Freitag, 8. Juli 2022

Schatten über der Stadt, Auszug aus Krimi

 


SCHATTEN ÜBER DER STADT

Auszug aus dem Krimi "DER POLYP"

von Joana Angelides

 

Die letzten Wochen waren schnell vorübergegangen. In der Gefühlswelt Kostas des Fischers hatte sich sehr viel verändert. Er ging mit wesentlich mehr Aufmerksamkeit durch die kleine Stadt, bemerkte die Veränderungen plötzlich viel stärker als bisher, blickte besorgter in die traurigen lustlosen Augen einiger Freunde und Nachbarn.

 

Mit einem brennenden Schmerz in der Brust blickte er auf die neue Mole, die wesentlich größer war, als die alte und bedauerte, dass es keine Bänke mehr gab, um vormittags ein Schwätzchen dort abzuhalten. Sogar die Möwen schaukelten weiter draußen, sie bekamen ja keine Brotkrumen mehr von den Leuten. Das laute Hupen und Tuten der an- und abfahrenden LKW´s war ohrenbetäubend. Die Menschen rundum waren ihm fremd, man sah ganz selten ein bekanntes Gesicht.

 

Es wurde ihm wieder einmal schmerzlich bewusst, dass das alte Dorf, das nun zu einer kleinen Stadt mutiert war, für ewig verloren war. Es war eine irreversible Situation. Er spürte nahezu körperlich, wie sich die Fangarme eines Polypen um das Dorf schlossen und eine Schleimspur hinterließ. Er griff sich an den Hals und spürte einen Druck am Herzen.

 

Es war wieder Freitag und er hatte sein Tagwerk hinter sich. Er hatte seinen heutigen Fang, der nicht sehr üppig war, bei Penelope abgeliefert. Die restlichen Fische, die sie nicht wollte, hatte er für Effi dort gelassen und schob sein Rad den Weg entlang um nach Hause zu fahren. Bei der Abzweigung zum Weg auf die Aussichtsplattform zögerte er ein wenig und bog dann doch ein. Er schob das Rad fast bis hinauf und band es vor der Biegung an einen der Bäume am Rand des Weges und ging die letzten Meter zu Fuß hinauf.

 

Er zündete die Öllampe in der kleinen Minikapelle an, schob die Glastüre wieder zu und verrichtete ein kleines Gebet. Im ganzen Land standen immer wieder so kleine, kaum einen Meter große kleine Minikapellen. Man konnte dort ein Gebet verrichten, Blumen oder etwas Öl für die Lampe hinterlassen. Betreut wurden sie meist von den Witwen im Dorf.

Da hört er plötzlich die raue Stimme Tsakiris, wie er im Befehlston offensichtlich mit dem Diener sprach. Sie waren noch weiter weg, er konnte sie nicht sehen, aber hören.  Irgendetwas schien dieser vergessen zu haben, er konnte nicht richtig verstehen, um was es sich handelte.

Aus der Antwort des Dieners hörte man die Unterwürfigkeit heraus, er schien sich zu entschuldigen. Sie kamen näher. Kostas wollte ihnen nicht begegnen, er zog sich zwischen den Bäumen zurück und verschmolz dahinter mit dem Schatten.

 

Georgios schob den Rollstuhl dicht an das Geländer der Aussichtswarte, richtete ihn so aus, dass Tsakiris einen guten Überblick über das darunterliegende Tal, sowie bis weit ins Meer hinaus hatte. Von hier aus konnte man auch den Hafen und die ein- und ausfahrenden Fährschiffe und den regen Verkehr der LKW´s beobachten.

Georgios breitete ihm die Decke über die Beine und fixierte den Rollstuhl an beiden Seiten am Boden. Dann lief er wieder den Weg zurück, offensichtlich um das zu holen, was sein Herr vermisste.

 

Die Silhouetten des Mannes und des Rollstuhles hoben sich gegen das Sonnenlicht scharf ab.

 

Kosta starrte gegen die Sonne, sah das dunkle Schattenbild vor sich und ungeheurer Hass stieg in ihm auf. Dieser Mann war schuld daran, dass sich die Insel total verändert hatte, dass er und einige seiner Freunde ihre gewohnte Umgebung und ihre Lebensart eingebüßt hatten. Dass nichts mehr so war, wie davor. Er erinnerte sich wieder, wie vor einigen Monaten die Abrissbirne in sein Haus hineindonnerte und wie die Mauern fielen und ihm ungewollt Tränen über die Wangen liefen. Es war sein Vaterhaus, indem seine Familie seit einigen Generationen gewohnt hatte. Als die Bagger kamen und die Mauerreste wegschafften war er schon und auf dem Weg zum Haus seiner Tochter, wo er nun ein Zimmer bewohnte, in dem er sich fremd fühlte.

