Freitag, 23. Oktober 2020

Der Fächer, Kurzgeschichte, Nostalgie

 

Der Fächer

von Joana Angelides



 

Der Dachboden riecht nach Staub und längst vergessenen Träumen.

Dieses Knarren der Türe war ein vertrautes Geräusch aus längst verhallten Kindheitstagen. Sie stand auf der Schwelle und spähte in den dunklen, tiefen Raum. Seit dem Tode der alten Tante waren nun schon einige Wochen vergangen, doch sie scheute sich noch immer, die Laden der Kommoden in dem alten Haus, oder in den Schränken befindliche Schachteln und Schatullen aufzumachen. Es war ihr, als würde sie in das Intimste der alten Dame eindringen.

 

In einer der kleinen Laden des Schreibtisches lagen einige Briefe, die Umschläge waren im Laufe der Zeit ganz gelb geworden und an den Kanten teilweise gebrochen. Sie waren mit einem rosa Bändchen umschlungen, und sicher schon viele Male gelesen.

 

Sie hatte sie schon in den Sack für die Entsorgung geworfen und dann wieder herausgeholt. Nein, sie wollte sie nicht lesen, aber es schien ihr geradezu frevelhaft, sie einfach so wegzuwerfen. Sie hielt sie in der Hand und spürte durch das alte Papier Gefühle und Sehnsüchte durch. Sie legte die Briefe wieder in die Lade zurück, doch hatte sie sie in den letzten Tagen mehrmals geöffnet und vermeinte leises Flüstern zu hören. Es war ihr, als würden die Worte ein Eigenleben entwickeln. Sie hatte dann immer wieder erschrocken die Lade zugeschoben.

 

Nun stand sie da, an der Schwelle zum Dachboden, dem Archiv ihrer Jugend. In der großen Truhe dort wusste sie unter alten Unterröcken, gestickten Tischdecken und einem Umhängetuch aus brauner Spitze, ihre alten Puppen und Plüschtiere liegen.

 

Sie selbst hatte sie dort eingepackt als sie wegging, in die große Welt, um die Enge der kleinen Heimat hinter sich zu lassen. Doch oft hatte sie sich danach zurückgesehnt. Nach der Stille am Abend, der Geborgenheit. Sie hörte gerne all die Geschichten die diese alte Frau ihr abends in der Pergola erzählte, als draußen der Wind durch den Garten fegte und die Blätter aufwirbelte. Das Windlicht flatterte dann und sie dichtete in die beweglichen Schatten geheimnisvolle Geister, Zwerge und Kobolde hinein.

 

Der alte Korbstuhl, in dem sie immer saß, den irgendjemand einmal vor vielen Jahren aus den Kolonien mitgebracht haben soll, stand dort in der Ecke und übervoll mit unachtsam hingeworfenen Kleidern halb verdeckt. Sie waren mit einer Staubschicht bedeckt, die Farben waren vergilbt, und doch schienen sie zu atmen, sich in einem geheimnisvollen Rhythmus zu heben und senken.

Da muss Licht her, dachte sie um die Schleier und Spinnweben der Vergangenheit wegzuwischen.

Sie erinnerte sich, dass es hier irgendwo eine Stehlampe gegeben hat, mit einem überdimensionierten Schirm mit Fransen.

 

Ah, ja, da war sie ja. Sie stand in der Ecke neben einer Schneiderbüste und schien sich abwehrend zu verhalten. Es war als hätte sie den Kopf gesenkt, um ihre imaginären Augen zu verbergen, um nicht aufblicken zu müssen. Doch sie hatte sie erspäht, suchte das andere Ende des Kabels und steckte es in die Steckdose.

 

Die schwache Lampe erhellte den Raum kaum und die Fransen waren in Bewegung geraten. Sie warfen bewegliche kleine Schatten und täuschten Bewegung im Raum vor.

