Schloß. Der Regen peitscht ihm ins Gesicht, er merkt es nicht.
Vor dem Abgrund bleibt er stehen und blickt zurück. Er sieht in ihren
Gesichtern Gier und Hass.
Es wird ihm bewußt, sie wollen sein Leben sein Blut, sie treiben ihn in den
Tod.
Er hebt abwehrend die Hände und weicht zurück. Doch er steht bereits am Abgrund
und verliert nun den Halt. Sein Körper fällt nach rückwärts und stürzt die
Klippen hinab.
Sein Schrei klingt nach Befreiung, ohne Angst.
Man findet seinen zerschellten Körper
am nächsten Morgen am Fuße der Klippen. Seine Hände liegen auf seiner
Brust, ein kleines weißes Tuch fest umklammert.
Es ist dieselbe
Stelle am Fels, an der sich auch das Mädchen angeblich damals hinabgestürzt
hatte.
Nachdem sie ihn abtransportiert hatten, steht der alte Baron noch lange hoch
oben auf den Klippen und blickt mit fast toten, leeren Augen hinaus aufs Meer.
Er kann nicht
verstehen, warum der alte Hausdiener mitten in der Nacht und trotz des
Gewitters plötzlich und für mich völlig grundlos wie von Furien gehetzt
losgerannt war
Es gibt zahlreiche Kurzgeschichten, Märchen, Erotik-e-Books, einige
Romane und Gedichte von mir! Fast alles in e-Books zusammengefasst! Download
von amazon, Thalia Libri und allen Großhändlern!Großes Lesevergnügen um wenig
Geld!
Auch über https://www.bookrix.de/-joanavienna/