Zärtlicher Vampir
von Joana Angelides
Sie vermochte nicht
zu sagen, seit wann sie ihn schon wahrnahm. Eines Abends war er da und blickte
über sein Glas hinweg, unentwegt zu ihr herüber.
Zwischen ihnen lagen
der halb dunkle Raum der Bar und die Theke. Das Licht der indirekten
Beleuchtung fiel auf ihr blondes Haar und ließ es hin und wieder golden
aufblitzen.
Sie war ganz in
schwarz gekleidet, der tiefe Ausschnitt des Kleides war bedeckt mit schwarzer
Spitze und ließ die Haut durchschimmern.
Meist saß er in der
Tiefe des Raumes, nach rückwärts gelehnt und hatte seine Füße übereinander
geschlagen. Hin und wieder nippte er an dem Glas und schaute sie dabei mit
großen dunklen, tief liegenden Augen unentwegt an.
Er war immer der
erste Gast, ging als Letzter mit leichtem
Nicken und einem kleinen Lächeln.
Manchmal stand er
aber auch an der Bar und verlangte mit leiser Stimme seinen Drink, Bloody Mary.
Vor einigen Tagen
sprachen sie das erste Mal miteinander. Sie stellte zaghafte, unverbindliche
Fragen, die er ebenso unverbindlich beantwortete. Seine Stimme war dunkel und
angenehm.
Es entwickelten sich
ungewöhnliche Gespräche. Wenn keine anderen Gäste da waren, sprachen sie über
dieses und jenes, lachten manchmal leise und kamen sich dadurch näher. Wenn
jedoch dann mehrere Gäste an die Theke kamen, verließ er wortlos seinen Platz
und nahm wieder seinen angestammten Platz ein. Ihre Blicke trafen sich dann
immer wieder, vom grellen Licht der Theke hin zum Halbdunkel der Tiefe des
Raumes.
Der Abend war bereits
fortgeschritten, es drängten sich mehrere Bar-Besucher vor der Theke und sie
verlor ihn aus den Augen. Es musste schon fast morgens sein, es war eine lange
Nacht!
Als sie wieder eine
kleine Pause machen konnte, spülte sie
die Gläser und stellte sie an ihren
Platz. Dann blickte sie wieder auf, doch
sein Platz war leer.
Sie wurde unruhig,
was war geschehen? Plötzlich fehlte er ihr, sie kam sich alleine vor.
Sie stützte den Kopf
auf ihre linke Hand und schloss die Augen. Naja, eigentlich hatte er immer nur
unverbindliche Antworten gegeben, niemals ging er auf allzu persönliche Fragen
oder Bemerkungen ein. Wahrscheinlich war
sie für ihn nur ein alltägliches Gegenüber, nette Gesprächspartnerin, aber
nicht mehr. Sie spürte einen kleinen Schmerz
in der Brust.
Sie sollte wieder auf
den Boden der Wirklichkeit zurückkehren, wäre besser für ihren Seelenfrieden
Und doch verließ sie
die Theke und ging langsam zu seinem Platz hin. Vielleicht hatte er einen
Hinweis hinterlassen, irgendwas!
Nein, es lag nur eine
Streichholzschachtel da, mit ein paar Streichhölzern drin, alle geknickt. Sie
nahm sie heraus und steckte sie ein, automatisch, ohne zu überlegen, was sie
damit machen sollte.
„Warum machen Sie
nicht Schluss? Es wird schon fast hell, es war eine lange Nacht!". Die
Stimme von Alex, dem Geschäftsführer
klang tadelnd.
„Ja, tut mir leid,
habe nur was gesucht“, sagte sie.
„Suchen Sie den
unheimlichen Gast? Den mit dem stechenden Blick, der immer nur Bloody Mary´s
trinkt? Der ist gegangen, hat aber diesen Handschuh verloren.“
Er warf ihr den
dunklen Handschuh auf die Theke und lächelte ironisch.
Soll man nur darüber
reden, sie machte sich Sorgen. Er ging doch nie, ohne sein kleines Lächeln und
einem leichten Nicken.
Sie löschte die
Lichter, nahm ihren Mantel und trat aus der Bar hinaus in den hereinbrechenden
Morgen.