 

Sie schob die Schneiderbüste etwas auf die Seite und bückte sich, um den Deckel der Truhe zu öffnen. Der Deckel ließ sich nur schwer öffnen, verursacht durch kraftvolles nach oben Drücken fiel er jedoch nach hinten und wirbelte dabei eine Menge Staub auf.

 

Einen Moment lang konnte sie gar nichts sehen.

 

Ohja, da waren die Spitzenunterröcke, die Deckchen und auch das braune Umhängetuch, an dessen lange Enden sie sich oft geschmiegt hatte.

Sie nahm es in die Hand und roch daran. Es roch immer noch nach Lavendel.

Ungeachtet des Staubes rundherum setzte sie sich auf den Boden. Sie legte das Umhängetuch auf ihre Knie und setzte die Erforschung der Truhe fort.

 

Die alte Puppe öffnete plötzlich ihre Glupschaugen, als sie sie herausnahm, dem Teddybären fehlte leider ein Knopfauge. Sie musste lächeln.

 

Was war das? In einer flachen Pappschachtel lag ein alter weißer Fächer aus Pfauenfedern. Darunter lagen ein paar lange weiße Damenhandschuhe, und eine getrocknete rote Rose. Sie strich mit den Fingerspitzen leicht über die Federn des Fächers und sie bewegten sich. Sie nahm den Fächer heraus. Das Gerippe bestand aus gelblich weißem Elfenbein, mit einer alten, schon sehr schütteren Quaste.

 

Der Fächer ließ sich ganz leicht öffnen. Sie begann ihn langsam, so aus dem Handgelenk zu bewegen. Er bedeckte ihr ganzes Gesicht und roch ebenfalls nach Lavendel. Je länger sie den Fächer bewegte, desto lauter wurde plötzlich die Musik, sie wähnte sich in einem großen Ballsaal mit vielen Menschen.

Sie beugte sich zurück um die glitzernden Lüster zu betrachten und spürte den stützenden Arm des Mannes um ihre Mitte, der sie im Arm hielt und sie zu den Walzerklängen im Kreise dreht.

Seine Augen versenkten sich in die ihren, sein Lächeln war bezaubernd. Er sagte etwas zu ihr, doch sie konnte ihn nicht verstehen, die Musik und die vielen Menschen rundherum waren zu laut. Sie entschloss sich, ihn anzulächeln, ihm ihr schönstes Lächeln zu schenken, das sie hatte. So lange schon hatte sie kein Mann so zärtlich und doch festgehalten, es tat richtig wohl.

 

Sie kamen am Rande des Saales zum Stehen und er reichte ihr elegant ein Glas mit Champagner und prostete ihr zu. Sah das Glas nicht aus, wie aus dem Schrank der alten Dame?

 

Nun nahm er aus der auf einem kleinen Tischchen stehenden Vase eine rote Rose und überreichte sie ihr. Jedoch nicht ohne vorher einen Kuss darauf zu hauchen und ihr dabei tief in die Augen zu blicken. Sie nahm die Rose und hielt sie in der Hand während er sie wieder zum Klang der Musik über das Parkett fast trug, sie festhielt und ihr wieder wunderbare Worte ins Ohr flüsterte.

Es schien eine Ewigkeit und ein paar Stunden mehr verflogen zu sein, als sie den Fächer wieder zusammenklappte und die Musik unmittelbar darauf verstummte. Sie bettete den Fächer und die Rose zu den Handschuhen und schloss die Schachtel wieder. Sie legte alles wieder in die Truhe zurück, mit dem Unterschied, dass sie die Schachtel mit dem Fächer oben auflegte.

Sie wird wiederkommen und diesen eingeschlossenen Traum immer wieder träumen. Sie wird sich diese Erinnerung von der alten Dame immer wieder borgen, um Sehnsüchte und Wünsche zumindest eine kurze Zeit in ihr kleines Leben hinüber zu bringen.


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