von Joana Angelides
Große Aufregung im
Märchenwald. Auch im Schloss verbreitete sich die Nachricht in Windeseile.
Auf der Lichtung wurde ein
fremder Vogel gesichtet. Er saß am Baumstumpf, auf dem normalerweise nur die
Feenkönigin sitzen durfte und piepste vor sich hin.
„Er ist ganz gelb.“ Sagte
Fari, die Waldfee.
„Er war noch nie da.“ Sagte
das Eichhörnchen und ließ vor lauter Schreck eine Haselnuss fallen.
„Er ist vielleicht eine
Gefahr für uns?“ Fragte der kleine Molch und versteckte sich hinter seinem mit
Moos bewachsenen Stein.
Birr die Schlange schlängelte
sich vom Baum herunter, wo sie ihr Mittagsschläfchen gehalten hatte und öffnete
nur das linke Auge.
„Auf jeden Fall ist es ein
Fremder.“ Zischte sie, richtete ihren Kopf auf und züngelte Richtung des gelben
Vogels.
Dieser saß auf dem Baumstumpf
und piepste ganz leise.
Fari die Waldfee getraute
sich einen Schritt näher und betrachtete den Vogel eingehend. Sie konnte keine
Gefahr entdecken, die von ihm ausging.
Silja, die ebenfalls im Wald
war um Netze der Spinne Arachne für die Schlossgärtnerei zu holen, um die
Beerensträucher abzudecken, beäugte den Vogel ängstlich.
„Was will er denn bei uns?“
Fragte sie Fari, da diese schon eine ältere Waldfee war und mehr Erfahrung
hatte.
„Ich weiß es nicht, aber wir
müssen es im Schloss melden. Man kann
nicht wissen, wenn der Vogel fremd ist, was er wohl im Schilde führt.“
Und wieder piepste der gelbe
Vogel leise.
Die Schlange Birr hatte sich
nun vom Baum runterfallen lassen und schlängelt sich auf die Wiese.
„Bleib´ da.“ Sagte der
Kobold, der unter dem Farn geschlafen hatte. „Wir sollten ihn einmal fragen,
was er denn eigentlich hier will und
woher er kommt.“
Der gelbe Vogel sah die
Schlange auf sich zukommen und war sehr erschrocken. Er konnte ja nicht wissen,
dass Birr erstens niemand etwas zu leide tat, und zweitens schon so alt war,
dass sie keine Zähne mehr hatte.
Er erhob sich und flog zur
großen Tanne am Rande der Lichtung, um sich in Sicherheit zu bringen. Er
landete direkt neben dem Specht, der dort neugierig oben saß und alles
beobachtete.
„Das ist mein Ast, da hast Du
gar nichts zu suchen.“ Sagte er zu dem gelben Vogel, „such Dir einen anderen
Ast. Ich möchte meinen Ast nicht mit Fremden teilen.“
Der gelbe Vogel bekam es mit
der Angst zu tun und er flog noch einen Ast höher und schaute ganz ängstlich
hinunter zu dem Specht.
„Ich will auch nicht, dass Du über mir sitzt, fliege
weiter, suche Dir einen anderen Baum.“ Und um seine Worte zu unterstreichen
ließ er seine Flügel auf und zu klappen und hämmerte mit seinem Schnabel
gleichzeitig auf den Baumstamm.
Inzwischen hatten sich am
Fuße des Baumes schon sehr viele Waldbewohner versammelt und schauten alle
hinauf zu dem fremden gelben Vogel.
Da saßen die Häschen und
wackelten mit den großen Ohren und schnupperten mit der Nase, das Eichhörnchen hatte wieder seine Haselnuss gefunden und
hielt sie fest in der Hand.
Der schlaue Fuchs lehnte sich
an den Baumstamm und dachte nach. Er musste aufpassen, was er sagte, er galt ja
allgemein als schlau.
Einige Borkenkäfer liefen den
Stamm auf und ab und versteckten sich hinter der Baumrinde.
Der Grashüpfer saß am Fliegenpilz
und musste aufpassen, dass er nicht hinunterfiel.
Nur der große braune Bär
blieb neben seiner Höhle liegen und öffnete die Augen nur einen Spalt. Der
Vogel war so klein, da spürte er kein Verlangen, sich in die Debatte
einzumischen.
Da kam auch Mo, der Elfe
herbei geflogen und setzte auf der Lichtung auf.
„Was ist denn los hier? Wieso
starrt ihr alle auf den Baum
hinauf?“ Fragte er ganz erstaunt.
„Da sitzt ein fremder Vogel
am Baum, den keiner kennt und wir wissen nicht, von wo er herkommt und was er
will. Vielleicht ist er gefährlich?" Sagte Fari, die Waldfee.
