Die kleine Hexe Samantha ging ganz betrübt durch den
Märchenwald nach Hause ins Schloss.
Heute hatte sie in der Schule die Lehre von den Kräutern abgeschlossen.
Aber es waren so viele Kräuter, wer sollte sich
das alles merken? Sie hatte über das Wochenende frei und am Montag
war die große Prüfung, das heißt, sie
musste über das Wochenende noch viel
lernen,
Da es sehr warm war und die Sonne auf der Lichtung schien, setzte sie sich am
Fuße der großen Tanne nieder um
auszuruhen. Als sie nun so da saß, beschloss
sie einige der Kräuter auszuprobieren, um dann bei der Prüfung gute
Noten zu bekommen. Sie öffnete ihre Tasche und nahm das Kräuter-Schulbuch
heraus. Sie blätterte eine Weile darin und beschloss dann einen Trank aus Baldrian und Melisse zu
brauen. Dieser Trank sollte beruhigend wirken und kann sicher keinem schaden,
dachte sie.
Außerdem gab es da auch noch Hirse und Malz und Honig, da
konnte man ein würziges Honig-Bier herstellen, das sicher den Kobolden gut
schmecken würde. Ganz aufgeregt machte sie das Buch wieder zu, verstaute es in
der Tasche und lief zum Feenschloss. Sie musste die Köchin noch erreichen,
bevor diese die Küche schloss und zum
Mittagsschlaf ging. Bevor sie jedoch ins Schloss ging, musste sie noch im Wald die nötigen
Kräuter holen.
Als sie die Küche betrat waren schon alle emsig dabei, die
Töpfe und Pfannen, die Teller und Gläser in die Regale zu verstauen. Alles war
bereits abgewaschen und abgetrocknet und die Küche war blitzblank geputzt.
„Was willst du denn?“ fragte die Köchin misstrauisch. Wenn
die Köchin die kleine Hexe Samantha zu Gesicht bekam, hatte sie immer das
ungute Gefühl, es wird sicher sofort irgendwas passieren. „Ach ich muss für die Prüfung am Montag noch was praktisch
ausprobieren, kann ich nur ganz kurz in der Küche etwas Wasser aufkochen und
Kräuter darin ziehen lassen.“
„Wasser aufkochen?“ Die Köchin runzelte die Stirne und dachte
nach. Also, wenn sie nur Wasser aufkochen will, kann eigentlich nichts
passieren, dachte sie. Aber sie wollte trotzdem schon den Kopf schütteln.
„Ach bitte!“ sagte Samantha in diesem Augenblick und ihre
großen Augen sahen die Köchin so flehentlich an, da konnte diese nicht „Nein“
sagen. „Also gut, aber halte dich nur hier in diesem Bereich auf. Hier hast du
einen Topf für das Wasser und eine Schüssel für die Kräuter. Nachdem du fertig
bist, stelle den Topf und wasche die
Schüssel gut aus und stelle sie hier her.“ Sie zeigte mit den Fingern genau auf
die Stelle, wo sie die beiden Geschirre stehen haben wollte.
„Und hast du vielleicht auch zwei Flaschen, wo ich dann die
Kräutersäfte hinein gießen kann?“ „Ja, hier.“ Sie zeigte auf ein Regal mit
lauter leeren Flaschen, „Nimm dir was du brauchst, aber ich will diese Flaschen
nach deiner Prüfung wieder zurück haben!“ Sie erhob ihre Stimme ein wenig, um
ihr einen drohenden Klang zu geben. „Ja, natürlich, oh ich danke dir vielmals.“
„So ich gehe jetzt und ruhe mich aus, wenn ich wiederkomme, möchte ich dich
hier nicht mehr sehen!“ Sie drehte sich um und verließ die Küche.
Samantha breitete die mitgebrachten Kräuter fein säuberlich
auf dem Tisch aus und wusch dann jedes einzelne sehr sorgfältig. Sie ließ sie die Kräuter in einem Sieb
abtrocknen. Nun stellte sie Wasser auf den Herd und wartete bis es kochte. Sie
nahm die gewaschenen, in einem Tuch
abgetrockneten Baldrianblätter und die Melisse und legte sie in eine Schüssel.
Dann nahm sie den Topf mit dem kochenden Wasser und machte den Aufguss. Baldrian war ja fast eine Medizin, es wirkte
beruhigend und half bei Schlaflosigkeit. Sie holte rasch das Kräuterbuch heraus
und schaute nach, wie lange die Kräuter ziehen mussten. Das schrieb sie auf
einen Zettel und legte ihn daneben. Sie
nahm die anderen Kräuter für das Kräuterbier und mischte es genau nach den
Angaben des Buches und suchte, obwohl ihr die Köchin verboten hatte in der
ganzen Küche herum zu gehen, etwas Honig von den Bienen des Waldes und gab
einen großen Löffel Honig dazu. So, das musste
nun einmal gären. Aber so viel
Zeit hatte sie nicht, sie musste schon heute
Nachmittag die Küche verlassen!
