Alte Puppe im neuen Kleid
Doreen hatte schon länger vor, ihr altes Kinderzimmer im Hause der
Eltern zu durchforsten und alles, was nun nicht mehr gebraucht wurde,
wegzuwerfen, oder zu verschenken.
Vater wollte sich schon lange einen kleinen Bastelraum da einrichten
und nun, da er in Pension ging, wurde die Sache dringend.
Zugegebener Maßen hing sie doch sehr an ihrem ehemaligen Kinderzimmer,
obwohl sie es ja schon lange nicht mehr benutzte. Sie hatte ihr eigenes Haus in
der Nähe ihrer Eltern mit einem wunderschönen Garten und die Kinder hatten nun
auch ihr eigenes Kinderzimmer.
Mit einem großen Pappkarton und dem eisernen Willen nun die Sache
wirklich anzugehen, fuhr sie vor dem Haus der Eltern vor.
Sie betrat das Zimmer mit einem Anflug von Nostalgie. Hatte sie doch
hier ihr eigenes Refugium, träumte hier ihre Jungmädchenträume und weinte auch
so manche Enttäuschung in die Kissen.
Als erstes musste einmal dieser Kasten mit all
den alten Spielsachen ausgeräumt werden.
Sie öffnete die Türen, begann im obersten
Fach und arbeite sich langsam nach unten.
Da lagen sie, die kleinen und großen Bären, die sie einst gesammelt
hatte. Einige hatten nur mehr ein Auge und bei Florian, dem Bären mit der Lederhose,
fehlte sogar ein Bein. Sie wußte gar nicht mehr, wann er es verlor. Sie trennte
nun die Bären die noch intakt waren, von den anderen und legte sie in den
vorbereiteten Karton. Die mit Defekten legte sie auf die Seite.
Oh, da war ja der große Nussknacker, den ihr einmal Onkel Edi in der
Vorweihnachtszeit mitbrachte und sie sich beim ersten Mal Nüsse knacken gleich
in den Finger gezwickt hatte. Heulend lief sie damals zur Mutter, die den
Nussknacker dann gleich in Verwahrung nahm.
Ein Stück nach dem anderen landete nun in dem Karton oder daneben, je
nach Zustand und Aussehen.
Der kleine Husar fehlte gar nichts, er war noch genau so schön, wie
ehedem. Sie glaubte sogar, wenn sie ihn genau ansah, dass er ihr zuzwinkerte.
Sie musste unwillkürlich lächeln. Er sah ihrer ersten Liebe aus der
Parallelklasse ähnlich und durfte damals ab sofort auf ihrem Nachtkästchen
stehen. Sie war immer überzeugt, dass er wusste wieso! Er landete im Karton für
weitere Verwendung.
Die kleine Schmuckkassette mit der Tänzerin oben drauf stand ganz
rückwärts in der Ecke, dort wo auch der schmucke Husar stand. Eigentlich sollte
sie sich bei Musik drehen, wenn man den Deckel aufmachte. Aber der Schlüssel,
mit dem man das Spielwerk aufzog, ging verloren und so verlor sie auch das
Interesse an diesem Spielzeug. Sie legte die Kassette zu den defekten Sachen,
die entsorgt werden sollten.
Doch, was war das? Im Karton gab es ein polterndes Geräusch. Der kleine
Husar hatte sich scheinbar aufgerichtet und lugte nun aus dem Karton heraus auf
die kleine Tänzerin in der Kassette. Rann ihm nicht auch eine kleine Träne
übers Gesicht?
Doreen schüttelte den Kopf und lächelte über ihre Fantasie. Sollte sie
nun, als erwachsene Frau sentimental werden? Papperlapapp......
Sie legte den kleinen Husaren wieder auf seinen Platz im Karton und
wandte sich dem anderen Spielzeug zu.
