Wozu brauche ich eine
Brille?
von Joana Angelides
Seit Wochen habe ich
ein Problem. Meine Augen sind scheinbar lichtempfindlich, da ich meine
Augenlider immer so zusammenkneifen muss, wenn ich etwas in der Nähe betrachten
möchte.
Nun verlieĂź ich die
Arztpraxis, nicht ohne vorher noch ein verächtliches „Pfhh“ an die Gehilfin,
die im Vorzimmer saĂź, zu verschwenden.
„Sie brauchen eine Brille! Sie kommen auch schön langsam
in das Alter, wo man schlechter sieht, Gnädige Frau!“ Diese Worte hatten sich in meine Seele
eingebrannt.
Wieso, ich sehe doch alles! Habe noch nie eine Brille
gebraucht.
Wo ist denn der verflixte Aufzug, mit dem ich vorher heraufgefahren
bin?
Ah, da. Die TĂĽre hatte doch vorher ein Glasfenster?
Wieso stehen da so viele Fahrräder drin? Also, die
Menschen vergessen doch auch alles.
Oh, jetzt habe ich die TĂĽre zugemacht und das Licht in
der Kabine dĂĽrfte kaputt sein.
Die Knöpfe zum runterfahren sieht man daher auch nicht.
Wo ist mein Feuerzeug? Sollte in der Tasche sein.
Aber da im Finstern sieht man ja nichts.
Oh, da kommt Gott sei Dank, noch ein Fahrgast, es öffnete
sich die TĂĽre.
„Ja, was machen Sie denn im Abstellraum?“ Im plötzlichen
Gegenlicht sehe ich sehr verschwommen eine weibliche Gestalt, gestĂĽtzt auf
einen Besen.
„Oh, verzeihen Sie, ich habe mich in der TĂĽre geirrt! Ich
suche den Aufzug!“
„Hier drinnen? Na der ist gegenĂĽber, sehen Sie schlecht?“
Typisch Hauswart, die muss beim Arzt gelauscht haben. Eine unangebrachte
Bemerkung, man scheint sich ja hier in diesem Hause gegen mich verschworen zu
haben!
Genau gegenĂĽber war der Aufzug. NatĂĽrlich, muss ich doch
glatt ĂĽbersehen haben.
Ich betrete die Kabine und Gott sei Dank, ist hier das
Licht nicht kaputt! AuĂźerdem muss ich ja gar nicht hinschauen, der unterste
Knopf ist das Erdgeschoss.
Während der Aufzug abwärts fährt, kann ich in Ruhe mein
Make-up auffrischen. Ein Blick in den Spiegel an der RĂĽckwand der Kabine zeigt
mir, dass ich auf jeden Fall Lippenstift auftragen muss. Der Spiegel ist
angelaufen, ich kann nur durch einen Schleier mein Gesicht sehen. Ich habe
generell festgestellt, dass alle Spiegel in letzter Zeit immer undeutliche
Umrisse zeigen, bzw. angelaufen sind, muss am Wetter liegen.
Man sieht fast gar keine Farbe mehr auf meinen Lippen.
Ah, da ist ja der Lippenstift, in der Handtasche findet man rein gar nichts!!
Geht aber heute streng auf, der Stift und riecht auch
anders. Oh, das war der Lippenbalsam. Naja ist ja egal, Hauptsache es ist
ĂĽberhaupt was auf den Lippen.
Im Erdgeschoss angekommen beeile ich mich, dieses Haus,
in dem man sich scheinbar gegen mich
verschworen hat, zu verlassen.
Ich entschloss mich, noch in mein Stammkaffee zu gehen
und wende mich nach rechts.
Ăśberrascht stelle ich fest, dass dort an der StraĂźenecke
meine Freundin Lisa steht. Ich erkenne sie an der blauen Jacke, die sie immer
trägt. Ich muss sie begrüßen, sonst beschwert sie sich wieder, dass ich immer
so in Gedanken bin und niemand auf der StraĂźe wahrnehme.
„Hallo Lisa, komm´ mit, ich gehe ins Kaffee!“
Sie dreht sich nicht einmal um, gibt mir auch keine
Antwort.
Ich strecke ihr die Hand entgegen und berĂĽhre sie, da
fällt sie um.
„Ja, sagen Sie einmal, Sie können doch nicht so einfach
ein Plakat umwerfen, nur, weil ihnen die Werbung nicht passt!“ Regt sich ein vorbeigehender
Pensionist auf und hebt das umgestĂĽrzte Plakat wieder auf.
Ich bin sehr erschrocken. Also, der Arzt hat mich total durcheinandergebracht!
Ich muss rasch in mein Kaffeehaus kommen, ich brauche den
Kaffee scheinbar sehr dingend.
Ich eile auf die gegenĂĽberliegende StraĂźenseite. Die
Autofahrer dürften heute aber sehr nervös sein! Man hört lautes,
durchdringendes Hupen und irgendwo bremst sich einer ganz laut und mit
quietschenden Bremsen ein, man könnte direkt erschrecken.
Erleichtert betrete ich mein Stammkaffee und werde von
der Serviererin sehr freundlich begrĂĽĂźt.
Ich hänge meine Jacke auf die Schulter eines im Wege
stehenden Gastes. Normal steht da immer der Kleiderständer! Gott sei Danke
kennt er mich, er hängt die Jacke kurzerhand um.
„Bitte, ich brauche ganz dringend einen Kaffee. Ich war
gerade beim Arzt und der wollte mir unbedingt eine Brille verpassen, in meinem
Alter! Ich sehe doch gut, wozu brauche ich eine Brille?“
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