DER
BÄR AUS DEN DOLOMITEN
Von Joana Angelides
Hallo Max,
Erinnerst du dich an die kleine Hütte in Südtirol, auf dem Weg zwischen dem Lago Misurina und Tre Croci, in der wir zwei Wochen in völliger Abgeschiedenheit verbringen wollten?
Totale Stille, der
kleine See bei Misurina lag dunkel und völlig still da, als hätte er ein großes
Geheimnis zu bewahren. Selbst bei Tage erschien er mir unheimlich, ja
abweisend. Ob das daran lag, dass er immer sehr kalt und unbewegt ist?
Er ist eingebettet
zwischen dem Sorapis und dem Monte Cristallo, rundum einige besonders schöne
Hotels, versetzt in die majestätische Kulisse der Bergwelt.
Hast du das alles registriert, in dich aufnehmen können?
Es war gleich in einer der ersten Nächte, wo ich ihn bemerkte. Er erschien zwischen den Bäumen, verschwand manchmal hinter einem dicken Baumstamm, oder saß auf einem Baumstumpf und blickte unentwegt zu uns herüber. Mein erster Gedanke war, es ist ein Bär! Doch das verwarf ich sofort wieder, weil erstens Bären hier fast nie vorkommen und zweitens menschenscheu sind
Er verschwamm mit der
Landschaft, war ein Teil von ihr. Sein Gesicht konnte ich nicht ausnehmen, er
trug einen weiten Hut mit Krempe und einen ebenfalls weiten Mantel. Nach
einigen Tagen war es für mich ganz selbstverständlich, dass er da war. Manchmal
grüßte er mit dem Hut in der Hand.
Seine Anwesenheit ließ damals schon die Luft und mein Innerstes flimmern.
Ich verstand gar
nicht, wieso du ihn nicht bemerktest. Ich machte dich einige Male auf ihn
aufmerksam, doch immer, wenn du dann in seine Richtung blicktest, war er
verschwunden.
Als du mich dann unvorhergesehen
für einige Tage allein ließest,
verschloss ich ängstlich die Eingangstüre, nicht ohne vorher einen forschenden
Blick in die Umgebung zu senden. Es war niemand zu sehen.
Da es aber ein
strahlender Tag wurde, überwand ich meine Ängste, schnallte meine Skier an und
begann in der Nähe der Hütte herum zu fahren.
Wie du weißt, bin ich eine begeisterte Langläuferin und genoss diese
Stille und Einsamkeit daher auf der gut ausgebauten Loipe.
In einem kurzen
unaufmerksamen Moment glitt ich auf einer kleinen Welle aus und stürzte. Der
stechende, plötzliche Schmerz in meinem Knöchel signalisierte nichts
Angenehmes.
Ich lag im Schnee und
konnte mich vor lauter Schmerz kaum bewegen.
Er kam langsam auf
mich zu, mir blieb der Atem weg, als er sich bückte, mich wie ein kleines Kind
aufhob und ohne auch nur ein Wort zu sprechen mit mir in die Richtung unserer
Hütte schritt.
Mein Herz blieb fast
stehen vor Verwirrung, Angst und Fassungslosigkeit. Ich wagte es nicht, ihn
anzusehen.
„Übrigens, mein Name
ist Tonio, ich bin hier der Förster. Ihr Freund, der Ihnen die Hütte zur
Verfügung stellte, ist mein Cousin. Er hat mich telefonisch informiert. Hat er
Ihnen das nicht gesagt?
Ich sollte auf sie
aufpassen, habe wohl versagt!“
„Oh, sehr erfreut.
Nein, zu mir hat er nichts gesagt, vielleicht zu Max.; und Nein, sie haben
nicht versagt, ganz im Gegenteil!“ Ich spürte, wie mir die Röte in die Wangen
schoß.
Hast du davon gewußt?
