Montag, 2. Juli 2018

Das Gesteck, unheimlich


Das Gesteck
von Joana Angelides 


Unheimliche Geschichten

Sie stand einen Moment lang bewegungslos  in der halb geöffneten Türe, das Licht im Rücken und zögerte einzutreten.
Ihr Körper war schlank und wurde von einem  eng anliegenden, halblangem Kleid in schwarz mit beige farbenen Streifen, äußerst vorteilhaft betont.
Mein geschultes Auge für Stoffe und deren Verarbeitung erkannte den edlen Schnitt und die äußerst penible Anordnung der Streifen sofort und ich wusste, hier stand eine Dame von Welt, die auch wusste was sie wollte.
An diesem Morgen war sie die erste Kundin und ihre Anwesenheit  unterbrach auf angenehme Art und Weise die Stille, obwohl sie bisher kein Wort gesprochen hatte und nur so dastand.
Es gab Menschen, die durch ihre bloße Anwesenheit einen Raum völlig ausfüllen konnten und sofort jegliche Aufmerksamkeit an sich zogen; sie gehörte offensichtlich dazu.

Ich machte einen Schritt nach vor und eine einladende Handbewegung. Ich wollte sie nicht wieder gehen lassen, sie faszinierte mich.

Sie nahm die Aufforderung an und kam langsam und ein wenig zögerlich weiter in den Raum. Das kleine Glockenspiel an der Türe begleitete sie und zum ersten Male fiel mir auf, wie melodisch es klang.

Meinen Gruß erwiderte sie mit einem kleinen Nicken des Kopfes und dann wandte sich  den auf dem Tresen liegenden Stoffballen zu. Ich konnte ihre Augen nicht sehen, sie trug einen breitkrempigen Hut, der ihr halbes Gesicht bedeckte.

„Wenn sie mir sagen, was sie suchen, kann ich ihnen helfen“, ich musste mich räuspern, anscheinend hatte ich einen Kloß im Hals.

Sie hob ihre Hand und machte eine unbestimmte Bewegung, dann öffnete sie ihre große Handtasche, stellte sie auf den Tresen und nahm ein Stück Stoff heraus. Er war blau und aus feinster Seide, wie mein Kennerblick sofort feststellte. In Stoffen kannte ich mich aus, auf einen Blick konnte ich die Qualität bestimmen. Es lag immer daran, wie ein Stoff in der Hand lag, oder  wie sich der Faltenwurf  bewegte, auf den Glanz oder die Webart.

„Ich benötige Stoff für ein Kleid, in dieser Qualität und in der Farbe  hiezu passend. Es soll ein Kleid für einen ganz  besonderen Anlass werden, chic und zeitlos. Das Muster hier ist von  einem bereits vorhandenen  Jäckchen meiner Großmutter, ein Nostalgiestück! Ich will dieses Kleid  lange tragen und es soll meiner Figur schmeicheln. Nur reine Seide, die sich nicht verdrückt“, sie lächelte „für die Ewigkeit bestimmt, sozusagen!“

Ihre schlanken Finger ließen das Stoffmuster auf die glänzenden Platte des Tresen gleiten und zum ersten Mal hob sie den Kopf etwas und ich konnte in ihre Augen sehen.
Es waren große, ein wenig schräg geschnittene grüne Augen mit braunen Punkten darin, halb beschattet durch unglaublich lange Wimpern.
Ihr Gesicht war schmal und sehr blass, die etwas hoch stehenden Backenknochen waren dezent mit Rouge bedeckt, ebenso der Mund. Sie hatte die dunklen Haare zu einem Knoten im Nacken gebunden, sodass der Hut etwas nach vorne gerückt schien.
Ich bemerkte erschrocken, dass ich sie unentwegt anstarrte.
Sie musste meinen starren Blick bemerkt haben, denn sie senkte  ihren Kopf wieder, sodass  die, mit drei Rosen verzierte Krempe ihres Hutes  nur mehr ihren fein nachgezeichneten zartrosa farbenen Mund frei gab.

