FLIEDER
AUF NACKTER HAUT
von Joana Angelides
Es gibt nichts Schöneres für sie im Frühling, als mit dem Gesicht in einen großen Strauß Flieder einzutauchen. Die sich kühl anfühlenden Blüten und Blätter zauberten eine herrliche Atmosphäre von Frische und geheimnisvollen Düften herbei.
Immer, wenn sie eines dieser kleinen,
filigranen Fliederbäumchen oder einen Strauß Flieder sah, tauchte auch ein
geheimnisvoller Mann aus ihrem Inneren auf, der untrennbar damit verbunden ist.
Es war einer jener Tage, fast schon
Frühsommer, an denen sie nachmittags gerne am Ende der Wiese hinter dem Haus
auf einer Liege lag und las. Die Erde war feucht und roch wunderbar. Es gab
keinen Zaun, dichter Grünwuchs begrenzte die Wiese und eine Böschung fiel ab zu
dem kleinen Bach. Über ihr stand der
kleine Fliederbaum in voller Blüte und strömte diesen wundervollen,
unverwechselbaren Duft aus.
Sie liebte damals wie heute, bodenlange,
weite Kleider, die den Körper zwar umhüllen, aber nicht einengen und
Bewegungsfreiheit gewähren.
Sie hatte einen kleinen Zweig mit
Fliederblüten abgeschnitten und drehte ihn zwischen den Fingern. Hin und wieder
führte sie ihn zum Gesicht und atmete den Duft ein.
Sie mußte eingeschlafen sein, dann sie
merkte nicht, dass sich ihr jemand von der Seite her näherte.
„Erschrecken Sie nicht, ich will Sie nicht
stören, wenn Sie erlauben, werde ich Sie malen!“
Ein Schatten fiel über sie und sie blickte
in das Gesicht eines jungen Mannes mit einem dunklen Kinnbart, dunklen Augen und
längerem Haar das ihm bis auf die Schultern fiel.
Er hatte etwas weiter weg eine Staffelei
aufgebaut, ein kleines Tischchen daneben gestellt und darauf seine Utensilien
abgelegt. Er hatte die Sonne im Rücken, sie konnte seine Gesichtszüge daher
nicht klar erkennen.
Seine Stimme war ruhig, weich und dunkel,
sein Ton jedoch sehr bestimmt, als würde er keine Widerrede dulden.
Sie mußte lächeln. Ja, warum nicht? Sie
hatte Muße und irgendwie gefiel es ihr, gemalt zu werden.
„Ich werde Sie Flor nennen. Das ist spanisch und bedeutend Blume, Blüte. Das paßt
so schön zu Ihnen.“
Sie nickte, es war ihr alles Recht. Erst
jetzt bemerkte sie seinen Akzent, er war scheinbar Spanier.
Er brach noch einige Blütenzweige zusätzlich
ab und legte sie ihr in den Schoß. Einen kleinen Zweig steckt er ihr hinter das
Ohr und richtete wie selbstverständlich eine kleine Haarsträhne so, dass der Zweig
gehalten wurde. Dazwischen wich er immer wieder einen Schritt zurück und
kontrollierte das sich ihm bietende Bild.
Sie lehnte sich an die Rückenlehne der Liege
und betrachtete ihn amüsiert.
Welche Leichtigkeit er doch an den Tag
legte, unbekümmert und doch selbstbewußt.
Er begann nun die Umrisse zu skizzieren und
seine Blicke waren teils abwägend, teils forschend und teilweise nachdenklich
auf sie gerichtet.
Nach zwei Stunden, in denen sie weiter in
ihrem Buch las, die Blüten in ihrer Hand und im Schoß immer wieder hin und her
schob, war die erste Sitzung beendet.
Er packte seine Staffelei und seine
Utensilien zusammen und sie vereinbarten, morgen die Sitzung fortzusetzen.
Er verbeugte sich vor ihr sehr galant,
deutete einen Handkuß an und ging die Böschung hinunter.
Sie blieb noch eine Weile in ihrer Stellung
und drehte den Flieder in ihren Fingern hin und her.
Sie hatte ihn gar nicht nach seinen Namen
gefragt und er hatte ihn auch nicht genannt.
Am nächsten Tag fand sie sich wieder
rückwärts unter dem Bäumchen ein und setzte sich aufrecht hin, als sie ihn
schon kommen hörte.
