Donnerstag, 12. April 2018

Verwandte Seelen, vampirig


Verwandte Seelen
von Joana Angelides 


Bildergebnis für Paris bei Nacht


Die Stadt Paris, diese wunderbare Stadt des Lichtes, lag zu seinen Füßen. Von den Stufen des Sacré-Coeur hatte man einen wunderbaren Blick hinab auf das Stadtviertel rund um das Moulin-Rouge.

Einen unvergeßlichen Eindruck von dem Viertel hier heroben hat man, wenn man sich zu Fuß, von den Bahnhöfen Gare de l´Est oder Gare du Nord kommend, nähert oder aus der Metrostation Barbès Rouchechouart steigt. Maler wie Toulouse-Lautrec, Picasso, Monet, Utrillo, van Gough oder Braque haben hier bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts gelebt und gearbeitet.
Er schloß die Augen und vergegenwärtigte sich die damalige Atmosphäre. Er hörte wieder das Lachen der Menschen, ihre Musik und das laute Treiben. Es war damals leichter, sich mit Menschen zu vereinigen, sie in den Kreis rund um den Cimetiere du Pére Lachaise, dem schönsten und berühmtesten Friedhof von Paris, einzuführen und zu integrieren. Auch in den Zeiten der Französischen Revolution ging es hier viel lebhafter zu.

Einige Schritte weiter in Richtung der berühmtesten Sehenswürdigkeit des ehemaligen Dorfes, der Kirche Sacré-Cœur, tummeln sich zu jeder Tageszeit ein Heer von Touristen.


Doch nun ist es bereits weit nach Mitternacht und nur mehr vereinzelte Schatten, die sich durch die engen Gassen bewegen, erahnt man mehr, als man sie sieht. Es liegt ein Flüstern in der Luft, ein Raunen der Gefühle und mit einer leichten Brise wird leise Musik herangetragen. Eine Katze hat mit einem Sprung irgendeinen Metalldeckel zum Fallen gebracht und das Geräusch hallt überlaut durch die Nacht und überdeckt für einen paar Augenblick die anderen Geräusche.

Die dunkle Gestalt löst sich aus dem Schatten der sich in dieser Vollmondnacht hell abhebenden Kirche und bewegt sich lautlos in Richtung der Rue Saint Nicholas.
Das helle Lachen der Menschen in dem kleinen Café „Chez Nous“ zog ihn an. Durch die Gardinen drang gelbliches Licht, gedämpft durch dichte Spitzenvorhänge.

Er war noch nie in dem Lokal, er schaute immer nur von außen hinein und sein Blick suchte immer die große blonde Serviererin, die sich elegant und flink zwischen den Tischen und Stühlen hin und her bewegte. Ihr langes blondes Haar hatte sie aufgesteckt und man konnte ihren weißen, makellosen biegsamen Hals sehr deutlich sehen. Durch die seitlichen Leuchten an den Wänden kam auch der Flaum an ihrem Genick wunderbar zur Geltung. Die weiße Bluse umspannte ihre vollen Brüste und er bemerkte, wie sie sich hoben und senkten. Das schwarze enge Halbmieder umspannte ihre schmale Taille und betonte die Bewegungen ihres Körpers, wenn sie sich im Lokal hin und her bewegte.


Er schloß seine Augen und stellte sich vor, wie er ihren Kopf nach vorne beugen wird und langsam, ganz langsam seine Zähne in ihrem Hals vergraben wird. Ihr Blut war sicher süß und hell.