„Oh, da werden wir sicher etwas finden“, meine Stimme zitterte doch nicht?
Ich nahm das Stoffmuster in die Hand und stellte fest, dass ich mich betreffend die Qualität keinesfalls geirrt hatte, es war reinste Seide. Mein Blick glitt über die Regale hinter mir und blieb an einer Reihe von Stoffballen hängen, die in der Qualität und vielleicht auch in den Farben  passen könnten.

„Darf der Stoff auch ein Muster haben, oder soll er uni sein?“
Ich drehte mich zu ihr hin und fühlte ein Gefühl von Schwindel, der mich erfasste, so  faszinierend war der Anblick ihrer Gestalt.
Sie hatte sich am Ende des langen Tisches leicht angelehnt, die Hüfte eingeknickt und  ihren Kopf seitwärts gebeugt. Das Sonnenlicht trat durch die Auslage in den Raum und umschloss ihren Körper wie eine sichtbare Aura. Ich hatte solche Erzählungen darüber  bisher nur als Einbildung abgetan, doch zum ersten Mal in meinem Leben bemerkte ich selbst eine solche  Aura bei einem Menschen. Sie war wie ein sie umgebender  Strahlenkranz und  schien aus fließendem Gold zu sein.
Sie war offensichtlich in Gedanken versunken, denn sie erschrak ein wenig und richtete sich auf.

„Ohja, er kann ruhig ein  dezentes Muster haben. Vielleicht in sich gemustert, in derselben Farbe?“

Mein Blick glitt suchend über das Regal und ich fand einen Ballen mit grüner, dunkler Seide. Er war mit kleinen, unregelmäßig verstreuten Dreiecken bedeckt, die je nach Bewegung andersartig glänzten. Das dunkle Grün passte wunderbar zu dem ebenfalls dunklen Blau des Musters, aber besonders zur Farbe ihrer Augen.

Ich legte  den Stoffballen auf die Platte des Tisches und streute gekonnt elegant einen Teil des Stoffes über die Fläche.
Sie griff danach und betrachtet den Stoff eingehend und interessiert.
„Ja, er gefällt mir, es ist sogar meine Lieblingsfarbe, “ sie nickte zustimmend und ließ den Stoff über ihre Hand gleiten, „hier ist eine Notiz meiner Schneiderin, bitte schneiden sie mir genau nach diesen Angaben den Stoff herunter.“
Besonders liebevoll  faltete ich den Stoff und stelle mir vor, wie er ihren Körper umfließt,  wie er jede ihrer Bewegungen betonen wird. Stellte mir auch vor, wie elektrisierend es sein musste, sie eingehüllt in diesen kostbaren seidenen Kokon, zu umarmen!

„Sie machen auf Bestellung auch passende Blumengestecke aus den Stoffen? Kann ich da gleich eines bestellen?  Aber es muss genau am 25.Juni um 12.ooh Mittag geliefert werden! Es soll eine Überraschung werden! “
„Ja  natürlich! Wenn Sie sich hier etwas aussuchen...“   Ich legte ihr einen Katalog mit Blumengestecken für Kleider, Mäntel und Hüte vor.
Sie studierte jede Seite genau und suchte sich dann ein  sehr aufwendiges Gesteck aus.  Eigentlich zu groß für ein Kleid und für meinen Geschmack. Doch einerseits ist der Kunde König und andererseits, wenn ich  es mir so überlegte, musste es doch wunderbar zu ihr und dem Kleid passen.

Als sie bezahlte, überreichte sie mir  auch ihre Visitenkarte und schrieb auf die Rückseite eine Adresse dazu.

„Die Lieferung des Gesteckes muss an diese Adresse erfolgen und persönlich zu meinen Händen erfolgen! Bitte beachten Sie genau meine Anweisungen, es ist äußerst wichtig!“

„Ja, natürlich. Ich werde das Gesteck zum gewünschten Termin wie gewünscht liefern! Ich danke für Ihr Vertrauten und würde mich freuen, wenn ich Sie weiterhin als Kundin bedienen dürfte!“

Ohne darauf näher einzugehen, streckte sie mir ihre schlanke Hand hin und ich hauchte einen zarten Kuss darauf. Ihre Finger waren kalt und übten nur einen leichten Druck aus.