Oh, da war noch die alte Porzellanpuppe, mit den sich schließenden
Glubschaugen und den Echthaarzöpfen. Sie betrachtete sie genauer. Eigentlich hatten
ihre blauen Glasaugen jeglichen Glanz verloren. Woran lag das wohl? Vielleicht
waren sie auch im Laufe der Zeit schmutzig geworden. Sie befeuchtete ihren
Zeigefinger und wischte über die Augen. Na, also sie glänzten ja wieder. Doch
als die Augen wieder trocken waren, war der Glanz wieder weg. Sie blickte
eigentlich traurig vor sich hin. An sich hatte sie allen Grund, denn das Kleid,
das sie anhatte war schon sehr abgetragen und fleckig, der Kragen abgerissen
und vorne am Kleid fehlten drei Knöpfe. Und außerdem fehlte ihr ein Schuh!
Sie erinnerte sich, dass sie mit dieser Puppe seit ihrer frühesten
Kindheit nicht mehr gespielt hatte. Früher nähte ihre Mutter jedes Jahr ein
neues Kleid und die Puppe lag, zu ihrer hellen Freude immer wieder neu
eingekleidet unter dem Weihnachtsbaum. Doch irgendwann gab es dann Puppen mit
Plastik-Gesichtern, die auch sprechen konnten oder Barbie-Puppen, wie sie alle
Mädchen hatten, die etwas auf sich hielten und die gute alte Gliederpuppe mit
den wunderschönen Glasaugen und Echthaarzöpfen wurde unmodern und landete im
Kasten irgendwo, ganz hinten.
Sie hielt die Puppe noch immer in Händen während ihr all diese Gedanken
durch den Kopf gingen. Sie hatte direkt ein schlechtes Gewissen.
Was wäre wenn.......
Sie legte die Puppe auf ihr altes Bett und nahm sich vor, nachzudenken
was sie wohl mit der Puppe machen könnte. Es widerstrebte ihr, sie wegzuwerfen.
Aber sie wollte sie auch nicht an fremde Menschen verschenken, die sie
vielleicht dann doch wegwarfen, weil sie eben nicht der derzeitigen Mode
entsprach.
Und wieder gab es ein Geräusch um Karton und seltsamer Weise stand der
kleine Husar schon wieder aufrecht und blickte vom Kartonrand hinunter zur
Tänzerin. Das ging doch nicht mit rechten Dingen zu!
Sie hob die Kassette wieder auf und betrachtete sie aufmerksam. Es war
eine sehr schöne Handarbeit mit Einlegearbeit an den Seiten und die Tänzerin
war aus Porzellan.
Sie beschloß, das kleine Kunstwerk doch zu behalten und legte es neben
die alte Puppe.
Es dämmerte schon, als sie beschloß, für diesen Tag ihre Arbeit zu
beenden und in den nächsten Tagen weiter zu machen.
*
Es waren nur mehr zwei Tage bis Weihnachten und das Haus strahlte im
weihnachtlichen Glanz. Es fehlten nur mehr der Weihnachtsbaum und der
Mistelzweig über dem Eingang zum Wohnzimmer.
Seit einigen Tagen war Doreen damit beschäftigt, für die alte Puppe,
die sie aus dem Elternhaus mitgebracht hatte, ein neues Kleid zu nähen und auch
die Frisur in Ordnung zu bringen. Sie flocht die Haare neu zu einem dicken
Zopf, es sah sehr elegant und wunderschön aus. Sie hatte in einem kleinen
Geschäft in der Innenstadt sogar neue Schuhe für die Puppe gefunden. Sie zupfte
noch einmal an den gebauschten dunkelroten Samtärmel der Puppe herum und
betrachtete sie liebevoll. Sie hatte ihr auch neue Unterwäsche genäht und die
Spitze blitzte unten am Rock hervor.
Hoffentlich wird sie Barbara auch gefallen, sie hatte noch nie eine
solche Puppe besessen.