„Ach Flor,
Sie sehen wunderbar aus! Sie erinnern an die Blumenfeen aus den Erzählungen
der Poeten!“ Er lächelte sie an und seine Augen sprühten vor Bewunderung.
Er suchte wieder die Lage ihres Kleides und
die Haltung ihres Körpers so zu arrangieren, wie sie gestern waren und berührte
sie dabei einige Male. Bei jeder dieser Berührungen schaute er sie groß und
fragend an. Seine Blicke begannen bei ihr Wirkung zu zeigen, sie errötete
leicht und konnte seinen Blicken nicht immer ausweichen.
Verlegen räusperte sie sich.
„Sie nennen mich Flor, Ihren Namen aber weiß ich gar nicht! Wenn Sie eines Tages ein
berühmter Maler sein werden, werde ich es gar nicht wissen.“
„Entschuldigen Sie, das ist meine Schuld,
ich heiße Jaime! Jaime de Gordes!“ Er verbeugte sich wieder leicht und nahm
wieder ihre Hand, um einen Handkuß darauf zu hauchen.
„Schön Jaime, ich werde es mir merken!“
Er ging wieder zu seiner Staffelei und nahm
den Pinsel zur Hand. Nach einigen Pinselstrichen kam er jedoch wieder zurück.
„Mein Bild soll nicht nur die Schönheit der
Blumenzweige zeigen, sondern auch Ihre Schönheit. Es ist eine so zarte,
duftige, in sich ruhende Schönheit. Der Eindruck entsteht, dass ihre Schönheit
wie eine halb geöffnete Knospe nur auf den Tau der Liebe wartet, um sich zu
öffnen.“
Diese so unerwartet offenen Worte von einem
fast Fremden ließ ihr das Blut in den Kopf steigen. Sie wußte gar nicht, was
sie da erwidern sollte. Eigentlich sollte sie nun die unangenehm Berührte herauskehren.
Doch das Gegenteil passierte. Sie fühlte sich plötzlich wie genau diese
halboffene Knospe, die er genannte hatte. Neugierde auf diesen Mann stieg in
ihr auf und sie lächelte hilflos.
Er hatte inzwischen noch einige zusätzliche
Fliederzweige abgebrochen und arrangierte sie rund um sie. Er öffnete wie
selbstverständlich ihr Kleid vorne und legte diese zwischen ihre offen und
nackt daliegenden Brüste.
Die kühlen Blüten und die Berührung der
Zweige und Blätter erregte sie sehr und ließ ihre Haut erzittern.
Er streifte mit seinem Zeigefinger eines der
Blätter, das ihre linke Brustspitze verdeckte, weg und berührte sie dabei.
Plötzlich war die Welt nur mehr
Flieder! Vergessen war die sie umgebende
Welt, die noch fast leere Leinwand, die erst Konturen und vereinzelte Blüten
zeigte. Vergessen auch die Einsehbarkeit des Ortes.
Unversehens hielt er sie zärtlich in seinen
Armen und sie küßten sich leidenschaftlich. Zwischen ihren beiden Körpern
wurden die Fliederblüten zerdrückt und dieser Geruch berauschte sie noch
zusätzlich. Er war einfühlsam, zärtlich und seine Leidenschaft war wie glühende
Lava, die sie langsam und verzehrend umfloß. Es waren Momente, wo sie darin in
jäh auflodernden vereinzelten Flammen aufging.
Das Bild machte fast keine Fortschritte, immer,
wenn er Blüten zwischen ihren Brüsten arrangierte, konnten sie sich nicht mehr
voneinander lösen.
Es war ein wunderbarer Sommer, ausgefüllt
mit leidenschaftlichen Gefühlen, Hingabe vermischt mit Ruhepausen und
neckischen Spielen mit Blüten und Blättern. Der Flieder ging ihnen aus, dann
kamen die Pfingstrosen und im Laufe des Sommers die restlichen Blüten des
Gartens an die Reihe.
Dann kam der Tag wo sie vergebens auf ihn
warteten. Der Sommer war schon fast zu Ende, die Tage kürzer.
Auf der Liege lag das fertige Bild und
einige Blütenblätter waren darüber verstreut. Sie hörte nie wieder von ihm.
Immer, wenn im Frühjahr der Flieder zu
blühen begann, kam auch die Erinnerung zurück.
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