Der Brunnenschacht
von Joana Angelides
Er steht vor der alten Mühle seiner Eltern und gemischte Gefühle kommen
in ihm hoch.
Die dunklen mächtigen Bäume des Waldes sind noch näher an das Haus
gerückt, er empfindet ihre Schatten bedrohlich und zieht unwillkürlich die
Schultern hoch.
Er hat zwar seine Kindheit hier verbracht, doch es lastet auch ein dunkles Geheimnis auf der Vergangenheit. Das
ist auch der Grund, warum er die alte Mühle und das sie umgebende Grundstück so schnell als möglich verkaufen will.
„Ach, der Herr Moser!“ Die alte Anna steht vor ihm und mustert ihn mit ihren
kleinen listigen Augen, aus der die Neugierde nur so sprüht.
„Guten Tag, Anna!“ Da er in beiden Händen je ein Gepäckstück trägt, nickt er
nur, ohne ihr eine Hand entgegen zu strecken.
„Ist aber Zeit, dass sie einmal da vorbeischauen, die Mutter ist ja nun schon
seit einem Jahr tot und das Haus steht leer. Tut mir Leid, der Selbstmord ihrer
Mutter, schrecklich.
Was glauben sie, was sich da nachts tut? Unheimlich! Plötzlich beginnt sich das
Mühlenrad zu drehen, dann bleibt es wieder stehen. Oder es kommt Rauch aus dem
Kamin, obwohl kein Feuer im Haus sein kann. Grüner Rauch! Ich glaube Frieda
spukt da herum!“
Er lacht kurz und unwillig auf und gleichzeitig läuft es ihm kalt über den
Rücken. Er will nicht an Frieda erinnert werden!
Anna ist eine Nachbarin, die ihm und den Anderen schon in seinen Kindertagen als
alt erschienen war. Sie war immer voller Bosheit und als Kinder nannten sie sie
heimlich eine Hexe.
Er dreht sich wortlos um und geht auf das Haus zu. Da er wirklich schon sehr
lange nicht hier war, braucht es eine Weile, bis der klobige Schlüssel im
Schloss greift und sich dreht.
Im Inneren des Hauses riecht es muffelig und feucht, die Räume sind seit
Monaten nicht gelüftet worden. Die Feuchtigkeit des vorbei fließenden Baches hat
sich offenbar durchs ganze Haus und sein Gemäuer gezogen. Er öffnet alle
Fenster und Fensterläden und hofft so,
dass genug frische Luft hereinströmen wird, um wenigstens ein oder zwei Tage
hier wohnen zu können.
Er erwartet gleich morgen früh einen Käufer, der das Haus und das Grundstück
kaufen möchte. Er vermutet, dass man das alte Haus wahrscheinlich abreißen
wird. Es kommt sicher viel zu teuer, die alte Mühle wieder zu renovieren.
In einer Nische der Wohnküche, die den unteren Raum ausfüllt, ist ein, nun mit
Brettern abgedeckter, tiefer Brunnen. Obwohl die Bretter die Öffnung total
verschließen, vermeidet er es, hinzusehen und geht in großem Bogen drum herum.
Es fällt ihm jedoch auf, dass die Bretter wie neu aussehen und einen Kontrast
zu den Brettern des übrigen Fußbodens bilden. Sollte der Brunnen nicht
vernagelt sein? Der Brunnen wurde schon lange nicht mehr genutzt und war früher
zwar lose mit Brettern abgedeckt, doch
stand immer eine große hölzerne Truhe darüber.
Die Truhe war nun weggerückt und stand daneben. Dies erschien ihm seltsam, doch
machte er sich keine weiteren Gedanken drüber.
Eine knarrende Treppe führt in das Obergeschoß und er wirbelt viel Staub auf,
als er nach oben geht. Langsam und vorsichtig setzt er Fuß um Fuß auf die
knarrenden Bretter und ist froh, als er heil oben ankommt. Hier bietet sich der
gleiche Anblick, alles ist verstaubt und Spinnweben hängen an der Decke.
