4. Die Hexe Bora wird besiegt.
von Joana Angelides
Samantha, die
kleine Hexe ging langsam durch den Wald und summte ein Lied, das sie noch
gelernt hatte, als sie im Reich der bösen Hexe Bora gelebt hatte.
Sie mußte nun
täglich vormittags in die Schule gehen, wo sie von der Feenkönigin angemeldet
worden wurde und war nun auf dem Heimwege. Nachmittags arbeitete sie im Garten.
Heute war es in
der Schule sehr interessant. Sie hatten Kräuterkunde. Sie lernten welche
Pflanzen für guten Zauber und welche Pflanzen für bösen Zauber verwendet
werden.
Die Pflanzen für
bösen Zauber durfte man aber nur verwenden, wenn Böses abgewendet werden soll,
nie jedoch um selbst Böses zu tun. Das war im Feenreich so niedergeschrieben und
mußte von allen eingehalten werden. Ihr war das nur recht, denn sie wollte eine
gute Hexe sein und keine böse.
Besonders die
Glockenblume war ganz unheimlich, mit dieser konnte man durchs Schloß spuken
und Hexenzauber anwenden.
Dagegen war das
vierblätterige Kleeblatt notwendig um eben diesen Zauber und Hexenspuk, wenn er
für Böses angewendet wurde, abzuwenden.
Sie setzte sich
unter einen hohen Tannenbaum, legte die Schultasche unter ihren Kopf und legte
sich auf den Rücken. Die Hände legte sie unter dem Kopf und blickte hinauf zu
den Wipfeln der Bäume, wo der blaue Himmel durch blinkte. Ganz oben saß eine
Lerche und trällerte ihr Lied.
Doch plötzlich
riß das Lied ab und die Lerche flog ängstlich piepsend davon. Es war auch jetzt
ganz still im Walde, so als würden alle den Atem anhalten. Samantha setzte sich
erschrocken auf. Was war denn los?
Da verdunkelte
ein großer Schatten den Himmel und sie sah direkt über ihr den Schatten eines
großen schwarzen Raben kreisen. Es war der Wächter und Gehilfe der bösen Hexe
Bora, der die Hexe beschützte und ihr immer alles berichtete, was sich so
ereignete.
Die böse Hexe
Bora verwendete ihn auch dazu, um ihre Befehle auszuführen oder etwas Böses zu
tun.
Samantha wollte
sich verstecken, doch da hatte der Rabe sie schon bemerkt. Er schoß im
Sturzflug herunter und landete auf den untersten Ast der Tanne, unter der
Samantha saß.
„Na, da bist du
ja,“ krächzte er und schlug mit seinen Flügeln zweimal ganz aufgeregt.
Samantha duckte
sich vor lauter Angst und drückte sich an den Stamm der Tanne.
„Laß mich in Ruhe, Rabe,“ schrie sie ihn an.
„Was ist? Soll ich mich fürchten?“ Krächzt er
wieder. „Wo residiert denn eigentlich die Feenkönigin?“
„Was willst du von der Feenkönigin?“
„Gar nichts. Ich will nur wissen, wo sie
wohnt.“
Samantha kannte den Raben noch aus der Zeit
als sie noch unter der Macht der Hexe Bora stand. Wenn er das wissen wollte,
führte die Hexe Bora etwas Böses im Schilde.
„Von mir erfährst du nichts, weil ich nicht
haben will, daß der Königin etwas geschieht.“
„Ich werde das auch ohne dich herausfinden.“
Er krächzte zweimal und flog davon. Samantha nahm sofort ihre Schultasche und
lief so schnell sie konnte zum Schloß, um die Feen und die Feenkönigin zu
warnen.
Sie stolperte über eine Baumwurzel und fiel
hin. Ach, das hatte weh getan und nun konnte sie nicht mehr auf den rechten Fuß
auftreten. Sie jammerte laut und rief um Hilfe.
„Ja was ist denn los,“ rief der kleine
Kobold und kam unter den Farnen hervor.
„Schnell, schnell, lauf zum Schloß und warne
die Elfen und Feen. Der schwarze Rabe der Hexe Bora ist hier und vielleicht will er ihr was antun!“
„Was, der schwarze Rabe ist da?“ Zischte die
Schlange Birr ganz aufgeregt und ließ sich vom Baum fallen.
