PYGMALIONvon Joana Angelides
Die Nacht war lang
und voller Geräusche, schlaflos.
Das Licht des erwachenden Morgens fällt auf den in sich ruhenden Stein. Er
steht inmitten von herumliegenden kleineren Steinen, achtlos abgelegten
Werkzeugen und einigen dreibeinigen Sitzgelegenheiten.
Der Marmor hat eine feine Maserung, seine Oberfläche ist noch unregelmässig und
unbearbeitet und der rosa Schimmer gibt ihm Wärme und Lebendigkeit.
Dort oben, wo der Stein sich verjüngt, wird er den Kopf heraus arbeiten. Ein
wenig seitwärts geneigt wird er sein, man könnte meinen, er lauscht jedem Ton,
der in der Luft schwingt.
Er nahm die Skizze auf, die neben seiner Liegestatt lag. Die Gestalt, die er
erschaffen wollte, wird aussehen, wie sie, wird aussehen wie eine wunderschöne
Frau in ihrer vollen Blüte.
Es überfluteten ihn diese unvergesslichen Bilder, unvergessen und immer nah.
Ihr schlanker Körper, sich wie fliegend über den Strand bewegend, das lange
Haar flatternd im Wind, so hatte er sie in Erinnerung. Es war aber eben nur die
Erinnerung geblieben.
Ihre Gestalt, zwischen ihm und der Sonne, mit Gold umflutet, war biegsam und
sinnlich.
Er stand auf und begann zwischen dem Einsammeln der Werkzeuge und dem
belebenden Kaffee in seiner Hand, den Stein mit forschenden abwiegenden Blicken
zu umrunden.
Was sagte ein berühmter Bildhauer?
Eine Figur aus einem Stein heraus zu hauen ist einfach. Alles überflüssige
Material muss weg, der Rest ist Feinarbeit.
Die nächsten Tage waren genau mit diesem Vorhaben ausgefüllt, die Vorderseite
der Gestalt begann sich abzuzeichnen. Der Kopf war noch ohne Gesichtszüge, nur
Silhouette mit aufgestecktem Haar. Der lange schmale Hals und die zarten
Schultern steckten noch teilweise im Stein.
Er fährt mit den Fingerspitzen leicht über die rauhe Linie und endete an der
abwärts gehenden, rechten Schulter. Es erzeugte Schauer in seinem Körper, sich
vorzustellen, dass ihr Körper noch in diesem Stein steckte, hilflos und zur
Unbeweglichkeit verdammt. Sie wird so lange in diesem Zustand verbleiben, bis
er sie langsam herausholen wird aus diesem Gefängnis aus Stein.
Er entschloss sich, in den nächsten Tagen nur an der Vorderseite zu arbeiten.
Der Stein nahm Gestalt an, sieht nach unzähligen Stunden wie ein Relief aus,
unlösbar verbunden mit dem kalten Stein.
Ihr Gesicht trat hervor, es war als wolle sie mit ihm sprechen. Der Haaransatz
verlief nach rückwärts und verschmolz wieder mit der rauhen Struktur des
Marmors. Ausser ein paar kleine Kringel, die sich vorne lösten. Das linke Ohr
war bereits frei und zu einem Drittel durch eine Haarsträhne verdeckt. Seine
Lippen berührten dieses Ohr und flüsterten ihren Namen.
War da nicht ein kurzer Schauer durch den Stein gegangen?
Er meisselte mit vorsichtigen und zarten Bewegungen ihre beiden Brüste frei,
diese Brüste, die ihn jedesmal, wenn er sie berührte, den Verstand raubten.
Damals.
Doch sie waren noch rauh und unvollkommen. Seine Hände hielten die Werkzeuge
zart und doch kraftvoll und vollendeten die Rundungen und die sichtbar
werdenden Spitzen, die so wunderbar zitterten, wenn er sie mit seinen Lippen
berührte. Immer wieder begann er von unten her und von oben kleine Unebenheiten
zu entfernen. Er konnte sogar in diesen Stunden der angespannten Arbeit spüren,
wie der Stein erregt atmete, sich der Brustkorb hob. Jaja, es war deutlich zu
spüren.
In diesen Wochen vergass er oft zu essen oder zu schlafen. Sein Verlangen, sie
neu zu erschaffen, jeden Punkt ihres Körpers nachzuempfinden, war stärker.
Seit einigen Tagen war ihr zartes ovales Gesicht mit den leicht geöffneten
Lippen und den durch die Lider halb verdeckten grossen Augen, fertig. Ihr fein
geformtes Kinn ging in einem sanften Bogen in ihren Hals über und dieser endete
auf den zarten Schultern.
Einige Male schon stand er vor der Skulptur, presste seine Lippen auf die ihren
und glitt langsam über das Kinn den Hals entlang. Dieser Kuss endete dann in
dem entzückenden Grübchen zwischen ihren beiden zart hervor ragenden
Schlüsselbeinen. Gleichzeitig umspannten seine Handflächen ihre beiden festen
Brüste und strichen über die heraus gemeisselten Spitzen.
Seine und ihre Erregung war für ihn deutlich zu spüren.
