Der
schwarze Tod.
Yersina
pestis
Kapitel 1
Wenn unter Städten,
die Jahrhunderte Geschichtsträchtiges erlebt haben, sich Erdschicht auf
Erdschicht gebildet hat, plötzlich mit
Baggern und Maschinen eben diese Erdschichten aufgegraben und abgehoben werden,
werden Kräfte frei, die sich das menschliche Gehirn gar nicht vorstellen kann
und auch gar nicht möchte.
In hochmodernen
Bürohäusern werden auf dem Reißbrett Pläne und Skizzen geschaffen, die in die
Tiefen dieser niemals toten, nur oberflächlich schlafenden Unterwelt, das Eindringen planen, um Tunnels
und U-Bahnen zu bauen.
Die Menschen in der
pulsierenden österreichischen Hauptstadt Wien hatten keine Ahnung, welche
schrecklichen Kräfte bereit sind, aus den
Höhlen und natürlichen Gefängnissen auszubrechen um sich an der
Oberfläche auszubreiten und Tod und Verderben zu bringen. Der Bau des
U-Bahnnetzes weckte diese lauernden Kräfte und dunklen Geschöpfe jäh aus ihrem
Halbschlaf.
Unter dem Dom zu
St.Stephan verbergen sich Gewölbe aus frühchristlichen Zeiten. Gebeine wurden
bei Grabungsarbeiten oder Umbauten immer wieder zu Tage gefördert, sodass sich
die Arbeiter aus Aberglauben und Angst oft weigerten noch tiefer in die
unübersichtlichen Gänge und Höhlen
vorzudringen.
Bereits im Jahre
1137 n.Chr. wurde der Dom zu St.Stephan urkundlich erwähnt, doch ergaben
spätere Forschungen, dass bereits seit dem Jahre 800. hier eine Kirche bestand, auf deren
Grundmauern dann die heutige Kirche zu stehen kam. Die Archive der Kirche sind nicht für Jedermann zugänglich und es ist in
den vergangenen Jahrhunderten immer wieder gelungen, stattgefundene, unheimliche Begegnungen oder unerklärliche
Ereignisse oder Erscheinungen geheim zu halten.
Manche Menschen
vermeinten in mondlosen und stürmischen Nächten Grollen und Brüllen aus den
Tiefen der Katakomben gehört zu haben, manche führten sogar Todesfälle auf diese Wahrnehmungen zurück. Es
kursieren unzählige, unheimliche und unerklärliche Geschichten und Sagen bis in
die heutigen Tage.
Niemand hörte jemals
auf die mahnenden Stimmen von Wanderpredigern, oder abtrünnigen Mönchen, die
behaupteten, dass das Böse schlechthin
tief unter den Gassen und alten Häusern hause und immer wieder aus Spalten oder
Ritzen entwich. Sie predigten Verdammnis und Tod, Strafe Gottes für gottloses
Leben und hielten so die zahlreichen Geschichten im Bewusstsein der Menschen am
Leben. Heerscharen von Ratten und der Schmutz in den Strassen der Städte taten
ihr übriges dazu, um das Ausbrechen von
allerlei Krankheiten zu fördern.
Und so kam es im
Jahre 1679 zum Ausbruch der Pest in Wien. Denn das Böse, eine körperlose schwarze
Masse mit unendlich verlängerbaren Armen und gierigen Fingern, das sich durch
die Erde wühlte, verzweifelt Ausgänge und Schächte nach oben suchte, brach
zuerst in der „Leopoldstadt“, einem Vorort der damaligen Stadt Wien aus,
infizierte Ratten und Ungeziefer und schickte die todbringenden Boten so an die
Oberfläche.
Dadurch, dass die
Seuche über einen längeren Zeitraum im
wahrsten Sinne des Worts, totgeschwiegen wurde,
starben rund 100.000 Menschen daran;
zuerst die Armen und Schwachen, bis sie dann schließlich auch die Salons
und Paläste der Wohlhabenden erreichte und ausgiebige Ernte machte.
Ärzte schilderten sie in den Annalen als eine „
Heimsuchung der Menschen mit Beulen,
Drüsen-Karfunkeln, braunen und schwarzen Flecken, riesigen aufplatzenden
Beulen, gefüllt mit stinkendem Eiter und Blut“
Die Menschen in der Stadt waren voll Entsetzen und in Panik. Noch dazu
lagen die Leichen todbringend oft tagelang
auf den Straßen, denn es fehlte
an Siechenknechten und Totengräbern.