Der Specht, der auf der großen Fichte saß,
hämmerte sofort die Nachricht in den Baum und benachrichtigte damit den ganzen
Wald.
„Ja aber warum will sie denn unserer
Feenkönigin was Böses antun?“ Flüsterten alle. Die kleinen Hasen zitterten und
versteckten sich hinter der Hasenmama,
die Eichhörnchen liefen ganz aufgeregt den Baumstamm rauf und runter.
Selbst die Eule riß ihre großen Augen noch weiter auf und wackelte hin und her.
Durch das Klopfen des Spechtes waren auch die
Elfen und Feen informiert und flatterten
ganz aufgeregt durcheinander.
„Ich weiß warum!“ Rief die Fee Fari.
Alle starrten sie erwartungsvoll an.
„Wie Lamis und die anderen den Goldstaub für
die Kinderträume von der Hexe zurück geholt haben, haben sie ihr auch den
Zauberstab und den Edelstein weggenommen und seither ist sie ganz machtlos und
kann nichts Böses mehr anrichten. Das alles wird sie zurück haben wollen.“
„Ohja,“ rief die kleine Hexe ganz
erschrocken.
„Wir müssen versuchen, sie in einen Spiegel
zu bannen, diesen dann zerschlagen und in den Großen Ozean werfen,“ sagte die
kleine Hexe Samantha, „das habe ich im Hexenbuch gelesen. Aber mein Hexenbuch
hat die Feenkönigin in den großen Schrank gesperrt, damit ich keinen Unfug mehr
anstellen kann. Dort hat sie auch den Zauberstab und den Edelstein hineingetan“
„Versuche dich zu erinnern!“ Die Fee Fari nahm die kleine Hexe bei den
Schultern und rüttelte sie.
Samantha schloß die Augen und dachte nach.
Aber es wollte ihr nicht einfallen.
In diesem Augenblick ertönte ein wilder
Schrei aus dem Wald. Blätter wirbelten durch die Luft, Tannenzapfen fielen von
den Ästen und urplötzlich stand eine riesige Gestalt im Halbdunkel des Waldes,
mit wehenden Gewande, aus den Augen sprühten Blitze und ihre langen Fingernägel
fuhren wild durch die Luft. Es war die Hexe Bora.
„Ich werde die Feenkönigin vernichten, sie in
das dunkle Reich verbannen. Alle Elfen werden im tiefen Brunnen verschwinden
und die Feen werden zum Himalaya ins ewige Eis verbannt. Nie wieder werdet ihr
mir in die Quere kommen. Aber zuerst muß ich mir den Zauberstab und den
Edelstein holen.“
Sie stemmte beide Hände in den Hüften und
stampfte auf. Der schwarze Rabe flog um sie herum und krächzte laut.
Alle starrten sie gebannt an und rissen vor
Schreck die Augen auf.
„Wo ist diese kleine, unfähige Hexe aus
meinem Reich?“ Schrie die Hexe Bora laut und ließ ihren Blick herum schweifen.
Aber sie konnte sie nicht sehen, denn der kleine Kobold hatte blitzschnell ein
großes Farnblatt über die kleine Hexe herunter gebogen und saß drauf.
Der kleine Kobold war der einzige, der noch
da war. Alle anderen hatten sich in den Wald und zum Feenschloss geflüchtet.
Blitzschnell drehte sich die Hexe um und lief
quer durch den Wald zum Feenschloß hinauf, begleitet von ihrem Raben.
Dort hatten sich alle in der großen Halle
beim Eingang versammelt und berieten mit der Feenkönigin, wie sie die Hexe
besiegen können.
„Die kleine Hexe hat gesagt, man muß sie in
einen Spiegel verbannen und diesen dann zerschlagen und dann in den Großen
Ozean werfen. Steht alles im Hexenbuch.“
Sagte Fari, die Waldfee.
„Den einzigen großen Spiegel, den wir haben,
der steht in meinem Garderobe-Raum bei den Kleiderkästen. Dorthin müssen wir
die Hexe locken.“ Die Feenkönigin lief die Treppe hinauf zum großen Schrank um
das Buch herauszunehmen und alles nach zu lesen. Alle liefen mit ihr hinauf.
Sie legte das Buch auf den Fußboden und alle
setzten sich rundherum und warteten, was die Feenkönigin sagen wird.