Sie verließ den Laden und hinterließ einen zarten Duft nach verblühenden Rosen, der sich noch lange hielt. Das Glockenspiel der Türe  klang diesmal nicht mehr so melodiös, als vorher. Anscheinend bedauerte es auch, dass sie ging.

Ich schüttelte den Kopf über solche unsinnige Gedanken und rollte den restlichen Stoff auf den Ballen, nicht ohne vorher die im Katalog angegebene Menge für das Gesteck herunter zu schneiden. Meine Hände liebkosten noch eine Weile den Stoff und ich träumte wieder von einem wundervollen Körper, der von ihm umschmeichelt und umflossen wird.

Gewissenhaft trug ich den Termin für die Lieferung in meinen Kalender ein und füllte die Order für das Gesteck aus. Ich schrieb ihren Namen darauf und stellte fest, es war ein wundervoller Name und er passte genau zu ihr.
Die angegebene Lieferadresse kam mir bekannt vor, ich konnte sie jedoch nicht einordnen.
In den folgenden Tagen wurde ich immer wieder an sie erinnert, denn  ich hatte ihre Visitenkarte im Kassenfach deponiert und so fielen meine Blicke immer wieder darauf.

Bereits zwei Tag vor dem gewünschten Liefertermin langte das Gesteck bei mir ein und ich ließ es auf dem Tresen liegen. Es war in einer steifen, durchsichtigen Hülle verpackt und so konnte ich mehrmals am Tage meine Blicke drüber streifen lassen. Jedes Mal liefen angenehme Schauer über meinen Rücken.
Es war sehr füllig ausgefallen, die kleinen weißen Perlen der Staubgefässe in den Blüten leuchteten und die Goldfäden, die sich aus dem Dickicht der Blätter erhoben zitterte manches Mal, wenn ich vorüber ging.

Der Morgen des 25.Juni war grau und regnerisch. Ich legte das Gesteck auf den Beifahrersitz meines Wagens und machte mich auf den Weg. Die angegebene Adresse lag etwas außerhalb der Stadt und der Verkehr wurde immer schwächer. Als ich in die angegebene Straße einbog, wusste ich sofort, wieso mir die Adresse so bekannt vorkam.
An dieser Adresse befand sich ein Friedhof. Ich fuhr an den Straßenrand und stellte fest, dass gerade ein Begräbnis stattfinden musste.  Da es aber bereits fünf Minuten vor dem angegebenen Termin war, beeilte ich mich mit dem Gesteck den kleinen Weg hinauf zu kommen.
Ein schwarz gekleideter Ordner kam mir geradewegs entgegen und wollte mir das Gesteck abnehmen.
„Nein, ich bin kein Trauernder, ich suche diese Frau, sie hat mich herbestellt und ich soll es nur ihr persönlich übergeben!“ Gleichzeitig streckte ich ihm die Visitenkarte entgegen.
Er las langsam den Namen, blickte mich erstaunt an und bedeutete mir dann, ihm zu folgen.
Wir gingen geradewegs in die Leichenhalle hinein. Sie war bis auf den letzten Platz besetzt und leise Orgelmusik hatte bereits eingesetzt. Mir fiel sofort der morbide Geruch nach verblühenden Rosen auf, der sie schon bei ihrem Besuch in meinem Geschäft umgab.
Der Geruch musste von den vielen Rosen kommen, die an den Wänden und im Raum verteilt waren. Es war jener schwere, intensive Geruch, den Rosen immer verströmten, wenn sie zu verblühen begannen.

Er winkte dezent einen Mann herbei, flüsterte ihm etwas ins Ohr und ging wieder hinaus.
Ich hatte noch immer das Gesteck in der durchsichten Hülle in der Hand und mein Blick suchte meine Kundin in der Tiefe der Leichenhalle. Vergebens.
„Kommen Sie mit!“ Sprach der Mann mit leiser Stimme und führte mich durch den Mittelgang ganz nach vorne und weiter zum offenen Sarg.

„Hier liegt die Dame, die sie suchen!“ Seine Stimme klang erstickt und heiser.