Durch die engen Gassen
der Altstadt, am Dom vorbei wälzten sich die Menschenmassen, mit Karren voller
Leichen und begruben sie in den vor der Stadt vorbereitenden Gruben, die eilig
ausgehoben wurden. Die Leichen wurden einfach hinunter gekippt und man eilte
davon.
Mit gierigen Armen
und geifernden Mäulern wurden die Leichen von den bösen Kräften und Gestalten
der Unterwelt darin aufgenommen und
dienten dem Bösen als Nahrung und zur Vermehrung.
In den Nächten, so
man sich ins Freie traute, konnte man
auf den noch offenen Leichengruben unheimliche, schwarze Gestalten und Schatten
mit funkelnden Augen tanzen sehen
Diese Seuche konnte
erst eingedämmt werden, als man begann, die Straßen und Häuser zu reinigen,
keinen Unrat mehr einfach aus dem
Fenster zu werfen.
Da mussten sich diese
bösen Kräfte wieder in den Untergrund zurückziehen und auf ihre neue Chance
warten.
Es vergingen
Jahrhunderte, in denen sie als drohende geifernde Gefahr unter unseren Füßen
lauerten und auf die Gelegenheit, nach oben zu kommen warteten.
Der moderne Mensch
verweist diese Dinge natürlich in der Reich der Fabeln und Sagen und setzt sich
über alle Warnungen der Wissenden hinweg. Beim Bau der geplanten U-Bahn wurden Baumaschinen, Riesenbagger und
Erdbohrer eingesetzt und die Erde unter großem Getöse und intensiven
Erschütterungen aufgewühlt. In dem
auftretenden Lärm und dem Getöse gingen das Fauchen und Stöhnen dieser
unterirdisch lauernden Bewohner der Stadt unter.
Im Zuge der
Bauarbeiten entstand vor dem Dom ein
riesiger Krater von ca. dreißig Metern Tiefe oder mehr. Es wurden Tonnen von
Erde nach oben geschafft und mit ihr Extremente der Ratten und anderem Getier
und Gewürm. Aus den entstandenen Erdspalten drang Ekel erregender Gestank in
diese Luft und wurde von den Männern eingeatmet.
Auch als aus einem
tiefen Hohlraum ein Heer von Ratten entwich, sich auf die Männer in den
Overalls stürzten, wurden sie mit den modernsten Mitteln der
Schädlingsbekämpfung getötet oder scheinbar vertrieben. Das Einzige was
geholfen hätte, wäre Feuer gewesen, das wurde unterlassen! Rundum gingen die
Menschen ahnungslos ihren Geschäften nach, saßen in den Kaffees und plauderten
über Belangloses, während über ihnen der Hauch des Todes seine Bahn.
Kapitel 2
Erschrocken fuhr
Sabine in die Höhe. Das Telefon läutete ausdauernd und furchtbar laut.
Sie blickte auf die
Uhr neben sich. Es war kurz nach zwei Uhr morgens.
Im Halbschlaf griff
sie nach dem Telefon.
„Ja, wer stört?“
„Sabine, hier ist
Robert. Ich brauche deine Hilfe!“
„Weißt du, wie spät
es ist? Hat das nicht Zeit bis morgen früh?“
„Nein, wir stehen
vor einer Katastrophe, tausende Menschen sind gefährdet und es soll vertuscht
werden.“
Sabine war
inzwischen hellwach geworden, hatte das Licht angemacht und saß am Bettrand.
Warum überraschte sie dieser Anruf nicht wirklich? Es klang ganz nach Robert, immer dramatisch,
immer enthusiastisch und immer übereifrig. Ein engagierter Journalist, der aber
auch immer wieder in neue
Schwierigkeiten taumelte.
