Verwandte Seelen
von Joana Angelides
Die Stadt Paris,
diese wunderbare Stadt des Lichtes, lag zu seinen Füßen. Von den Stufen des
Sacré-Coeur hatte man einen wunderbaren Blick hinab auf das Stadtviertel rund
um das Moulin-Rouge.
Einen unvergeßlichen
Eindruck von dem Viertel hier heroben hat man, wenn man sich zu Fuß, von den
Bahnhöfen Gare de l´Est oder Gare du Nord kommend, nähert oder aus der
Metrostation Barbès Rouchechouart steigt. Maler wie Toulouse-Lautrec, Picasso,
Monet, Utrillo, van Gough oder Braque haben hier bis zum Beginn des zwanzigsten
Jahrhunderts gelebt und gearbeitet.
Er schloß die Augen
und vergegenwärtigte sich die damalige Atmosphäre. Er hörte wieder das Lachen
der Menschen, ihre Musik und das laute Treiben. Es war damals leichter, sich
mit Menschen zu vereinigen, sie in den Kreis rund um den Cimetiere du Pére
Lachaise, dem schönsten und berühmtesten Friedhof von Paris, einzuführen und zu
integrieren. Auch in den Zeiten der Französischen Revolution ging es hier viel
lebhafter zu.
Einige Schritte weiter in Richtung
der berühmtesten Sehenswürdigkeit des ehemaligen Dorfes, der Kirche Sacré-Cœur,
tummeln sich zu jeder Tageszeit ein Heer von Touristen.
Doch nun ist es
bereits weit nach Mitternacht und nur mehr vereinzelte Schatten, die sich durch
die engen Gassen bewegen, erahnt man mehr, als man sie sieht. Es liegt ein
Flüstern in der Luft, ein Raunen der Gefühle und mit einer leichten Brise wird
leise Musik herangetragen. Eine Katze hat mit einem Sprung irgendeinen
Metalldeckel zum Fallen gebracht und das Geräusch hallt überlaut durch die
Nacht und überdeckt für einen paar Augenblick die anderen Geräusche.
Die dunkle Gestalt
löst sich aus dem Schatten der sich in dieser Vollmondnacht hell abhebenden
Kirche und bewegt sich lautlos in Richtung der Rue Saint Nicholas.
Das helle Lachen der
Menschen in dem kleinen Café „Chez Nous“ zog ihn an. Durch die Gardinen drang
gelbliches Licht, gedämpft durch dichte Spitzenvorhänge.
Er war noch nie in
dem Lokal, er schaute immer nur von außen hinein und sein Blick suchte immer
die große blonde Serviererin, die sich elegant und flink zwischen den Tischen
und Stühlen hin und her bewegte. Ihr langes blondes Haar hatte sie aufgesteckt
und man konnte ihren weißen, makellosen biegsamen Hals sehr deutlich sehen.
Durch die seitlichen Leuchten an den Wänden kam auch der Flaum an ihrem Genick
wunderbar zur Geltung. Die weiße Bluse umspannte ihre vollen Brüste und er
bemerkte, wie sie sich hoben und senkten. Das schwarze enge Halbmieder
umspannte ihre schmale Taille und betonte die Bewegungen ihres Körpers, wenn
sie sich im Lokal hin und her bewegte.
Er schloß seine Augen
und stellte sich vor, wie er ihren Kopf nach vorne beugen wird und langsam,
ganz langsam seine Zähne in ihrem Hals vergraben wird. Ihr Blut war sicher süß
und hell.
Die Türe des Lokals
öffnete sich plötzlich und heraus kam ein junges Pärchen, eng umschlungen und
sichtbar mit sich beschäftigt. Sie sahen die dunkle Gestalt erst im letzten
Augenblick und das Mädchen stieß einen leisen Schrei aus. Um nicht aufzufallen,
blieb ihm nichts Anderes über, als hinein zu gehen.
Es umgaben ihn
plötzlich laute Geräusche, helles Licht. Für einen Moment verstummte die
Unterhaltung, doch als er sich an einen der freien Tische setzte, verloren sie
jegliches Interesse an ihm.
Sie stand plötzlich
vor ihm, sah ihn fragend an und stellte einen Aschenbecher vor ihn hin.
Sie hatte, im
Gegensatz zu ihren hellen Haaren, große dunkle Augen, ihr Mund war groß und
versprach die Erfüllung geheimster Wünsche. Er blieb verschlossen, wölbte sich
jedoch nach vor und ihre Mundwinkel zuckten spöttisch. So schien es ihm
zumindest.
Er bestellte einen
Pernot, etwas Wasser und eine Zitronenscheibe und lehnte sich zurück.
Sie drehte sich um
und bewegte sich langsam zur Bar hin und plötzlich erschien sie ihm seltsam
vertraut. War es nur deswegen, weil er sie schon tagelang beobachtete, seine
Gedanken auf sie fixierte?
Doch eine gewisse
Unruhe befiel ihn.
Er blieb bis sich das
Lokal leerte und sie die Lichter löschte.
Sie blickte ihn
fragend an, er lächelte ein wenig, erhob sich und ging langsam auf sie zu. Er
sah ihren überraschten Blick, bemerkte ein plötzlich aufflammendes Licht in
ihren Augen und Begriff in jenem Augenblick, als sie langsam den Mund zu einem
kalten Lächeln öffnete und mit einem heiseren Schrei auf ihn losstürzen wollte,
dass sie bereits zu seinem Kreis gehörte, dass sie beide bereits im Reiche der
Unsterblichen waren.
Sie standen sich
gegenüber und starrten sich an. Er hob beide Arme und zog sie langsam zu sich
heran. Sie warf den Kopf zurück und stieß ein heiseres Lachen aus. Sie drehten
sich im Kreise und schwebten über den Tischen, es war ein Tanz, der nie enden
wollte.
Doch es begann
langsam hell zu werden und sie mußten sich dem Unvermeidlichen fügen. Durch die
geöffnete Türe des Lokals entwichen sie durch die Gassen und bewegten sich in
Richtung des Cimetiere du Pére Lachaise, mit seinen Grabdenkmälern und einsamen
Grüften.
Der heisere Schrei
eines Raben verkündete den aufsteigenden Morgen.
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