OLIVIA.
von Joana Angelides
Von seinem Hotelzimmer aus
hatte er einen schönen Blick in den Park
des Hotels und in der weiteren Folge aufs Meer hinaus bis zu dem, im Dunst
verschwimmenden Horizont.
Der Blick wurde nur
unterbrochen durch einen mächtigen Olivenbaum, der behäbig und wuchtig in der
Mitte des Parks seinen Platz hatte. Er schien sehr alt zu sein und er nahm sich
vor, bei Gelegenheit jemand im Hotel zu fragen, wie alt er sein konnte. Der
knorrige Stamm gab dem Baum eben dieses Flair von Jahrhunderten.
Jedes Mal, wenn er an diesem
Baum vorbei zum Strand ging, glaubte er das Flüstern und Raunen der Blätter zu
hören, als würden sie ihn locken, doch zu verweilen. Es erinnerte ihn an
Odysseus und die Sirenen, nur dass es
hier ein leises Flüstern war, fast unhörbar.
Er nahm sich vor, nach dem
Abendessen seinen heutigen abendlichen Spaziergang an dem Olivenbaum vorbei zu
lenken.
Es war schon dunkel, die
dezenten Lichter im Park leuchteten die Wege nur notdürftig aus, doch es
genügte und war ausreichend. Als er sich dem Baum langsam näherte, vermeinte er
wieder dieses Flüstern und Raunen zu hören, das er schon des Öfteren
wahrgenommen hatte.
Er blieb vor dem Baum stehen
und blickte hinauf in die sich bewegende
Blätter und Äste.
„Ist er nicht schön und
geheimnisvoll?“ Fragte in diesem Moment eine weibliche Stimme hinter ihm.
Er drehte sich um und da
stand sie. Sie war nicht sehr groß, erschien eher klein und zart. Das schwarze Haar fiel ihr über die
Schultern und umrahmte ein zartes, in der Abenddämmerung und gegen das Licht,
ein eher undeutlich scheinendes Gesicht. Sie war bekleidet mit einem weißen,
langen, weit aufschwingendem Kleid, das ihre schöne Gestalt weitgehend ahnen
ließ. Im Haar hatte sie einige Blüten, die wie eine Krone wirkten und ein
kleiner weißer Schleier bedeckte nur rückwärts ihr Haar.
„Ja, finde ich auch, er
fasziniert mich.“ Er lächelte.
„Er muss Jahrhunderte alt
sein und wenn er reden könnte, würde er uns sicher eine Menge erzählen können.“
Sie lächelte zurück.
Er war überrascht, er hatte
sie noch nie im Hotel gesehen und doch schien es, als würde sie hierher
gehören, genau so wie der Olivenbaum.
Sie setzte sich, ohne weitere
Worte zu verlieren am Fuße des Baumes nieder und bedeutete ihm mit der flachen
Hand, neben ihr Platz zu nehmen. Es war eine selbstverständliche Geste und es
war ebenso selbstverständlich, dass er
ihrer Aufforderung Folge leistete. Die Erde war noch vom Tage erwärmt und
ebenso der Stamm des Baumes. Jetzt erst bemerkte er, dass sie keine Schuhe
trug. Ihre nackten Zehen gruben sich in die Erde ein und schienen dort Halt zu
suchen
Sie lehnte sich einfach an
ihn an und er ließ es geschehen. So saßen sie eine Weile, ohne ein Wort zu
wechseln. Der leichte Abendwind wehte eine ihrer Haarsträhnen in sein Gesicht
und er strich sie weg und berührte dabei ihre Stirn.
Sie wandte ihm ihr Gesicht
zu.
„Es ist meine Hochzeitsnacht,
heute werde ich mich mit dem Baum vermählen!“
Warum lösten ihre Worte bei
ihm keine Verwunderung aus? Er richtete sich etwas auf.
„Ja, bist du da sicher?“ Er
hielt es für einen Scherz, und die
vertrauliche Anrede kam wie von selbst.
„Ja, natürlich!“ Sie blickte
ihm ganz ernst an und näherte ihr Gesicht dem seinen.
„Darum bist ja du stellvertretend gekommen, hast Gestalt
angenommen und mich in den Arm genommen.“
Sie stand auf und nahm seine
beiden Hände in die ihren und begann, sich wiegend, langsam zu tanzen.
Ihre mit Leichtigkeit
getragenen Bewegungen zogen ihn in seinen Bann und er wiegte und bewegte sich
mit. Sie warf den Kopf zurück, so dass ihre Brüste sich durch den dünnen Stoff
hindurch abzeichneten und ihre Brustspitzen hart und fest zu sehen waren.
Dann zog sie ihn langsam zu
sich und ihre beiden Gesichter kamen sich ganz nahe, bis sich ihre Lippen trafen.
Endlose Ströme von Erregung,
fließender Energie und Begehrlichkeit durchströmten ihn und die Wirklichkeit
verschmolz mit der Nacht und der fast märchenhaften Begegnung zu einer Einheit.