Die Türe des Lokals öffnete sich plötzlich und heraus kam ein junges Pärchen, eng umschlungen und sichtbar mit sich beschäftigt. Sie sahen die dunkle Gestalt erst im letzten Augenblick und das Mädchen stieß einen leisen Schrei aus. Um nicht aufzufallen, blieb ihm nichts Anderes über, als hinein zu gehen.
Es umgaben ihn plötzlich laute Geräusche, helles Licht. Für einen Moment verstummte die Unterhaltung, doch als er sich an einen der freien Tische setzte, verloren sie jegliches Interesse an ihm.
Sie stand plötzlich vor ihm, sah ihn fragend an und stellte einen Aschenbecher vor ihn hin.
Sie hatte, im Gegensatz zu ihren hellen Haaren, große dunkle Augen, ihr Mund war groß und versprach die Erfüllung geheimster Wünsche. Er blieb verschlossen, wölbte sich jedoch nach vor und ihre Mundwinkel zuckten spöttisch. So schien es ihm zumindest.

Er bestellte einen Pernot, etwas Wasser und eine Zitronenscheibe und lehnte sich zurück.

Sie drehte sich um und bewegte sich langsam zur Bar hin und plötzlich erschien sie ihm seltsam vertraut. War es nur deswegen, weil er sie schon tagelang beobachtete, seine Gedanken auf sie fixierte?
Doch eine gewisse Unruhe befiel ihn.

Er blieb bis sich das Lokal leerte und sie die Lichter löschte.
Sie blickte ihn fragend an, er lächelte ein wenig, erhob sich und ging langsam auf sie zu. Er sah ihren überraschten Blick, bemerkte ein plötzlich aufflammendes Licht in ihren Augen und Begriff in jenem Augenblick, als sie langsam den Mund zu einem kalten Lächeln öffnete und mit einem heiseren Schrei auf ihn losstürzen wollte, dass sie bereits zu seinem Kreis gehörte, dass sie beide bereits im Reiche der Unsterblichen waren.

Sie standen sich gegenüber und starrten sich an. Er hob beide Arme und zog sie langsam zu sich heran. Sie warf den Kopf zurück und stieß ein heiseres Lachen aus. Sie drehten sich im Kreise und schwebten über den Tischen, es war ein Tanz, der nie enden wollte.

Doch es begann langsam hell zu werden und sie mußten sich dem Unvermeidlichen fügen. Durch die geöffnete Türe des Lokals entwichen sie durch die Gassen und bewegten sich in Richtung des Cimetiere du Pére Lachaise, mit seinen Grabdenkmälern und einsamen Grüften.
Der heisere Schrei eines Raben verkündete den aufsteigenden Morgen.




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Mittwoch, 11. April 2018

Die Frau vom Riff, unheimlich


Die Frau vom Riff.
von Joana Angelides 

Bildergebnis für Felsen am meer



Vom Boot ausgesehen, lag das Haus hoch oben am Fels, einem Adlerhorst gleich. Man konnte meinen, es balancierte auf der Spitze des Felsens und der kleinste Windstoß könnte es herabwehen.

Weiter draußen, in Richtung offenes Meer, schlugen die Wellen ans Riff und weiße Gischt schäumte auf. Es war wie eine Barriere, davor würde sein kleines Boot erbarmungslos daran zerschellen.

Er saß im Boot und blickte schon eine ganze Weile nach oben. Sina, die Labradorhündin saß dort am Rande der ins Meer ragenden Terrasse und beobachtete ihn. Immer, wenn er die Hand hob, stand sie auf und er konnte sehen, wie sie den Schwanz hin und her bewegte. Sina hasste Salzwasser und blieb daher, wenn er mit dem Boot hinausfuhr immer an Land,
Das Ruder tauchte in das klare Wasser ein und erzeugte ein sanftes Kräuseln der Wellen. Er ließ sich treiben, wie jeden Tag um diese Zeit zwischen Tageslicht und Dämmerung.

Er nahm sich vor, das in Arbeit befindliche Bild morgen endlich fertig zu stellen. Eigentlich war es ja schon seit Tagen fertig, doch es gab immer wieder jenen und diesen Pinselstrich um es zu vervollkommnen.
Doch konnte er das nur in den Vormittagsstunden, wenn die Sonne schräg am Himmel stand und das Licht hell und fluoreszierend war.