Sicherlich starren ihn einige Augen von Mäusen und Ratten aus Spalten und Ritzen
an und beobachten ihn.
Er beeilt sich auch hier alle Fenster zu öffnen. Es sind nur zwei Räume hier
oben, der Schlafraum der Eltern und sein ehemaliges kleines Zimmer mit einem
kleinen Vorraum und einem Waschraum, der nachträglich mit einer primitiven Dusche
und einem Waschbecken ausgestattet wurde. Das Wasser wurde aus dem Bach herauf
gepumpt und war meist eiskalt.
Er beschließt, die Nacht in seinem ehemaligen Zimmer zu verbringen, welches am
ehesten bewohnbar schien. Das Bett war in all den Jahren wo er nicht mehr hier
war, mit einer Decke und einem Kunststofftuch bedeckt gewesen und wirkte daher
nicht so staubig, wie all die anderen
Möbelstücke im Haus.
Er stellt seine zwei Reisetaschen auf den kleinen Tisch beim Fenster und
beginnt den Raum wohnlicher zu gestalten. Er überzieht das Bett mit der
vorhandenen Bettwäsche, stellt jedoch fest, dass sich der Polster und die Decke
irgendwie klamm anfühlen. Er legt beides auf das geöffnete Fenster und hofft,
dass die Sonnenstrahlen während des Tages sie auffrischen werden.
Die ganze Zeit über ist er bedrückt und es befällt ihn eine Nervosität, die er
normaler Weise gar nicht kennt und auch nicht erklären kann.
Den restlichen Tag streicht er durch den angrenzenden Wald, findet dabei seine
Ruhe wieder und genießt die Geräusche und Gerüche, die er immer sehr geliebt
hatte.
Die Geschichte mit Frieda taucht wieder aus seiner Erinnerung auf. Es war eine
böse Geschichte, die mit dem Verschwinden des Mädchens endete. Frieda war ein
Nachbarskind und sie spielten oft gemeinsam in der alten Mühle, warfen
Steinchen auf die Mühlräder und lachten, wenn sie in hohem Bogen auf der
anderen Seite wieder herunter fielen. Sie war ungefähr Zwölf, vier Jahre älter
als er, ein sehr frühreifes Mädchen und sie wusste das auch.
Mutter merkte immer, wenn Vater am Fenster stand und zu ihnen heraus schaute
und im besonderen Frieda beobachtet. Da wurde er stets unruhig und nach einer
Weile kam er ebenfalls zu ihnen heraus. Fast immer ging er mit Frieda dann in
den alten Lagerschuppen neben der Mühle und sie kamen immer erst nach einer
Weile wieder, beide etwas erhitzt und Vater ging wieder ins Haus.
Er dachte sich damals nichts dabei, doch irgendwann später, wenn er nun rückwirkend überlegte, wurde ihm klar, was
damals geschah.
Dann konnte man hören, wie Mutter furchtbar laut schrie und Vater ihr laut
gebot, ruhig zu sein. Sie war dann plötzlich still und er konnte sie weinen
hören.
Wenn er so zurück denkt, ist er heute sicher, dass Vater auf Mutter einschlug.
Damals, mit seinen acht Jahren konnte er sich nicht zusammen reimen, was die
Beiden wirklich in der Scheune machten. Heute schämt er sich deswegen und
tiefes Mitleid für die Mutter und dem Mädchen kommt auf.
Eines Tages, sie spielen wieder bei der Mühle und Frieda hat eines ihrer dünnen
Kleidchen mit einer dunklen Schärpe an, fällt sie in den Bach. Weinend läuft
sie, nass wie sie war, ins Haus.
Die Mutter hilft ihr aus dem Kleid und gibt ihr ein altes Hemd von Vater zum
anziehen, bis ihr Kleid trocken ist.
Ihm fällt aber nicht auf, dass Frieda nicht mehr herauskommt, umso mehr als
Vater aus dem Dorf kommend ihn auffordert mit ihm in den Wald zu kommen und
Holz abzuführen, das er seit dem Morgen dort geschlagen hat. Er ist sofort
dabei.