Während nun die beiden Schüsseln mit den Kräutern so
dastanden, der Baldrian musste ziehen, das Bier sollte gären, überlegte sie
sich, dass ein kleiner Zauberspruch aus ihrem Zauberbuch helfen würde, dass das
Honigbier schneller gären würde. Sie schloss die Augen und dachte nach. Wie war
doch der Spruch, der die Zeit übersprang und die Minuten zu Sekunden und die
Stunden zu Minuten machte?
„Chronos multipassos, abradrum“
Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen sah sie schon wie
sich in der Schüssel die Flüssigkeit verdoppelte und die Kräuter zerfielen und
sich oben ein Schaum bildete.
„Es hat geklappt“
jubelte sie und klatschte in die Hände. Aber jetzt musste sie das alles noch in
Flaschen füllen! Sie nahm sich einige Flaschen vom Regal und füllte das Bier
dort ein, verschloss die Flaschen mit Korken und verstaute sie in ihrer
Schultasche.
Sie nahm auch eine Flasche für den Baldriansaft. Doch leider
war diese Flasche zu klein, es blieb
etwas Flüssigkeit übrig, sie wollte den Rest aber nicht wegschütten,
sondern suchte ein Glas oder eine Schale. Ach, da stand ja eine
Porzellanschale, gleich neben dem Herd. Dort hinein goss sie den Baldriansaft.
Sie wollte diesen Rest dann später abholen, weil sie nicht alles tragen konnte.
Es war ihr zu schwer.
Sie hatte allerdings nicht bemerkt, was auf der Rückseite der
Schale stand: NUR FÜR KÖCHIN. Es war die Kaffeeschale der Köchin.
Nachdem sie alles abgewaschen und wieder an den Platz
gestellt hatte, verließ sie die Küche, um die Flaschen für Montag
aufzubewahren. Sie war ganz sicher, nun die Prüfung zu bestehen, weil sie ja
auch mit praktischen Beispielen aufwarten konnte. Dann überlegte sie aber, dass
sie nun die schweren Flaschen hinauf in den Schlafsaal schleppen musste und am
Montag wieder runter tragen musste. Sie beschloss, die Flasche mit dem
Baldriansaft in der Schultasche zu belassen, aber den Honigwein im Wald zu
verstecken und am Montag dann zur Schule mitzunehmen. Sie ließ die Schultasche
in der Küche stehen und ging mit den Bierflaschen hinaus in den Wald bis zur
großen Tanne und versteckte sie dort in der Wurzelhöhle. Sie deckte sie mit Laub zu und war sehr zufrieden.
„Was versteckst du da?“ hörte sie plötzlich hinter sich eine
leise Stimme. Es war die Schlange Birr. Diese hing am letzten Ast der
Tanne faul herunter und hatte wie immer
nur ein Auge offen, mit dem sie aber alles sah.
„Ach ist nur ein Experiment für die Schule, nichts
interessantes.“ sagte Samantha. „Ein Experiment?“ rief da der Kobold, der
zugehört hatte. Er wohnte auf der anderen Seite des Baumes und beobachtete
immer alles, was rundherum geschah. „Ja
und lass das in Ruhe dort liegen, es ist nur Limonade“, sagte Samantha und ging
zurück zum Schloss.
„Soso, Limonade“, sagte der Kobold und näherte sich den
Flaschen neugierig. Bei einer Flasche war der Kork sehr lose und er roch daran. Es roch süß und ein wenig
würzig. Er fuhr mit den Fingern am Kork entlang und steckte diesen dann in den
Mund. „Oh, schmeckt aber gut“, sagte er dann.
„Was schmeckt gut?“ fragte das Eichhörnchen, das eben nach
Hause kam und den Stamm entlang zu seinem Nest laufen wollte. „Na die Limo von
der kleinen Hexe“, sagte der Kobold. „Wo ist eine Limo?“ fragte da der kleine
Hase Haseputz. Er hoppelte gerade so im Wald herum und suchte Freunde zum
Spielen und Limonade trank er für sein Leben gerne.
Im Nu hatten sich einige Tiere des Waldes versammelt und alle
wollten die Limonade kosten. „Die Flaschen gehören euch nicht, lasst sie in
Ruhe“, rief die Amsel, die gerade vorbei flog. Doch in diesem Augenblick hörten
sie „Plup“ und der Stoppel flog aus der Flasche heraus. Alle liefen weg und
schauten ganz verschreckt. Das Bier gärte
immer noch und der Stoppel war nicht fest genug im Flaschenhals. Durch das
Bewegen des Koboldes flog er in hohem
Bogen heraus und das Getränk schäumte heraus.
Der Kobold lief zurück und hob die Flasche in die Höhe. Er
konnte nicht widerstehen, die vermeintliche Limonade mit seinem Mund aufzufangen.
Wäre ja schade gewesen, wenn die gute Limonade verloren ging. „Oh, das ist aber
eine seltsame Limo“, sagte er und machte noch einen kräftigen Schluck aus der
Flasche. „Lass mich auch kosten“, rief das Eichhörnchen. Sie tranken beide aus
der Flasche und schnell war die Flasche leer.
