Königin der
Nacht
von Joana Angelides
Ich musste
meinen Aufenthalt in Antigua auf jeden Fall auch dazu nutzen, um auf den Pacaya,
einen aktiven Vulkan, zu wandern. Von Freunden habe ich den Tipp bekommen, dies
entweder in der Früh, oder am Abend zu tun, denn da kommt die Lava erst so
richtig und schön zum Vorschein. Man sollte das aber nur mit einem Führer
machen, der Vulkan ist unberechenbar und kann gefährlich sein.
Wir waren eine Gruppe von sechs
Personen, incl. eines Führers und wir starteten am späten Nachmittag. Die Tour
war nicht sehr anstrengend und wir erreichten den Krater als es schon zu
dämmern begann. Vor Beginn der Tour bekamen wir auch leihweise Gasmasken, da
der Vulkan auch giftige Dämpfe ausstoßen kann.
Am Krater
angelangt, blieben wir überwältigt stehen um das Schauspiel der Naturgewalten
auf uns einwirken zu lassen. Einige gingen näher ran, einige weiter nach rechts
oder links. Ich fand einen etwas erhöhten Standplatz, mit einem kleinen
Felsenvorsprung und begann mit meiner Kamera zu filmen. Geschützt vor der
Hitze, im Schatten eines Überhanges entdeckte ich einen Kaktus, der
wunderlicher Weise offenbar hier um sein Dasein zu kämpfen schien.
Er hatte ganz
oben eine große gelbe Knospe, die kurz vor dem sich Öffnen stand. Ich war so
fasziniert, dass ich unachtsam wurde, mich vorbeugte und fast ausgerutscht
wäre. Wie konnte hier, in dieser Hitze, offensichtlich auch vergifteter
Atmosphäre, so eine geheimnisvolle, fragile Blüte existieren?
„Sie ist
wunderschön, nicht wahr?“, hörte ich ein leises Flüstern. Wie aus dem Nichts
löste sich aus einer dunklen Nische eine fast nackte Frauengestalt, nur mit
einem dunkelroten Schleier bekleidet, mit schwarzem Haar, das ihr bis zu den
Knien fiel und dunklen Augen, in denen sich das flammende Rot der Lava spiegelte.
Oder waren es kleine Flämmchen, die darin tanzten?
„Ohja, es ist
wie ein Wunder! Und wer bist Du?“, ich versuchte in der nun hereinbrechenden
Finsternis diese wundersame Begegnung deutlicher zu sehen, doch sie zog sich wieder in
die Nische zurück und so konnte ich nur ein wunderbar geformtes Bein erspähen,
das irgendwo im roten Schleiergewebe verschwand. Dann beugte sie sich plötzlich
wieder nach vor, blickte in meine Augen und ich wurde ein wenig schwindelig und
versuchte mich am Fels anzuklammern.
„Ich bin
Vesuvia, die Brennende!“, ihr Lachen klang tief und heiser. Dann trat sie doch
ganz aus der Nische hervor und begann vor mit zu tanzen. Sie sah wie eine
lebendig gewordene Lohe aus, ihre schwarzen Haare flogen um sie herum und ihre
langen Armen griffen mit gierigen Fingern nach mir. Ich konnte nur starr
verharren. Sie tanzte nun um mich herum, einmal war sie hinter mir, einmal vor
mir, ihr biegsamer Leib war dauernd in Bewegung, verbog sich, umschlang mich
und rankte sich an mir empor. Ich griff nach ihr und obwohl ich das Gefühl
hatte, in glühende Kohle zu greifen, verbrannte ich mich nicht.
„Oh, sie kommt!“
flüsterte sie mir ins Ohr und deutete auf die Kaktusblüte. Diese begann sich
nun langsam zu öffnen. Die Knospe hatte sich aufgelockert, einzelne längliche
Blätter lösten sich langsam vom Kern und breiteten sich nach allen Seiten aus.
In der Mitte zitterten Staubgefäße mit kleinen roten Fäden rund herum. Es
dauerte einige Minuten, bis sich die Blüte zu einer vollendeten Blume
entwickelt hatte. Trotz der vorherrschenden Dunkelheit leuchtete das Gelb der
Blüte wie gesponnenes Gold. „Sie wird sich ganz öffnen und dann sterben! Sie
wird nur diese eine Nacht blühen, als Königin der Nacht!“
Als sich die
Blüte dann vollends geöffnet hatte, merkte ich erst, dass ich zwischen den
Felsen am Boden lag, über mir schaukelte und wand sich dieses brennende Wesen.