Sie kommen erst spät abends wieder zurück, es ist schon fast dunkel. Das Essen
steht auf den Tisch und Mutter wartet.
„Hörst du das auch?“ Fragt Vater und schaut in die Runde.
„Was?“ Scheinbar hört Mutter Nichts. Sie klappert mit den Tellern und singt
dabei.
„Ich höre es wimmern, wie wenn eine Katze wimmert.“
„Hier ist keine Katze!“
Sie singt noch immer.
Vater schüttelt den Kopf und runzelt die Augenbrauen.
Er, ein kleiner Bub, versucht auch was zu hören, doch die Geräusche in der
Küche waren so laut und da vergaß er es wieder.
Sie gingen schlafen.
So oft es ging, schickte Mutter ihn und Vater in den nächsten Tagen weg, um was
zu erledigen.
In den folgenden Tagen waren viele Menschen unterwegs um Frieda zu suchen. Sie
wurde vermisst. Trotz eingehender Suche konnte das Mädchen nicht gefunden
werden.
Anna, die damals nicht weit von ihnen weg wohnte erzählte aber überall herum,
sie hätte Frieda noch am Nachmittag bei der Mühle gesehen. Doch Mutter sagte
aus, das Mädchen hätte nach mir das Haus verlassen und sie wisse nicht, wohin
sie gegangen war.
Das Mädchen war und blieb verschwunden.
Ihm wird plötzlich kalt und er zieht eine Jacke über, was aber auch
nicht viel hilft.
Er schiebt dann abends die Gedanken an Frieda und dem Gerede von Anna beiseite
und beschließt nach einem bescheidenen Abendmahl, dass er sich mitgebracht hat,
schlafen zu gehen.
Er kann lange nicht einschlafen, Das Bildnis seiner Mutter verfolgt ihn, die
nasse Gestalt von Frieda, er wälzte sich herum. Sollte Mutter....... ? Es wird
im noch nachträglich ganz übel, wenn er daran denkt. Schreckliche Bilder und
kurze Albträume quälen ihn. Er spielt mit dem Gedanken, wieder aufzustehen,
hinunter zu gehen und doch in den Brunnenschacht zu schauen. Doch dann nimmt er sich vor, dies
erst morgen früh zu machen und ihn dann endgültig zu vernageln.
Als er dann doch in einen Dämmerschlaf fällt, spürt er plötzlich, dass sich das
Mühlenrad zu bewegen beginnt. Man hört und spürt das immer im ganzen Haus.
Früher war es ein beruhigendes Geräusch für ihn, heute reißt es ihm aus dem
ohnehin sehr leichten Schlaf und er setzt sich ruckartig im Bett auf.
Wer hat das Rad in Bewegung gesetzt? Er war sich sicher es war Anna, sie will
ihn scheinbar erschrecken.
Er steht auf und läuft die Treppe hinunter. Durch die heftigen Erschütterungen
beim Laufen brechen zwei der Bretter und er wäre fast mit einem Fuß in der
Öffnung stecken geblieben.
Der untere Wohnraum ist schwach erleuchtet, gelblich-grüne Schwaden ziehen am
Fußboden entlang und die Bretter beim Brunnen in der Ecke waren verschoben. Er
will hingehen und nachschauen, doch plötzlich erklingt helles Lachen von
draußen.
„Komm doch, schau wie das Rad sich dreht! Wir werfen wieder Steinchen!“
Es wird ihm kalt. Eiskalte Schauer laufen über seinen Rücken und die Härchen
auf seinem Handrücken stellen sich auf.
Es ist die Stimme von Frieda, oder bildet er sich das nur ein?
Er läuft vor das Haus, und tatsächlich dreht sich das Rad. Es sind einige
Schaufeln im Laufe der Zeit vermodert und abgebrochen, einige sind noch intakt.
