Karneval in Venedig
Sie steht am
Fenster und schaut auf das winterliche Wien. Der Morgenmantel umhüllt ihre
schlanke Gestalt, betont die Konturen sanft und doch deutlich.
Es ist noch früh
am Morgen, die Morgendämmerung beginnt sich aufzulösen und der Himmel hat eine
zart rosarote Färbung angenommen, die nach oben hin verblaßt.
Ihre kleine
Mansarde liegt ganz oben des Miethauses und erlaubt einen Blick über die
Dächer. Ganz weit weg sieht man den Donauturm wie eine spitze Nadel in den
Himmel ragen, die neue Uno-City zeichnet sich als ein dunkler Block gegen den
Himmel ab und der Mileniumstower mit seinem Licht ganz oben, blinkt herüber.Auf
der anderen Seite sieht man den Stephansdom als dunklen Schatten gegen das
Licht. Man sieht auch schon vereinzelt Lichter
in den Häusern, die dadurch aus dem Häusermeer hervortreten.
Das Pfeifen des
Teekessels aus der Küche läßt sie aufschrecken. Sie eilt in die Küche und
bereitet ihr Frühstück vor.
Leicht duftet der
Earl-Grey in der Kanne und die Brötchen sind knusprig. Nach dem Frühstück zieht
sie sich ihren bequem Hausanzug an und schlendert wieder in den kleinen
Wohnraum ihrer Mansardenwohnung.
Inzwischen hat
sich die Dämmerung verkrochen und ein sonniger Wintermorgen ist angebrochen.
Das unschuldige Weiß der Schneedecke auf den Straßen wird wahrscheinlich braun
und unansehnlich werden, wenn die Menschen darüber hasten, ohne die Schönheiten
ringsherum zu sehen. Heute wird das ein wenig später so sein, da heute ja
Sonntag ist.
Besonders schön
sind die Parks rund um die Innenstadt, der Stadtpark, der Burggarten und auch
der Rathauspark. Die Äste der Bäume dort behalten ihren kleinen Schneehäubchen,
und nur wenn ein Vogel sich darauf setzt, oder sie im Fluge streift, fallen sie
lautlos zu Boden, wie reiner, weißer Staub. Ach, sie liebt diese Stadt, mit
ihrem Flair, ihren Stimmungen, ihrer Schönheit zu jeder Jahreszeit und den
Menschen da.
Sie geht gerne vom
Ring, der Prachtstraße Wiens, durch den Burggarten in das Zentrum, wenn es die
Zeit zuläßt. Aber meist ist es unerläßlich mit dem Auto einfach durchzufahren,
die Hektik des Tages erfordert es.
Doch heute ist
eben Sonntag und sie kann die Hektik für ein paar Stunden vergessen.
Sie holt
sich den Brief vom Schreibtisch, der nun
schon zwei Tage dort liegt, über den sie sich ungeheuer gefreut hat und macht
es sich auf der breiten Sitzbank bequem.
Sie lehnt sich an
ihren übergroßen Kuschelpolster und zieht die Beine an, ihre Füße sind nackt
und sie spielt leicht mit den Zehen.
Sie liest den
Brief immer wieder. Alissa, eine Freundin aus der Studienzeit, die seit ihrem
Abschluß in Venedig lebt, hat sie für ein paar Tage eingeladen bei ihr zu
wohnen und zwar genau in jener Woche, wo der weltberühmte Karneval in Venedig
stattfindet.
Als sie beide die
Kunstakademie in Wien besuchten, gab es viele Wochenenden, an denen sie sich einfach in den Zug setzten und nach
Venedig fuhren. Diese Stadt, Serenissima, die Perle an der Adria, hatte es
ihnen angetan. Sie standen gerne auf der Rialtobrücke und ließen Blütenblätter
ins Wasser fallen oder flirteten mit den Gondolieri, die unter ihnen
durchfuhren und manchmal schickten sie ihnen sogar Kußhändchen, um sie aus der
Fassung zu bringen.