Sein Blick tauchte gedankenverloren in die sanft an die Planken des Bootes schlagenden Wellen, bis auf den Meeresboden zu den Spuren im Sand, die die kleinen Krebse auf ihren Wanderungen dort hinterließen.

Da war plötzlich das Gesicht dieses Mädchens wieder. Es lag an der Wasseroberfläche, als wäre sie ein Spiegel. Es war ein schönes, ebenmäßiges Gesicht.
Ganz am Anfang, als es ihm nur hin und wieder erschien, drehte er sich im Glauben, sie stünde hinter ihm, um. Doch dem war nicht so.

Das blonde Haar wurde von den Wellen auf und ab bewegt und umschloss ihr Gesicht wie ein Bilderrahmen. Die Augen waren halb geöffnet und sahen ihn fragend an. Ihre Lippen öffneten sich, als wollten sie ihm etwas sagen, Was er jedoch nicht verstehen konnte.

Er vermied immer das Ruder zu bewegen um das Bild nicht zu zerstören. Sie schien seinen Blick festzuhalten und ehe er es sich versah, war er des Öfteren schon viel zu weit hinausgetrieben worden. Um wieder zurück zu kehren, musste er dann doch das Ruder mit voller Kraft einsetzen und das Boot wenden. Das Bildnis war dann jedes Mal verschwunden.

Er redete sich dann ein, dass es nur Einbildung war und versuchte das Geschehen zu verdrängen.

Doch dieses Gesicht drängte sich sogar in seine Träume. Es lockte ihn aufs Meer hinaus und er folgte ihm willenlos und fand sich in manchen Nächten tief unten am Meeresboden, von sich bewegenden Schlingpflanzen umgeben, kämpfend mit Blätterranken, die ihn festzuhalten schienen. Er konnte sich nur unter allergrößter Anstrengung freimachen. Es gab da Muränen, die aus dunklen Höhlen der Felsen hervorschossen, die kleinen runden Augen gefährlich auf ihn gerichtet und das Maul mit den starken Zähnen zum Biss weit geöffnet.  Und immer war das Gesicht vor ihm, das ihn lautlos lockte und rief.

Er ruderte zurück, vertäute das Boot am Steg und ging langsam, immer wieder nach rückwärts aufs Meer hinausblickend, zu dem Haus hinauf. Sina kam ihm auf halbem Wege entgegen und zusammen gingen sie ins Haus.

Die Nacht kam fast unvermittelt, die Sonne versank blutrot in den Fluten und die Dunkelheit hüllte ihn nun ein. Die Lampe rückwärts im Raum spendete gedämpftes fast orangefarbenes Licht und die Schatten der Möbel im Raum tanzten im Licht des flackernden Feuers im Kamin. Er versank in dem tiefen Lehnsessel davor, streckte seine Beine aus und führte das Glas an den Mund. Der Duft des alten Kognaks stieg ihm in die Nase und seine Hand versank im Fell von Sina, der neben ihm liegenden, zufrieden knurrenden Labradorhündin.

Das flackernde Feuer fesselte seinen Blick und die züngelnden Flammen erinnerten ihn wieder an das im Wasser schwebende helle Haar rund um das Mädchenbildnis.
In dieser Nacht ließ ihn der Gedanke daran nicht mehr los und bereits am frühen Morgen stand er auf seiner Terrasse und begann mit einigen flüchtigen Pinselstrichen dieses Mädchengesicht aus dem Gedächtnis zu skizzieren. Vergessen war der Vorsatz, das andere Bild fertig zustellen, die letzten Pinselstrichen zu machen. Es lehnte vergessen an der Wand.

Zwischendurch schloss er immer wieder seine Augen, um sich das Bildnis in Erinnerung zu rufen und versuchte es dann auf die Leinwand zu bringen. Er arbeitete wie besessen und vergaß darüber Zeit und Raum völlig.

