Ein
Unwetter im Märchenwald
von Joana Angelides
Es regnete ganz fürchterlich im Märchenwald.
Seit Tagen war der Himmel bewölkt und ganze Sturzbäche ergossen sich zwischen
den Bäumen und viele kleine Wohnungen standen unter Wasser.
Die Wühlmäuse mußten ihre Höhlen verlassen und
sich in höher gelegene, von anderen Tieren verlassene Höhlen begeben.
Der kleine Kobold hatte zwar einen
Baldachin vor seine Wohnung im hohlen
Stamm des großen Baumes angebracht, doch gegen diese Sturzfluten war auch der
machtlos. In seinem Wohnzimmer stand wieder einmal alles unter Wasser. Frau Kobold hatte den Teppich
aufgerollt und versucht nun mit dem
Besen das Wasser aus dem Wohnzimmer ins Freie
zu schieben.
Die kleinen Finken in ihren Baumnestern
durften gar nicht die Köpfchen raus strecken, sie wurden von der Mutter sofort
wieder hinein geschickt.
Nur die Frösche im See fühlten sich in ihrem
Element. Sie sprangen von Seerose zu Seerose und versuchten Insekten zu fangen.
Die Schlange Birr hatte sich zusammengerollt
und lag in einer Astgabelung und ließ das Wasser an sich abrinnen.
Die Waldfee Fari flog über die Lichtung in
Richtung der großen Tanne und versuchte sich vor dem strömenden Regen mit einem
großen Blatt zu schützen. Doch sie war bereits pitschnass. Sie wollte schauen,
ob irgendwer im Wald Hilfe brauchte. Sie mußte lächeln. Die Heuschrecke Bren
hatte sich eine der herumliegenden Nußschalen der Eichhörnchen geschnappt und
versuchte in dieser sitzend auf die
andere Seite des Waldweges zu gelangen. Sie verwendete einen kleinen Ast zum Rudern,
aber da sie allein in der Nußschale saß, mußte sie immerfort einmal auf der
linken und dann auf der rechten Seite des kleine Bootes rudern, und das war
sehr sehr anstrengend. Gerade noch konnte sei einem Blatt ausweichen, auf dem
einige Waldameisen saßen.
Die Hasenfamilie mit ihren Jungen saß neben
ihrer überschwemmten Erdhöhle auf einem Stein und Vater Hase hatte große Mühe
den kleinen zappelnden Haseputz immer wieder aus dem Wasser zu ziehen und neben
sich auf den Stein zu halten.
Im Märchenschloß hatte die Feenkönigin
angeordnet, daß der große Saal mit
Schlafgelegenheiten für alle Tiere des Waldes hergerichtet wird. Sie hatte
einen großen Kessel mit heißem Tee in
der Küche bestellt und der Köchin aufgetragen ihre guten Kekse mit Zimt und
Honig zu backen. Alles war emsig bemüht
das Schloß für die armen Tiere des Waldes als Zuflucht zu öffnen.
„Samantha!“ Rief die Köchin. „Komm sofort
hierher und nehme die Kekse aus dem Ofen und stapele sie auf die großen Teller
und trage sie dann einzeln in den großen Saal und stelle sie hin.“
„Ja gerne,“ rief Samantha und freute sich,
daß sie auch etwas helfen konnte und vor allem, daß die Köchin wieder mit ihr
sprach und nicht mehr böse auf sie war, nachdem sie sie in den See fallen ließ beim großen Frühlingsfest.
Samantha ging neugierig zum großen Backofen
und schaute durch das beleuchtete Glasfenster in den Ofen hinein. Da lagen die
Kekse fein säuberlich in Reih´ und Glied und der Duft zog sich durch das ganze
Schloß. Sie nahm die Handschuhe und öffnete die Türe des Backofens. Oh, wie
sollte sie nur das heiße Blech anfassen, trotz des Handschuhs hatte sie große
Angst.
„Ich werde ein wenig zaubern und das
Backblech soll alleine aus dem Backrohr heraus kommen,“ dachte sie sich.
„Hudribuzidollidei, Backblech komm heraus,“
sagte sie ganz leise.
Und wirklich, da rutschte das Backblech aus dem Ofen und
schwebte vor der kleinen Hexe her. Doch wenn diese sich etwas rückwärts
bewegte, so kam das Backblech hinter ihr her, wenn sie stehen blieb, blieb auch
das Backblech stehen. Sie wollte nach den Keksen greifen, aber das Backblech
folgte ihrer Handbewegung und ging zurück. Sie konnte die Kekse nicht
erreichen.
„Wie soll ich denn die Kekse auf die Teller
legen, wenn ich sie nicht erreichen kann?“ Überlegte Samantha ganz verzweifelt.
„Samantha! Wo bleiben denn die Kekse?“ Hörte
sie die Köchin rufen.