Über das Rad gelehnt, riesengroß erscheinend, mit einem wehenden grünlichen
Schleier bedeckt räkelt sich Frieda. Ihre Haare flattern leicht im Nachtwind,
ihre Arme sind durchscheinend und dünn, ihre Augen jedoch sind so groß wie
Handteller und glühend. Ihre Beine scheinen mit dem Wasser des Baches verbunden
zu sein und auch die Schleier vermischen sich mit dem in der Nacht dunkelgrün
wirkenden Bach. Über ihren fast durchsichtigen Körper rieseln Wassertropfen.
„Frieda!“ Stammelt er und streckt seinen Arm nach ihr aus.
„Ja, Peter, komm.....!. Komm mit auf das Rad, wir drehen uns, ich zeig dir die
Wasserwelt!“
Er spürt wie von ihr ein seltsames Ziehen und magnetische Kräfte ausgehen, er
fühlt sich gezogen und klammert sich erschrocken an den Türstock.
„Ja, klammere dich nur dort an, so wie ich mich angeklammert habe, als sie mich
gestoßen hat, in das große finstere Loch!“ Sie reißt den Mund auf, er wird
riesengroß und es schien ihm, als ob ein grüner, giftiger Hauch heraus käme.
Sie lässt das Rad los und schwebt nun über den Bach. Ihre Beine sind noch immer
mit dem dunklen Wasser verbunden und es scheint, als würde sie in den Bach
rinnen und sich mit dem Wasser vereinigen.
Er weicht zurück.
„Ich ..... ich habe das nicht gewusst!“
„Oh, ich habe gerufen, habe geschrieen! Keiner kam, um mir zu helfen,
auch du nicht. Nun wirst auch du genau so sterben!“
Er taumelt in das Haus und schließt die Türe hinter sich.
„Das nützt dir gar nichts, ich bin hier!“
Die grünlichen Schleier kommen ungehindert unter dem Türspalt durch und richten
sich vor ihm wieder auf und formieren sich zu einer konturlosen, durchsichtigen
Gestalt, die sich nun im Raum rasch hin und her bewegt und um ihn herum tanzt.
Er dreht sich wirr herum und folgt ihr mit den Augen, bis er spürt, dass es ihm
schwindelt.
„Jede Nacht bin ich deiner Mutter erschienen, habe sie geweckt, habe sie tanzen
lassen, wie dich nun! Ich habe so lange gepocht und geschrieen, bis sie die
Truhe entfernt hat und die Bretter weg geschoben hat!“ Sie lacht grausam. „dann
ist sie mich nie wieder losgeworden! Als sie eines Nachts schreiend weglief,
geradewegs in den Fluss und in den Fluten verschwand stand ich am Ufer und
blickte ihr befriedigt nach.
Das Wasser ist nun mein Element, es wird auch das deine sein und jeder, der
dieses Haus bewohnt wird dazu verflucht sein, mit uns jede Nacht zu tanzen!“
Sein Körper dreht sich im Kreise, wird von dem sich bewegender schleierartiger
Nebel völlig eingeschlossen.
Er spürt, wie sich sein Körper aufzulösen beginnt, wie er sich fast mit diesem
Wesen verbindet und körperlos wird. Sie zieht den nun hilflosen Körper durch
die fehlende Brunnenabdeckung hinab in den dunklen Schacht.
************
Noch am nächsten Tag wird der Körper des Mannes auf dem Grunde des Brunnens
entdeckt. Er musste in der Nacht hinunter gestürzt sein und sich das Genick
gebrochen haben, war die einhellige Meinung.
„Ich verstehe das nicht“, sagt Anna zu den Polizisten, „er hat hier seine
Kindheit verbracht, er wusste doch, dass da ein tiefer Brunnen ist! Und im
Pyjama war er auch, also Mitten in der Nacht muss das passiert sein!“ Sie zieht
die Mundwinkel nach unten.
„Vor allem, warum war der Brunnen nicht besser gesichert?“ Der Polizist
schüttelt den Kopf.
„Das war wegen Frieda!“, sagt Anna und
geht weg.
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Noch im Gehen flüstert sie:
„Sie hat ihn und die Alte geholt!“
„Kennst Du eine Frieda?“ Fragt der Polizist seinen Kollegen.
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