Sie wohnten immer
in einer kleinen Pension in der Calle Modena.
Die Pension war
sauber und billig, der Ausblick von den unverhältnismäßig großen Balkonen war
überwältigend. Man hatte den Blick frei bis zum Canale Grande, rechts und links
auch auf einigen Kirchen und alten Paläste. Die pastellfarbenen Fassaden der alten Palazzi sahen bezaubernd
aus, man übersah die oft abbröckelnden
Ecken über all diesem Charme, den die Stadt ausstrahlt.
Die Wirtin war
eine kleine runde Person mit freundlichem Wesen und brachte immer irgend etwas
extra für die „armen Studentinnen“ auf den Tisch.
Und nun lebt
Alissa in Venedig, war dort verheiratet, arbeitet nun als freie Künstlerin und
besitzt selbst eine Galerie in S.Polo, in der Nähe der Rialtobrücke, in einer schmalen Calle
beim Canale Grande, nicht weit weg von ihrem damaligen Studentendomizil.
Sie freut sich
aufrichtig über diese Einladung und war in Gedanken schon mehr in Venedig als
sonst irgendwo.
Die Tage bis hin
zur Reise nach Venedig wollen ganz und gar nicht schnell vergehen, doch heute
war es soweit. Sie steht am Hauptbahnhof von Venedig, Santa Lucia, und hält
Ausschau nach ihrer Freundin.
„Susanne! Hallo, herzlich Willkommen!“
Bevor sie noch
antworten kann, hat sie eine quirlige kleine Person bereits um den Hals
genommen, küßt sie wild und glücklich und hängt an ihrem Hals.
„Ich freue mich,
du! Mein Gott, gut schaust du aus!“
Susanne wehrt nun
die Freundin lachend ab.
„Du läßt mich ja
gar nicht zu Wort kommen, ich kriege keine Luft.“ Ruft sie lachend.
Alissa hat sich
fast gar nicht verändert, ihre schulterlangen dunklen Haare sind nach wie vor
wunderbar voll und glänzend. Sie wirkt elegant und gepflegt und ihre Kleidung
ist wie sie immer war, teuer und nach der neuesten Mode.
Susanne nimmt
ihre Reisetasche und die beiden Frauen hacken sich unter und streben dem
Ausgang zu.
Sie nehmen eine
Taxe und fahren so weit es eben geht in die Stadt rein und nehmen dann einen
schwimmenden Bus am Canale Grande bis ins Zentrum.
Dort ist es nicht
weit bis zu dem kleinen Palazzo, in dem Alissa wohnt und auch ihre Galerie hat.
Die Freundinnen
haben sich eine Menge zu erzählen. Während der Fahrt sprudeln sie nur über vor
Neuigkeiten.
Nachdem Susanne
das Gästezimmer in Besitz genommen, ihre Kleider in dem entzückenden
Renaissanceschrank verstaut hatte, ruht sie sich ein wenig aus. Alissa wird die Galerie heute etwas früher
schließen und sie haben vereinbart einen kleinen Bummel durch das abendliche
Venedig zu machen.
In zwei Tagen
wird der Karneval beginnen und sie haben beide noch immer kein Kostüm.
Trotzdem der
kühle Abend eigentlich gegen einen Spaziergang sprach, wollten sie in einen
anderen Stadtteil Venedigs gehen, in ein Geschäft mit der Bezeichnung „Maschere
a Venezia“. Dort gibt es die schönsten Kostüme und Masken der ganzen Stadt.
Sie schlendern
durch die engen Gassen, überqueren kleine Kanäle über entzückende Brücken und
konnten hin und wieder schon Menschen mit Masken vor den Gesichtern und dunkle
Umhänge sehen, die darunter verborgene Kostüme zu verbergen suchten.
In dem gesuchten
Geschäft fühlt Susanne sich in eine andere Welt versetzt. Ein Arlecchino mit
weißer Gesichtsmaske steht regungslos
gleich neben dem Eingang. Plötzlich bewegt er sich und fragt nach ihren
Wünschen. Er verweist sie in das Innere des Geschäftes, das sich weit bis nach
hinten erstreckte.