Da kam der Bär vorbei und wunderte sich, dass alle im Kreise
standen und auf den Kobold blickten. „Was ist denn hier los?“ brummelte er.
„Samantha hat eine wunderbare Limo gemacht und wir haben sie gekostet! Uuups!“ sagte
der Kobold. „Ja, smeckt, smeckt guuuut“, lallte das Eichhörnchen. „Gib mir auch
eine Flasche, muss ja eine tolle Limo sein, wenn ich euch so anschaue!“ Der Bär
griff nach der nächsten Flasche öffnete den Korken und trank diese mit einem
Zug leer.
„Wow, die schmeckt ja phäno... phäno... phänomenal!“ stellte
der Bär fest und musste sich niedersetzen. Er saß nun mit dem Rücken zum Baum
und seine Augen rollten rundherum. Der Kobold lag auf dem Rücken gleich neben ihm und seine
Zipfelmütze ist ihm über das Gesicht gerutscht. Die Schlange Birr ließ sich
langsam vom Ast herunter und schlängelte sich durch das Gras zu der liegenden Flasche neben dem Kobold.
Mit ihrer langen Zunge leckte sie den Rest aus der Flasche, die neben dem
Kobold lag und verdrehte beide Augen. Nach einer Weile konnte sie sich nicht
mehr auf den Ast hinauf ziehen und blieb
auch im Gras liegen.
Papa Hase kam herbei und konnte grade noch im letzten
Augenblick Klein-Haseputz daran hindern, ebenfalls von der Flasche zu trinken.
Nachdem er davon nur gekostet hatte, stellte er fest: „Ist aber stark, diese
Limonade.“
Ein paar Bienen kamen auch herbei, sie hatte der Duft des
Honigbieres angelockt und sie naschten an den Tropfen auf der Flasche. Als sie
wieder zurück flogen, machten sie einige Loopings und trällerten laut vor sich
hin. Aufmerksam geworden durch den Lärm im Märchenwald kam auch Frau Eule
herbei geflogen und setzte sich auf den untersten Ast der Tanne. Mit ihren
großen Augen betrachtete sie erstaunt das Treiben zu Füßen des Baumes und auf
der Lichtung.
„Ah, ihr seid ja alle von diesem Bier beschwipst!!“ rief sie
empört. „Oh, das ist Bier?“ brummelte der Bär und betrachtete die Flasche
genauer. „Ja, und durch die Sonne und wahrscheinlich wieder unrichtigen
Hexenspruch von Samantha ist das ein ganz starkes Getränk geworden! Hört sofort
auf und lasst die Flaschen in Ruhe!“
rief sie streng. Doch leider war es schon zu spät. Jeder der von der
vermeintlichen Limo gehört hatte kam herbei und wollte sie kosten. Im Nu waren
alle Bewohner des Waldes beschwipst.
Auch die Waldfeen eilten herbei und staunten. Alles bewegte
sich, alles lief im Kreis herum oder stolperte über Grashalme und fiel hin.
„Schnell Silja, fliege zurück und sage der Köchin, sie soll eine Suppe für alle
kochen, mit viel Reis drin, die müssen dann alle essen!“ sagte Fari, die
Älteste der Feen, die erkannt hatte, was los war.
Silja flog zurück zum Schloss, kam aber gleich wieder. „Ach,
die Köchin sitzt in der Küche und ist nicht wach zu kriegen, sie schläft! Sie
hat den Baldriansaft von Samantha ausgetrunken, der in ihrer Schale war und
jetzt wird sie schlafen bis morgen früh! Der Saft war so stark, dass er als
Schlafmittel wirkt!“
„Samantha!!!!!“ rief Fari die Fee in den Wald hinein. Doch
Samantha, die durch den großen Wirbel im Wald und in der Küche schon alles
wusste, hatte sich im Wald versteckt. Sie wollte warten bis der Bär in seine
Höhle kam, um sich auszuschlafen. Sie
wollte sich dann hinter ihm verstecken.
„Ach“, dachte sie, „warum gelingt mir kein Zauberspruch?!“
Die Feen bemühten sich nun alle gemeinsam mit den Elfen die Tiere des Waldes zu
ihren Behausungen zu bringen und schärften ihnen ein, bis morgen früh zu Hause
zu bleiben. Frau Kobold griff herzhaft zu und packte ihren Mann am Hemdkragen
und zerrte ihn gleich in die Höhle neben den Wurzeln hinein und man konnte
durch den ganzen Wald ihre Stimme hören. Die Schlange Birr blieb gleich im Gras
liegen und schlief dort ein. Nur das Eichhörnchen hatte es gerade noch
geschafft, ihre kleine Baumwohnung zu erreichen und plumpste hinein.
Auch der große Bär rappelte sich hoch und schwankte von Baum
zu Baum zu seiner Höhle. Die kleine Hexe Samantha bemerkte er gar nicht. Sie hatte sich ganz hinten in der Höhle
versteckt.
Heute Abend und die
ganze Nacht über war es unheimlich still im Märchenwald.
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