Lords Mutation
von Joana Angelides
Vor einigen Tagen ist
gegenüber von mir ein junges Mädchen eingezogen. Sie dürfte wohl nur nachts
aktiv sein, da bei Tag die Vorhänge immer zugezogen sind und man keine Bewegung
sieht.
Anfangs hat mich das
nicht sonderlich interessiert und ich habe nur selten von meinem Zeichenbrett
aufgeschaut. Doch irgendwie wurde dann doch meine Neugier geweckt.
Man will ja
schließlich wissen, wer so in der Nachbarschaft wohnt.
Auch Lord wollte das
ergründen. Lord ist mein Angora-Kater.
Vor ein paar Tagen sah ich ihn langsam auf dem
Geländer des Balkons balancierend, hinüberschleichen. Unhörbar und vorsichtig
sprang er vom Geländer herunter und versuchte, zwischen den Vorhängen der
Balkontüre etwas zu erspähen. Man konnte sein leises Miauen durch die offene Balkontüre
hören. Er schlich den Balkon entlang, ging wieder zurück zur Balkontüre, doch
scheinbar war nichts Interessantes zu erspähen und so kam er wieder auf dem
selben Wege zurück.
Er nahm zu meinen
Füßen Platz und rollte sich ein. Ich konnte ein, wie mir schien, unwilliges
Schnurren hören.
Und er war
angespannt, das zeigte sein Schwanz ganz deutlich. Die Schwanzspitze blieb
keinen Moment ruhig, sie ging hin und her und auch die Ohren waren dauernd in
Bewegung.
Diese Unruhe meines
Katers Lord steckte mich an. Zwischen den einzelnen Zeichnungen legte ich immer
wieder den Bleistift weg und blickte hinüber zu dem leeren, einsamen Balkon.
Heute legte sich die Dämmerung
sehr früh über die Stadt. Es war Herbst und die Tage wurden immer kürzer.
Da, eine Bewegung
gegenüber. Ein nackter Arm erschien zwischen den Vorhängen und die Balkontüre
wurde einen Spalt geöffnet.
Dieser nackte Arm
erregte mich. Es war wie eine lockende, mich fordernde und doch in die
Schranken weisende Geste. Ich stand auf und trat an die Balkontüre.
Auch Lord hatte die
Bewegung bemerkt und schoss zwischen meinen Füßen hindurch raus auf den Balkon.
Ich beobachtete ihn, wie er wieder über das Geländer balancierend auf leisen
Pfoten auf den gegenüberliegenden Balkon sprang und durch den Türspalt im Zimmer
verschwand.
Ja, so eine Katze hat
eben andere Möglichkeiten.
Ich begab mich wieder
zu meinem Schreibtisch, drehte die Lampe auf und versuchte weiter zu arbeiten.
Doch meine Gedanken waren bei Lord. Was machte er so lange da drüben?
Normalerweise war er sehr scheu, daher war diese Affinität für mein Gegenüber sehr
verwunderlich!
Inzwischen war es
dunkel geworden und meine Neugier und Ungeduld wurde immer intensiver. Ich trat
auf den Balkon hinaus und begann meinen Kater zu rufen. Da öffnete sich
gegenüber die Türe ganz und meine neue Nachbarin erschien. Auf dem Arm trug sie
Lord, der sich an sie anschmiegte und sich mit geschlossenen Augen kraulen
ließ.
Sie war bekleidet mit
einem langen schwarzen Hauskleid, sehr weit und mit glitzernden Effekten
ausgestattet, die bei jeder Bewegung kleine Lichtpunkte aussandten. Der
Ausschnitt war tief, gerahmt von Lord´s felligem Körper, der es sichtlich
genoss mit ihrer nackten Haut in Berührung zu kommen.
Ihr Lächeln war
geheimnisvoll und verhalten. Es schien durch die Dunkelheit zu mir herüber zu
leuchten. Ihre langen Haare berührten die Schultern und umrahmten ein blasses
Gesicht mit dunklen, brennenden Augen. Sie neigte den Kopf etwas seitwärts und
entließ Lord mit einer kurzen Bewegung auf den Boden, dort entdeckte ich eine weitere Katze, die neben ihren Beinen
stand und sich mit erhobenem Schwanz an ihnen rieb. Beide, Lord und diese
fremde Katze rieben ihre Köpfe aneinander und eine seltsame Vertrautheit schien
zwischen ihnen bestehen.