Ich blickte in den Sarg und da lag sie. Bleich und starr, die Augen geschlossen,  die wundervollen langen Wimpern lagen wie Halbmonde auf ihren bleichen Wangen. Der Mund war leicht rosa angehaucht. Das Haar war offen und lag auf beiden Seiten ihres Gesichtes,  über das weiße Polster fließend.
Sie hatte die Hände gefaltet und sie erschienen mir noch zarter und durchsichtiger, als bei unserer Begegnung. Das Grün des Kleides harmonierte wundervoll mit dem dunklen Blau des Jäckchens, der Stoff umfloss ihre Gestalt und spiegelte den Glanz der, den Sarg  umgebenden Kerzen wider. Ihr Körper war ringsum von Rosen umgeben, als würde sie auf ihnen schwimmen.

Im Raum war es sehr still, es war nur leises Weinen oder Schluchzen aus den Reihen hinter mir und die leise Orgelmusik zu hören.

Der Mann neben mir nahm mir den Behälter mit dem Gesteck aus der Hand und öffnete ihn. Er betrachtete es mit großem Erstaunen und zwei Tränen lösten sich aus seinen Augenwinkeln und rollten langsam an seinen Wangen hinunter. Dann legte er es zwischen ihre Hände und arrangierte es so, dass es wie ein Brautstrauß aussah.
Er nickte mir dankend zu und ich fühlte, dass es unpassend war, noch länger hier zu stehen und in den Sarg zu starren.
Wie betäubt ging ich den Weg, den ich durch die Leichenhalle gekommen war, zurück und trat mit einem tiefen Atemzug ins Freie.

Sie hatte offenbar gewusst, dass sie sterben wird, hatte sich ihr Totenkleid selbst ausgesucht und sogar das Datum und die Uhrzeit ihres Begräbnisses im Voraus gewusst!
Das Gesteck war ihr letzter, persönlicher Wunsch und bedeutete ihr anscheinend sehr viel.

Das Geschehene war mir unerklärlich und wird es wohl für immer bleiben.

Ich hatte noch immer die Visitenkarte in meiner Hand, doch sie entglitt mir und fiel in das fließende Wasser des Rinnsteines. Ich sah sie langsam davon schaukeln.

Schade, es war so ein schöner Name!



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Blumen aus Glas, unheimlich


Blumen aus Glas

von Joana Angelides 

 