Sie war in mich gedrungen, hatte Besitz von mir ergriffen und es begann ein
Höllenritt, von glühenden Funken der austretenden Lava im Krater umflossen, vorbei
gleitendem Schein der sich wälzenden geschmolzenen Steinmassen und dem matten
Schein des Mondes umspielt. Als wir explosionsartig in einem gemeinsamen
Orgasmus aufgingen hörte sich ihr befreiender Schrei wie das ferne
Donnergrollen aus den Tiefen des Vulkanes an. Ich geriet in eine Art
Dämmerzustand, griff immer wieder nach oben, griff plötzlich ins Leere und
verspürte eine tiefe Sehnsucht nach Feuer und Sturm, nach Auflösung und
Vergehen.
Die Stimmen der
anderen Tourenteilnehmer kamen wieder näher, ich stand auf, raffte meine
Habseligkeiten und meine Kamera zusammen. Ich blickte mich um. Wo war nun die
Königen der Nacht, wo meine geheimnisvolle Vesuvia mit dem glühenden Körper und
dem heißen Atem der Lust? Die vielen dunklen Nischen rund um mich waren
leer, in manchen bewegten sich Schatten, jedoch nur ausgelöst durch den Schein
der glühenden Lava vor mir. Ich fühlte mich plötzlich einsam und alleine
gelassen.
Es war vergebens
nach ihr Ausschau zu halten. Waren sie und die Königin der Nacht nur eine Fata
Morgana, durch Gase ausgelöst, aus der Hitze des Vulkanes geboren?
Ich werde es im
Moment nicht lösen können; ich begrub mein Geheimnis tief in mir beim Abstieg
mit der Gruppe.
Ich dämmerte den
Rest der Nacht vor mich hin und wälzte mich auf dem breiten Bett im Hotel hin
und her. Die leichte Decke, die am Fußende lag, berührte ich kaum. Es war noch
immer eine brennende Hitze in mir, wenn ich die Augen schloss, spiegelte sich
mein Blut an der Netzhaut hinter meinen Augen wieder. Wallende Schleier erzeugten
Schwindel in mir.
Mühsam schleppte
ich mich ins Bad und starrte den Fremden im Spiegel erschrocken an. Ich war
kaum wieder zu erkennen. Ich musste mich am Waschbecken anhalten. Das kalte
Wasser auf meinem Gesicht hatte keinerlei Wirkung. Meine Stirne war heiß, die
Zunge klebte an meinem Gaumen.
Der Autobus, der
uns zum Flughafen bringen sollte, stand vor dem Hotel und der Chauffeur hatte
schon zweimal ungeduldig gehupt. Aber ich wusste, ich werde nicht mitfahren
können. Ich musste nochmals auf den Berg hinauf, ich musste erkunden, ob
Vesuvia und ihre Königin der Nacht nur eine Fata Morgana, ein Traum, waren,
oder ob es sie wirklich gab.
Die Freunde
schüttelten verständnislos den Kopf, doch ich war nicht umzustimmen, ich blieb
hier.
Abends schloss
ich mich einer der neuen Gruppen an, die ebenfalls auf den Pacaya wollten. Wir
brachen wieder in der aufkommenden Dämmerung auf. Die Stimmung der Kameraden
war erwartungsvoll und neugierig. Sie unterhielten sich angeregt und gut
gelaunt. Manchmal streifte mich ein bedauernder Blick, sie wussten nicht recht,
was mit mir los war, weil ich schweigend hinter ihnen aufstieg und mich nicht
an der allgemeinen Unterhaltung beteiligte. Ich war voller Ungeduld und wie in
Trance.
Und wieder
separierte ich mich von der Gruppe und suchte meinen Felsen, „meine“ Nische und
wartete. Wenn es Vesuvia wirklich gab, dann konnte sie nur hier sein, hier in
den dunklen geheimnisvollen Nischen, hier, ein wenig abseits von den lärmenden
Menschen. Die Dämmerung war in Finsternis übergegangen und man konnte die
glühenden Funken gen Himmel sprühen sehen. Die austretende Lava wälzte sich in
einiger Entfernung ins Tal und hin und wieder flammte Verbrennendes auf. Die
Hitze war bis hierher spürbar. Ich schloss die Augen und ließ sie auf meiner
Haut einwirken.
