Mo-zart
von Joana Angelides
Er war am Wege aus dem Büro
zurück nach Hause. Die Welt war für ihn seit einigen Wochen nur mehr dunkelblau
und sternenlos.
Es graute ihm eigentlich vor
dem leeren Haus, das voller Erinnerungen war.
Wenn er so abends auf der
Terrasse saß, mit einem Glas Whisky vor sich und der lauten Stille um sich
herum ausgeliefert, schloss er immer die Augen und dann hörte er sie wieder.
Die Stimmen aller Jener, die inzwischen nur mehr Erinnerung waren.
Zuerst starb Amelie, seine Frau.
Der Krebs war bösartig und erbarmungslos und raffte sie innerhalb von drei
Monaten dahin. Ihr Duft war noch heute in den Kleiderschränken, in den Laken
und ihren Kleidern präsent. Es war der Duft nach Yasmin. Sie liebte diesen
Duft, Ihre Seife, ihre Lotion, ihr Parfum war darauf abgestimmt.
Der einzige Halt in seiner
unendlichen Trauer in den Monaten danach war seine Mutter. Und nun ist auch sie
gegangen, ganz plötzlich und übergangslos.
Das Haus war nun menschen-
und seelenlos.
Er öffnete mit dem elektronischen
Toröffner die Einfahrt zu dem Anwesen und fuhr die kleine Auffahrt hinauf. Dort auf der Treppe bei der Eingangstüre saß
Einstein, der schwarze Kater und erwartete ihn, wie jeden Tag.
Theresa, eine langjährige
Haushälterin, die schon unter seiner Mutter das Haus betreute, war sicher
schon, wie vereinbart, weg. Das war die Vereinbarung zwischen ihnen. Er wollte
niemand um sich, wollte die Einsamkeit auskosten und sich im Geiste vorstellen,
dass die beiden Menschen, die er am meisten liebte noch um ihn waren.
Gelegentlich redete er mit ihnen, fragte sie um ihre Meinung. Einstein, der
Kater sah ihm dann immer erstaunt an und ringelte seinen Schwanz um sich. Er
war das einzige Lebewesen, das er um sich haben wollte. Schon die Menschen im
Büro waren ihm zu viel, er wurde zum Einzelgänger; er wurde mürrisch und
wortkarg und als Chef unberechenbar und unbeliebt.
Am Küchentisch lag ein Brief
von Theresa.
„Lieber Thomas, bitte rufen
Sie mich an, ob Sie sich meinen Vorschlag, das Pförtnerhäuschen an einen Studenten
zu vermieten, durch den Kopf gehen ließen. Es wäre ja nur über den Sommer. Im
Herbst beginnt ja wieder das neue Studienjahr und der Student könnte das Haus
hüten, wenn ich hin und wieder zu meiner Schwester fahren würde. Sollten sie es wollen, eine kleine Notiz
reicht vollkommen, ich arrangiere dann alles!“
Er las den Brief zweimal.
Eigentlich wollte er das nicht, aber andererseits, konnte er von Theresa, die
auch nicht mehr die Jüngste war, nicht verlangen, dass sie sieben Tage der
Woche für ihn da war. Eigentlich hatte
er sich noch nie darüber Gedanken gemacht, dafür schämte er sich nun. Also
schrieb er kurz und bündig ein „OK“ darunter und dass er selbst aber keinen
Kontakt haben wollte.
Als er am nächsten Abend
wieder nach Hause kam, merkte er, dass Licht in dem Pförtnerhäuschen brannte,
das ja nur aus einem Raum und einer Kochnische und ein Bad verfügte.
Also hatte Theresa das
bereits arrangiert. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel, darauf stand nur:
„Danke, der Name ist Mo“
Er nahm das zur Kenntnis. Mo
erschien ihm zwar irgendwie seltsam, aber was soll´s
In den nächsten beiden
Abenden nahm er das brennende Licht einfach nur zur Kenntnis und nickte vor
sich hin. Es war ein milder Abend, der Himmel sternenklar und er setzte sich
wieder auf die Terrasse. Er hob sein Whisky-Glas und prostete gen Himmel, als
wollte er mit jemand da oben anstoßen.
Da hörte er es plötzlich!
Da spielte jemand Mozarts
Cello-Konzert in D-Dur!
Da störte jemand seine
abendliche Ruhe! Er sprang auf. Woher kam das? Es kam offenbar aus dem
Pförtnerhaus.
„“Einstein, hörst Du das
auch?“, fragte er laut. Doch Einstein, der normalerweise ebenfalls auf der
Terrasse saß, war nicht da.
Unschlüssig stand er nun da
und wurde zusehends immer wütender.
`Das muss sofort aufhören!´ überlegte er und entschloss sich
hinunterzugehen zu dem Pförtnerhaus und dem Studenten zu sagen, dass er das
unterlassen sollte.
Er nährte sich aber leise,
die Musik wurde lauter und spähte einmal durch das Fenster hinein und was er da
sah, trieb ihm die Zornesröte ins Gesicht. Es war ein Mädchen, ein Mädchen, das
versunken auf einem Stuhl saß und spielte.