„Also, wir gehen jetzt in den Garderobe-Raum
und stellen den Spiegel so auf, daß er
die Hexe sofort erfaßt, wenn sie ins Zimmer kommt. Dann drehen wir die große
Lampe auf, damit ihre ganze Gestalt im Spiegel erscheint.“
Alle sprangen auf und liefen hinüber in den
Garderobe-Raum. Dort stand der große Spiegel an der Seite. Alle zogen und
ruckten an dem Spiegel, bis er genau gegenüber der Eingangstüre zum Stehen kam.
Die Feen nahmen ihre Schleier zur Hand und
polierten den Spiegel auf Hochglanz. Dann versteckten sie sich im Raum.
Eine versteckte sich in einem der großen Garderobe-Kästen,
eine andere kroch unter das kleine Ruhebett an der Wand eine andere wieder
schlüpfte in die große Vase und lugte vorsichtig über den Rand. Lamis, die ganz
große Angst hatte, öffnete die Truhe, wo verschiedene Schleier und Hüte der
Feenkönigin lagen und versteckte sich dort drinnen.
Alle hielten den Atem an. Man konnte die Luft zittern hören.
Da hörten dann alle, wie das große Tor unten
in der Eingangshalle aufflog und die
Hexe Bora die Halle betrat.
„Wo bist du, Feenkönigin?“ schrie sie wild fauchend
„Du hast etwas, was mir gehört!!“
Der Elfe, der Dienst hatte heute an der
Pforte des Schlosses hatte sich hinter
seinem Tisch versteckt und gab keinen Laut von sich. Er hatte den Auftrag die
Hexe vorbeizulassen. Ihm zur Seite stand nur ein Wachmann aus dem Nest der
Hornissen, der ihm helfen sollte, falls die Hexe ihn doch entdeckten sollte.
Doch diese stürmte an der Pförtnerloge
vorbei, die Treppe hinauf. Sie stampfte und fauchte laut und dann zerriß sie sich sogar das Kleid an einem
der Holzpfeiler. Ihre Augen spuckten
Feuerblitze und fast hätte sie die schönen Vorhänge in Brand gesetzt, wenn nicht der kleine
Kobold, der hinter ihr herlief,
blitzschnell nach einer Vase mit Blumen gegriffen hätte und das Wasser auf die
Vorhänge geschüttet hätte.
So stand sie nun auf dem Treppenabsatz.
Hatten die Hände in die Hüfte gestützt, den schwarzen Raben auf ihrer linken
Schulter, die Augen, fast so groß wie Wagenräder sprühten vor Zorn und ihre langen Finger, mit
ihren schwarzen Fingernägeln fuhren in der Luft umher.
Da hörte sie ein Geräusch aus dem
Garderobe-Raum, daß die Feenkönigin absichtlich gemacht hatte. Die böse Hexe
drehte sich blitzschnell herum.
„Aha, hier versteckst du dich.“ Und ohne
lange nachzudenken, ganz in ihren Zorn gefangen, stürmte sie in diesen Raum.
Der Raum war aber dunkel und sie konnte im ersten Augenblick nichts sehen und
blieb wie angewurzelt stehen.
Dort hatten schon alle zitternd auf sie
gewartet. Der Elfe Mo war versteckt in der Fensternische und hatte seinen Pfeil
und Bogen genau auf den Lichtschalter gerichtet.
„Bitte lieber Gott,“ sprach er ganz leise,“
laß mich ja sofort den Lichtschalter treffen. Sonst sind wir alle verloren.“
Er visierte den Schalter an, fast hätte er
die Augen geschlossen, und schoß.
Der Pfeil flog schnurgerade und leise
schwirrend durch den Raum direkt auf den Lichtschalter zu. Alle hielten den
Atem an und man hätte eine Stecknadel fallen hören können.
Und da, es wurde Licht, er hatte getroffen.
Der Raum wurde in gleißendes Licht getaucht, die Hexe schloß für einen
Augenblick die Augen und fuhr sich mit der Hand zum Gesicht.
Dann, als sie die Augen wieder öffnete, sah
sie sich im Spiegel, in helles Licht getaucht.
Sie erkannte blitzschnell die Gefahr und
wollte fliehen, doch da war es schon zu spät. Das Licht zog sie mit
ungeheuerlicher Stärke in den Spiegel und sie war darin gefangen.
