Die Frau vom Riff.
von Joana Angelides
Vom Boot aus gesehen, lag das Haus hoch oben am Fels, einem Adlerhorst
gleich. Man konnte meinen, es balancierte auf der Spitze des Felsens und der
kleinste Windstoß könnte es herabwehen.
Weiter drauĂźen, in Richtung
offenes Meer, schlugen die Wellen ans Riff und weiße Gischt schäumte
auf. Es war wie eine Barriere, davor
wĂĽrde sein kleines Boot erbarmungslos daran zerschellen.
Er saĂź im Boot und blickte schon eine ganze Weile nach oben. Sina, die
LabradorhĂĽndin saĂź dort am Rande der ins Meer ragenden Terrasse und beobachtete
ihn. Immer, wenn er die Hand hob, stand sie auf und er konnte sehen, wie sie
den Schwanz hin und her bewegte. Sina hasste Salzwasser und blieb daher, wenn
er mit dem Boot hinausfuhr immer an Land,
Das Ruder tauchte in das klare Wasser ein und erzeugte ein sanftes
Kräuseln der Wellen. Er ließ sich treiben, wie jeden Tag um diese Zeit zwischen
Tageslicht und Dämmerung.
Er nahm sich vor, das in Arbeit befindliche Bild morgen endlich fertig
zu stellen. Eigentlich war es ja schon seit Tagen fertig, doch es gab immer
wieder jenen und diesen Pinselstrich um es zu vervollkommnen.
Doch konnte er das nur in den Vormittagstunden, wenn die Sonne schräg am Himmel stand und das
Licht hell und fluoreszierend war.
Sein Blick tauchte
gedankenverloren in die sanft an die Planken des Bootes schlagenden
Wellen, bis auf den Meeresboden zu den Spuren im Sand, die die kleinen Krebse
auf ihren Wanderungen dort hinterlieĂźen.
Da war plötzlich das Gesicht
dieses Mädchens wieder. Es lag an der Wasseroberfläche, als wäre sie ein
Spiegel. Es war ein schönes, ebenmäßiges Gesicht.
Ganz am Anfang, als es ihm nur hin und wieder erschien, drehte er sich
im Glauben, sie stĂĽnde hinter ihm, um. Doch dem war nicht so.
Das blonde Haar wurde von den Wellen auf und ab bewegt und umschloss
ihr Gesicht wie ein Bilderrahmen. Die Augen waren halb geöffnet und sahen ihn
fragend an. Ihre Lippen öffneten sich,
als wollten sie ihm etwas sagen, das er
nicht verstehen konnte.
Er vermied immer das Ruder zu bewegen um das Bild nicht zu zerstören.
Sie schien seinen Blick festzuhalten und ehe er es sich versah, war er des
Ă–fteren schon viel zu weit hinaus getrieben worden. Um wieder zurĂĽck zu kehren,
musste er dann doch das Ruder mit voller Kraft einsetzen und das Boot wenden.
Das Bildnis war dann jedes Mal
verschwunden.
Er redete sich dann ein, dass es
nur Einbildung war und versuchte das
Geschehen zu verdrängen.
Doch dieses Gesicht drängte sich sogar in seine Träume. Es lockte ihn
aufs Meer hinaus und er folgte ihm willenlos und fand sich in manchen Nächten
tief unten am Meeresboden, von sich
bewegenden Schlingpflanzen umgeben, kämpfend mit Blätterranken, die ihn
festzuhalten schienen. Er konnte sich nur unter allergrößter Anstrengung
freimachen. Es gab da Muränen, die aus dunklen Höhlen der Felsen hervor
schossen, die kleinen runden Augen gefährlich auf ihn gerichtet und das Maul
mit den starken Zähnen zum Biss weit geöffnet.
Und immer war das Gesicht vor ihm, das ihn lautlos lockte und rief.
Er ruderte zurück, vertäute das Boot am Steg und ging langsam, immer
wieder nach rückwärts aufs Meer hinaus blickend, zu dem Haus hinauf. Sina kam
ihm auf halbem Wege entgegen und zusammen gingen sie ins Haus.
Die Nacht kam fast unvermittelt, die Sonne versank blutrot in den
Fluten und die Dunkelheit hüllte ihn nun ein. Die Lampe rückwärts im Raum
spendete gedämpftes fast orangefarbenes Licht und die Schatten der Möbel im
Raum tanzten im Licht des flackernden Feuers im Kamin. Er versank in dem tiefen
Lehnsessel davor, streckte sein Beine aus und fĂĽhrte das Glas an den Mund.
Der Duft des alten Kognaks stieg ihm in die Nase und
seine Hand versank im Fell von Sina, der neben ihm liegenden, zufrieden
knurrenden LabradorhĂĽndin.
Das flackernde Feuer fesselte seinen Blick und die zĂĽngelnden Flammen
erinnerten ihn wieder an das im Wasser schwebende helle Haar rund um das
Mädchenbildnis.
