Alte Bilder
von Joana Angelides
Wenn ich so hinüber
schaue zu ihm, dann bewegt sich zwischen uns beiden ein fluoreszierendes Licht,
silberne, rote und blaue Funken bewegen sich in Zeitlupe im Raum.
Ich denke, dass nur
ich es sehen kann. Denn wie kann es sonst sein, dass er vollkommen unbeteiligt
an mir vorbei auf das Bild an der gegenüber liegenden Wand starren kann, dann
im Katalog blättert und es wieder ansieht, ohne mich zu bemerken.
Nun begegnen wir
uns schon das dritte Mal. Das Museum ist der ideale Platz um sich im selben
Raum länger aufhalten zu können, ohne ein Wort miteinander sprechen zu müssen.
Es erscheint mir nur
rätselhaft, dass er mich so offensichtlich übersieht!
Ich liebe dieses
Museum, es gibt mir die Möglichkeit mit interessanten Menschen in Kontakt zu
treten. Ich liebe die fachkundigen Äußerungen der Besucher, bin oft erstaunt,
wenn sich mir dadurch immer wieder neue Perspektiven auftun. Ich sehe die
Bilder hier dann immer mit anderen Augen und aus neuen Blickwinkeln an.
Vielleicht liegt es
aber auch an mir, dass er mich einfach übersieht, kein Kommentar über
Bildkompositionen von sich gibt.
Ich sollte mich
bemerkbar machen. Nur alleine meine Kleidung, obwohl etwas auffallend und
extravagant, schafft es scheinbar nicht. Vielleicht gefällt sie ihm auch nicht.
Ich sollte meine
Beine besser ins Licht bringen, den Rocksaum etwas höher schieben. Doch
vielleicht würde ihn das abschrecken?
Was interessiert
ihn denn so an dem Bild an der gegenüber liegenden Wand?
Es ist eine
Landschaft, mit lachenden, gutgelaunten Menschen beim Picknick auf einer
Lichtung.
Die Mädchen sind in
duftigen, leichten Kleidern gehüllt, zwei von ihnen spielen ein Art
Federballspiel, die Sonnenstrahlen verfangen sich in ihren Haaren.
Das muss es sein,
die Bewegung gefällt ihm, die dünnen Kleider, die fliegenden Brüste, bewegt
durch das schnelle Atmen der Spielerinnen.
Oder gefallen ihm
die erhitzten Gesichter der jungen Männer, die mit offenen Hemden, ihre begehrliche
Blicke auf die fast schwebenden Mädchenkörper richten, die im Gras halb liegen
und Weingläser in ihren Händen halten?
Da ist es schwer zu
konkurrieren. In den Saal des Museums können die Sonnenstrahlen nur spärlich
herein finden, es wäre schlecht für die Bilder, es würde ihnen schaden.
In meinen Haaren
verfangen sich leider keine Sonnenstrahlen und Bewegungen sind ebenfalls sehr
eingeschränkt.
Besonders wenn die
strengen Blicke der Aufsichtsorgane durch den Raum gleiten, die jeden Versuch
rascher Gangweise oder lauter Unterhaltung im Keime ersticken.
Nun blättert er wieder
in dem Katalog und geht auf das nächste Bild zu. Er streift sich eine überlange
Strähne aus dem Gesicht und macht einen Schritt zurück. Oh, wie gefallen mir
seine Bewegungen, seine verhaltene Erregung. Er will offenbar das gesamte Bild
besser auf sich einwirken lassen.
Wahrscheinlich wird
er heute wieder nicht sehr viel Interesse an mir zeigen. Dabei bin ich aus der
selben Periode wie die beiden anderen Bilder, mein Rahmen ist wunderschön und
wenn er sich mehr Zeit nehmen würde mich anzusehen, würde er sehen, welch einen
wundervollen Faltenwurf mein Kleid hat und meine blonden Locken sehr
verführerisch über meine Schulter fallen.
Vielleicht würde er
sehen, dass sich meine Brüste ebenfalls leicht heben und senken, wenn er den
Saal II im oberen Geschoss des Museums betritt und seinen prüfenden Blick über
die Bilder gleiten lässt.
Eines Tages wird es
sicher so weit sein und er wird auch vor mir stehen bleiben und im Katalog
nachlesen, wer mich malte und wann.
Auch über https://www.bookrix.de/-joanavienna/
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