Sie tobte und schrie, stieß Verwünschungen
aus und bedrohte alle mit dem Tode. Doch sie konnte den Spiegel nicht
verlassen, sie war darin gefangen.
Ganz langsam kamen alle aus ihren Verstecken hervor und versammelten sich vor
dem Spiegel um die böse Hexe anzusehen.
Auch die Feenkönigin trat hervor und stellte
sich vor den Spiegel.
Sofort öffnete die Hexe wieder ihren Mund, so
daß man die großen häßlichen Zähne sehen konnte und es kam ein Hauch, wie
Flammen aus ihm hervor.
„Laß mich sofort hier raus, drehe das Licht
aus, damit ich den Spiegel verlassen kann, sonst wird es dir schlecht ergehen,“
schrie sie.
„Nein, das werde ich nicht tun. Du bist so
böse, du darfst keinen Platz in unserer Welt mehr haben. Wir wollen, daß alle Menschen und Tiere und
Pflanzen und die Wesen der Zwischen- und Traumwelt sich lieben. Doch du
zerstörst das immer wieder. Wir werden jetzt den Spiegel zerschlagen und die
Scherben werden wir in den Großen Ozean bei der Insel Avalon versenken. Da
wirst du nie wieder auftauchen können und in der Unterwelt, ohne Tageslicht
dahin siechen. Du wirst erst wieder errettet werden können, wenn du allem Bösen abschwörst und 10.000 Jahre Gutes
tust. In dieser Zeit wird niemand mit dir reden und du wirst keinen Freund dort
haben. Sogar die Hexen und Druden und bösen Geister werden nichts mit dir zu
tun haben wollen.“
Sie sah zu Elfen Mo hinüber. Dieser hatte
schon den Pfeil im Bogen gespannt und wartete nur mehr auf das Zeichen der
Feenkönigin.
Nun hob sie die Hand und gab ihm das Zeichen
auf den Spiegel zu schießen. Er zog ganz stark den Pfeil nach hinten, visierte
den Spiegel, der ja Gott sei Dank, viel größer als der Schalter war und schoß.
Und wieder verließ der Pfeil den Bogen und flog mit leisem zischenden Geräusch
auf den Spiegel zu. Alle hielten wieder den Atem an. Die Hexe sah ihn mit weit
aufgerissenen Augen auf sich zukommen und konnte nichts anderes machen als die
Arme zu heben und vor das Gesicht zu halten.
In diesem Moment zerbarst der Spiegel in
viele Stücke und fiel zu Boden. Augenblicklich war das Geschrei der Hexe
verstummt. Alle starrten auf die Scherben am Boden. Sie konnten gar nicht
glauben, daß der Hexenspuk nun vorbei
war. Als es ihnen klar wurde, fielen sie sich um den Hals und weinten vor
Freude. Sie tanzten noch eine Weile im Kreise und freuten sich.
„So, jetzt ist aber Schluß, meine Kinder,“
sagte die Feenkönigin.
„Wir werden die Scherben des Spiegels in eine
Holztruhe geben, diese gut verschließen und in Begleitung von Mo wird unser
weißes Märchenpferdchen diese Truhe nach Avalon
bringen und dort im Ozean versenken. Damit haben wir unsere Pflicht
getan.“
Sie liefen alle die Treppe hinunter und waren sichtlich erleichtert.
Die kleine Hexe saß noch immer im Walde unter
dem Farnblatt und zitterte vor Angst. Sie hatte das alles nicht miterlebt da
ihr Fuß noch immer schmerzte, konnte sie nicht laufen und ließ es sich nun von
den anderen erzählen.
„Ich bin so froh, „ sagte sie, „ daß nun
alles vorbei ist. Und am meisten freue ich mich, daß ich mich diesmal richtig
erinnern konnte, an die Sache mit dem Spiegel.“
Alle gratulierten ihr und brachten ihr Waldblumen und Beeren zum Geschenk.
Diese Fröhlichkeit wurde ganz plötzlich durch ein lautes
Krächzen unterbrochen. Dem schwarzen Raben der Hexe war es gelungen zu entkommen und nun zog er seine Kreise über
dem Wald und flog dann mit seinem lauten Krächzen, aus dem man ein Wehklagen
über die Verbannung der Hexe heraus hören konnte, davon.
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