„Robert, bist du
schon wieder dabei, etwas aufzudecken? Aber um Gottes Willen, wozu brauchst du
da mich, und noch dazu so mitten in der Nacht?“
„Was weißt du über
die Pest?“
„Die Pest? Bist du verrückt, hast du kein Internet um da
nachzusehen?“
„Sabine, wir haben
die Pest mitten in Wien, es gibt Tote und Erkrankte und alles soll vertuscht
werden!“
„Das wäre ja eine
Katastrophe, aber ich habe bisher davon nichts gehört und sitze doch
einigermaßen mitten im Geschehen.“
„Es gab bereits
drei Tote, die bereits beerdigt wurden, es waren alles Feuerbestattungen und
fünf Erkrankte liegen auf der Uni-Klinik auf der Isolierstation und werden mit
Antibiotika behandelt.“
„Und was steht auf den Totenscheinen?“ fragte
Sabine.
„Diphtherie, einfach Diphtherie. Ich habe
keine Ahnung, was sie den Angehörigen über die näheren Umstände gesagt haben,
ich finde es nur seltsam, dass alle drei Verstorbenen eine Feuerbestattung
bekamen! Das können doch keine Zufälle
sein!“
Sabine dachte kurz
nach.
„Wenn das stimmt,
dann sind das tatsächlich zumindest seltsame Zufälle. Gibt es denn einen
Zusammenhang zwischen den erkrankten Personen?“
„Ja, es sind
ausschließlich Bauarbeiter und Techniker von der U-Bahn-Baustelle am
Stephansplatz, die in derselben Nacht Dienst hatten. Man hat heute Morgen die Arbeiten
vorübergehend, zumindest für ein paar Stunden, ausgesetzt und die Baustelle
gesperrt.“ Sagte Robert.
„Mit welcher
Begründung?“
„Technische
Probleme und Prüfung. Aber wenn sie Gerede vermeiden wollen, müssen sie sie bis
spätestens morgen früh wieder öffnen!“
„Robert, ich habe
da einen Studienkollegen, der arbeitet im Gesundheitsamt. Den werde ich
anrufen, vielleicht weiß er irgendwas. Aber nicht jetzt, mitten in der Nacht,
morgen früh! Gute Nacht!“
„Das kannst du dir
sparen, sie mauern! Zieh dich an, ich hole dich ab und wir schauen uns das an
Ort und Stelle an der Baustelle direkt
an“.
„Bist du verrückt?
Da gibt es wohl Einiges, das dagegen spricht. Erstens wird die Baustelle sicher
bewacht sein, zweitens könnte es für uns ebenfalls gefährlich sein, uns dort
irgendwelchen Seuchen, es muss ja nicht gleich die Pest sein, auszusetzen; und
drittens riskiere ich meine Anstellung im Labor der Uni-Klinik!“
„Also, wenn es doch die Pest sein sollte, dann ist das alles
völlig gleichgültig. Du wohnst keine hundert Meter von der Baustelle entfernt,
kannst sie sogar sehen, und du bist sicher bereits infiziert! Wir steigen da
einmal hinunter und nachher gehen wir in dein Labor und du spritzt uns ein
Gegengift!“
Sabine musste
lachen, ja so stellte es sich der kleine Moritz vor!
„Sabine, bitte
versuche doch einmal, über deinen eigenen Schatten zu springen, hast du gar
keine Eigeninitiative, keine Abenteuerlust?“
„Robert, du
übertreibst wieder einmal maßlos! Aber OK, ich werde mir das mit dir ansehen,
wie lange brauchst du, bis du hier bist?“
„Ich stehe vor
deiner Haustüre, ziehe auf jeden Fall Gummistiefel an“, sprach Robert und
klickte sich weg.
Seufzend erhob sich
Sabine, nicht ohne einen sehnsüchtigen Blick auf den Polster zu werfen und suchte ihre Jeans und ein T-Shirt mit Jacke zusammen, zog
auch die erwähnten Gummistiefel an.
Ihre Wohnung lag
tatsächlich im Zentrum der City, keine 100 Meter vom Dom entfernt. Nachdenklich blickte sie in den Spiegel beim
Stiegenabgang. Sollte tatsächlich aus
der Tiefe der Baugrube etwas so grauenhaftes wie die Pest entwichen sein und einfach einige Menschen befallen haben?
Als sie vor das
Haus trat, löste sich der Schatten
Roberts aus dem Torbogen vom
gegenüber liegenden Haus. Er war ebenfalls mit einer Jacke mit Kapuze und
Gummistiefeln, sowie dem für Robert unvermeidlichen Fotoapparat bestückt.
Sie nickten sich
stumm zu und Robert ging sofort in Richtung des schwach beleuchteten Platzes
vor dem Dom.
