Das Glashaus
von Joana Angelides
Meine Fantasie wird
auf eine harte Probe gestellt. Seit einem Monat nun wohnt gegenüber in dem
alten Haus jemand.
Man sieht es an den
Lichtern, die am Abend angehen, daran, dass der Mistkübel an der Hintertüre
wieder voll ist und hin und wieder aus dem Kamin Rauch aufsteigt.
Bei Tage ist das Haus
scheinbar unbewohnt. Keinerlei Aktivitäten sind auszumachen. Die Vorhänge im
ganzen Hause sind immer zugezogen.
Nur abends kommen
manchmal Besucher. Sie läuten einmal kurz, dann geht die Türe auf und sie
huschen hinein. Man hört keine Begrüßung, alles geht völlig geräuschlos vor
sich.
Doch immer wieder
gehen auch die Lichter rückwärts im Glashaus an. Der Vorbesitzer war Gärtner
und züchtete dort Orchideen. Es sind dann Schatten zu sehen, die vorbei
gleiten, die dann ruhig stehen bleiben und sich wieder bewegen. Dann geht das
Licht dort plötzlich wieder aus, doch geheimnisvolle Schatten ziehen an den
verschmutzten Glasscheiben vorbei.
Manchmal liegt in der
Luft so ein Surren, dann wieder leise Musik wie von einigen Geigen. Doch die
Melodien sind eher tragend und melancholisch. Meine Überlegungen gehen dahin,
dass es sich vielleicht um einen Geheimbund handelt. Oder um eine
Glaubens-Sekte. Aber dafür gibt es keinerlei Hinweise, das heißt, es gibt
überhaupt nichts.
In der Zwischenzeit
hat sich mein Lebensrhythmus verändert. Bei Tag werfe ich nur hin und wieder
einen Blick hinüber in das alte Haus. Abends, wenn die Dämmerung hereinbricht jedoch,
sitze ich am Fenster und beobachte es. Ich registriere jede Bewegung der
Vorhänge, wann wo das Licht angeht, jeden Besucher, der das Haus betritt.
Auch das Verhältnis
zu meinem Verleger hat die Situation wesentlich beeinflußt, da ich mit der
Ablieferung meiner Artikel bereits in Terminnot gekommen bin. Bei Tag muß ich
den versäumten Schlaf teilweise nachholen, den ich in der Nacht versäume. Ich
konnte ihn nur beruhigen, indem ich ihm eine tolle Story versprochen habe.
Aber, wo bleibt nur
das Material für diese Story?
Gestern bin ich am
Fenster vor Müdigkeit eingeschlafen und erst im Morgengrauen wieder aufgewacht.
Da konnte ich sehen, wie zwei dunkel gekleidete Gestalten das Haus eilig
verließen und in meinem Halbschlaf schien es mir, als ob sie sich in der
Dämmerung verlieren und über den Bäumen verschwinden würden.
Ich habe mich
entschlossen, heute Abend einmal auch dort hinüber zu gehen, allerdings nicht
von vorne in das Haus einzudringen, sondern es gleich über das Glashaus zu
versuchen.
Voller Ungeduld wartete
ich auf den Abend und endlich, es war soweit. Ich beobachtete, dass bereits bis
zu sechs Personen das Haus betreten haben und auch im Glashaus einige Bewegung
war.
Leise verließ ich die
Wohnung durch die Küchentüre und eilte hinüber. Der Zaun war schon seit vielen
Jahren fast nicht mehr vorhanden und keiner hatte sich die Mühe gemacht in
wieder zu richten.
Nun stand ich da und
versuchte mit der flachen Hand eine der Scheiben soweit vom Staub und Schmutz
zu befreien, dass ich hineinsehen konnte.
Es raubte mir den
Atem. Es befanden sich mindestens zwanzig Leute in diesem Raum. Sie standen
herum und unterhielten sich angeregt. Doch sie waren alle ungewöhnlich
gekleidet. Die Männer hatten weiße Hemden mit Spitzenkrägen und
Spitzenmanschetten an, lange schwarze Umhänge mit weiten Ärmeln und manche
hatten auch schwarze Hüte auf dem Kopf. Eine Frau unter all den anderen Frauen
fiel mir besonders auf. Sie hatte lange schwarze Haare, das ihr in dichten
Locken auf die Schulter fiel, ihre Haut war Alabaster farbig und ihre Augen
waren schwarz und groß. Ein dichter Wimpernkranz umrandete sie, ihr Blick war
traurig, aber sehr aufmerksam. Sie lehnte an einer Orchideenrispe und schien
mit ihr zu verschmelzen. Sie war nicht so blaß, wie all die anderen, auch ihre
Kleidung schien sich zu unterscheiden. Sie mußte direkt aus einer
Abendgesellschaft hierher gekommen sein.
Hinter ihr stand ein
Mann, der ihr etwas ins Ohr flüsterte und dabei seine Hände auf ihrem Körper
auf und abgleiten ließ. Sein Mund war dabei so nahe an ihrem Ohr, dass sicher
niemand hören konnte, was er flüsterte. Sie senkte den Blick und eine sanfte
Röte färbte ihre Wangen.
Ich konnte meinen
Blick nicht von ihr wenden. Ihr biegsamer Körper, ihre zarten Schultern, all
das erweckte in diesem Moment in mir ein ungeheures Verlangen, sofort das
Glashaus zu betreten und sie aus der Umarmung dieses Mannes zu reißen. Ich
hörte das Blut in meinen Ohren rauschen.