Blumen aus Glas




Er wird heute, wie vor langer Zeit in seiner Kindheit, wieder einmal durch die Wand des Gewächshauses ins Reich der Glasblumen gehen. Das war beschlossene Sache.
Er erinnerte sich, dass er das als kleiner Bub öfter getan hat. Doch mit der Zeit und dem Älterwerden wurde diese Erinnerung ins Reich der Fantasie geschoben und dann irgendwann fiel es dem Vergessen anheim. Besonders als Großvater eines Tages verschwand; er war der einzige, mit dem er dieses Geheimnis teilte.
Es hieß er sei wieder zur See gegangen und Großmutter schwieg beharrlich.
Irgendwann erreichte ihn die Nachricht, dass das Haus verlassen war und er als Erbe für die Erhaltung zuständig sei. Es gab außer einem Testament von Großmutter keine weiteren Unterlagen. Auch nicht über ihren Tod, der den Gerüchten nach, kein natürlicher war. Sie soll der Fluss eines Tages mit sich gerissen haben.
Dann stand das Haus viele Jahre einfach nur so da.
Er war gerade pensioniert worden und bezog das Haus, wollte den Rest seines Lebensabends hier verbringen.
Er besuchte das Grab, das Großmutter schon zu ihren Lebzeiten gekauft und mit einem Grabstein ausgestattet hatte. Sie ließ ihren und den Namen von Großvater eingravieren und legte dann immer ein paar Blumen aufs Grab. Sie waren für Großvater gedacht, von dem sie nicht wusste, ob er nun lebte oder in der Fremde verstorben war.
Dieses Grab war sein einziger Bezugspunkt zu den Großeltern, den er noch hatte.
Doch gestern, als er so an seinem Rollstuhl gefesselt, alleine im Gewächshaus war, seine Orchideen umsorgte, sie besprühte und hin und wieder ein Blatt entfernte, fiel ihm diese alte Geschichte wieder ein.
Er liebte seine Orchideen, sie waren für ihn wie Kinder, die er hegte und pflegte. Fast seine ganze Zeit verbrachte er im Gewächshaus. Immer wenn eine Orchidee verwelkte, war es wie der Tod ohne Wiederkehr eines Kindes.
Was würde er dafür geben, wenn er diese Wunderwerke der Natur für immer konservieren könnte. Au0erdem dachte er mit großer Sorge an die Zukunft. Was wird mit seinen Orchideen geschehen, wenn er von dieser Welt abberufen wird?
Da fiel ihm eben wieder das lange vergessene Reich der Glasblumen ein.
Aus Glas würden sie dort für ewig blühen und nie vergehen. Der Wunsch, sie für die Ewigkeit zu erhalten, wurde daher immer stärker.
Er wusste noch, dass es nur dann funktionierte, wenn der Himmel mit Wolkenschleiern übersät war und sie der Wind vor sich hertrieb. Dann fiel das Sonnenlicht nur gedämpft durch das pyramidenähnlich gebaute Glashaus.
Und das trügerische Licht zauberte damals Gestalten und Schatten auf die Glaswände und aus den Ecken kamen seltsam verdrehte und verschnörkelte Triebe hervor, die wie lange gierige Finger nach ihm griffen.
Sie machten ihm Angst und er flüchtete sich dann immer zu seinem Großvater, der draußen im Garten den Rasen pflegte und das Unkraut jätete.
"Wollen dich die Glasblumen wieder holen?", fragte er dann und strich ihm über den Kopf.
"Ja, sie strecken ihre Triebe durch die Wände und versuchen, mich zu umschlingen!", rief er dann immer ängstlich.
"Du solltest keine Angst haben, kleinen Kindern und alten Leuten sind sie immer freundlich gesinnt. Komm wir gehen gemeinsam zu ihnen."
Er nahm ihn dann immer bei der Hand und führte ihn in das Glashaus zurück bis zu der rückwärtigen Wand, die an den Fels stieß.
Mit seinen sehnigen, von der Gartenarbeit gezeichneten Händen, berührte er dann den Fels und er öffnete sich einen Spalt, der gerade so groß war, dass sie beide durchgehen konnten. Dann schloss sich der Spalt wieder.
Drinnen standen sie vor einem großen Feld mit Sonnenblumen, die größer als er selber waren. Die Blumenköpfe waren goldgelb glänzend und durchscheinend, sie waren alle aus Glas.
Ein leichter Wind ließ sie hin und her schwanken, dadurch lag ein sonderbares Klirren in der Luft, das durch die Berührung der einzelnen Blüten und Blätter entstand. Es war eine fröhliche, sich geheimnisvoll verbreitende Melodie.
"Oh, Großvater, das ist ja wunderschön!", rief er und bestaunte die leicht schwankenden Stängel und gelben Blütenköpfe.
"Ja, aber bedenke, es sind keine echten Blumen, sie sind nur aus Glas. Sie riechen nicht und sie können auch nicht wachsen. Siehst du dort den See, mit den Seerosen? Auch alles aus Glas. Man kann in den See nicht eintauchen, die Seerosen schwimmen auch nicht auf der Oberfläche, sie bleiben immer an ihrem Platz. Dafür verwelken sie aber auch nicht, sie bleiben immer so wie sie jetzt sind."