Überall blicken
sie Masken an, von der Decke baumelnd, oder an den Wänden befestigt.
Puppenhafte Gesichter, phantasievolle
Federngebinde, die im Luftzug leicht wippten und reich gestaltete Kostüme aus
Taft und mit Pailletten bestickten Stoffen, in vielen Farben, mit Gold und
Silber verziert. Da fällt die Wahl schwer.
Susanne
entscheidet sich für ein Kostüm der Colombina, in Gold und Rot, das viel
Bewegungsfreiheit hat..
Alissa entscheidet sich für ein prächtiges Kostüm in
tiefem Blau und einer weißer Maske, das einer Comtessa zu aller Ehre gereichen
würde, mit aufwendigem Kopfschmuck und vielen Perlen.
Man könnte die
Kostüme kaufen, aber auch leihen und sie entscheiden sich dazu, die Kostüme zu
leihen.
Als sie dann
wieder zu Hause sind und die Pakete abgeladen hatten, hat Susanne nur einen
Wunsch, sie will ein wenig in der Galerie stöbern, sehen welche Objekte und
Bilder da zum Verkauf angeboten werden.
Alissa geht mit
ihr hinunter und führt sie durch die
Räume. Es sind große Räume im Renaissance Stil, mit schweren Brokatvorhängen,
üppig gerafft und schöne Sessel und Bänke, die zum verweilen und betrachten der
ausgestellten und beleuchteten Bilder einladen. Der Fußboden ist in Schwarz und
Weiß gehalten und im Schachmuster angelegt
und unterstreicht den klassischen
Stil des Raumes.
„Ach, du! Die
Räume sind ein wunderschöner Rahmen für deine Bilder!“ Susanne war begeistert.
„Danke, ja mir
gefällt es auch hier, ich fühle mich richtig wohl.“
„Ja aber sag,
gibt es denn da keinen Conte oder Princippe oder irgendwas Männliches in deinem
Leben? Nie hast du mir etwas geschrieben, nur einmal Geheimnisvolles
angedeutet?“ Die beiden Freundinnen sahen sich an.
„Ja doch, gab es.
Aber irgendwie ist mir alles entglitten und er verschwand in den engen Kanälen
und Gassen von Venedig.“ Sie sah traurig aus.
„Ach, schau nicht
so traurig, jetzt beginnt der Karneval und da werden wir lustig und übermütig
sein und vielleicht finden wir ihn dann,
eben irgendwo in den kleinen Gassen oder auf einer Brücke?“ Sie legte den Arm
um die Freundin. Diese lächelte.
„Und, wenn wir
schon dabei sind, wo ist denn dein Traummann? Bist ja auch alleine gekommen?“
„Naja, ich glaube
mir ging es wie dir, nur daß es die engen Gassen von Wien waren, die Hektik des Alltags und....,
naja ich weiß es auch nicht!“ Sie lachten beide.
„Oh, was ist
das?“ Susannes Blick bleibt im letzten Raum an einem Bild hängen, das sie
sofort fasziniert.
Es ist nicht das
Kunstwerk an sich, das sie faszinierte sondern es ist das Motiv.
Es ist der Balkon
in der alten Pension, wo sie immer gewohnt hatten, im gleißenden Sonnenlicht,
im Hintergrund die Konturen von Venedig mit ihren vielen Kirchtürmen. Am Balkon
ist ein junges Mädchen mit einem Sonnenhut zu sehen, in einem strahlend weißen
Kleid.
Es ist ein
schönes Bild, im Stil von Monet, mit viel Sonne und flimmernden Licht.
Nun ist er da,
der Karneval!
