Schuldgefühle
Der Kamin
Die Dunkelheit
macht den Raum unheimlich und tief. Der so genannte „Rittersaal“ des alten
Schlosses ist bei Tage ungemütlich und strahlte immer eine gewisse Kälte aus.
Sind es die Steinmauern, die auch durch die alten Gobelins nicht heimeliger
werden, oder ist es der unheimliche Kamin, der schwarz und geheimnisvoll in der
Mitte der großen Wand in den Raum starrt. Er wirkt wie eine Höhle und erweckte
den Eindruck eines offenen Einganges in die Unterwelt.
Der alte Hausdiener geht langsam, den rechten Fuß hinter sich nachziehend, quer durch den Raum. Vor dem Kamin angekommen, stockt er einen Augenblick und machte dann einen kleinen Bogen, um eben diesem Eingang auszuweichen.
Der alte Hausdiener geht langsam, den rechten Fuß hinter sich nachziehend, quer durch den Raum. Vor dem Kamin angekommen, stockt er einen Augenblick und machte dann einen kleinen Bogen, um eben diesem Eingang auszuweichen.
Wenn er in dunklen
Nächten schlaflos und einsam diesen Raum betritt, glaubt er manchmal schon
gesehen zu haben, wie hohe schlanke Gestalten plötzlich darin verschwinden.
In Gedanken daran
zuckt er mit der Schulter und seine beiden Mundwinkel ziehen sich nach unten.
Er erzählt manchmal davon, man glaubt ihm jedoch nicht.
„Gnädiger Herr, ich
habe wieder die Frauengestalten gesehen!“, berichtet er dem Baron, der eben den
Raum betritt.
„Hirngespinste“, sagt der alte Baron, wie schon so oft und versinkt in einem der tiefen Lehnsessel.
Doch er weiß es besser, er kehrt ja an den betreffenden Morgen danach immer die Asche und den Ruß vor dem Kamin weg!
Auch heute wieder sieht er vor dem Kamin Reste von Ruß und da liegt auch, gleich neben dem Kamin, ein kleines weißes Spitzentuch, halb verdeckt durch eines der Holzscheite.
„Warst du wieder
da?“
Er sagt es laut in
den Raum hinein, bekommt jedoch keine Antwort.
Der Baron schreckt
aus seiner Lethargie einen Moment auf und blickt ihn mißbilligend an.
Mit einem scheuen Blick auf den Baron geht er dann doch zögernd auf den Kamin zu, bückt sich, hebt das weiße Spitzentuch mit einer schnellen Bewegung auf, riecht daran und läßt es unter seinem Hemd verschwinden.
Der Baron
beobachtet ihn kopfschüttelnd.
Dann geht er langsam weiter zu dem großen Fenster mit den schweren dunklen Vorhängen, öffnete es um ein wenig Sonnenlicht in den Raum zu lassen.
Das Licht kann nicht wirklich eindringen und erhellt die Tiefe des Raumes nur spärlich und es ist ihm, als würde er wieder flüsternde Stimmen hören, doch es ist scheinbar niemand hier.
Vor vielen Jahren, es scheint hundert Jahre her zu sein, da war noch Leben in diesen Gemäuern. Es wurden Feste gefeiert, Musik ertönte und die Schlange der Fahrzeuge der Gäste schien nicht enden zu wollen.
Er bleibt einen Moment mitten im Raum stehen und machte eine kleine Drehung, so als würde er sich zur Musik wiegen und schließt die Augen.
Die Vergangenheit
kehrt zurück. Es ist, als würde Nebel
im Raum aufsteigen, der Saal wieder im alten Licht erglänzen und rundherum
Menschen tanzen und lachen.
Er hält in seinen
Armen jene junge Frau, die sein ganzes Glück ist! Leicht wie eine Feder, mit
strahlenden Augen und einem alles versprechenden Mund. Sie ist Dienstbote wie
er, doch etwas ganz Besonderes. Sie sind glücklich und voller Pläne.
In dieser Nacht
nimmt sie der Baron mit in sein Zimmer, einfach so, nur so aus einer Laune
heraus.
An den beiden
nachfolgenden Tagen und Nächten hackt er Holz für die Scheune und der Haß
steigert sich mit jedem Scheit, das zu Boden fällt.
****************
Nun nach einigen
Wochen setzte sie die Baronin vor die Türe, ihre Habseligkeiten über der Treppe
verstreut und die große schwere Eichentüre hat sich mit einem dumpfen Geräusch
geschlossen.