Es war gespenstig
ruhig, niemand war zu sehen. Sabine begann bereits zu bedauern, Robert
nachgegeben zu haben. Aber irgendwie reizte das ihre Abenteuerlust und ihre
Neugierde doch.
Robert gab den Weg
vor. Er drückte sich an die Hausmauern gegenüber des Domes, um an seine
Rückseite zu kommen. Dort war es dunkler als an der Vorderseite und dann lief
er, geduckt über den kleinen Platz und drückte sich an die Mauer der Kirche.
Sabine war stehen
geblieben und blickte sich suchend um. Es war niemand zu sehen. Immerhin war es
ja inzwischen fast drei Uhr morgens,
„Komm herüber“,
rief Robert leise und winkte ihr zu.
Wie von Geisterhand
gestoßen, lief nun auch Sabine geduckt zur Kirche hinüber und drückte sich
ebenfalls an die Mauer neben Robert.
Sie schlichen sich
nun, Robert voran, langsam zur Vorderseite und der Baugrube immer näher.
„Hörst du auch
was?“, murmelte Robert
Tatsächlich konnte
Sabine ein Geräusch wahrnehmen, es war
das schwere, mühsame Atmen eines Lebewesens, das anscheinend mit dem
Tode ringt.
„Es ist der Hauch
des Todes!“, flüsterte Robert.
„Sei nicht so
kindisch, das wird ein Wind sein“, sagte Sabine, doch es kam auch ihr ein wenig
unheimlich vor.
Sie hatten
inzwischen die hölzerne Umrandung der Baugrube erreicht und blickten hinunter.
Von hier oben erschien sie sehr tief und eigentlich drohend, musste Sabine
zugeben.
Robert hatte sich in der Zwischenzeit gebückt und
war durch die Absperrung in den inneren
Kreis der Baustelle vorgedrungen. Von einer
Wache war nichts zu sehen. Nur die Baumaschinen, die am Grund der Grube
standen, waren mit Warnleuchten schwach beleuchtet, man konnte kaum ihre
Konturen sehen.
Ich muss verrückt sein, da mitzumachen! Sabine
schüttelte den Kopf über sich selbst, tat es Robert jedoch gleich.
„Hier ist eine
Leiter, komm und gib Acht, dass du nicht abstürzt!“ Robert war bereits die
Leiter einige Sprossen abwärts geklettert.
Dieser dumpfe Ton
des schweren Atems verstärkte sich. Es war auch ein leises, gleichmäßiges
Klopfen zu hören. `Wie ein Herzschlag`,
dachte Sabine nachdenklich, doch es war sicher nur eine Pumpe, die vielleicht
irgendwo Wasser abpumpte, beruhigte sie sich gleich selbst.
Sie kletterten nun
schweigend abwärts, bis sie endlich am Grund der Baugrube standen. Es erschien
ihnen alles überwältigend,
überdimensioniert.
Sabine war nun
froh, Roberts Ratschlag gefolgt zu sein und Gummistiefel anzogen zu haben, denn
der Boden war feucht, mit Wasserlachen übersät und rutschig.
„Merkst du, dass
die Luft hier schwer zu atmen ist und nach Verwesung riecht?“ Robert hatte
seine Stimme gesenkt, als wollte er niemand wecken.
„Naja, ja irgendwie
schon, aber wir sind ja eigentlich unter dem Niveau der Straße und da ist eben
alles feucht“, Sabine wiegte den Kopf
hin und her.
Plötzlich nahmen
sie ein seltsames Geräusch wahr. Es war als würde man eine große Menge von
Menschen essen und schmatzen hören, als würden tausend Füße in eine Richtung
laufen. Und da kamen sie, es mussten Hunderte sein. Es waren große, fast
schwarze Ratten, ihre Augen leuchteten in der Dunkelheit. Sie kamen aus
Erdlöchern, aus Spalten und hinter den Baumaschinen hervor. Es war, als würden
sie nur auf sie gewartet haben. Die spärlichen Lampen der Notbeleuchtung
machten, dass ihre Augen glühten.
Sabine und Robert
ergriffen in ihrer Panik herumliegende Eisenstangen und Holzlatten und schlugen
auf die Tiere ein. Sabine sah entsetzt, dass sich eines der
Tiere am Rücken von
Robert festgekrallt hatte und schlug mit voll Wucht zu. Sie hätte Robert fast
zu Fall gebracht, doch das Biest ließ doch los und sprang nach unten.