Die Kassette mit der Tänzerin stand auf der Kommode in ihrem
Schlafzimmer und der schicke kleine Husar stand daneben. Sie erweckten
unerklärlicher Weise den Eindruck, dass sie zusammengehörten. Immer, wenn sie
die beiden anschaute, musste sie lächeln. Sie musste über sich selbst lächeln,
dass sie sich eine so romantische Ader erhalten hatte, all die Jahre hindurch.
Der Weihnachtstag war von Nervosität geprägt. Barbara schlich den
ganzen Tag um die geschlossene Wohnzimmertüre herum und horchte auf jedes
Geräusch das zu hören war. Paul saß betont gelangweilt in seinem Arbeitszimmer
und las die Zeitung und versuchte seine Geschenke wie von ungefähr vor ihr zu
verbergen und Doreen selbst kämpfte in der Küche mit der Zubereitung für das
Abendmenue.
Irgendwie kam der lang ersehnte Abend dann doch, alle waren endlich dem
Anlass entsprechend umgezogen. Die Großeltern kamen endlich an und Barbara
stand erwartungsvoll und von einem Fuß auf den anderen steigend, vor der
Wohnzimmertüre. Für ihre fünf Jahre war sie ein sehr aufgewecktes liebes Ding,
das nur einen Fehler hatte, sie hatte keine Geduld. Noch dazu wo sie durch die
Türe Geräusche hörte, Papier rascheln und sogar leise Glöckchen zu hören waren.
Als die Türe endlich aufging, der wundervoll geschmückte Baum in hellem
Licht erstrahlte und das unvermeidliche „Stille Nacht, Heilige Nacht“ ertönte,
war sie nicht mehr zu halten. Sie stürmte hinein und blieb mit einem lauten
„Oh“ verzückt vor dem strahlenden Baum stehen. Ihre großen Augen strahlten und
der kleine Mund blieb offenstehen.
Dann ging sie langsam Schritt für Schritt weiter, bis sie sich
plötzlich besann und sofort von allen Geschenken Besitz ergriff. Sie riß
ungeduldig die Verpackungen auf und besah sich die Inhalte. Bis sie plötzlich
die Puppe sah. Sie lehnte an einem der großen Pakete und sah wie immer traurig
in den Raum. Doreen dachte insgeheim, dass es eigentlich undankbar von ihr war,
wo sie doch neue Kleider bekommen hat, einen neuen Friseur und neue Schuhe.
Barbara ging auf die Puppe zu, blickte sie forschend an und dann hob
sie sie auf. Sie hielt sie vor sich her, hob ihren weiten Rock und betrachtete
die Spitzenunterwäsche genau, dann legte sie die Puppe in ihren Arm, bemerkte,
dass sich die Augen je nach Lage der Puppe öffneten oder schlossen und ganz
impulsiv küsste sie sie.
„Mama, schau, sie kann die Augen auf und zu machen! Und sie ist
wunderschön. Noch nie sah ich so eine wunderschöne Puppe! Wie soll ich sie den
nennen, sie braucht doch einen Namen?“
Doreen war richtig erschrocken. Ja, wie nannte sie sie denn, damals als
es noch ihre Puppe war?
„Ich finde, Isabella, ja Isabella ist ein schöner Name, oder was meinst
du?“ Ja, genauso hatte sie sie damals genannt.
„Ja, Mama, ich werde sie Isabella nennen!“ Barbara war begeistert.
Anscheinend hatte sie all die anderen Spielsachen vergessen, denn sie hielt die
für sie neue Puppe den ganzen Abend im Arm, ja sie nahm sie sogar mit in ihr
Bettchen, bis sie endlich ganz müde und erschöpft einschlief.
„Na, Isabella, glücklich?“
Als Doreen die beiden zudeckte, machte die Puppe, obwohl sie lag, die
Augen auf und Doreen hatte den Eindruck, dass sie sie anlächelte.
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