Endlich
vereint
Die kleine alte Dame trippelt
langsam den Weg zum Bahnhof. Vorbei an den Geschäften mit den bunten Auslagen,
vor denen Leute stehen und abwägende Blicke auf die angebotenen Waren werfen.
Sie hat kein Auge dafür. Mit ihrer kleinen Rente kann sie sich ja all diese
Dinge sowieso nicht kaufen. Sie muss froh sein, wenn es sich für das Nötigste
ausgeht und sie außerdem noch ein wenig auf die Seite legen kann für ihr
Begräbnis, wie sie allen erzählt.
Aus einem Lokal am Hauptplatz
kommt eine Gruppe junger übermütiger Menschen heraus und sie fühlt sich
gezwungen vom Gehsteig herabzusteigen um auszuweichen. Nach einigen Schritten
bleibt sie stehen und hält sich an einem Hydranten fest, um etwas Luft zu holen
und durchzuatmen.
So verweilt sie einige
Minuten, ihre Handtasche fest an sich gepresst und lächelt. Ihre Gedanken gehen
viele Jahre zurück, in ihre Jugendzeit.
Ach, was waren sie da auch
für lustige Menschen, mit vielen Freunden und noch voller Hoffnung. Sie konnte
die Straße hinunterlaufen, ohne anzuhalten und dabei auch noch lachen. Heute
schien ihr das wie aus einer fernen Zeit, unwirklich und verschwommen. So stand
sie da und lauschte in sich hinein, in die Vergangenheit.
Lautes Hupen lässt
sie erschrocken zusammenfahren. Oh Gott, sie stand fast auf der Straße und ein
Wagen wollte eben dort parken. Mit einem verlegenen Lächeln in Richtung des
ungeduldigen Lenkers drehte sie sich um und stieg wieder auf den Gehsteig
hinauf. Sie streifte den Rock mit ihren schlanken, vom Alter gezeichneten
Händen mehrmals glatt, was sie immer tat, wenn sie verlegen war und ging
unbeirrt Richtung Bahnhof weiter.
Sie würde den Weg
zum Bahnhof auch mit geschlossenen Augen finden. Sie ging ihn nun schon seit
Jahren täglich. Sie kannte fast alle Fahrgäste die regelmäßig wegfuhren, bzw.
ankamen. Sie saß dort immer am frühen Nachmittag auf derselben Bank, fast am
Ende des lang gestreckten Bahnhofsgebäudes, wo sie niemand störte und erwartete
die herankommenden Züge und winkte den abfahrenden Zügen nach.
Sie war allen, den
Fahrgästen ebenso, wie dem Bahnpersonal bekannt. Manche grüßten sie sogar. Das
freute sie besonders. Wenn sie dann abends in ihrem Bett lag und das Licht
auslöschte, ließ sie den Nachmittag vorbeiziehen und wusste ganz genau, wer sie
heute bemerkt hatte und wer nicht. Sie dachte sich Geschichten über die
Schicksale der Ankommenden und Abreisenden aus und registrierte jede
Veränderung an ihnen; sei es an der Kleidung, oder im Gemüt. Sie sah ihnen ins
Gesicht und spürte sofort, wenn Jemand Sorgen hatte.
Manchmal setzte
sich der Bahnhofsvorstand ein Weilchen zu ihr und fragte sie, wie es ihr geht.
Er kennt sie gut, sie ist die Witwe eines seiner ehemaligen Vorgesetzten. Vor
vielen Jahren hatte dieser hier gearbeitet und sie holte ihn damals öfters von
der Arbeit ab. Dann ging er in Pension und er hörte einige Jahre nichts mehr
von ihm.
Bis sie plötzlich
auftauchte, sich auf diese Bank setzte und den Zügen nachsah. Sie erzählte ihm
anfangs vom Tod ihres Mannes. Eines Tages sprach sie darüber nicht mehr und
erweckte den Eindruck, als wollte sie ihren Mann abholen und warte hier nur auf
ihn. Sie hatte Bilder dabei und zeigte sie jeden, der mit ihr sprach. Doch mit
der Zeit wollte sich keiner mehr die Bilder anschauen, die Menschen gingen
rasch vorbei und lächelten nur. Dann betrachtete sie die Bilder alleine und
lächelte dabei still vor sich hin, bis sie sie wieder in ihre kleine Tasche
einsteckte.
Heute jedoch
erwartete sie eine Überraschung. Ihre Bank war besetzt. Sie verlangsamte den
Schritt und näherte sich zögernd. Es war ein Bahnbediensteter in voller
Uniform, so wie sie ihr Mann immer getragen hatte. Sie grüßte leise und setzte
sich an das andere Ende der Bank. Eine Weile saßen sie stumm neben einander.
„Der Zug aus
St.Pölten kommt heute zu spät, er sollte schon da sein“, sagte sie und lächelte
den Mann schüchtern an.
Sie glaubte ein kleines
Nicken gesehen zu haben und blickte wieder geradeaus. So saßen sie wieder stumm
nebeneinander, bis der Zug aus St.Pölten einfuhr. Einige Fahrgäste stiegen aus,
andere ein. Rasch leerte sich der Bahnsteig wieder und es trat wieder Ruhe ein,
nur durch Weinen eines kleinen Kindes unterbrochen.
Sie rückte näher an
ihn heran. Er bemerkte es kaum. Sie blickte zu ihm auf. Das einfallende
Sonnenlicht blendete sie und sie glaubte in den Zügen des Fremden, ihren Mann
wieder zu erkennen.
So lange hatte sie
gewartet, dass er wiederkam und nun war es soweit.
„Wir werden
zusammen nach Hause gehen, ich werde Kaffee kochen und es ist wieder wie
früher.“
Sie rückte noch
näher und schob ihren Arm unter den seinen. So saßen sie eine Weile schweigend
nebeneinander. Mit der freien Hand holte sie die Bilder aus ihrer Tasche und
schob sie in seine Hand.
„Erinnerst Du Dich?“, Fragte sie.
Sie glaubte wieder
dieses Nicken zu bemerken, legte ihren Kopf an seine Schulter und schloss die
Augen. Ein glückliches Lächeln legte sich über ihr Gesicht, sie spürte seine
Kraft und schmiegte sich noch näher an ihn.
Der
Bahnhofsvorstand stand am Ende des Perrons und sprach mit dem jungen Mann, der
die Aktion leitete. Sie hatten am ganzen Bahnhof lebensgroße Puppen in Uniform
aufgestellt und die Reaktionen der Reisenden beobachtet. Im Gespräch bewegten
sich die beiden Männer langsam in die Richtung der besetzten Bank.
Die alte Dame schien zu schlafen.
Der Vorstand neigte sich zu ihr hinunter um sie zu wecken. Er rüttelte sie an der Schulter, doch sie rutschte ganz langsam nach unten und zog gleichzeitig ihren Arm unter dem der Puppe hervor. Die Bilder aus der Hand der Puppe fielen ebenfalls zu Boden und lagen nun verstreut zu ihren Füßen.
„Mein Gott“, entfuhr es ihm, er sah sofort, dass sie tot war. Das glückliche Lächeln auf ihrem Gesicht berührte ihn, er richtete sie wieder auf und lehnte sie wieder an die Puppe an. Dann erst griff er zum Telefon.
Es gibt zahlreiche
Kurzgeschichten, einige Romane und Gedichte von mir! Fast alles in e-Books
zusammengefasst! Download von amazon, Thalia Libri und allen Großhändlern!Großes
Lesevergnügen um wenig Geld!
Auch über https://www.bookrix.de/-joanavienna/