Der Großvater strich ihm damals mit der Hand abermals über den Kopf.
"Es ist aber eine unwirkliche Welt, keine Welt für Menschen aus Fleisch und Blut."
"Ich finde das aber trotzdem wunderbar! Ich muss immer weinen, wenn eine Blume verwelkt! Gibt es auch Orchideen hier?" Er liebte schon damals die Vielfalt der Orchideen.
"Ja, da rückwärts, links neben dem See. Sie haben alle Formen und Farben, die du dir vorstellen kannst und die jemals in unserem Glashaus gezüchtet wurden. Sie stehen in Glastöpfen, sogar die Tautropfen der Blütenblätter sind aus Glas. Und jene Orchideen, die normalerweise auf den Bäumen in den Urwäldern wachsen sind ebenfalls vertreten, sie schwanken leicht im Wind und man kann ihre Musik weit hören, wenn sie sich berühren. Es ist eine Zauberwelt und schade, dass sie nur wenige Menschen betreten können. Nur unschuldige Kinder und alte Leute können sie sehen. Aber auch nur für kurze Zeit, bis die Sonne untergeht. Dann müssen wir wieder zurück sein, sonst werden wir auch zu Glas und müssen für ewig hier bleiben."
Er erinnerte sich, wie erschrocken er über diese Worte war und rannte sofort wieder zu der Stelle, wo die Öffnung vorher war. Großvater berührte diese Stelle wieder mit seiner Hand und sie traten zurück ins wirkliche Leben.
Großmutter schüttelte jedes Mal den Kopf, wenn er ihr davon erzählte.
"Du solltest den Geschichten von Großvater keinen Glauben schenken, das weißt du doch! Er hat eine blühende Fantasie!"
Das sagte sie jedes Mal. Er scheute dann davor zurück, ihr zu erzählen, dass sie beide, Großvater und er, in dieser Welt waren, dass sie wirklich existierte.
Das war vor langer Zeit.