Er stand am
Treppenabsatz und starrte die Baronin vorwurfsvoll an
„Schau mich nicht so an, sie ist selber schuld.
Das mußt du einfach einsehen!“
Doch er antwortet
ihr nicht und wendet sich ab.
Es sieht aus, als
wolle sie seine Zustimmung, sein Verzeihen. Er dreht sich um und geht wortlos
die Treppe hinunter und zu den Räumen der Bediensteten.
Das Mädchen kauert
weinend am Ende der Treppe die zum Eichentor des Schlosses führt und rafft ihre
Habseligkeiten zusammen.
Er steht rechts von
der Treppe am Fenster seines Zimmers hinter den zugezogenen Gardinen und schaut
mit brennenden Augen hinaus.
Ihre Blicke sind
flehentlich auf sein Fenster gerichtet. Vielleicht sollte er hinausgehen und
sie in die Arme nehmen? Er kann es nicht und wendet sich ab.
Am Abend war sie
verschwunden. Man weiß nicht wohin. Es wird gemunkelt, sie hause im Walde
hinter dem Schloß. Doch er vermeidet es bewußt nach ihr zu suchen. Er ist viel
zu tief verletzt.
„Sie hat sich über
die Felsen gestürzt!“, ruft jemand, die Frauen bekreuzigen sich. Ihr Leichnam
wird nie gefunden, die rauhe See hat ihn wahrscheinlich weggespült.
Er glaubt jedoch, sie in manchen Vollmondnächten am Waldrand stehen zu sehen. Er glaubt auch manchmal sie in den Kellergewölben in Nischen verschwinden zu sehen, doch er tut es als Täuschung ab.
Er glaubt jedoch, sie in manchen Vollmondnächten am Waldrand stehen zu sehen. Er glaubt auch manchmal sie in den Kellergewölben in Nischen verschwinden zu sehen, doch er tut es als Täuschung ab.
Wenn er vom
Weinkeller kommend, um die Ecke biegt sieht er sich an manchen Tagen einer, ihr
ähnlich sehenden Gestalt gegenüber, mit tief in den Höhlen liegenden Augen, mitfliegenden
Haaren und einem schwarzen Umhang. Doch der Schreck läßt ihm die Lampe und den
Wein aus der Hand gleiten. In der Dunkelheit verschwindet diese Gestalt im
Nichts.
„Kann nicht sein,
muß eine Täuschung sein! Sie ist tot“, sagt auch jedesmal der Baron, wenn er es
ihm erzählt und geht zur Tagesordnung über.
Immer wieder glaubt er solche Begegnungen zu haben, sie verfolgen ihn in den Schlaf, entwickelten sich zu Albträumen, lassen ihm Trugbilder von tanzenden Gestalten in der Dunkelheit sehen, flüsternde Stimmen hören und an manchem Morgen wacht er völlig erschöpft und sich krank fühlend auf.
Er träumt von wilden Jagden durch den Wald, immer hinter irgendwelchen Schatten her, von wilden Tänzen rund um den Friedhof des Dorfes und immer wieder sieht er sie, ihren wunderbaren Körper in dunkle Umhänge gehüllt, seine Schönheit nur erahnen lassend, mit fliegenden Haaren und tief in den Höhlen liegenden Augen ihn anstarrend.
Einige Monate nach dem Verschwinden des Mädchens wird die Baronin krank. Er ist sich sicher, dass auch die Baronin diese seltsamen Erscheinungen hat und sich ebenso, wie er, die Schuld am Tod des Mädchens gibt.
Sie wird immer
blässer, schleicht nächtens durch das Schloß und nimmt fast keine Nahrung zu
sich, bis sie eines Tages stirbt.
In der Nacht ihres
Todes heulen die Hunde im Hofe jämmerlich und es sind undefinierbare Geräusche
zu hören, dunkle, unbekannte Gestalten schleichen in den Gängen herum und ein
starkes, tobendes Unwetter fegt über das Schloß.
Man munkelt, der Sarg der Baronin sei leer, sie sei in das Reich der Untoten gegangen und manchmal sieht man sie in dunklen Nächten gemeinsam mit unheimlichen Gestalten durch den Wald eilen. Die Menschen im Dorf meiden den Wald zusehends, sogar die Forstarbeiter gehen nie mehr alleine hinein. Und wenn sie hineingehen, dann nur bei Tage.
Der Baron wird immer schweigsamer und zieht sich schlußendlich gänzlich aus der Gesellschaft zurück.
**********
Nun zieht ein
Gewitter auf und der alte Diener findet wieder in die Gegenwart zurück. Er
beeilt sich, alle Fenster zu schließen.