 

Dass es für viele auf der Insel eine willkommene Veränderung war, dass viele auch Vorteile hatten, hatte er von Anfang an verdrängt. Er lebte nur in seiner Welt und die war nun triste und eintönig.

 

Als ihm Penelope den Inhalt der unfreiwillig erlauschten Unterhaltung zwischen Tsakiris und seinem Diener weitererzählte, war auch der letzte Rest von Lebensmut in ihm erloschen und einem Hass gewichen.

 

Ja, er hatte sich kaufen lassen, war dem Reiz des Geldes erlegen, hatte sich an diesen Mann, den er insgeheim „Polyp“ nannte, verkauft!

 

Da war nur mehr Hass vorhanden! Hass auf das Schicksal, auf die neuen Machthaber der Insel und vor allem Hass auf diesen Mann dort im Rollstuhl, der ihm alles genommen hatte, was ihm nach dem Tod seiner Frau noch etwas bedeutete, das Fischen, das Meer und seinen Stolz.

 

Langsam trat er aus dem Schatten der Bäume hervor und näherte sich dem im Rollstuhl sitzenden Mann.

 

„Ist da Jemand?“, hörte er ihn fragen. Seine Schritte hatten Tsakiris aufmerksam gemacht, doch konnte er sich nicht umdrehen, um nachzusehen, da er in den Stuhl irgendwie eingeengt und angeschnallt war.

 

Kosta blieb stehen, antwortete jedoch nicht.

 

„Georgios, bist Du das, das ging aber schnell!“, sagte Tsakiris.

 

Kosta machte zwei weitere Schritte heran.

„Nein, es ist nur irgend so ein Schleimer aus dem Dorf“, sagte er laut.

 

Kosta sah wie sich der Körper vor ihm versteifte. Tsakiris war erschrocken und fühlte sich offenbar hilflos und angegriffen. Er hob eine Hand, als wollte er etwas abwehren.

 

„Was wollen Sie denn? Bitte gehen Sie weg!“, zischte er. Seine Augen gingen suchend hin und her, er wünschte sich inständig, dass Georgios jeden Moment zurückkommen möge. Die Stimme hinter ihm flößte ihm Angst ein.

 

Kosta blickte auf den hilflosen Mann herab und erschrak über sich selbst. Was wollte er eigentlich? Er spürte voller Entsetzen, dass er den Wunsch hatte, den Mann samt seinem Rollstuhl in den vor ihm liegenden Abgrund zu stürzen. Er wich zurück, drehte sich um und rannte den Weg zurück, nahm sein Rad und fuhr in Panik davon. Sein Herz raste und er spürte, wie ihm das Blut zu Kopfe stieg.

 

Die Zeit, bis Georgios wiederkam erschien Tsakiris wie eine Ewigkeit. Sein Herz raste und Schweiß stand ihm auf der Stirne. Er hatte die Gefahr des Augenblickes vorhin körperlich gespürt und war in Panik geraten. Er wusste auch nicht, ob dieser Mann mit der hasserfüllten Stimme noch da war, oder nicht. Er war starr vor Angst und wagte es nicht, den Rollstuhl zu wenden. Sich umzudrehen, fand er aufgrund des Abgrundes vor ihm zu gefährlich. Also blieb er steif und regungslos sitzen und hoffte, dass Georgios jeden Moment zurückkommen würde. Sein Atem ging stoßweise und pfeifend.

 

Endlich kam Georgios und merkte die Veränderung sofort.

 

„Was ist denn geschehen, wieso sind Sie so außer sich?“, fragte er besorgt.

 

„Nein, nein! Es ist nichts, ich hatte nur plötzlich Angst vor dem Abgrund vor mir. Fahre mich wieder zurück!“, er machte eine herrische Bewegung nach vor.  Georgios hatte es schon längst aufgegeben, von seinem Herrn als etwas anderes als ein Dienstbote wahrgenommen zu werden. Das Wort „Bitte“ kam selten über dessen Lippen, oder gar eine private Bemerkung. Niemals wurde er nach seinen Wünschen oder Bedürfnissen gefragte, er hatte eben einfach da zu sein, wenn nach ihm verlangt wurde; Tag und Nacht! Dafür wurde er aber auch überdurchschnittlich gut bezahlt und er hatte sich bewusst damit abgefunden.

So betrachtet war auch er nur eine Figur in diesem Spiel über Macht, Geld und Gier.

 

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