Mit einem entschlossenen Ruck drehte er seinen Rollstuhl in die Richtung, wo sich spezielle Züchtungen befanden.
Er wählte vier Orchideenstämme aus, die in den letzten Jahren mit internationalen Preisen ausgezeichnet wurden.
Nachdem er einen prüfenden Blick auf den etwas verhangenen Himmel geworfen hatte, lenkte er den Rollstuhl zielstrebig in den hinteren Teil des Raumes.
Zögernd hob er seine Hand und berührte leicht zögernd, die Felswand.
Wie durch Zauberhand, als ob die Zeit still gestanden hätte, öffnete sich wieder ein Spalt und er konnte einfach hindurch fahren.
Wieder umfing ihn diese wundersame Welt der Glasblumen. In all den vielen Jahren schien sich hier nichts verändert zu haben.
Dieses seltsame Klirren und melodische Klingen lag in der Luft wie ehedem. Die Blumen und Pflanzen rundum waren bunt und fast durchsichtig. Man konnte meinen, in einem wunderbaren Garten zu stehen. Das einzige was fehlte und fast gespenstig anmutete, war das nicht vorhandene Gesumme der Bienen, das Vogelgezwitscher oder das Rauschen eines Baches.
Die Äste eines Baumes schienen sich zu ihm herunter zu beugen, doch er wich aus und suchte mit den Blicken die Orchideen, von denen Großvater damals sprach.
Er war schon eine Weile hin und her gefahren, als er sie endlich fand. Fassungslos stoppte er seinen Rollstuhl, um die ungeheure Farbenvielfalt in sich aufnehmen zu können.
Vom zarten Weiß bis zum strahlenden Violett und zarten Rosa fanden sich alle Schattierungen. Mitten unter ihnen, die von Großvater gezüchtete Königin von Saba". Eine weiße Orchidee, die tief in ihrem Kelch in ein zartes Rosa überging und deren Blütenstab in einem tiefen Weinrot aus der Mitte herausragte.
Und da, die von ihnen gemeinsam gezüchtete "Mondblume". Eine flamingofarbene, mit vielen kleinen Blüten besetzte Rispe, die sich leicht zu bewegen schien.
Sein Auge eilte von Blüte zu Blüte, er wusste noch alle ihre Namen und wann sie zum Blühen gebracht wurden. Natürlich gab es einige, die wahrscheinlich in seiner Abwesenheit gezüchtet wurden, doch kannte er die mit vielen Preisen ausgezeichneten aus der einschlägigen Fachpresse.
Dann sah er ihn. Mitten in diesem Paradies aus Glas gab es eine Gartenbank. Halb verdeckt von einem Hibiskusstrauch mit großen Blüten, saß Großvater.
Er sah wie lebendig aus und war doch ganz aus Glas. Seine braunen Augen blickten ihn direkt an und er erschauderte. Die rechte Hand des Mannes aus Glas hielt eine Orchidee in einem durchsichtigen Glas in Augenhöhe, so als wollte er die Wurzel prüfen. Mitten in der Bewegung musste er erstarrt sein. Er hatte wie immer seine Schürze an, in der einige Gartenwerkzeuge steckten. Sie waren auch zu Glas geworden.
Es stieg heiß ihn ihm auf. Wie konnte das geschehen? Hatte er die Zeit vergessen, war er zu lange hier geblieben? Man wird es nie ergründen können.
Er rollte ganz nahe an ihn heran, berührte sein altes Gesicht mit der Hand und strich darüber. Es fühlte sich kalt, glatt und leblos an. Ein wenig zögernd stellte er die mitgebrachten Orchideen zu den anderen. Er hatte es plötzlich eilig, wieder zurück zu fahren.
Als er durch den sich öffnenden Spalt wieder seine reale Welt betrat, atmete er tief und gierig die Luft ein und fühlte sich irgendwie erleichtert. Das seltsame Schicksal des Großvaters berührte ihn sehr und er fragte sich natürlich, wie gefährlich es wirklich war, in diese fremde, unwirkliche Glaswelt einzutauchen.
In den folgenden Tagen stand er mehrmals vor der hinteren Felswand und starrte sie an. Es zog ihn hinüber, er wollte diese Welt wieder betreten, wollte sehen, ob die von ihm dort abgestellten Orchideen nun ebenfalls zu Glas geworden seien. Irgendetwas hielt ihn jedoch zurück, ließ ihn zögern.
Hörte er die leise, klirrende Musik oder gaukelte ihm nur seine Fantasie etwas vor? Kam da nicht unter der Felswand ein gläserner Trieb hervor und drehte sich suchend herum?
Wie von unsichtbarer Hand geschoben, rollte der Stuhl auf die Wand zu und er musste sich mit seiner Hand abstützen. Durch die Berührung öffnete sich der Spalt erneut und er fand sich wieder in dieser Welt aus Glas, die ihn anzog und gleichzeitig abstieß.
Wie von Geisterhand geführt, rollte er durch sie hindurch, bis er wieder vor Groß-Vater zum Stehen kam.
Es war, als wäre er lebendig, seine braunen Augen blickten wie immer listig in die Welt und doch war er völlig leblos, durchscheinend.
Er suchte mit den Blicken die gestern abgestellten Orchideen und stellte fest, dass sie inzwischen ebenfalls zu Glas mutiert waren. Es geschah sicher, als die Nacht hereinbrach und alles hier dunkel und kalt wurde.
Es schauderte ihm. Was war das für eine Welt? Er blickte auf seine Armbanduhr. Er hatte noch eine Stunde Zeit bis zum Sonnenuntergang.
Er wollte diesmal auch die andere Seite erforschen und drehte den Rollstuhl rechts herum. Da stockte ihm der Atem. Nicht weit von seinem Standort und dem des Großvaters stand mit erhobenen Händen Großmutter.
Oh, war auch sie gefangen in dieser Welt, aus der es keine Rückkehr mehr gab?
Im Gegensatz zu dem alten Mann, der ruhig und entspannt erschien, drückte sie das helle Entsetzen aus. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ja traten ihr fast aus den Höhlen, der Mund zum stummen Schrei geöffnet und die Hände in Verzweiflung erhoben.
Der Sonnenuntergang musste sie in dieser Verfassung überrascht haben. Es musste augenscheinlich plötzlich geschehen sein, keine Zeit zu Flucht oder Rückzug vorhanden. Doch wie kam sie hier her? Sicher hatte sie das Verschwinden ihres Mannes überrascht. Vielleicht fiel ihr irgendwann die Geschichte mit den Glasblumen ein. Sie wusste aber sicher nichts über das Zeitfenster, über die Einschränkung zwischen Tag und Nacht. Das musste die Falle gewesen sein, in die sie geriet.
Er spürte, wie plötzlich Panik in ihm aufstieg. Er wollte nur raus, zurück in seine Welt. Durch die heftige Bewegung des von ihm gesteuerten Rollstuhles ausgelöst, stieß er an einen der Sträucher an und es brach einer der Äste ab.
Es war ihm als hörte er plötzliches Zischen, es lag in der Luft, doch war nicht zu eruieren, woher es kam.
Schlingpflanzen gleich, umschlangen plötzlich Triebe die beiden Räder und brachten ihn zum stehen.
Sie waren leicht gewunden, seltsam gedreht und bedeckten den Boden. Sie schienen als einzige zu leben, bewegungsfähig zu sein. Er erkannte sie; es waren diese Triebe, die ihn schon immer hinein ziehen wollten in ihre Welt.

