Träume
und Täuschungen
Der
Bus ist nur halbvoll.
Ich
entscheide mich wie immer für einen Platz ganz rückwärts auf der Bank. Da kann
ich mich zurücklehnen und die Landschaft an mir vorbei gleiten lassen.
Wenn man jeden Tag
dieselbe Strecke fährt, kennt man jeden Baum, jeden Strauch und jeden größeren
Stein am Straßenrand.
Die in der Regel
gepflegten Häuser liegen meist ein wenig weiter weg vom Straßenrand und lassen
der Fantasie freien Raum.
Ich
lehne mich immer genüsslich an die Polsterung und schließe die Augen, wenn ich
spüre, dass der Bus anfährt. Einige nehmen ihre Zeitung heraus, andere wieder
ein Buch zur Hand, oder dösen ebenfalls vor sich hin.
Wir
haben eine Stunde und zwanzig Minuten Zeit, bis wir an unserer
Bestimmungsstation ankommen.
Der
Bus wird jedoch einige Male anhalten und wohlbekannte Gesichter steigen mit
einem kurzen Gruß ein.
Wir
kennen uns fast alle, fahren wir doch täglich diese Strecke und fast alle haben
ihren Stammplatz, den ihnen keiner streitig macht.
Seit
einer Woche jedoch ist alles anders. Gleich an der ersten Haltestelle steigt ER
zu.
Und
jeden Tagt stellt sich mir die Frage, wird ER heute wieder da sein?
Mir
fällt auf, dass ihn die anderen Fahrgäste überhaupt nicht beachten, wenn er
einsteigt.
Sein
Anzug ist hellblau, mit glitzernden Steinen am Revers und einem weißen
Rüschenhemd. Eigentlich für den frühen Morgen absolut nicht passend, aber es
stört nicht wirklich.
Von
dem Augenblick an, wo ER in den Bus einsteigt, fängt diese leise Musik zu
spielen an, die mir nun schon sehr gut bekannt ist. Der Bus wird langsamer,
hebt sanft ansteigend ab und schwebt mehr über die Landstraße, als er fährt.
Die
Sitze werden zu Barhockern und die Fahrerbox zu einer Bar Theke. Der Chauffeur
steht nun hinter der Theke und schenkt mit einem gewinnenden Lächeln Drinks
aus.
Die
Fahrgäste sitzen meist zu zweit ebenfalls an der Bar und prosten sich zu. Nur
die ältere Lehrerin liest weiterhin in ihrem Buch, nippt aber doch verschämt an
einem giftgrünen Likörglas.
Wer
fährt eigentlich den Bus?
Ich
lehne immer ganz am Ende der Theke, mit dem Rücken zur Wand und halte ebenfalls
ein Cocktailglas in meiner Hand. Es ist immer ein deja vu, aber jedes Mal
prickelnd und geheimnisvoll.
Mein
blauer Prinz, so nenne ich ihn inzwischen, schwingt sich auf den leeren Hocker neben
mir, nimmt meine Hand und nippt aus meinem Glas. Gleichzeitig blickt er mir
tief in die Augen und ich kann in seiner Pupille eine kleine Flamme tanzen
sehen.
Heute
kam es zu einer Störung der Idylle. Bei der vorletzten Station stiegen zwei
Männer in schwarzen Anzügen ein und musterten die Fahrgäste eingehend.
„Oh“,
sagte ER zu mir gewandt, „da sind sie wieder einmal!“
„Wer?“
fragte ich erstaunt.
„Die
Gedankenpolizei!“ flüsterte er.
Gedankenpolizei?
Was meinte er damit? Durch die Ablenkung und mein intensives Nachdenken
beeinflusst, veränderte sich wieder alles im Bus.
Plötzlich
saßen wieder alle auf ihren Plätzen und lasen in ihren Zeitungen und Büchern,
als wäre nichts geschehen. Die ältere Lehrerin hatte nun eine kleine
vorbereitete Flasche mit ihrem grünen Tee in der Hand anstelle des
Cocktailglases und nahm verschämt einen Schluck.
Auch
der Chauffeur saß wieder an seinem Platz und die Geräusche des Verkehrs nahmen
überhand. ER war verschwunden, ebenso die Bar mit ihren Hockern.
Auch
die beiden Männer in schwarz waren nirgends zu sehen und doch spürte ich ihre
Nähe.
Was
war nur mit Gedankenpolizei gemeint, sollten es meine Gedanken sein, die sie
mir vorgaukeln?
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