„Wir sollten
schleunigst nach oben verschwinden“, rief Sabine. Doch die Ratten hatten sich
nun am Rande der Grube zurückgezogen und blockierten den Weg zur einzigen
Leiter, die aus der Baugrube nach
oben führte.
Sie hatten sich
gegenüber mit dem Rücken zur Wand gestellt und hielten ihre einzigen Waffen,
die Eisenstangen und Holzlatten drohend erhoben in den Händen hoch.
„Sie sind klug, sie
beobachten uns und warten auf ihre Chance!“, flüsterte Robert.
Das dumpfe schwere
Atmen verstärkte sich kontinuierlich und drang von überall herbei, es kam aus
den Wänden und Rissen und Spalten des sie umgebenden brüchigen Erdwalles. Aus
verschiedenen Ritzen drang eine schwarze zähflüssige Masse, die sich am Boden
formierte und langsam in ihre Richtung kroch.
„Was ist das?“, die
Stimme Sabines war nun schrill und man
hörte, dass sie Angst bekam.
„Ich weiß es nicht,
doch es stinkt schrecklich und scheint intelligent zu sein, es versucht, uns
einzuschließen, uns hier festzunageln!“. Auch Robert spürte, wie Panik und Kälte langsam von seinen Zehen beginnend, seine
Beine aufwärts krochen. Nun begannen die Ratten wieder diese schmatzenden
Geräusche zu machen und es kam Bewegung in die homogene Masse der Tierleiber.
Sie formierten sich wieder zum Angriff.
„Sie kommen, oh
Gott, sie kommen wieder!“ Robert verlor nun ebenfalls völlig die Fassung
und versuchte in seiner Angst die
feuchte, abbröckelnde Wand der Baugrube zu erklimmen
„Wir haben nur eine
Chance, wenn wir vielleicht die
Baumaschinen erreichen und uns in einer der Kabinen einschließen könnten“,
Sabine versuchte ruhig zu bleiben, „ich verstehe das nicht, du wolltest ja da
runter und erforschen, was da lost ist und jetzt hast du Angst?“
„Ja; du hast ja recht, aber ich erwartete
nicht, so frontal damit konfrontiert zu werden. In den Baumaschinen sind wir
nicht sicher, die sind nach unten hin offen.
Sag, wenn uns diese Biester beißen und infizieren, gibt es da ein
Gegengift?“
„Ja, ja beruhige
dich doch, sollten sich die ersten
Anzeichen von Pest zeigen. Husten und Bläschen im Mund, wird Antibiotika
verabreicht und du kommst in Quarantäne.
Unbehandelt ist es sicher tödlich. Wahrscheinlich ging es den drei Toten
aus irgendeinem Grund so und sie wurden
Tage vorher schon von den Ratten
gebissen. Man kann nur hoffen, dass sie niemand infiziert haben! Aber die, die
in der Intensivstation liegen, werden sicher wieder gesund.“
Das wirkte
beruhigend auf Robert.
Sie hatten
inzwischen den großen Tunnel, der ins Erdinnere führte erreicht und drückten
sich dort wieder an die Wand. Aus der Finsternis formierte sich plötzlich
ein schwarzer Schatten, der sich nach
oben hin verbreiterte und nun drohend über ihnen, wie der berühmte Geist aus
der Flasche, schwebte.
„Da vorne Sabine, siehst du das?“ flüsterte
Robert.
„Ja, ich sehe einen
Schatten, wie er sich vorwärts bewegt. Im Lichte der Taschenlampen verändert er
seine Gestalt dauernd“, flüsterte Sabine zurück.
„Oh nein, es ist
nicht das Licht, der Schatten verändert wirklich seine Gestalt. Manchmal ist er
hoch aufgerichtet, dann wieder zerfließen die Konturen und sein unteres Ende
bewegt sich am Boden dahin. Es sieht
aus, als wäre es eine homogene Masse, die
sich so fort bewegt“. Robert richtete den Strahl der Lampe wieder nach
vorne. Keuchend machte er einen Schritt zurück und die Lampe entglitt seiner
Hand. Diese schwarze homogene Masse hielt inne, drehte sich um und aus der dunklen Masse starrte ihnen ein Totenkopf aus leeren
Augenhöhlen mit aufgerissenem Mund entgegen. Aus dem Mund kam grauer
Schleim heraus, der Hauch der Pestilenz
lag in der Luft.