Es waren auch andere
Pärchen zu sehen, doch waren sie alle irgendwie im Einklang mit einander, die
Kleidung, das blasse Aussehen und die eleganten Bewegungen.
Da wurde ich wieder
auf das Pärchen bei den Orchideen aufmerksam, ich merkte einige heftige
Bewegungen des schönen Mädchens. Sie drehte sich um, hob den linken Arm, wie
zur Abwehr, hielt jedoch plötzlich in der Bewegung inne und erstarrte. Ich sah
von draußen, wie sich der Mann hinter ihr mit seinem Mund ihrem Hals näherte
und dann seine großen Eckzähne darin versenkte. Er hielt sie fest mit einem Arm
um die Taille und schien sie nie mehr loslassen zu wollen. Sie erstarrte und ließ beide Arme sinken, die
dann wie leblos links und rechts von ihrem Körper herabhingen. Sie zuckte nur
ein paar Mal, dann hielt sie still.
Entsetzen stieg in
mir hoch, ich bekam einen Krampf in der Magengegend. Ich war soeben Zeuge geworden,
wie sich ein Vampir ein Menschenkind holte und es erbarmungslos aussaugte.
Mit einem Schlag
verharrte die gesamte Gesellschaft in ihrer Bewegung und alle starrten zu den
beiden hinüber. Ich konnte in ihren Augen die nackte Gier erkennen. Sie bewegten
die Oberkörper in einem bestimmten Rhythmus hin und her.
Es schien nie zu
enden, er hatte seinen Mund noch immer an ihrem Hals und sie war noch immer
bewegungslos. Mit einem lauten Schrei zerschlug ich die Glasscheibe und stürzte
mich in das Glashaus.
Erschrocken drehten
sich alle zu mir und starrten mich an. Sie bildeten sofort einen Halbkreis um
die beiden und ihre Blicke wurden drohend. Sie streckten alle die Hände nach
mir aus. Ich mußte immer weiter zurückweichen.
Während dessen
standen die beiden noch immer dort. Doch der Mann hatte nun von dem weißen
Mädchenhals abgelassen und seinen Kopf erhoben. Sein Arm ließ sie los und sie
stürzte zu Boden. Er starrte mich feindselig an.
Da öffnete sich der
menschliche Halbkreis, sodass ich das Mädchen nun sehen konnte. Sie lag
bewegungslos da und schien ohnmächtig zu sein.
Ohne zu überlegen
stieß ich zwei der Gestalten zur Seite und eilte zu ihr hin. Ich sank in die
Knie und nahm ihren Kopf in meinen Arm und hob ihn auf. Sie hatte die Augen geschlossen,
ihr Kopf fiel zur Seite, sodass ich ihren Hals sehen konnte. Es waren zwei
Tiefe Wunden zu sehen, aus denen noch zwei Blutstropfen austraten. Ich wischte
sie mit meinem Taschentuch ab. Ich versuchte auf sie einzureden und sah, dass
sich ihre Lippen leicht bewegten. Ihre Brust hob und senkte sich, sie atmete
tief. Ich senkte mein Gesicht zu ihrem hin, um sie besser verstehen zu können.
Und in diesem
Augenblick geschah es. Sie stieß einen schrecklichen, gurgelnden Laut aus und
ihr Mund öffnete sich ganz und ich konnte ihre großen Eckzähne sehen. Es war zu
spät um ihr zu entkommen. Sie vergrub ihre Zähne nun ihrerseits in meinen Hals.
Der Halbkreis schloß
sich wieder, aber diesmal blickten die dunklen Gestalten nach innen, in den
Kreis und beobachteten nun uns beide.
Sie hatte mich zu
sich hinab gezogen, ich spürte ihren heftigen Atem, ich roch ihr wunderbares
Haar, ich spürte den weichen Körper, wie er sich hob und senkte. Der Schmerz an
meinem Hals dagegen war kaum spürbar. Ich fühlte mich immer leichter und leichter,
bis sie endlich von mir abließ.
Plötzlich löste sich
der Kreis um uns auf und die dunklen Gestalten begannen die Blumen im Glashaus
abzupflücken und über uns zu streuen. Sie halfen uns beiden dann aufzustehen
und einer nach dem anderen gab mir und ihr die Hand, sie lächelten uns an und
im Nu waren wir in ihrem Kreis integriert und wurden von einem zum anderen
weitergereicht. Doch mein Blick blieb nur an ihrem hängen und ihrem kleinen
Lächeln in den Augenwinkeln, das nur für mich war.
Wir trafen uns ab nun
täglich im Glashaus, wir tanzten in all den Nächten, wir berührten uns und in
Vollmondnächten war es immer wieder ein Fest, wenn neue Menschen zu uns
stießen, die wir in unsere Gemeinschaft aufnehmen konnten.
Mein Leben hatte sich
von Grund auf geändert. Ich schrieb nur mehr nachts. Manchmal saß sie zu meinen
Füßen und hatte den Kopf auf meinen Knien, manchmal erschienen auch einige
dieser seltsamen Gestalten aus dem Glashaus und raunten mir Geschichten zu.
Mein Verleger war
wieder zufrieden mit mir.
Die angekündigte
Story hat er nicht bekommen.
Was hätte ich ihm
sagen sollen? Ich bin jetzt ein Vampir? Er hätte mir nicht geglaubt und mich
gefeuert.
Er brauchte auch
keine Angst zu haben, dass ich eines Tages sterben werde und er keine Artikel mehr
bekommt. Ich werde noch schreiben, da wird er schon längst nicht mehr sein.
Auch über https://www.bookrix.de/-joanavienna/
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