„Da bist Du ja
wieder!“, ihre Stimme elektrisierte mich, sie war heiser und tief, so wie ich
sie kannte. Sie stand hinter mir, ihre beiden Hände strichen über mein Gesicht,
der dunkelrote Schleier wallte um mich herum und fiel über meine Augen, alles
war nun wieder in Rot getaucht. Ihre Hände glitten langsam über mein
Gesicht, den Hals entlang und verschwanden in meinem Hemd. Sie waren
überraschender Weise kühl und ließen langsam meine Nerven vibrieren. Sie
zog mich an sich, sodass wir nun eng aneinander gepresst dastanden und sich ihr
heißer Körper an meinem Rücken reiben konnte
Meine
Nackenhaare sträubten sich, ihr heißer Atem verbrannte mir fast die Haut,
stärker als es die Hitze des fließenden Magmas vermochte. Sie hielt mich fest
und begann im Rhythmus zu ihrem tiefen, gleichmäßigen Summen mit mir zu tanzen.
Ihre langen Beine schlangen sich von rückwärts um meine Hüfte, sie bog meinen
Oberkörper sanft nach hinten, hielt einen Arm von mir nach oben und zog mich so
tänzelnd mit sich in eine der dunklen Nischen.
Hier war man dem
Vulkan noch näher, es ging tief in die Felsen hinein, man hörte das Brodeln und
Fauchen des flüssigen Gesteins, betäubende Gase kamen aus den Blasen der
brodelnden Masse.
Sie schlang
ihren Körper weiter um mich herum, ließ mich zu Boden gleiten und riss mir
voller Leidenschaft die Kleidung vom Leib. Sie ließ ihre Zunge auf meiner Brust
auf und abgleiten, ihre großen flammenden Augen versanken in den meinen und
bohrten sich bis ins Herz. Ich spürte, wie sie es umklammerte und hatte den
Eindruck sie würde es mir gleich herausreißen. Sie saß nun mit erhobenem Kopf
gerade auf mir, ihre wallende Haarmähne umhüllte sie fast ganz und ihre
glühenden pulsierenden Schenkel hielten mich fest wie ein Schraubstock!
Es wurde ein Höllenritt
dem ich nicht entgehen konnte. Meine Schreie hallten in dem Gewölbe wider, wir
brannten zusammen lichterloh. Ich klammerte mich an ihren prallen Brüsten so
fest ich konnte und verglühte. Flammen loderten rund um mich, mein Fleisch
brannte, mein Blut kochte. Meine Bewegungen wurden immer wilder fordernder und
ich spürte ein glühendes Schwert in mir, das sich drehte und Wand und meine
Eingeweide zerriss. Dann wurde sie in den Bewegungen ruhiger, aber intensiver.
Jedes Mal, wenn sie ihren Körper auf mich niedersinken ließ, blieb sie
Sekundenbruchteile über mir, um dann mit einem wilden Schrei und einem
gewaltigen Ruck auf mich nieder zu sinken. Meine Schreie hallten in der
Felsenhöhle wieder, meine Stimme versagte und ging in ein Gurgeln über. Es wird
in aller Ewigkeit so weitergehen und ich werde mit der Lava und dem heißen
Magma verschmelzen.
Als ich wieder
zu Bewusstsein kam, lag ich vor der Höhle, mein Gesicht im Geröll vergraben,
meine Haare versengt und mit Brandmalen übersät. Ich hob den Kopf und blickte
in das pulsierende Gold der geöffneten Blüte auf dem Kaktus vor mir. Die Blüte
hatte sich geöffnet und ihre zarten goldenen Blätter mit den roten Fäden rundum
bewegten sich in der aufsteigenden Hitze zart und langsam.
Ich richtete
mich ein wenig auf und mein Blick ging suchend umher. Ich suchte mein
Feuerwesen, ich suchte Vesuvia, ihren roten Schleier und ihren glühenden
Körper. Doch es war nur mehr Dunkelheit, Hitze und leises Grollen aus der Tiefe
des Kraters um mich. Ich griff nach der Blüte und riss sie an mich. Ich wollte
die Erinnerung an diese Ereignisse für mich alleine bewahren. Auch, um mir zu
beweisen, dass dies alles kein Traum, sondern Wirklichkeit war.
Beim Abstieg vom
Pacaya hatte ich Mühe, als Letzter der Gruppe nicht den Anschluss zu verlieren.
Meine Kleidung war teilweise angesengt, ebenso meine Haare und das Gesicht
geschwärzt. die mitleidigen Blicke der anderen Teilnehmer ignorierte ich
einfach.
Ich bin
zurückgekehrt in diese Welt, ich funktioniere wie eine gut geölte Maschine,
doch mein Körper fühlt sich leer und ausgebrannt an. Er wird von Lust und
Verlangen geschüttelt und verzehrt. Meine Gedanken kreisen immer wieder um den
Pacaya und Vesuvia, meiner Königin der Nacht.
Irgendwann werde
ich zurückkehren und in meiner Fantasie sehe ich mich in der glühenden Lava
vergehen, hinein gezogen von begehrlichen Armen.
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