Sie ging ganz langsam rückwärts auf die
Treppe zu und das Backblech hinter ihr her. Leider merkte sie nicht, daß sie
bereits am Treppenabsatz stand und ging
noch einen Schritt nach rückwärts. Hätte sie nicht der Elfe Mo im
letzten Moment aufgefangen, wäre sie die Treppe hinuntergefallen. Mo hielt sie
fest und schwebte mit ihr die Treppe hinunter, das Backblech hinter ihnen her.
„Oh Gott, sie hat schon wieder zu zaubern
versucht,“ rief die Köchin händeringend.
„Mo, stelle Samantha wieder runter,“ befahl
sie mit vor Zorn bebender Stimme.
Der Elfe Mo stellte Samantha vorsichtig hin
und stibitzte gleichzeitig eines der
Kekse vom Backblech.
„Also,
Samantha, wie willst du nun die Kekse auf die Teller legen?“ Vor
Zorn bebend stemmte die Köchin beide
Hände in die Hüften.
„Hudribuzidrallalla,“
„Hudribuzihoppala“
„Hudribuzitetrita“
Alles half nichts, das Backblech schwebte
genau vor Samantha und die Kekse waren für die kleine Hexe unerreichbar.
Inzwischen hatte sich der große Saal im
Schloß mit den Tieren des Waldes gefüllt und alle schnatternden durcheinander
und erzählten sich ihre schrecklichen
Erlebnisse durch das Unwetter. Frau Eule hatte in einer Ecke ihre Kleinsten versammelt und übte mit ihnen
das Lied von der Vogelhochzeit ein.
„Alle Vögel sind schon da....“ hallte es durch den Raum.
Der Specht machte den Takt dazu und die Grillen zirpten. Die Waldfeen teilten den Tee in den vorbereiten Kelchen der Glockenblumen aus
und auch zarte Decken wurden ausgeteilt, damit die kleinen Waldbewohner nicht
frieren mußten.
Da wollte
auch der große Bär hereinkommen. Sein Fell war ganz mit Wasser
durchdrängt und er wurde gerade noch im
letzten Moment vom Pförtner Feno dazu angehalten sich auszuschütteln. Er hätte sicher eine
große Pfütze im Saal hinterlassen. Erst als er sich abgeschüttelt hatte, durfte
er herein.
Er blickte sich im großen Saal um und grüßte nach allen Seiten. Er nahm auch
dankbar einen Becher vom heißen Tee. Dann erblickte er in der Ecke die Hexe
Samantha. Sie stand dort, mit dem Rücken zur Wand, vor sich das Backblech mit
den Keksen und wollte gerade zu weinen beginnen.
Der Duft der Kekse drang in seine Nase,
besonders der Duft nach Honig hatte es ihm angetan. Er ging zu Samantha hin,
nahm einfach das Blech in die Pranke und aß alle Kekse alleine auf. Dann
stellte er das Blech an die Wand und lehnte sich an den warmen Kamin und
schlief sofort ein.
Samantha hatte das alles mit großen
staunenden Augen beobachtet. Das Blech lehnte nun an der Wand und bewegte sich
nicht. Sie machte einen vorsichtigen Schritt nach vor, um aus der Ecke raus
zukommen und es gelang ihr auch.
Sie kuschelte sich ganz eng an den Bären an,
legte ihren Kopf auf seine Schulter und flüsterte ihm zu:
„Du hast mich gerettet.“ Doch der Bär
war schon eingeschlafen und glaubte zu träumen. Er brummte nur leise
zurück.
„So, hier sind die restlichen Kekse, Kinder
greift zu!“ rief die Köchin.
Sie hatte die restlichen Kekse aus der Küche
geholt und selbst auf die Teller gelegt. Alle eilten herbei und jeder nahm sich
einige der warmen duftenden Kekse und man hörte alle schmatzen.
Eigentlich hatte sie die Absicht die kleine
Hexe Samantha dort in der Ecke zur Strafe stehen zu lassen bis in den Abend
hinein. Aber da sie sie nicht mehr sah, vergaß sie darauf. Eigentlich hatte sie
die kleine Hexe ja recht gerne und verzieh ihr immer wieder ihre kleinen
Streiche.
Inzwischen hatte sich das Wetter wieder
beruhigt, der Regen hatte aufgehört und die
Tiere des Waldes verließen wieder das schützende Schloß.
Bis zum Abend
war auch das Wasser wieder abgeronnen und die Höhlen der Tiere waren
wieder frei.
Nur mehr an den zum trocknen aufgehängten
Kleidungsstücken der Kobolde und
Heinzelmännchen aus dem Walde konnte man noch das Unwetter vom
Nachmittag erahnen.
Und natürlich an den großen Wassertropfen,
die hin und wieder von den Tannenzapfen auf die Erde fielen. Die Sonne kam
durch die Baumwipfel und tauchte den Märchenwald in goldenen Glanz und die
Sonnenkringel tanzten auf dem Moosboden.