Die Arme des Schattens
wurden dünner, aber dafür länger und
wuchsen ihnen entgegen, als würde er nach ihnen greifen wollen. Am Boden
breitete sich diese dunkle teerähnliche Masse immer mehr aus und erreichte fast
ihre Beine. Sie schrieen und wichen zurück, vergessend, dass draußen in der
Baugrube die Ratten auf sie warteten.
Sie tasteten sich
langsam weiter und fanden plötzlich den
Eingang in einen längeren Nebengang, in dem sie einbogen, von dem bedrohlichen
Schatten sich fort bewegend
Hier war es dunkel
und sie fühlten wieder diesen modrigen kühlen Luftzug an sich vorbei streifen.
„Oh, siehst du das
Robert? Auch hier gibt es diese dunklen klebrigen Schatten, sie kriechen an den
Wänden und am Boden entlang, sie ähneln suchenden Fingern. Sie kommen immer
näher!“ Sabine war das Grauen anzusehen. Sah soll die Pest aussehen, wenn sie
sich verbreitete, ihre Opfer suchte?
„Wir sollten doch
versuchen wieder die Baugrube und die Leiter nach oben zu erreichen!“ flüsterte
Robert.
Als sie hinaus
liefen, war das schmatzende, geifernde Geräusch stärker geworden und sie
blieben wie angewurzelt stehen. Die Tiere hatten ein Objekt für ihre Gier
gefunden. Es war allem Anschein nach der Wachmann, der die Baustelle zu bewachen hatte, der da am
Boden lag. Die Tiere hatten sich in ihm verbissen, rissen Fleischstücke aus
seinem Gesicht heraus, tranken das heraus quellende Blut an seinem Hals und
waren überall in seiner Kleidung, zwei
dieser Bestien rauften um einen Finger.
Es war ein grauenhaftes Bild. Und über allem schwebten diese schwarzen
Schatten, wogten bedrohlich hin und her. Es schien, dass sie sich an diesem
Anblick weidete.
Die beiden
ergriffen wahllos je eine jener
Eisenstange, die zahlreich herum lagen und versuchten die Tiere von dem
Manne weg zu jagen. Doch wie es ihnen gelang, einige zu verjagen, waren sofort
wieder andere da. Sie mussten sich auch
gegen Angriffe auf sich selbst wehren, die Situation schien hoffnungslos.
Sie versuchten
es auch mit Schreien, doch ohne Wirkung
auf die Tiere.
„Robert, der Mann
ist tot, wir müssen weg!“ schrie Sabine und zerrte nun ihrerseits den Freund am
Ärmel
Dieser ließ die
Eisenstange fallen und sie liefen so rasch als sie konnten zur Leiter, an der
sie herabgestiegen waren. Als sie bereits einige Stufen erklommen hatten,
blickten sie voll Angst zurück und sahen, wie aus dem großen Tunnel und auch
aus mehreren kleinen Nischen und Spalten sich noch mehr solche schwarze Schatten heraus wälzten und
einige der Totenschädel zu ihnen
aus schwarzen Augenhöhlen herauf
sahen. Ihre langen Arme schwangen in der
Luft und es schien als würden sie die Ratten nach oben treiben wollen.
„Es ist, als würden
ihnen die Ratten gehorchen, sie versuchen die Wände der Baugrube hinauf zu
klettern, sie werden Tod und Verderben weiter geben, sie werden in die Kanäle und
Keller der Häuser gelangen, die Pest wird sich verbreiten!“ flüsterte Robert.
Sie waren sehr
froh, als sie wieder oben waren und setzten sich erschöpft auf den Boden, um
Atem zu holen und das Entsetzliche zu verkraften.
Als eine der Ratten
die Oberfläche erreichte, stieß Robert mit seinem Fuß nach ihr und schleuderte
sie über den Rand hinunter.
Er nahm dann sein
Telefon aus der Tasche und rief die Polizei an, meldete den Vorfall und den
Toten in der Baugrube. Seine Stimme war unbeherrscht, schrill und laut und es
dauerte eine Weile bis er sich wirklich verständlich machen konnte.