Ganz Venedig ist
eine Bühne. Am Marcusplatz drängen sich die schönsten Kostüme. Auf jeder Brücke
in jeder kleinen Gasse Venedigs, mit Vogelmasken, mit weißen Masken, riesigen
Hüten mit Federgestecken, blauen, roten und grünen Taft- und Seidengewändern,
glitzernd und glänzend, mit Glöckchen und Schellen.
Prinzen und
Könige in samtenen und seidigen Wamse, jedoch alle mit Masken. Niemand kennt
den Anderen, alle waren ausgelassen.
Auf kleinen
Plätzen, wie auf der Piazza S.Polo sind
kleine Bühnen als Straßentheater aufgebaut, Musik aus alten Instrumenten ist zu
hören. Sie spielen alte Stücke von Goldoni, alte venezianische Possen.
Man wird umarmt,
gestoßen und gezogen. Lachen dringt von allen Seiten heran, es ist ein Rausch
der Farben und Sinnen. Sektgläser machen die Runde, es wird einander zugeprostet und fremde Menschen sprechen sich
an und gehen dann wieder weiter.
Am Canale Grande
fahren die Wasserbusse, voll besetzt mit lachenden Menschen in Masken vorbei,
halten an den Stationen an und Massen von Menschen steigen ein und aus.
Alissa und
Susanne halten sich an den Händen um sich ja nicht zu verlieren. Sie
prosten einigen Masken zu, tanzen über
den Markusplatz und versuchen, sich nicht aus den Augen zu verlieren.
Ein ausgelassener
Capitano reisst Alissa jedoch irgendwann von ihrer Seite und sie ist in dem Getümmel alleine. Sie ruft zwar noch
einige Male nach ihr, aber es ist
vergebens.
Doch da wird sie
schon wieder von einer Maske herum gewirbelt, bekommt ein Glas Sekt und wird
weiter gegeben an eine Maske mit Vogelgesicht, mit der sie einen Tanz lang
verbunden ist.
Völlig außer Atem
lehnt sie sich dann an einen der Lichtmaste im Zentrum des Markusplatzes. Alles
dreht sich um sie, sie kann nur mehr Gestalten sehen, der Ton tritt in den
Hintergrund und sie schließt die Augen. Ihre Brust hebt und senkt sich und sie
glaubt wie ein Ballon aufzusteigen.
Sie war
unglaublich erregt und trunken vom Fest der Farben und Sinne.
Als nun auch noch
irgendwo Feuerwerk abgeschossen wird und sich der Himmel in allen Farben
darbietet, fühlt sie sich endgültig emporgehoben.
„Hallo, schöne
Colombine! Tanzen wir quer über den Platz?“ Eine Stimme hinter ihr reißt sie
aus diesem ekstasischen Gefühl.
Bevor sie noch
etwas sagen kann, nimmt sie ein Conte mit rotem Wams, goldenen Applikationen
und schwarzer enger Hose, einem hohen Samthut mit breiter Krempe und einer
weißen Maske, die den Mund frei ließ, in den Arm und fliegt mit ihr über den
Platz. Sein Umhang wirbelt um sie beide herum. . Das heißt, soweit es möglich
ist, da der Platz ja voller Menschen ist.
Wo war nur
Alissa? Sie wird sie in diesem Getümmel sicher nicht wiederfinden.
„Sie sind die
schönste Colombine von Venedig! Drehen sie sich, springen sie, fliegen sie mit
mir!“ Ruft ihr Conte und lacht laut und übermütig.
Irgendwann kam er
ihr abhanden, flog davon mit einer schönen Sizilianerin mit tiefem Dekollete
Der Campanille
läutet, ein neues Feuerwerk beginnt und
die Sektkorken knallen. Susanne ist
gefangen in einem Tornado von Geräuschen, Lichtern, und Eindrücken
Sie wird mit
Blumen beworfen, die Menschen winken ihr zu. Venedig ist wie eine sich drehende
Kugel, mit glitzernden Steinchen und
Spiegeln.
Irgendwann
findet sie ihre Freundin Alissa in dem
Getümmel wieder.
Es waren Tage
voller Lebensfreude und Erinnerungen.
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