Er war am Wege aus dem Büro zurück nach Hause. Die
Welt war für ihn seit einigen Wochen nur mehr dunkelblau und sternenlos.
Es graute ihm eigentlich vor dem leeren Haus, das
voller Erinnerungen war.
Wenn er so abends auf der Terrasse saß, mit einem Glas
Whisky vor sich und der lauten Stille um sich herum ausgeliefert, schloss er
immer die Augen und dann hörte er sie wieder. Die Stimmen aller Jener, die
inzwischen nur mehr Erinnerung waren.
Zuerst starb Amelie, seine Frau. Der Krebs war
bösartig und erbarmungslos und raffte sie innerhalb von drei Monaten dahin. Ihr
Duft war noch heute in den Kleiderschränken, in den Laken und ihren Kleidern
präsent. Es war der Duft nach Yasmin. Sie liebte diesen Duft, Ihre Seife, ihre
Lotion, ihr Parfum war darauf abgestimmt.
Der einzige Halt in seiner unendlichen Trauer in den
Monaten danach war seine Mutter. Und nun ist auch sie gegangen, ganz plötzlich
und übergangslos.
Das Haus war nun menschen- und seelenlos.
Er öffnete mit dem elektronischen Toröffner die Einfahrt
zu dem Anwesen und fuhr die kleine Auffahrt hinauf. Dort auf der Treppe bei der Eingangstüre saß
Einstein, der schwarze Kater und erwartete ihn, wie jeden Tag.
Theresa, eine langjährige Haushälterin, die schon
unter seiner Mutter das Haus betreute, war sicher schon, wie vereinbart, weg.
Das war die Vereinbarung zwischen ihnen. Er wollte niemand um sich, wollte die
Einsamkeit auskosten und sich im Geiste vorstellen, dass die beiden Menschen,
die er am meisten liebte noch um ihn waren. Gelegentlich redete er mit ihnen,
fragte sie um ihre Meinung. Einstein, der Kater sah ihm dann immer erstaunt an
und ringelte seinen Schwanz um sich. Er war das einzige Lebewesen, das er um
sich haben wollte. Schon die Menschen im Büro waren ihm zu viel, er wurde zum
Einzelgänger; er wurde mürrisch und wortkarg und als Chef unberechenbar und
unbeliebt.
Am Küchentisch lag ein Brief von Theresa.
„Lieber Thomas, bitte rufen Sie mich an, ob Sie sich
meinen Vorschlag, das Pförtnerhäuschen an einen Studenten zu vermieten, durch
den Kopf gehen ließen. Es wäre ja nur über den Sommer. Im Herbst beginnt ja
wieder das neue Studienjahr und der Student könnte das Haus hüten, wenn ich hin
und wieder zu meiner Schwester fahren würde.
Sollten sie es wollen, eine kleine Notiz reicht vollkommen, ich
arrangiere dann alles!“
Er las den Brief zweimal. Eigentlich wollte er das
nicht, aber andererseits, konnte er von Theresa, die auch nicht mehr die
Jüngste war, nicht verlangen, dass sie sieben Tage der Woche für ihn da
war. Eigentlich hatte er sich noch nie
darüber Gedanken gemacht, dafür schämte er sich nun. Also schrieb er kurz und
bündig ein „OK“ darunter und dass er selbst aber keinen Kontakt haben wollte.
Als er am nächsten Abend wieder nach Hause kam, merkte
er, dass Licht in dem Pförtnerhäuschen brannte, das ja nur aus einem Raum und
einer Kochnische und ein Bad verfügte.
Also hatte Theresa das bereits arrangiert. Auf dem
Küchentisch lag ein Zettel, darauf stand nur:
„Danke, der Name ist Mo“
Er nahm das zur Kenntnis. Mo erschien ihm zwar
irgendwie seltsam, aber was soll´s
In den nächsten beiden Abenden nahm er das brennende
Licht einfach nur zur Kenntnis und nickte vor sich hin. Es war ein milder
Abend, der Himmel sternenklar und er setzte sich wieder auf die Terrasse. Er
hob sein Whisky-Glas und prostete gen Himmel, als wollte er mit jemand da oben
anstoßen.
Da hörte er es plötzlich!
Da spielte jemand Mozarts Cello-Konzert in D-Dur!
Da störte jemand seine abendliche Ruhe! Er sprang auf.
Woher kam das? Es kam offenbar aus dem Pförtnerhaus.
„“Einstein, hörst Du das auch?“, fragte er laut. Doch
Einstein, der normalerweise ebenfalls auf der Terrasse saß, war nicht da.
Unschlüssig stand er nun da und wurde zusehends immer
wütender.
`Das muss sofort
aufhören!´ überlegte er und entschloss sich hinunterzugehen zu dem
Pförtnerhaus und dem Studenten zu sagen, dass er das unterlassen sollte.
Er nährte sich aber leise, die Musik wurde lauter und
spähte einmal durch das Fenster hinein und was er da sah, trieb ihm die Zornesröte
ins Gesicht. Es war ein Mädchen, ein Mädchen, das versunken auf einem Stuhl saß
und spielte.