Binnen kurzer Zeit
waren dann einige Polizeiautos und ein Rettungswagen da.
Einer der
Polizisten in Zivil nahm die Beiden zur Seite.
„Was haben sie
denn, um Gottes Willen da unten gesucht? Können sie das Schild nicht lesen?
Hier steht groß und deutlich: Betreten der Baustelle verboten. Was haben sie da
unten gemacht?“
Robert zeigte
seinen Presseausweis her und versuchte seine Beweggründe zu erklären.
„Aha, die Pest! Und
da dachten sie, sie treffen die Pest da unten zu einem Plausch?“ die Stimme des
Beamten war schneidend und höhnisch.
„Sie werden es
nicht glauben, wir haben die Pest auch getroffen in all ihrer Hässlichkeit!“
Sabine schrie es fast.
„Haben sie Bilder gemacht?“, fragte der Beamte
nun, mit einem Blick auf den Fotoapparat, ohne auf diese Bemerkung einzugehen,
„wenn ja, dann muss ich sie bitten, mir den Film oder die Karte auszuhändigen!“
Doch Robert hatte
keine Bilder gemacht, da sie ja von einem Entsetzen ins andere fielen und daran
ja nicht zu denken war. Es wurde ihm erst bewusst, als er die Frage hörte und
da tat es ihm leid, dass er keine Bilder
hatte. Sie würden das Erlebte niemals beweisen können, wurde ihm sofort klar
Inzwischen hatten
die Männer der Rettung den Körper des schrecklich zugerichteten Wachmannes
heraufgeholt, in den vorbereiteten
Metallsarg gelegt und den Deckel geschlossen.
„Ich muss sie
bitten, mit aufs Revier zu kommen, ich muss ein Protokoll anfertigen und ihre
Aussagen aufnehmen!“ Der Beamte schien keinen Widerspruch zu dulden.
Auf dem Revier
schilderten die beiden ihr Erlebnis und stießen bei den Beamten auf
Kopfschütteln und Unglauben.
„Das mit den Ratten
muss untersucht werden, ebenso der Tod des Wachebeamten. Sie dürfen die Stadt
nicht verlassen, wir haben sicher noch einige Fragen an sie. Außerdem wurde
vorhin eine Nachrichtensperre aus dem Ministerium erlassen. Sie dürfen also
vorläufig nicht darüber berichten“.
Kapitel 3
Noch im
Morgengrauen konnten Sabine und Robert durch die zugezogenen Gardinen die
anrückende Feuerwehr sehen, konnten beobachten wie eine größere Mannschaft in
die Baugrube stieg. Sie warfen zusätzliche Strickleitern hinab. Die Männer
waren mit schwarzen Schutzanzügen bekleidet, hatten Sauerstoff-Flaschen am
Rücken und Flammenwerfer in den Händen. Der Graben, die Kärntnerstraße und die
Singerstraße, Seitengassen des Platzes, wurden abgesperrt, um sämtliche
Neugierigen fern zu halten.
Sie bekämpften
offenbar die Ratten, die zweifellos vorhandenen dunklen Schatten und die sich
ausbreiten wollenden, unheimlichen schwarzen Massen mit Feuer.
Die Beiden konnten
den Feuerschein durch die Gardinen deutlich sehen. Es war wohl die einzige und
wirksamste Möglichkeit. Als sie dann auch noch pfeifende
Geräusche, Heulen
und Stöhnen hörten, drückte sich Sabina an Roberts Brust und begann endlich
hemmungslos zu weinen.
Sabine und Robert
saßen am nächsten Abend in ihrem Stammlokal und starrten gemeinsam in die von Robert mitgebrachte Zeitung.
Auf Seite drei, als fast unscheinbare Nachricht,
konnten sie Folgendes lesen:
„Aufgrund von
Wasser- und Schlammeinbrüchen bei der U-Bahn-Baustelle am Stephansplatz, wurde
diese für zwei Tage gesperrt. Immer wieder dringen Erdmassen und Wasser nach. So werden die
Wände nun mit Beton und Bitumen ausgekleidet. Durch Unachtsamkeit ist auch ein
kleiner Brandherd entstanden, der jedoch von der Feuerwehr sofort unter
Kontrolle gebracht werden konnte.“
Sabine stocherte in
ihrem Essen herum, sie hatte seit gestern Abend
keinen Appetit.
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