An der Hütte
angekommen, ließ er mich sanft auf die Bank gleiten und streckte seine Hand
fordernd aus. Er wollte den Schlüssel, den ich mit zitternder Hand aus meiner
kleinen Tasche am Gürtel hervorholte.
Im Inneren der Hütte
setzte er mich auf die Bank beim Herrgottswinkel und kniete vor mir nieder, um mir
vorsichtig und mit besorgtem Blick zuerst den einen, dann den anderen Schuh
auszuziehen.
Er ging dabei sehr
zart und zögerlich mit meinen Füßen um und blickte mich immer wieder fragend
und besorgt an.
Ich lächelte ihn an.
Wieso hatte ich eigentlich plötzlich keine Angst vor ihm?
„Oh, die Waldfee kann
ja lächeln!“
Ich faßte mich und
blickte ihn das erste Mal voll an.
Sein von der Sonne
gebräuntes Gesicht hatte eine Menge sympathischer Falten, die blauen Augen
waren klar und strahlend und hatten rund herum kleine Lachfältchen.
„Ich danke Ihnen, sie
waren ja im richtigen Moment am rechten Ort!“, versuchte ich zu scherzen.
„Bin ich immer,
kleine Frau,“ sagte er mit einem Lachen in der Kehle und stand auf.
„Ich werde die Schuhe
in den Vorraum stellen und dann ihre Skier holen!
Er richtete sich auf
und sah fragend auf mich nieder.
„Soll ich mit dem
Mini-Car kommen und sie nach Cortina zum Arzt fahren, vielleicht haben sie sich
ja was gebrochen? Wo ist eigentlich ihr Mann?“
Hörte ich da eine
kleine Entrüstung in seiner Stimme, dass du nicht da warst, wo ich doch so
verletzt bin!
Da hörte ich mich
überraschend sagen:
„Das ist nicht mein
Mann, ist mein Freund und er kommt erst wieder in zwei Tagen.“
Er stand vor mir und
schaute mich forschend und fragend an, sagte aber nichts.
Als er gegangen war,
schleppte ich mich in die Schlafkammer, entledigte mich der nassen Kleider,
schlüpfte in den wärmenden Hausanzug und versuchte unter kleinen
Schmerzensschreien, frische, dicke Socken über zu streifen. Schmerzhaft war nur
das linke Bein, das andere war unverletzt.
Dein SMS kam ganz
unerwartet und traf mich tief.
„Muss noch zwei Tage
anhängen, tut mir leid. Amüsiere dich. Kuss Max“.
Na, du hast gut
reden!
Da hörte ich schon
draußen das Motorengeräusch eines Mini-Cars und gleich darauf flog die Türe auf
und mein „Bär“, wie ich ihn inzwischen bei mir nannte, stand im Türrahmen.
„Also, wo haben sie
denn eine Jacke und eine Decke, wir fahren nach Cortina zum Arzt und ich bringe
sie dann auch wieder hier her zurück.“
Wie im Trance reichte
ich ihm beides und steckte mein Handy rasch in der Jackentasche, als hätte ich
Angst, er könnte dein SMS von soeben lesen.
Als wir zurück kamen
lag die Dämmerung schon wie eine dunkle Decke über der Landschaft, aus dem im
Tal liegenden Cortina konnte man hier und dort Lichter aufblitzen sehen und als
wir bei der kleinen Kapelle in Alvera vorbeifuhren, hörte ich Frauenstimmen das
abendliche Mariengebet lesen.
Dieses Mal konnte
ich, gestützt auf seinen Arm schon selbst in die Hütte gehen, das Bein war fest
verbunden und ich hatte eine kleine Schiene beim Knöchel. Gebrochen war nichts,
nur eben angeschlagen.
Drinnen war es warm
und gemütlich; mein Bär legte einige Scheite Holz in den herunter gebrannten
Kamin, es begann zu knistern und einige kleine glühende Holzstückchen sprangen
heraus.