Das Taschentuch unter seinem Hemd beunruhigte ihn. Es brennt fast auf seiner Haut Er vermeint IHREN Geruch zu verspüren und nimmt sich vor, heute Nacht im Rittersaal zu wachen um der Wahrheit ins Auge zu schauen. Wenn sie tatsächlich in jenes Reich der Finsternis gegangen waren, dann will er es jetzt wissen!
Inzwischen hat der
Baron sich wieder erhoben und verläßt den Saal, nicht ohne einen dumpfen,
nachdenklichen Blick auf den Kamin zu werfen.
Der Hausdiener läßt sich in einem der großen schweren Lehnsessel gegenüber dem Kamin fallen und wartet, doch nichts rührte sich. Die Blitze erhellen den Raum und der Donner des noch immer anhaltenden Gewitters ist drohend zu hören.
Er ist eingeschlafen, als ihn ein leichter Luftzug und ein grelles Lachen aufschrecken lassen. Er spürt, dass er nicht mehr alleine im Raum ist. Hinter ihm und seitwärts bemerkt er einige in dunklen Umhängen gekleidete Gestalten die ihre Arme nach ihm ausstrecken. Er versucht noch tiefer in den Lehnsessel zu sinken.
Dann stand SIE
plötzlich vor ihm!
Ihr Gesicht war blaß, ihre Augen lagen tief in den Höhlen, doch man kann ihre Schönheit noch immer sehen. Sie sieht noch immer so jung aus wie damals. Ihre Haut ist nun wie durchscheinender Alabaster, ihre schweren Wimpern bedecken die Augen halb und der blutrote, etwas geöffnete Mund läßt eine Reihe von weißen, kräftigen Zähnen sehen. Ihr Lächeln ist jedoch kalt und grausam.
„Hast du auf mich gewartet?“, die Frage durchschneidet den Raum, wie mit tausend Messern.
„Ich habe dich beobachtet, all diese Jahrzehnte, sah wie du alt und grau wurdest. Wie dein kaltes Herz noch kälter und dann zu Stein wurde. Ohne Mitleid hast du mich gehen lassen!
Heute bin ich gekommen, um dich zu holen. Du wirst Jahrhunderte als alter Mann leben, im Reich der Untoten. Und du wirst mich nie berühren dürfen!“
Sie öffnet ihren Mantel und er konnte ihre schöne, weiche Gestalt, eingehüllt in fast durchsichtigem Gewande, sowie das Pulsieren ihres Atems oberhalb des Brustansatzes sehen, ihre Erregung erahnen.
Hinter ihr steht eine andere weibliche Gestalt, die ihn sehr an die verstorbene Baronin erinnert. Auch sie streckt ihre Arme nach ihm aus und läßt dieses grausame Lachen hören, dass er heute schon einmal vernommen hat.
In Panik springt er auf und läuft seitlich an den beiden Frauen vorbei. Er läuft, soweit es die Behinderung des rechten Beines erlaubt, aus dem Saal hinaus in Richtung des großen Eichentores und reißt es auf. Er spürt mehr, als er es hört die Meute hinter sich und läuft, wie von Furien gehetzt zu den Klippen vor dem Schloß. Der Regen peitscht ihm ins Gesicht, er merkt es kaum.
Vor dem Abgrund bleibt er stehen und blickt zurück. Er sieht in ihren näher kommenden Gesichtern Gier und Hass.
Es wird ihm bewußt, sie wollen sein Leben, sie treiben ihn in den Tod.
Er hebt abwehrend
die Hände und weicht zurück. Doch er steht bereits am Abgrund und verliert nun
den Halt. Sein Körper fällt nach rückwärts und stürzt die Klippen hinab.
Sein Schrei klingt nach Befreiung, ohne Angst.
Sie finden ihn am nächsten Morgen am Fuße der Klippen, sein Körper sonderbar verkrümmt. Seine Hände liegen auf seiner Brust, ein kleines weißes Tuch fest umklammert.
Es ist dieselbe
Stelle am Fels, an der sich auch das Mädchen angeblich hinabgestürzt hatte.
Nachdem sie ihn abtransportiert hatten, steht der alte Baron noch lange hoch oben auf den Klippen und blickt mit fast toten Augen hinaus aufs Meer.
Er kann nicht
verstehen, warum der alte Hausdiener mitten in der Nacht und trotz des
Gewitters plötzlich grundlos wie von Furien gehetzt losgerannt war, obwohl weit
und breit niemand zu sehen war.
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