Sie schnurrten und
knurrten und wälzten sich schließlich auf dem Boden.
Ich hob meine Hand und deutete einen Gruß an.
Sie hob die linke Schulter und ihre kleine entzückende Hand zum Gruß.
Inzwischen war Lord
wieder auf meinen Balkon zurückgekehrt und schmiegte sich an mein linkes Bein.
Es war sozusagen eine Geste, mit der er um Entschuldigung bat für sein langes
Ausbleiben.
Wir gingen hinein und
der Abend verlief sehr ruhig. Ich las und Lord saß an der Balkontüre und
schaute unentwegt hinüber. Sie musste weggegangen sein, denn das Licht war aus und
keine Bewegung auszumachen.
Die Nacht schritt
voran, dunkel und spröde wie schwarzes Glas. Ich lag in meinem Bett und wälzte mich
hin und her. Ich hatte den Eindruck, dass diese dunklen, brennenden Augen über
mir wachten und dieses geheimnisvolle Lächeln, diese vollen Lippen, immer näherkamen.
Lord lag am Fußende
meines Bettes. Ich hörte sein leises Schnurren, das mir seltsam verändert
vorkam. Es war irgendwie lauter, unruhiger. So als würde er schlecht träumen; sofern
Katzen überhaupt träumen.
Ich sprang auf und
öffnete die Balkontüre etwas mehr, um Frischluft herein zu lassen und legte
mich dann wieder auf mein Bett. Ich lag auf dem Rücken, mit offenen Augen
starrte ich an die Decke und sah vereinzelt Lichter von draußen sich am Plafond
treffend und wieder verschwinden.
Langsam spürte ich, wie sich nun endlich der Schlaf
einstellte. Er kam wie ein Schatten über mich, senkte sich langsam auf mich
herab. Ich schloss die Augen und der
Schatten legte sich warm und weich auf mich. Ich spürte den Hauch des tiefen
Schlafes und geheimnisvolle Wesen flüsterten mir unglaubliche Worte ins Ohr.
Die Bettdecke wurde zu einem fordernden, drängenden Körper, mich umschlingend
und umschließend. Ich vermeinte weiche, warme Lippen zu spüren, die meinen Hals
berührten. Der stechende Schmerz der sich in meinen Hals bohrenden Zähne,
erschien mir wie das Liebkosen mit roten Rosen voller Dornen.
Es war ein
unglaubliches Gefühl. Es hob mich empor, und ich schwebte für Minuten zwischen
Himmel und Erde.
Dann ließ sie von mir
ab, und ihr weißes, leuchtendes Gesicht lag genau über mir.
Es war also doch kein
Traum!
Ich öffnete meine
Augen und versank in einem tiefschwarzen Augenpaar mit grünen Lichtern und
einem furiosen Feuerwerk.
Ihr federleichter
Körper löste sich von meinem, hielt über mir Sekunden lang inne, um sich dann aber
langsam und schwebend in Richtung der Balkontüre zu entfernen.
Dort saß Lord, mit
funkelnden Augen. Sein Fell war gesträubt, was bei einem Angora-Kater noch viel
mehr an Volumen erzeugt. Seine Augen zeigten ein eigenartiges Feuer und seine
Eckzähne konnte man deutlich sehen. Wie immer konnten wir unsere totale
Übereinstimmung spüren, waren eine Einheit.
Schlagartig wurde mir
klar, dass wir beide, Lord und ich, nun in eine andere Welt eingetreten sind,
die von uns noch erforscht und ausgelotet werden musste.
Dieser wunderbare
Körper, der noch vor Minuten völlig in mir aufging schwebte wie
selbstverständlich zum gegenüberliegenden Balkon und verschmolz mit der
Dunkelheit des dahinterliegenden Raumes.
Haben Sie sich schon
mal Gedanken darübergemacht, ob Vampire auch Haustiere haben?
Ich habe Lord, meinen
Kater.
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