Mit einem Ruck befreite er sich aus den Schlingen, es brachen auch einige ab. Das Zischen war noch immer zu hören. Er versuchte unter Zuhilfenahme seines Stockes diese Triebe abzuwehren und hatte teilweise Erfolg. Er kam der Felswand, die das Leben bedeutete, immer näher, erreichte das Ziel mit letzter Anstrengung und konnte den Spalt gerade noch passieren, bevor das Tageslicht ganz erlosch.
Keuchend stoppte er den Rollstuhl und lehnte sich zurück. Dann griff er wieder an das Rad, um das Glashaus zu verlassen.
Mit Entsetzen stellte er fest, dass die beiden gro0en Räder bis zur Hälfte bereits aus Glas waren und ebenso seine Beine von den Knien abwärts.
"Nein!", sein Schrei verhallte ungehört. Wer sollte ihn hören?
Das Glashaus stand hinter dem Haus, angelehnt an die Felswand und umgeben von einem kleinen Wäldchen. Er bewohnte das Haus allein, nur am Morgen kam eine Haushälterin, um sich um die Belange zu kümmern.

Wie von Sinnen begann er seine "Kinder", die einzelnen Orchideen, zusammen zu raffen, tauschte sie wieder aus und nahm andere dazu.
Er hatte plötzlich nur mehr einen Wunsch, er wollte zurück in diese Glaswelt, um seine Orchideen dort einzugliedern, sie für immer zu konservieren und mitten unter ihnen für alle Ewigkeit mit ihnen verbunden zu sein.
Die ganze Nacht fuhr er wie von Furien gehetzt umher, versorgte mit letzter Kraft die restlichen Blumen, die er nicht mitnehmen konnte.
Als der Morgen langsam aufstieg, das Tageslicht sich in den Glasflächen brach, fuhr er ungeduldig zur rückwärtigen Felswand und berührte sie.
Der Spalt ging sofort auf und er rollte, ohne noch einmal zurück zu blicken, in die Welt des Glases. Er merkte gar nicht, dass sich der Spalt wieder schloss. Für ihn gab es keine Wiederkehr, er hatte sich entschlossen, gemeinsam mit seinen "Kindern" für ewig hier zu bleiben.
Als er bei der Bank ankam, auf der Großvater saß, blieb er ruckartig stehen.
Ja, hier war sein Platz. Gemeinsam sollten sie ihre Orchideen bewachen. Er ordnete die mitgebrachten Blüten nach Farben und stellte sie zu den anderen.
Dann blickte er stundenlang in das so vertraute Gesicht und es erschien ihm, als wollte der alte Mann etwas zu ihm sagen. Doch nun, wo auch er schon alt war, erschien ihm auch das nicht mehr wichtig.
Als sich die Sonne langsam neigte und die Nacht langsam aus allen Ecken kroch, spürte er wie die Mutation bei ihm begann. Er fühlte sich kalt und bewegungslos an und wartete auf den Tod.
Doch hier irrte er entsetzlich.
Er wurde zwar zu Glas, erstarrte in seiner letzten Bewegung, doch sein Geist blieb wach, seine Gedanken rotierten weiter, alles ging ins Leere, er war Gefangener einer Hülle aus Glas.
Es wurde ihm bewusst, dass es auch den beiden anderen so ergehen musste. Sie sahen alles um sich herum, konnten denken aber nicht fühlen.
Wie lange wird es dauern, bis der Wahnsinn von seinem Geist Besitz ergreifen wird?
Langsam kroch das Entsetzen in ihm hoch. So hatte er es sich nicht vorgestellt, doch es gab keinen Weg zurück.



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