Er glaubte tatsächlich die Kraft des Baumes in sich zu spüren, sie strömte durch
ihn, wie durch diese Äste und Zweige bis in die Spitzen seiner Finger, den
Blättern gleich.
Sie sanken beide auf den
weichen Boden unter dem Baum und er hielt diesen kleinen zarten Körper, der vor
Erregung bebte und zitterte in seinen Armen und sie vollzogen diese
Hochzeitsnacht in völliger Hingabe. Das Flüstern der Blätter, das Raunen der
Äste und Zweige erzählten unglaubliche Geschichten von Liebe und Eros der
vergangenen Jahrhunderte.
Er lehnte am Stamm des mächtigen Baumes, streckte seine
Arme nach ihr aus und wollte sie halten bis an sein Lebensende. Doch plötzlich
schien sie sich zu entfernen, als würde sie sich in duftige Schleier auflösen. Er setzte sich
auf, benommen noch, ein wenig atemlos. Doch er konnte sie nicht mehr sehen. Nur
eine kleine weiße Blüte aus ihrem Haar lag neben ihm.
Er wollte sie rufen, doch er
wusste ja nicht einmal ihren Namen
Er konnte den nächsten Abend
kaum erwarten und bei Einbruch der Dämmerung fand er sich wieder unter dem Baum
ein. Er setzte sich und lehnte sich wieder an den Stamm des Baumes. Mit
geschlossenen Augen ließ er die Ereignisse der vergangenen Nacht an sich
vorüberziehen und erlebte alles noch einmal.
„Hallo, mein Geliebter, du
bist wieder da!“ Ihre Stimme war weich und sanft. Sie umfasste ihn von rückwärts
und trat aus dem Schatten des Baumes hervor. Ihre Arme hielten ihn fest und er
zog sie zu sich herab.
„Ich habe dich gesucht, habe
dich vermisst!“
„Ich
bin da und gehöre ganz dir!“
Sie hatte wieder diese weißen
Blüten im Haar, trug es jedoch heute zu einer Art Krone aufgesteckt und der
weiße Schleier wehte leicht im Abendwind.
„Wie ist dein Name? Ich weiß
gar nicht, wie du heißt!“
„Ich heiße Olivia!“ flüsterte
sie ihm ins Ohr und ihr warmer Atem raubte ihm fast die Sinne.
Die letzten Sonnenstrahlen
vergoldeten die Blätter des Baumes und zeichneten kleine, sich bewegende
Kringel auf den Boden neben ihnen. Doch sie sahen es nicht. Sie hielten sich
fest umschlungen, loteten die Gefühle des Anderen aus und vergaßen die Welt um
sich herum.
Die weit herabhängenden
Zweige des Baumes waren wie eine schützende Hand über ihnen
und der Stamm bot ihnen
Sichtschutz gegen das Hotel.
Sie verschwand wieder genau
so plötzlich wie am Vortag und ließ ihn völlig entrückt und abwesend zurück.
Trotz
vorsichtigen Fragens, konnte er niemand im Hotel finden, der sie kannte.
Die Tage waren nur mehr ein
Warten auf die Abende. Und immer, wenn
er sich einfand, kam sie nach wenigen Augenblicken wie aus dem Nichts heraus
und begab sich in seine Arme.
Heute war sein letzter Tag
und er nahm sich vor, sie nicht wieder gehen zu lassen, er wird sie fragen, ob
sie mit ihm mit kommen will. Mit ihm in sein Leben, weit weg von hier.
Er konnte den Abend kaum
erwarten und saß schon viel zu früh am Fuße des Baumes, die Sonne stand noch am
Himmel und ihr goldenes Licht flimmerte über dem Wasser und blendete ihn.
Er konnte von seinem Platz
den Sonnenuntergang beobachten, sah die blutrote Scheibe der Sonne langsam im
Meer versinken.
Die Dämmerung breitete sich
wie ein Mantel aus und die Konturen verschwammen, unmerklich wurde es Nacht.
Er saß an den Stamm gelehnt
und spürte, wie Furcht in ihm aufstieg. Sie war bisher nicht gekommen und es
schien, als würde sie auch heute nicht mehr kommen. Doch er blieb unter dem
Baum sitzen und lauschte gespannt und hoffend in die Finsternis.
Irgendwann musste er
eingeschlafen sein, es fröstelte ihn
plötzlich und seine Glieder waren
ganz steif.
Er stand auf und streckte
sich.
Seine Hände berührten de
herabhängenden Zweige des Baumes, da fiel etwas zu seinen Füßen, es war eine
kleine weiße Blüte und der zarte Schleier, den Olivia über ihrem Hinterhaar
trug.
Er steckte die beiden Dinge
in die Tasche seiner Jacke, sie werden die Erinnerung in ihm wach halten.
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