„Wie kann ein so kleiner
Vogel denn gefährlich sein?“ Mo musste lachen.
„Außerdem seht ihr nicht,
dass er mehr Angst hat wie ihr alle zusammen? Wir werden sofort die Eule holen.
Sie ist ja schließlich die Lehrerin hier im Wald und sie muss wissen, was das
für ein Vogel ist.“
Mo erhob sich in die Luft, um
die Eule zu suchen.
Inzwischen kam auch Samantha,
die kleine Hexe an der Lichtung vorbei und stellte ihren Korb mit den neuen jungen
Pflanzen ab, die sie auf die Lichtung pflanzen sollte.
Sie schaute auch ganz
neugierig zu dem gelben Vogel hinauf und wusste auch nicht, welcher Vogel das
war.
„Aber ich kenne da einen Zauberspruch......“ begann sie zu
sprechen, aber alle fielen über sie her, und baten sie, nicht zu zaubern. Denn
jedes Mal, wenn die kleine Hexe etwas
zauberte, passierte etwas Unvorhersehbares „na, dann halt nicht.“ Sagte sie.
Mo hatte inzwischen die Eule
gefunden, sie hatte es sich im Baumwipfel bequem gemacht und wollte gerade an
einer Jacke für den Kobold zu stricken beginnen. Sie legte Ihre Brille weg und
steckte das Strickzeug in eine Baumhöhle und flog herbei.
„Also, wo ist jetzt der gelbe
Vogel?“ Fragte sie laut.
„Dort oben“, riefen alle
gleichzeitig und sandten ihre Blicke
hinauf zu dem Ast, wo der gelbe Vogel
saß.
„Also, meine Lieben, das ist
ganz eindeutig ein Kanarienvogel.“ Stellte sie fest.
„Und wieso habt ihr vor
diesem kleinen Vogel Angst? Seht ihr nicht, dass er viel mehr Angst vor euch
und der fremden Umgebung hat?“
Sie blickte hinüber zu dem
anderen Baum, auf dem der Vogel saß und
winkte mit ihrem rechten Flügel.
„Also, mein lieber
Kanarienvogel, sag uns jetzt wie Du in diesen Wald kommst und was Du hier
willst.“
Der kleine Vogel schaute
ängstlich von einem zum anderen und
piepste.
„Also, mit piepsen alleine
werden wir nichts erfahren können, Du musst schon mit uns sprechen.“ Sagt da
die Eule streng, wie sie es auch in der Schule machte.
Der gelbe Vogel erhob sich
wieder und flog auf die Lichtung zu und setzte sich auf den Baumstamm.
Er richtete sich ein bisschen
auf um größer zu erscheinen, blickte in
die Runde und begann zu sprechen.
„Ich habe mich verflogen.
Eigentlich wohne ich in der Nähe in einem Haus, außerhalb des Märchenwaldes.
Aber ich war neugierig und wollte ein bisschen die Welt sehen. Als das Fenster
offen stand, bin ich raus geflogen. Und
jetzt finde ich nicht mehr zurück. Ich habe Hunger und Durst und bin schon ganz
müde.“
Und wieder piepste er leise,
seine Füße trugen ihn nicht mehr, er musste sich niedersetzen.
Da saß er nun und wirkte ganz
klein und hilflos.
Alle schämten sich plötzlich,
dass sie ihn so schlecht behandelt hatten. Einige kamen näher um sein schönes
gelbes Federkleid zu betrachten. Die Amsel flog rasch zum See und holte in
ihrem Schnabel ein bisschen Wasser und träufelte es dem Armen in den Schnabel.
Eine Meise brachte einige
Körner und legte sie auf den Baumstamm neben ihm hin.
„Also, “ sagte die Eule, „da
seht ihr es wieder. Man muss mit allen Wesen dieser Welt nur reden und
versuchen sie zu verstehen. Dann braucht man keine Angst zu haben. Wie ihr seht
ist das ein kleiner Vogel, wie viele andere in unserem Wald. Und Du Mo, als
Waldelfe, wirst dem kleinen Vogel nun voraus fliegen und ihm zeigen, wie er aus
dem Wald hinaus kommt und wieder nach Hause findet.“
Alle Tiere und Feen und auch
der Kobold und die kleine Hexe gingen nochmals zu dem kleinen gelben Vogel hin
und verabschiedeten sich von ihm.
Er hatte inzwischen die
Körner zusammen gepickt und verabschiedete sich mit kleinen Flügelschlägen von
allen und flog hinter dem Waldelfen Mo aus dem Wald um nach Hause zu kommen.