Erst Sina erinnerte ihn daran, dass es Zeit war etwas zu essen. Lustlos bereitete er für sich und Sina einen kleinen Imbiss zu und setzte sich dann gegenüber der Staffel, um die Zeichnung prüfend anzusehen.
Sina schien nicht zu gefallen was sie sah, sie knurrte leise.

Auch er war mit dem halbfertigen Bild, eigentlich mehr eine Skizze, unzufrieden. Die Zeichnung wirkte flach und unwirklich, es fehlte ihr jenes gewisse Flair, welches das Bildnis im Wasser hatte. Es fehlte ihm an Leben. Die Augen waren seelenlos, der Mund formte keine Laute.

Er musste wieder hinaus, er musste versuchen, das Bildnis wieder zu finden, schwebend an der Oberfläche der Wellen. Musste in ihre Augen tauchen, hören was sie ihm zu sagen hatte.

Die Ruder tauchten regelmäßig und kraftvoll in das klare Wasser und seine Blicke streiften suchend über die Oberfläche. Die Sonne lag über dem Wasser und schickte Sonnenkringel in die Tiefe.
Einige Meter vor ihm sah er dann plötzlich die goldene Mähne des Mädchens auf und abtauchen. Er versuchte ihr näher zu kommen, ruderte schneller und angestrengter. Doch der Abstand verringerte sich in keiner Weise.

Die Hündin Sina, hoch oben auf der Terrasse hatte sich aufgerichtet und ihr Blick erfasste das Boot, welches sich immer weiter entfernte. Sie lief nervös hin und her und versucht durch Bellen auf sich aufmerksam zu machen.

Er ruderte noch immer hinter seinem Traum her, versuchte die Worte zu verstehen, die sie flüsterte, doch er kam ihr niemals nahe genug.

Ihre goldenen Haare schienen sich im Ruder zu verfangen, ihr Gesicht tauchte weg und kam auf der anderen Seite des Bootes herauf. Ihre Augen blickten ihn groß und fragend an.

Er hatte längst jedes Maß verloren, entfernte sich immer mehr vom Land und das Haus am Felsen wurde immer kleiner, doch er beachtete es kaum. Er wollte ihr Gesicht aus der Nähe sehen, hören was sie sagte.

Und wenn er selbst hinabtauchen würde, mit ihr gemeinsam ein Stück schwimmen würde?

Er zog die Ruder ein und legte sie neben sich, richtete sich auf um über den Rand zu springen, hinenzutauchen in die aufgewühlten Fluten

Er bemerkte nicht die gefährliche Nähe des Riffs, merkte nicht die tödliche Gefahr.

Sina war längsseits aufgetaucht, sie hatte ihre Abscheu dem Wasser gegenüber überwunden, schwamm um ihr und um sein Leben. Sie bellte laut und fordernd.

Doch er konnte sie nicht mehr hören. Er war hineingetaucht in die Wellen, das Boot rammte krachend den Felsen, eine der Planken traf seinen Kopf, seinen Körper, die Brandung verschluckte ihn und trieb ihn zwischen den Felsen in das offene Meer. Das Sonnenlicht legte goldene Lichter über die Schaumkronen, sie tanzten wie eine goldene Mähne hin und her.

Möwen zogen ihre Kreise und ihr lautes Schreien vermischte sich mit den Geräuschen rundherum.

Sina hatte sich auf einen der Felsen gerettet, schüttelte ihr Fell und warf traurige, verzweifelte Blicke hinaus auf das Meer. Sie war zu spät gekommen.

Sie wurde am nächsten Morgen von Fischern mitgenommen, die vorbeifuhren. Sie sahen die zerschellten Reste des Bootes und nickten wissend.

„Wahrscheinlich hat ihn die Frau aus dem Riff geholt! Sie hat wieder ein Opfer gefunden!“



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