Sie kam in ihre leere
Wohnung, spürte die aus den Ecken kriechende Einsamkeit heute doppelt. Sie
schloss die Vorhänge, um Dunkelheit zu erzeugen. Müde, alle Glieder spürend,
versuchte sie zu schlafen. Doch immer wieder erschien in ihrem Halbschlaf die
dunkle, ach so vertraute Gestalt des Fremden. Es war ihr, als würden sie
miteinander sprechen, über alles Mögliche, nur nicht über sich und ihren
Gefühlen. Sie wollten sich berühren, es gelang ihnen nur mit den Fingerspitzen,
dann entschwand er immer wieder. Es wurde ein unruhiger Schlaf.
Sie schlief bis in
den späten Nachmittag, blieb jedoch dann noch liegen und versuchte ihre Gedanken zu ordnen.
Sollte sie sich
verliebt haben? Sie hielt den vergessenen Handschuh in der linken Hand, sie
bemerkte einen leichten Geruch nach Tabak, oder ähnlichem.
Sie nickte wieder ein
und verlor Zeit und Raum.
Der Vorhang wölbte
sich nach vorne und aus dem Schatten des Vorhanges löste sich eine dunkle
Gestalt. Er war die ganze Zeit hier gewesen, hatte ihr beim Schlafen zugesehen,
den Polster glatt gestreift und mit den Händen
leicht über ihren Körper gestrichen.
Er wusste es genau,
er hatte sich verliebt. Verliebt in dieses bezaubernde Geschöpf, voller Leben,
mit sehnsüchtigen Gedanken.
Er wollte nicht, dass
sie in dieser Bar arbeitet, sich von hungrigen Männeraugen anstarren lassen muss und geduldig auf stumpfe Fragen und mühsame Konversation reagieren musste.
Er wollte sie für
sich haben, für sich in alle Ewigkeit. Er wollte ihre Nähe spüren.
Es ist so, dass
Liebende natürlich immer das Bedürfnis haben, sich nahe zu sein. Man will die
Hände des geliebten Menschen auf seiner Haut spüren, seinen Atem im Gesicht, am
Hals und im Halbdunkel zwischen dem Haaransatz und dem Genick. Dort stellen
sich dann die ganz feinen Haare auf und erzeugen ein kribbelndes Gefühl und die
Kopfhaut zieht sich zusammen.
In diesem Moment
öffnete sie halb ihre Augen und spürte
seine gespreizten Finger im Haar langsam versinken. Seine Fingerkuppen
berührten ihre Kopfhaut und tausend Sterne explodierten hinter den halb offenen
Augenlidern.
Sie berührte sein
Gesicht mit der Innenseite ihrer geöffneten Hände, um es ganz nahe
heranzuziehen
Dann spürte sie seinen
Mund auf ihrer Haut nach ihren
Lippen suchend über die Wangen streichen und öffnete, noch bevor er sie
erreichte, ihre Lippen erwartungsvoll.
Es entstand ein ungeheures Spannungsfeld zwischen
ihnen beiden, ein Vortasten in den Garten der Gefühle.
Die Welt versank in einem
Meer von Traum und Wirklichkeit. Sie stürzten, einem Wasserfall gleich tosend
über die Felsen und ergossen sich in die Tiefe.
Die Erlösung aus
dieser totalen Auflösung und des sich Fallenlassens geschah, als sie dann am Fuße dieses ungeheuren Gebirges
diesem süßen Tode entgegen stürzten,
sich jedoch gleichzeitig wieder
vereinten und als aufgewühlter, aber vereinter Fluss, mitsammen unlöslich
verbunden, in ihrem Flussbett weiter strömten,
sich aneinander schmiegten und in kleinen weiße Schaumkronen flüsternd
verloren.
Sie hielten sich noch
eine Weile fest umschlungen und ihre Blicke versanken ineinander. Er senkte
langsam seinen Kopf und berührte ihren Hals mit seinen Lippen, er öffnete sie
und sie spürte diesen stechenden Schmerz nur für einen Augenblick. Dann
durchströmte sie eine angenehme Müdigkeit, sie spürte ihr Blut pulsierend zu
ihm hin strömen, spürte diese Vereinigung der beiden Seelen und des Körpers.
So lagen sie bis es
auch draußen dunkel wurde, sie erlebten in dieser Nacht immer wieder den
Kreislauf der Vereinigung
zweier Wesen, die sich für ewig
verbunden hatten.
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