Dienstag, 26. März 2024

Lords Mutation, vampirig

 

Lords Mutation

von Joana Angelides

 

Vor einigen Tagen ist gegenüber von mir ein junges Mädchen eingezogen. Sie dürfte wohl nur nachts aktiv sein, da bei Tag die Vorhänge immer zugezogen sind und man keine Bewegung sieht.

 

Anfangs hat mich das nicht sonderlich interessiert und ich habe nur selten von meinem Zeichenbrett aufgeschaut. Doch irgendwie wurde dann doch meine Neugier geweckt.

 

Man will ja schließlich wissen, wer so in der Nachbarschaft wohnt.

 

Auch Lord wollte das ergründen. Lord ist mein Angora-Kater.

Vor ein paar Tagen sah ich ihn langsam auf dem Geländer des Balkons balancierend, hinüberschleichen. Unhörbar und vorsichtig sprang er vom Geländer herunter und versuchte, zwischen den Vorhängen der Balkontüre etwas zu erspähen. Man konnte sein leises Miauen durch die offene Balkontüre hören. Er schlich den Balkon entlang, ging wieder zurück zur Balkontüre, doch scheinbar war nichts Interessantes zu erspähen und so kam er wieder auf dem selben Wege zurück.

 

Er nahm zu meinen Füßen Platz und rollte sich ein. Ich konnte ein, wie mir schien, unwilliges Schnurren hören.

Und er war angespannt, das zeigte sein Schwanz ganz deutlich. Die Schwanzspitze blieb keinen Moment ruhig, sie ging hin und her und auch die Ohren waren dauernd in Bewegung.

 

Diese Unruhe meines Katers Lord steckte mich an. Zwischen den einzelnen Zeichnungen legte ich immer wieder den Bleistift weg und blickte hinüber zu dem leeren, einsamen Balkon.

Heute legte sich die Dämmerung sehr früh über die Stadt. Es war Herbst und die Tage wurden immer kürzer.

Da, eine Bewegung gegenüber. Ein nackter Arm erschien zwischen den Vorhängen und die Balkontüre wurde einen Spalt geöffnet.

 

Dieser nackte Arm erregte mich. Es war wie eine lockende, mich fordernde und doch in die Schranken weisende Geste. Ich stand auf und trat an die Balkontüre.

 

Auch Lord hatte die Bewegung bemerkt und schoss zwischen meinen Füßen hindurch raus auf den Balkon. Ich beobachtete ihn, wie er wieder über das Geländer balancierend auf leisen Pfoten auf den gegenüberliegenden Balkon sprang und durch den Türspalt im Zimmer verschwand.

Ja, so eine Katze hat eben andere Möglichkeiten.

Ich begab mich wieder zu meinem Schreibtisch, drehte die Lampe auf und versuchte weiter zu arbeiten. Doch meine Gedanken waren bei Lord. Was machte er so lange da drüben? Normalerweise war er sehr scheu, daher war diese Affinität für mein Gegenüber sehr verwunderlich!

 

Inzwischen war es dunkel geworden und meine Neugier und Ungeduld wurde immer intensiver. Ich trat auf den Balkon hinaus und begann meinen Kater zu rufen. Da öffnete sich gegenüber die Türe ganz und meine neue Nachbarin erschien. Auf dem Arm trug sie Lord, der sich an sie anschmiegte und sich mit geschlossenen Augen kraulen ließ.

 

Sie war bekleidet mit einem langen schwarzen Hauskleid, sehr weit und mit glitzernden Effekten ausgestattet, die bei jeder Bewegung kleine Lichtpunkte aussandten. Der Ausschnitt war tief, gerahmt von Lord´s felligem Körper, der es sichtlich genoss mit ihrer nackten Haut in Berührung zu kommen.

 

Ihr Lächeln war geheimnisvoll und verhalten. Es schien durch die Dunkelheit zu mir herüber zu leuchten. Ihre langen Haare berührten die Schultern und umrahmten ein blasses Gesicht mit dunklen, brennenden Augen. Sie neigte den Kopf etwas seitwärts und entließ Lord mit einer kurzen Bewegung auf den Boden, dort entdeckte ich   eine weitere Katze, die neben ihren Beinen stand und sich mit erhobenem Schwanz an ihnen rieb. Beide, Lord und diese fremde Katze rieben ihre Köpfe aneinander und eine seltsame Vertrautheit schien zwischen ihnen bestehen.