Sie war klein und zart, hatte
langes, glattes, schwarzes Haar, das auf eine Seite gekämmt war und ihr über
die linke Schulter fiel. Sie hatte ein langes rotes Kleid mit einem
Seitenschlitz an, das ihre kleine, zarte, aber wohl geformte Figur umspielte.
Ihre Brüste hoben und senkten sich bei jedem Atemzug und sie war entrückt in
die Musik vertieft. Sie hielt das Cello liebevoll und ihre Finger glitten liebevoll
auf und ab. Auf dem Tisch lag ein Geigenkasten und auch noch einige Utensilien,
wie Noten und ein Notenständer.
Er wollte durch das geöffnete
Fenster wütend hineinrufen, doch irgendetwas hielt ihm zurück. Er wand sich weg
und beschloss wieder zurück zu gehen. Auf jeden Fall wird er an Theresa
schreiben, dass erstens vereinbart war, dass es sich um einen Studenten handelt
und zweitens er auf keinen Fall plötzlich Musik hören wollte. Er wollte alleine
sein!!
Plötzlich spürte er bei
seinem Fuß, wie sich Einstein anschmiegte und zufrieden schnurrte. Er war also
auch durch die Musik angelockt worden!
„Einstein, schäm Dich! Ich
verbiete Dir, da noch einmal hinzugehen, solange dieses Mädchen noch hier
wohnt!“, flüsterte er ihm zu. Einstein wandte sich beleidigt ab und verschwand
im Haus.
Er saß nun wieder auf der
Terrasse und rekapitulierte. Offenbar war es eine Musikstudentin und kein
Student!
Die Musik wurde etwas leiser,
sie hatte vielleicht das Fenster geschlossen? Es ärgerte ihn, dass er sich
überhaupt mit ihr beschäftige, bzw. dass er irgendwie der Musik lauschte.
Morgen Früh, gleich nach dem Aufstehen, wird er Theresa anrufen. Sie muss
wieder weg!
Als er am nächsten Morgen,
exakt um 18.00h wie immer, die Auffahrt hinauffuhr, sah er wieder Licht im
Pförtnerhaus. Sie war also noch da.
In der Küche lag ein Brief
von Theresa.
„Ich bin über das Wochenende
bei meiner Schwester, werde mit Mo gleich am Montag sprechen. Essen ist im
Kühlschrank!“
Unwillig zerknüllte er den
Brief und warf ihn in den Abfall.
Das heißt also, dass er bis
frühestens Montag warten und sie ertragen wird müssen! Theresas Essen schmeckte
ihm an diesem Abend gar nicht, was nicht sehr oft vorkam.
Wieder an seinem
Lieblingsplatz auf der Terrasse und den lauen Abend genießend, hörte er sie
Geige spielen. Es war Mozarts „Kleine Nachtmusik“!
Diese Serenade Nr-13 mit dem
Allegro im ersten Satz, übergehend in eine Romanze in Andante im zweiten Satz
wühlte ihn immer auf. rief Erinnerungen ihn ihm wach, die er zu verdrängen
versuchte. Da sah er immer wieder Giselle vor sich, wie sie sich dazu wiegte.
Es war ihr Lieblingsstück.
Er stand auf.
Wo um Teufel, wo war Einstein
schon wieder?
Er ging den Rasen zum
Pförtnerhaus hinüber, bei den drei Birken mit dem kleinen Bänkchen darunter,
vorbei und da sah er sie.
Sie stand in der offenen Türe
zum Pförtnerhaus, vor ihr, aufrecht sitzend, seinen schwarzen Schwanz um die
Beine gerollt, saß er da und hörte ihr verzückt zu. Sie hatte heute ein weißes
Organza Kleid an, mit langen weiten Ärmeln und einen Blumenkranz im Haar.
Einen Blumenkranz aus dem
kleinen Blumengärtchen hinter dem Haus!
Sie hatte die Augen
geschlossen und gab sich ganz der Musik hin, sie bewegte sich hin und her und
er musste ihre ranke, zarte Gestalt bewundern, ob er wollte oder nicht.
Nun trat sie heraus und ging
langsam die kleine Anhöhe zu den Birken hinauf und bewegte sich zwischen den
Stämmen, als würde sie schweben. Sie schien ihn gar nicht zu bemerken. Sie kam
nun zum dritten Satz, der an ein Menuett erinnert und ging in den vierten Satz
über, wo sich das Thema des ersten Satzes wiederholte.
Er blieb wie angewurzelt
stehen. Sie erschien ihm als das Ebenbild einer Sylphide, fast transparent,
anmutig und unwirklich über dem Boden zu schweben.
Er zog sich in den Schatten
des großen Holunderbusches zurück und lauschte ihr verzückt.
Eigentlich sollte sie
bleiben! Wer kann schon von sich aus behaupten in seinem Garten eine
unwirklich-wirkliche Sylphide zu haben, die in einer Wolke von Musik schwebt,
die sie sogar selbst erzeugt.
Er wird das Theresa am Montag
sagen und wer weiß, vielleicht wird er sich irgendwann getrauen sie auch
anzusprechen, oder mit Einstein gemeinsam im Gras vor ihr sitzen um ihre Nähe
zu spüren??
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