Die
alte Mühle
Nun habe ich diese alte Mühle geerbt, in der ich viele Stunden meiner Kindheit verbracht habe.
Solange ich denken konnte, gehörte
dieses alte Haus Emmy, einer alten Tante von Mama. Oder war sie aus der Familie
von Papa?
So genau habe ich das nie
erfahren, auch nicht erfahren wollen.
Eigentlich war sie mir immer
unheimlich und doch zog es mich immer wieder hier her. Sie erzählte mir
Geschichten aus ihrer Kindheit, mit vielen unheimlichen Gestalten darin.
Manchmal, wenn ich mich dem Hause näherte, hörte ich sie mit ihnen reden, als
wären sie gerade da.
Bei Tage hatte sie immer die
Vorhänge vorgezogen und sie verließ das Haus selten und wenn, dann in den
Dämmerstunden.
Der alte Herbie vom Delikatessengeschäft
aus dem Dorf brachte ihr jahraus und ein die Lebensmittel zum Haus und stellte
sie bei der Treppe zur Haustüre ab. Damals war er noch ein junger Mann, wurde
im Geschäft angelernt und zu solchen Botendiensten herangezogen. Er nahm
dann immer gleichzeitig ein Kuvert mit dem Bestellzettel
für die nächste Woche mit. In dem Kuvert lag immer Geld und er verrechnete es
von Woche zu Woche und legte das Restgeld bei der Lieferung hinein.
Unsere kleine Stadt war damals
noch ein kleines Dorf und es war unvermeidlich, dass die Leute über sie
redeten. Doch es machte ihr nichts aus. Meine Besuche bei ihr waren für sie die
einzige Abwechslung.
Im Frühjahr tauchte immer
Andreusz, ein hoch gewachsener, kräftiger Mann bei ihr auf, der in dem hinteren
Zimmer sein Quartier bezog.
Er machte alle anfallenden
Arbeiten, reparierte das Dach oder besserte das Mühlenrad aus. Doch auch er
arbeitete gerne in den Abendstunden, bei Tage war er im Haus und zog sich in
den Keller zurück, wo eine Werkbank stand. Am Ende des Herbstes war er immer
verschwunden und niemand wusste, wohin er ging.
Ich saß dann gerne in der Ecke am Boden
und schaute ihm zu, wie er mit gleichmäßigen Bewegungen Bretter hobelte oder an
irgendwelchen Metallstücke herum hämmerte. Meist hielt er nach einer Weile
inne, legte seine Werkzeuge weg und blickte mich an.
„Was suchst du da, so ein hübsches kleines
Mädchen! Warum spielst du nicht mit den anderen unten am Fluss?“
„Mir gefällt es hier bei Dir. Erzähl mir
wieder über das Schloss vom schwarzen Ritter Tejo, wie er den Drachen besiegt
hat. Oder von den Kämpfen von Eckhardt dem Einäugigen!“
„Die habe ich dir schon Hunderte
Male erzählt. Aber ich werde dir heute von einem Grafen erzählen, der weit weg
auf einem wunderschönen Schloss gewohnt hat.
Der Graf hatte alle Bedienstete
immer sehr lange für ihn arbeiten lassen und wenn sie nicht gehorchten, dann
hat er sie in sein Verließ verschleppt und niemand hat sie je wieder gesehen.
Man hat viele Jahre später ihre Knochen dann hinter dem Schloss gefunden, in
einer Grube.
Es heißt er hat ihr Blut getrunken
und ihre Seelen mit in die Hölle genommen!“ Er lachte laut als er
diese Geschichten erzählt und mich überkam dann immer so ein angenehmes
Gruseln. Manchmal sprang ich auf und lief weinend zu Emmy und diese schimpfte
dann immer mit Andreusz.
„Erzähle dem Kind nicht immer
solche schaurige Geschichten! Die nicht einmal wahr sind!“
„Sie hört sie aber doch gerne!“
Brummte er dann oft und sah mich mit einem seltsamen Blick an.
Dann wandte er sich mir meist zu.
„Das sind alles nur Geschichten,
Jahrhunderte alt und keiner weiß, ob sie auch wahr sind. Aber man erzählt sie
halt. Wenn du nur etwas älter wärst, wir würden uns schon verstehen!“
Und manchmal kam er mir dabei sehr
nahe und ich konnte seine dunklen Augen in seinem Gesicht brennen sehen.
„Ich werde warten, denn eines
Tages wirst du das besser verstehen!“
Natürlich wartete ich schon jedes
Frühjahr darauf, dass Andreusz wieder kam. Jedes Jahr übte er die gleiche
Faszination auf mich aus.
Im Winter, wenn es abends schon
dunkel wurde und ich bei Emmy auf Besuch war, schlich ich mich in den Keller
zur Werkbank, in der Hoffnung er wäre da. Obwohl ich manchmal Geräusche von
unten zu hören glaubte, war der Keller jedoch kalt und leer.
Und doch, es war mir oft, als
würde Jemand unten wohnen, schemenhaft an mir vorbei gleiten oder durch eine
der Türen im Keller verschwinden. Es war mir als würde Licht flackern, von
Kerzen verursacht.
War da nicht ein Lachen zu hören,
dieses dunkle und doch amüsierte Lachen von Andreusz?
Ich sprach Emmy darauf an doch sie
lachte mich aus.
„Wer soll dort unten wohnen, ist
alles leer!“
Unser Haus lag auf dem gegenüber
liegenden Hang und es war ein kleiner Bach und ein paar dunkle Nadelbäume
dazwischen, die teilweise die Sicht versperrten.
