Eine Tagebucheintragung. Tag 2
Nächte
unter der Kristallkuppel.
Es ist mein Ansprechpartner, liegt vor mir, aufgeschlagen. Die weißen,
unbeschriebenen Seiten blicken mich an, erwartungsvoll.
Es knistert vom Kamin her und der Rotwein sieht im halbvollen Glas wie
durchscheinender Rubin aus.
Ich fürchte mich immer, wenn Paul nicht da ist, was
bedeutet alleine zu Bett gehen zu müssen und seine Abwesenheit mir dann noch
mehr zum Bewusstsein kommt.
Es gibt ganz normale Nächte, die uns in ihre Arme nehmen, uns wiegen
und je nach Verfassung, den blauen Mantel der Träume oder das Tuch der Erschöpfung
über uns breiten, uns einschlafen lassen.
Dann gibt es Nächte, auf die man schon den ganzen Tag wartet. Man kann
sich ausmalen, wie es sein wird, wenn man den Raum mit dem breiten Bett
betreten wird, umgeben vom Duft des Bades, dem Eigengeruch und dem Duft der
Erwartung dessen, was diese Nacht bringen wird.
Manchmal denkt man auch den ganzen Tag daran, wie es sein wird, wenn
man aus der Kälte des Abends die warme Umgebung des Hauses spüren wird, die
Geräusche und Wärme des eigenen Nestes und suchende Blicke umherschweifen läßt
und dann plötzlich von rückwärts umfangen, die Lippen des Anderen im Nacken
spüren wird und irgendwelche gemurmelten Worte hört, die man gar nicht
verstehen will. Mann weiß, sie sind ausglühendem Gold, sie brennen auf der Haut.
Der Abend wird zur süßen Qual, man kann es kaum erwarten, in das Halbdunkel
des Schlafgemaches einzutreten, alles auszusperren, was nichts mit Gefühlen,
Verlangen und Sehnsucht zu tun hat.
Dann liegt man am Rücken, von seiner Fantasie und Erwartung eingeholt,
mit seitwärts ausgestreckten Armen, nur zugedeckt mit einem dünnen Gespinst aus
Seide, mit blauem und grünem Farbenmuster, gleich einem Rad aus Pfauenfedern.
Die Seide legt sich an, läßt jede noch so kleine Erhebung, jede sanfte Kurve
des Körpers sehen. Sogar das Heben und Senken des Brustkorbes kann man zählen.
In deiner Fantasie wird der Raum riesengroß, es erhebt sich über dir
eine Kuppel aus Kristallsteinen und Perlenketten. Das sanfte Licht des Mondes
und das Glitzern der Sterne wird tausendfach wiedergegeben durch die Facetten
der geschliffenen Steine in Grün, Blau und Silber.
Durch die Steine hindurch dringt ein leichter Hauch und läßt die Kuppel
sich bewegen und glitzern und leise Töne erfüllen den Raum. Mit funkelnden
Augen schaut man in die eigene Welt der Fantasie und sieht, wie von oben herab,
mit ausgebreiteten Flügeln, einem Vogel gleich, der geliebten Menschen herunter
gleitet, schwebend innehält und seine Flügel berühren dich und umschmeicheln
den Körper zärtlich und man vergeht vor Glück.
Die Seide, die den Körper umspielt wie flüssiges Gewebe, zerrinnt und
der Körper liegt da, nur mehr zitternd und bebend und erwartungsvoll.
Die ausgebreiteten Flügel werden zu Armen, zu Hunderten Armen und umfassen
dich zart, heben dich an und beiden Körper werden eins.
Die Lippen, seine Lippen, streichen über dich hinweg, du spürst, wie er
deinen Kopf zurückbiegt und dein leises Seufzen in sich aufnimmt, mit seinen
Lippen steigert und er sich nicht satt sehen kann im dunkler werdenden
unergründlichen See deiner Augen.
Man kann dann sein eigenes Flüstern hören, sich total ergeben und
hinauftragen lassen, zu dieser Kristallkuppel die sich über allem spannt. Man
wird gemeinsam die totale Auflösung erleben.
Ich weiß, das klingt alles sehr übertrieben, vielleicht auch ein wenig
abgehoben und unwirklich, aber so war es bei mir vergangene Nacht, so habe ich
es empfunden.
Vielleicht auch, weil ich in den letzten Tagen einige Bücher angesehen
habe, mit wunderbaren Bildern von Kirchen im Jugendstil, lichtdurchflutet und
geheimnisvoll und dies so gerne mit ihm geteilt hätte. Ich sah sylphidenhafte
Frauenkörper, wie gemalt von Klimt, in dünnen schleierartigen Gewändern mit
Gold und Silber Applikationen und wünschte, er würde mich mit den Augen Klimts
sehen.
Vielleicht tut er das auch?
Während ich das schreibe, warte ich, ob nicht doch das Telefon läuten
wird, ob ich nicht doch noch heute seine Stimme hören werde. Sie ist dunkel,
leicht vibrierend, manchmal im Hintergrund ein wenig belustigt aber immer
zärtlich. Besonders angenehm ist es zu hören, wie er am Ende eines gesprochenen
Satzes die Stimme ein wenig erhöht und fast immer ein kleines Fragezeichen im
Raum steht. Zwischen seinen Sätzen ist immer eine kleine, kaum nachvollziehbare
Pause, die irgendwie die Spannung erhält.
Das war das erste, das mir auffiel als ich das erste Mal mit ihm
telefonierte. Diese Art zu sprechen hat mich neugierig auf ihn gemacht.
Als er dann einfach dastand, an der Türe zu meinem Büro und seine
hellen Augen mich fragend anschauten, durchfuhr es mich wie ein Blitz. Und als
er dann zu sprechen begann, war es um mich geschehen.
Seither erlebe ich jeden Tag das Wunder der Liebe, unerwartet und mit
viel Dankbarkeit angenommen vom Schicksal. Ich kann mir meine Tage ohne ihn gar
nicht mehr vorstellen, von den Nächten gar nicht zu sprechen.
Und deshalb sitze ich nun hier, vertraue meinem Tagebuch meine
intimsten Gedanken an und hoffe, dass das Telefon klingelt und seine Stimme
mich in den Himmel hebt.
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