Sie war klein und zart, hatte langes, glattes,
schwarzes Haar, das auf eine Seite gekämmt war und ihr über die linke Schulter
fiel. Sie hatte ein langes rotes Kleid mit einem Seitenschlitz an, das ihre
kleine, zarte, aber wohl geformte Figur umspielte. Ihre Brüste hoben und
senkten sich bei jedem Atemzug und sie war entrückt in die Musik vertieft. Sie
hielt das Cello liebevoll und ihre Finger glitten liebevoll auf und ab. Auf dem
Tisch lag ein Geigenkasten und auch noch einige Utensilien, wie Noten und ein
Notenständer.
Er wollte durch das geöffnete Fenster wütend hineinrufen,
doch irgendetwas hielt ihm zurück. Er wand sich weg und beschloss wieder zurück
zu gehen. Auf jeden Fall wird er an Theresa schreiben, dass erstens vereinbart
war, dass es sich um einen Studenten handelt und zweitens er auf keinen Fall
plötzlich Musik hören wollte. Er wollte alleine sein!!
Plötzlich spürte er bei seinem Fuß, wie sich Einstein
anschmiegte und zufrieden schnurrte. Er war also auch durch die Musik angelockt
worden!
„Einstein, schäm Dich! Ich verbiete Dir, da noch
einmal hinzugehen, solange dieses Mädchen noch hier wohnt!“, flüsterte er ihm
zu. Einstein wandte sich beleidigt ab und verschwand im Haus.
Er saß nun wieder auf der Terrasse und rekapitulierte.
Offenbar war es eine Musikstudentin und kein Student!
Die Musik wurde etwas leiser, sie hatte vielleicht das
Fenster geschlossen? Es ärgerte ihn, dass er sich überhaupt mit ihr
beschäftige, bzw. dass er irgendwie der Musik lauschte. Morgen Früh, gleich
nach dem Aufstehen, wird er Theresa anrufen. Sie muss wieder weg!
Als er am nächsten Morgen, exakt um 18.00h wie immer,
die Auffahrt hinauffuhr, sah er wieder Licht im Pförtnerhaus. Sie war also noch
da.
In der Küche lag ein Brief von Theresa.
„Ich bin über das Wochenende bei meiner Schwester,
werde mit Mo gleich am Montag sprechen. Essen ist im Kühlschrank!“
Unwillig zerknüllte er den Brief und warf ihn in den
Abfall.
Das heißt also, dass er bis frühestens Montag warten
und sie ertragen wird müssen! Theresas Essen schmeckte ihm an diesem Abend gar
nicht, was nicht sehr oft vorkam.
Wieder an seinem Lieblingsplatz auf der Terrasse und
den lauen Abend genießend, hörte er sie Geige spielen. Es war Mozarts „Kleine
Nachtmusik“!
Diese Serenade Nr-13 mit dem Allegro im ersten Satz,
übergehend in eine Romanze in Andante im zweiten Satz wühlte ihn immer auf.
rief Erinnerungen ihn ihm wach, die er zu verdrängen versuchte. Da sah er immer
wieder Giselle vor sich, wie sie sich dazu wiegte. Es war ihr Lieblingsstück.
Er stand auf.
Wo um Teufel, wo war Einstein schon wieder?
Er ging den Rasen zum Pförtnerhaus hinüber, bei den
drei Birken mit dem kleinen Bänkchen darunter, vorbei und da sah er sie.
Sie stand in der offenen Türe zum Pförtnerhaus, vor ihr,
aufrecht sitzend, seinen schwarzen Schwanz um die Beine gerollt, saß er da und
hörte ihr verzückt zu. Sie hatte heute ein weißes Organza Kleid an, mit langen
weiten Ärmeln und einen Blumenkranz im Haar.
Einen Blumenkranz aus dem kleinen Blumengärtchen
hinter dem Haus!
Sie hatte die Augen geschlossen und gab sich ganz der
Musik hin, sie bewegte sich hin und her und er musste ihre ranke, zarte Gestalt
bewundern, ob er wollte oder nicht.
Nun trat sie heraus und ging langsam die kleine Anhöhe
zu den Birken hinauf und bewegte sich zwischen den Stämmen, als würde sie
schweben. Sie schien ihn gar nicht zu bemerken. Sie kam nun zum dritten Satz,
der an ein Menuett erinnert und ging in den vierten Satz über, wo sich das
Thema des ersten Satzes wiederholte.
Er blieb wie angewurzelt stehen. Sie erschien ihm als das
Ebenbild einer Sylphide, fast transparent, anmutig und unwirklich über dem
Boden zu schweben.
Er zog sich in den Schatten des großen Holunderbusches
zurück und lauschte ihr verzückt.
Eigentlich sollte sie bleiben! Wer kann schon von sich
aus behaupten in seinem Garten eine unwirklich-wirkliche Sylphide zu haben, die
in einer Wolke von Musik schwebt, die sie sogar selbst erzeugt.
Er wird das Theresa am Montag sagen und wer weiß,
vielleicht wird er sich irgendwann getrauen sie auch anzusprechen, oder mit
Einstein gemeinsam im Gras vor ihr sitzen um ihre Nähe zu spüren??
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