Ich erinnere mich an eine Nacht,
in der ich nicht schlafen konnte und am Giebelfenster meines Zimmers saß. Ich
vermeinte drüben bei Emmy flackernde Lichter hinter den Fenstern zu
sehen. Das Haus war wie von dunklen Schleiern umwoben und es war mir
als würden aus dem Schornstein hilfesuchend Hände heraus ragen. Doch das mussten
die Wolken sein, die teilweise den Mond verdeckten und dann wieder
verschwanden. Ich war so erschrocken über meine Fantasie, dass ich das Fenster
schloss und den Vorhang zuzog.
Am nächsten morgen, es war
ein Sonntag ging ich zu Emmy. Sie saß im Schaukelstuhl beim Ofen und summte vor
sich hin.
Ich erzählte ihr meine
Beobachtungen.
„Du hast sicher was Schlechtes
geträumt, mein Kind. Ich bin gestern schon sehr zeitig zu Bett gegangen und es
war niemand da. Diese Hände, das wird der Rauch vom Kamin gewesen sein!“
Ja, wahrscheinlich war es so.
Die Jahre vergingen, die Sommer
kamen, mit ihnen immer Andreusz. Ich fragte mich, wie es sein
konnte, dass weder Emmy noch er, in all diesen Jahren alterten. Gut, Emmy war
schon immer alt, aber Andreusz blieb in meinen Augen immer der kräftige, gut
gebaute Mann, so Mitte Vierzig, mit vollem Haar und er hielt sich auch all die
Jahre immer aufrecht.
Als ich einmal als junges Mädchen
dies zu meiner Mutter sagte, schaute sie mich erschrocken an und verbot mir zu
Emmy zu gehen, wenn Andreusz wieder da war.
Doch ich lachte nur und ging
weiterhin hinüber. Doch sah ich ihn von nun an mit anderen Augen. Ich stellte
fest, dass er eigentlich ein sehr gut aussehender Mann war. Naja, vielleicht
ein wenig schweigsam, doch wenn ich so das Muskelspiel seiner Arme beim Hacken
des Holzes für den Winter sah, stellte ich Vergleiche mit den
anderen Männern aus unserem Freundeskreis an und da schnitten die schon
schlechter ab.
Wenn ich mich nun so in die Ecke
auf den ersten Treppenabsatz setzte und versuchte, von ihm wieder Geschichten
zu hören, hörte ich nun auch auf den Klang seiner Stimme. Sie drückte an
manchen Tagen düstere Landschaften aus, mit kämpfenden Horden
und Heerscharen der Hölle, von Hexen, die am Scheiterhaufen
verbrannten. Dann gab es wieder Tage, da erzählte er von Rittern, die um schöne
Damen kämpften, da bemerkte ich auch weichere Farben und Zeichen in seinen
Augen.
Ein einziges Mal berührte er mich,
als ich fast über die Treppe gestürzt wäre. Er fing mich auf und für einen
Moment hielt er mich fest und sein Mund war meinem Hals so nahe, dass ich
seinen Atem spüren konnte.
Er stellte mich jedoch sofort
wieder hin und brummte, ich solle doch besser aufpassen.
Nun war Emmy verunglückt. Sie war
eben diese Treppe im Keller hinunter gestürzt und hat sich den losen Eckpfeiler
unten durch die Brust gestoßen.
Sie muss sofort tot gewesen,
erzählte der Arzt. Ich war für einige Tage verreist und als ich zurückkam, war
auch das Begräbnis bereits vorbei.
Ich stand nun hier und
lauschte in die Stille des Hauses. Es wird sicher nicht leicht sein, einen
Mieter für das Haus zu finden. Zu viele Geschichten ranken sich um die alte
Mühle. Das Klappern des Rades war auch nicht Jedermanns Sache.
Da war es wieder, dieses Geräusch
im Keller. Ich ging kurz entschlossen zur Kellertüre und öffnete sie. Die
Treppe war noch immer nicht repariert, der abgebrochene Pfosten lag unten und
es zog mich mit aller Kraft hinunter.
Ich stieg zögernd und langsam
hinab und blieb dann unten stehen. Woher kam der Luftzug, es musste irgendwo
ein Fenster offen sein.
Und da stand er! Er stand an der
Wand und löste sich langsam aus dem Schatten. Seine breiten Schultern, seine
hohe Gestalt füllten den ganzen Raum aus.
„Hallo, Kleines, da bist Du
ja!“
Ich starrte ihn an. Wieso war er
da? Es ist doch Winter und eigentlich sollte er erst im Frühjahr wiederkommen.
Ich stand wie erstarrt da und
konnte meine Augen nicht aus den seinen lösen. Sie waren noch dunkler, als sie
sonst immer waren, im Hintergrund sah ich eine kleine Flamme lodern Er hob
beide Hände an und legte sich auf meine Schultern.
„Ja, du bist nun wirklich eine
schöne Frau geworden! Ach, wie lange habe ich auf dich gewartet, sah dich zum
Mädchen, dann zur jungen Frau werden. Ich bin nun da, um dich zu mir zu holen.“
Ich wich einen Schritt zurück,
wollte weglaufen, doch war ich bewegungslos, ja wirklich fasziniert von seiner
Wandlung.
Plötzlich erschien er mir als der
lange erwartete Eroberer, mein Prinz, der Held meiner Jugend.
Ich schloss meine Augen und ließ
es geschehen, dass er mich umfasste, sein Gesicht an meinen Hals legte. Ich
hörte ihn flüstern und Worte sprechen, die ich ihm nie zu getraut hätte.
Es war dann vollkommen logisch und
erwartet von mir, als ich einen kleinen Schmerz seitwärts an meinen Hals spürte
und wusste, dass sich unser Blut für ewig verbunden hatte.
Ich werde die Mühle nicht
vermieten, ich werde selber hier einziehen, ich werde das Vermächtnis von Emmy
übernehmen.
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