Am Boden vor dem
Kamin hockend versuchte er mit dem Schürhacken die Scheite in die richtige Lage
zu schieben. Er hatte seinen schwarzen Mantel und die wattierte Jacke
ausgezogen und ich betrachtete verstohlen seinen breiten Rücken, als ich, ein
wenig humpelnd, bei der Kochstelle eine einfache Brettl-Jause richtete.
Man konnte durch das
karierte Hemd seine breiten Schultern und den muskulösen Rücken erahnen. Er war
nach vorne zum Feuer gebeugt und der rote Schein des Feuers zauberte Lichter in
sein dunkles Haar. Kleine Schauer liefen meinen Rücken auf und ab, er
faszinierte mich.
„Kommen sie, ich habe
was zu essen gerichtet, aber die Flasche Wein müssen sie aufmachen“, ich hielt
ihm die Flasche hin als er sich mir zuwandte. .
Ich zitterte
plötzlich, sein Blick erinnerte mich an die dunklen Nischen meines Ichs, weckte
tief verschüttete Bedürfnisse, ließ meine Knie weich werden.
Ja Max, dieses Gefühl
fehlte schon lange zwischen uns, du hast unser Feuer scheinbar niederbrennen
lassen und nun fror ich manchmal.
Er stand auf, nahm
mir die Flasche Wein aus der Hand, holte die beiden Gläser und das Holzbrett
mit den Broten und stellte alles auf
den Boden vor dem Kamin.
Seine Bewegungen
waren zwar ruhig und bedächtig, aber voller Spannung.
Als er so vor mir
stand, mit seinem offenen Lächeln, das seine Zähne zeigte und die Fältchen bei
den Augen vertiefte, gaben meine Knie nach.
Er deutete das
scheinbar zwar anders, und bevor ich stürzen konnte, hob er mich schnell wieder
hoch und ließ mich vorsichtig auf das dicke Bärenfell niedersinken.
„Wir werden hier vor
dem Kamin bleiben, die Wärme genießen und ich werde ihr Bein auf einem Polster
hoch lagern. Es tut sicher weh?!“
Ohja, es war ein
wunderbares Gefühl von diesem großen, fürsorglichen Bären umsorgt und umhegt zu
werden. Daher nickte ich sehr heftig, obwohl der Schmerz kaum mehr spürbar war.
Er nahm wie
selbstverständlich von der Sitzbank das größte und dickste Polster, schob ihn
hinter meinen Rücken, einen anderen Polster legte er unter mein Bein und ließ
es langsam und sanft darauf sinken. Die Hütte verwandelte sich plötzlich in
eine urgemütliche Bärenhöhle mit Kamin.
Oh, ich war seinen
tiefblauen Augen schutzlos ausgeliefert, sein Blick durchfuhr mich wie ein
Blitz und ich beschloss, dich vorläufig einmal, einfach zu vergessen.
Und es gelang mir
mühelos.
Das Feuer leuchtete
durch das dunkle Rot des Weines, ließ ihn funkeln und so schmeckte er dann auch.
Ich lehnte mich in
den dicken weichen Polster zurück, hörte seiner Stimme zu, die von seinen
Erlebnissen mit den Tieren und dem Wald erzählte und spürte, wie sich langsam
in meinem Inneren eine wohltuende Unruhe breit machte.
Die Wärme stieg in
mir auf, verbreitete sich wohlig in meinem Inneren, unsere Hände berührten sich
immer wieder wie zufällig beim Anstoßen, unsere Blicke bekamen plötzlich
Widerhaken, konnten sich kaum voneinander lösen und wir bemerkten gar nicht,
dass die Scheite im Kamin langsam niederbrannten.
Er hat begonnen meine
Füße, die in dicken weißen Socken steckten zu massieren, dann die Socken
abzustreifen und die Massage fortzusetzen. Du weißt ja, das löst bei mir
explosionsartige Empfindungen aus, ausgehend von den Beinen, hinauf bis in den
Unterbauch, macht mich unruhig und kleine Seufzer und tiefe Töne entringen sich
meiner Kehle. Er genoss es und machte, als würde er es nicht bemerken.