Sie schnurrten und knurrten und wälzten sich schließlich auf dem Boden.

 

 Ich hob meine Hand und deutete einen Gruß an. Sie hob die linke Schulter und ihre kleine entzückende Hand zum Gruß.

 

Inzwischen war Lord wieder auf meinen Balkon zurückgekehrt und schmiegte sich an mein linkes Bein. Es war sozusagen eine Geste, mit der er um Entschuldigung bat für sein langes Ausbleiben.

 

Wir gingen hinein und der Abend verlief sehr ruhig. Ich las und Lord saß an der Balkontüre und schaute unentwegt hinüber. Sie musste weggegangen sein, denn das Licht war aus und keine Bewegung auszumachen.

 

Die Nacht schritt voran, dunkel und spröde wie schwarzes Glas. Ich lag in meinem Bett und wälzte mich hin und her. Ich hatte den Eindruck, dass diese dunklen, brennenden Augen über mir wachten und dieses geheimnisvolle Lächeln, diese vollen Lippen, immer näherkamen.

Lord lag am Fußende meines Bettes. Ich hörte sein leises Schnurren, das mir seltsam verändert vorkam. Es war irgendwie lauter, unruhiger. So als würde er schlecht träumen; sofern Katzen überhaupt träumen.

Ich sprang auf und öffnete die Balkontüre etwas mehr, um Frischluft herein zu lassen und legte mich dann wieder auf mein Bett. Ich lag auf dem Rücken, mit offenen Augen starrte ich an die Decke und sah vereinzelt Lichter von draußen sich am Plafond treffend und wieder verschwinden.

Langsam spürte ich, wie sich nun endlich der Schlaf einstellte. Er kam wie ein Schatten über mich, senkte sich langsam auf mich herab.  Ich schloss die Augen und der Schatten legte sich warm und weich auf mich. Ich spürte den Hauch des tiefen Schlafes und geheimnisvolle Wesen flüsterten mir unglaubliche Worte ins Ohr. Die Bettdecke wurde zu einem fordernden, drängenden Körper, mich umschlingend und umschließend. Ich vermeinte weiche, warme Lippen zu spüren, die meinen Hals berührten. Der stechende Schmerz der sich in meinen Hals bohrenden Zähne, erschien mir wie das Liebkosen mit roten Rosen voller Dornen.

 

Es war ein unglaubliches Gefühl. Es hob mich empor, und ich schwebte für Minuten zwischen Himmel und Erde.

Dann ließ sie von mir ab, und ihr weißes, leuchtendes Gesicht lag genau über mir.

 

Es war also doch kein Traum!

 

Ich öffnete meine Augen und versank in einem tiefschwarzen Augenpaar mit grünen Lichtern und einem furiosen Feuerwerk.

 

Ihr federleichter Körper löste sich von meinem, hielt über mir Sekunden lang inne, um sich dann aber langsam und schwebend in Richtung der Balkontüre zu entfernen.

 

Dort saß Lord, mit funkelnden Augen. Sein Fell war gesträubt, was bei einem Angora-Kater noch viel mehr an Volumen erzeugt. Seine Augen zeigten ein eigenartiges Feuer und seine Eckzähne konnte man deutlich sehen. Wie immer konnten wir unsere totale Übereinstimmung spüren, waren eine Einheit.

 

Schlagartig wurde mir klar, dass wir beide, Lord und ich, nun in eine andere Welt eingetreten sind, die von uns noch erforscht und ausgelotet werden musste.

Dieser wunderbare Körper, der noch vor Minuten völlig in mir aufging schwebte wie selbstverständlich zum gegenüberliegenden Balkon und verschmolz mit der Dunkelheit des dahinterliegenden Raumes.

Haben Sie sich schon mal Gedanken darübergemacht, ob Vampire auch Haustiere haben?

                                        Ich habe Lord, meinen Kater.


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