Ja, er meinte sogar, je länger er so dastand, seinen Körper an den Stein gepresst,
dass dieser eine Wärme ausstrahlte, die auf ihn überging.
Die nun folgenden Tage wird er die, inzwischen nur angedeutenden Formen, ihre
fliessenden Hüften in ihre endgültige Form bringen. Er wird die leichte Wölbung
ihres Bauches heraus meisseln und den Nabel, an dem sie immer so empfindlich
reagierte, leicht andeuten. Nur andeuten, nur soviel, dass er ihn mit seiner
Zunge umspielen kann, die Mitte suchen und leichten Druck ausüben. Sie wird
sicher wieder dieses gurrenden Lachen von sich geben, das er so liebte.
Wer sagt denn, dass ein Stein nichts empfinden kann? Er ist ein Teil der Natur
und gerade Marmor lebt und atmet. Viele grossen Künstler haben aus diesem
Material unvergessliche Statuen geschaffen.
In einer der letzten Nächte, als eine Wolke das Mondlicht gerade ablenkte, hat
sie sich aus dem Stein gelöst und ist langsam auf ihn zu gekommen. Sie stieg
einfach von dem Sockel herab und kniete sich neben seine Liegestatt.
Er konnte den Schwung ihrer Wangen berühren, mit seinen Fingerspitzen ihre
Lippen nachziehen und spürte ihre Zunge, wie sie sich leicht hin und her
bewegte.
Ihre Arme glitten an seiner Seite langsam auf und ab und es war wie damals, als
sie sich in Zeit und Raum verloren glaubten.
Als der Morgen aus der Dämmerung aufsteigt, die Dunkelheit sich in die Ecken
des Ateliers zurückzog, erwacht er aus einem tiefen Schlaf. Sein erster Blick
traf die Skulptur, die so da stand, als wäre in dieser Nacht nichts geschehen.
Doch er wusste es besser.
Langsam nahm der Marmor Gestalt an. Der Schwung von den Hüften zu den Schenkeln
gelang aus der Erinnerung in unglaublicher Formvollendung und endete in den
zarten Füssen.
Er liebte ihre Füsse, sie waren schmal und feinnervig. Was aber das
Wunderbarste an ihnen war, sie waren sehr empfindlich. Sie liebte es damals
immer, seine Fingerspitzen darauf zu spüren. Er liebte es, wenn er sie fast zum
Wahnsinn trieb, indem er seine Fingernägel über ihre Sohle laufen liess und
dabei gleichzeitig mit der anderen Hand über ihren Körper strich. In seltenen
Fällen brachte er sie bis zum Höhepunkt, was er sehr genoss.
Bei jeder einzelnen Zehe verweilt er, arbeitet mit dem Meissel die zarten Nägel
heraus, berührte jede Zehe an der Unterseite und lächelte, wenn er meinte, sie
seufzen zu hören. Er nahm sich viel Zeit, er genoss es, als er zur Kenntnis
nehmen musste, dass es ihn ebenfalls erregt.
Es folgten nun einige Tage, an denen er mit grosser Akribie daran ging, den
Bereich unter ihrem Bauch, zwischen den beiden geschlossenen Schenkeln, zu
bearbeiten. Er arbeitet einen kleinen Hügel heraus, gewölbt und zart in ein
Ypsilon auslaufend.
Es dauert sehr lange, bis er vollkommen zufrieden damit war Seine darüber
streichenden Hände fanden immer wieder eine Unstimmigkeit, eine Unebenheit und
liessen Signale durch den Körper laufen, ihn ein wenig pausieren.
Es waren quälende Nächte, in denen er sich alles wieder herbeirief, ihre zarte
Haut, die fliessenden Formen. Die Gedanken an jene Augenblicke, wo er diese
sanften Linien mit seinen Fingerkuppen teilen konnte, die Muschel ihre Perle
preisgab und sie eingingen in eine Welt von Gefühlen, Feuer und Eis.
Nach Wochen hatte er noch immer nur die Vorderseite der Gestalt heraus
gearbeitet. Es ist als wäre sie mit dem Stein verschmolzen, von ihm gefangen.
In seiner Fantasie manifestiert sich auch der Glaube oder der Wille, sie wäre
verwunschen für alle Zeit und in diesen Stein gefangen.
Er hatte den bearbeiteten Stein so aufgestellt, dass ihn das Mondlicht voll
traf und er die heraus gearbeitete Skulptur von seiner Liege aus betrachten
konnte. Seine Blicke konnten ungestört an den Konturen entlang gleiten,
verweilen und sie auch liebkosen. Es steigerte sein Machtgefühl, dass sie es
ihm nicht verwehren konnte, sie mit Blicken und auch mit seinen Händen zu
berühren, solange und so intensiv als er wollte.
Immer wieder bearbeitete er den Stein, ergänzte hier etwas und meisselt dort
ein wenig weg, doch die totale Trennung, das Loslösen vom Stein, vermied er.
In manchen Nächten löste sie sich vom Marmorblock, stieg herab und verschmolz
mit ihm in leidenschaftlichen Umarmungen. Er konnte ihren Atem spüren, die
Erregung und das Pulsieren ihres Körpers.
Marmor ist ein warmer lebendiger Stein.
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