Als er dann seitwärts
an meinen Füßen zu der Ferse streifte und auf der Sohle retour glitt, lag ich
schon mehr in dem Polster als ich saß und hatte meine Arme über dem Kopf
gelegt. Dabei reagiert mein Körper wie immer hemmungslos und beginnt zu
zittern. Er massierte jedoch weiter, ohne es zu beachten, umkreiste meine
Zehen, kratzte an meinen Fußbällen und verstärkte es nur noch mehr, je mehr
meine Füße zu zucken begannen und ich zu wimmern.
Dann glitt einer
seine breiten Handflächen langsam das linke Bein aufwärts, bis zur Kniekehle
während die andere Hand noch immer meine Zehen umrundete, die Zwischenräume
zählte und mich fast verrückt machte. Ich bäumte mich auf, flüsterte irgendwas,
was wie Abwehr klingen sollte, doch nicht wirklich Ernst gemeint war. Tausende
Ameisen liefen an meinen glühenden Nerven auf und ab und ich verlor die
Kontrolle über meine Glieder.
Es wird ewig ein
Geheimnis bleiben, wie sich zwei Menschen plötzlich in einer Umarmung
wiederfinden, die sich vorher fast nicht gekannt haben.
Knöpfe, Ösen oder Verschlüsse
gehen scheinbar von selbst auf, Hände finden sich auf nackter Haut wieder, erforschen
den Körper des anderen, finden beglückende Reaktionen, vertiefen Empfindungen
und werden von Emotionen mitgerissen.
Seine Hände auf meiner Haut, in Tiefen und Höhen
meines Körpers, seine Zunge an empfindlichen Stellen, seine Stimme in meinem
Ohr, alles zusammen löste die Lust aus ihrer lauernden Ruhe und ließ sie wild
tanzen.
Es gibt Stellen an
meinem Körper, die ich noch nie so klingen hörte, als an diesem ersten Abend.
Punkte, die plötzlich erwachten, Signale aussendeten und wie Feuer brannten.
Irgendwann loderte der ganze Körper und wurde zum Flächenbrand.
Wir kehrten erst
wieder in die Wirklichkeit zurück, als das Feuer im Kamin ganz heruntergebrannt
war.
Irgendwann fand ich
in mein Bett und mein Bär verließ unsere Höhle.
Deine nächsten SMS´s
las ich mit großer Gleichgültigkeit, sie klangen immer gleich und
signalisierten immerwährend deine weiter andauernde Abwesenheit.
Mein einziges SMS an
dich lautete dann schlussendlich:
„Streiche meine
Telefonnummer aus deinem Verzeichnis“ und das meinte ich ernst.
Meine Tage gehörten der Langlaufloipe, kurzen Einkäufen und kleinen Spaziergängen, doch die Abende gehörten ihm, meinem Bären aus den Dolomiten.
Wunderbare Abende, glühende Scheite im Kamin, glühende Körper davor. Heiße geflüsterte Bekenntnisse, erbarmungslose Fingerkuppen und fordernden Zungenspitzen, wilde Ritte durch noch nie erlebte Höhen und ermattete, weiche, biegsamen Körper.
Ich bin dann ohne
dich abgereist, da die zwei Wochen vorbei waren, Zwei wunderbare Wochen mit
bleibender Erinnerung an die erhabene Schönheit und Wildheit der Natur, rotglühende
Sonnenuntergänge und leidenschaftlichen Nächten.
Ich sehe nun die Welt der Bären in ganz anderem Licht. Sicher werde ich wiederkommen, meinen Bären suchen und mich mit ihm in einen temporären Winterschlaf in eine der zahlreichen Höhlen in den Dolomiten begeben
Schade, dass du so
gar nichts von einem Bären hast.
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