In dieser Nacht lieĂź ihn der Gedanke daran nicht mehr los und bereits
am frĂĽhen Morgen stand er auf seiner Terrasse und begann mit einigen flĂĽchtigen Pinselstrichen dieses
Mädchengesicht aus dem Gedächtnis zu skizzieren. Vergessen war der Vorsatz, das
andere Bild fertig zustellen, die letzten Pinselstrichen zu machen. Es lehnte
vergessen an der Wand.
Zwischendurch schloss er immer wieder seine Augen, um
sich das Bildnis in Erinnerung zu rufen und versuchte es dann auf die Leinwand
zu bringen. Er arbeitete wie besessen und vergaß darüber Zeit und Raum völlig.
Erst Sina erinnerte ihn daran, dass es Zeit war etwas
zu essen. Lustlos bereitete er fĂĽr sich und Sina einen kleinen Imbiss zu und
setzte sich dann gegenĂĽber der Staffel, um die Zeichnung prĂĽfend anzusehen.
Sina schien nicht zu gefallen was sie sah, sie knurrte
leise.
Auch er war mit dem halbfertigen Bild, eigentlich mehr
eine Skizze, unzufrieden. Die Zeichnung
wirkte flach und unwirklich, es fehlte ihr jenes gewisse Flair, welches das
Bildnis im Wasser hatte. Es fehlte ihm an Leben. Die Augen waren seelenlos, der
Mund formte keine Laute.
Er musste wieder hinaus, er musste versuchen, das
Bildnis wieder zu finden, schwebend an der Oberfläche der Wellen. Musste in
ihre Augen tauchen, hören was sie ihm zu sagen hatte.
Die Ruder tauchten regelmäßig und kraftvoll in das
klare Wasser und seine Blicke streiften suchend über die Oberfläche. Die Sonne
lag ĂĽber dem Wasser und schickte Sonnenkringel in die Tiefe.
Einige Meter vor ihm sah er dann plötzlich die goldene
Mähne des Mädchens auf und abtauchen. Er versuchte ihr näher zu kommen, ruderte
schneller und angestrengter. Doch der Abstand verringerte sich in keiner Weise.
Die HĂĽndin Sina, hoch oben auf der Terrasse hatte sich aufgerichtet und ihr Blick
erfasste das Boot, welches sich immer weiter entfernte. Sie lief nervös hin und
her und versucht durch Bellen auf sich aufmerksam zu machen.
Er ruderte noch immer hinter seinem Traum her,
versuchte die Worte zu verstehen, die sie flĂĽsterte, doch er kam ihr niemals
nahe genug.
Ihre goldenen Haare schienen sich im Ruder zu
verfangen, ihr Gesicht tauchte weg und kam auf der anderen Seite des Bootes
herauf. Ihre Augen blickten ihn groĂź und fragend an.
Er hatte längst jedes Maß verloren, entfernte sich
immer mehr vom Land und das Haus am Felsen wurde immer kleiner, doch er
beachtete es kaum. Er wollte ihr Gesicht aus der Nähe sehen, hören was sie
sagte.
Und wenn er selbst hinabtauchen wĂĽrde, mit ihr gemeinsam ein StĂĽck schwimmen wĂĽrde?
Er zog die Ruder ein und legte sie neben sich,
richtete sich auf um ĂĽber den Rand zu springen, hinenzutauchen in die
aufgewĂĽhlten Fluten
Er bemerkte nicht die gefährliche Nähe des Riffs,
merkte nicht die tödliche Gefahr.
Sina war längsseits aufgetaucht, sie hatte ihre
Abscheu dem Wasser gegenĂĽber ĂĽberwunden, schwamm um ihr und um sein Leben. Sie
bellte laut und fordernd.
Doch er konnte sie nicht mehr hören. Er war
hineingetaucht in die Wellen, das Boot rammte krachend den Felsen, eine der
Planken traf seinen Kopf, seinen Körper, die Brandung verschluckte ihn und
trieb ihn zwischen den Felsen in das
offene Meer. Das Sonnenlicht legte
goldene Lichter über die Schaumkronen, sie tanzten wie eine goldene Mähne hin
und her.
Möwen zogen ihre Kreise und ihr lautes Schreien
vermischte sich mit den Geräuschen
rundherum.
Sina hatte sich auf einen der Felsen gerettet,
schĂĽttelte ihr Fell und warf traurige, verzweifelte Blicke hinaus auf das Meer.
Sie war zu spät gekommen.
Sie wurde am nächsten Morgen von Fischern mitgenommen,
die vorbeifuhren. Sie sahen die zerschellten Reste des Bootes und nickten
wissend.
„Wahrscheinlich hat ihn die Frau aus dem Riff geholt!
Sie hat wieder ein Opfer gefunden!“
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