Der unausweichliche Übergang
von Joana Angelides
Vom Inneren des Hauses aus sieht die winterliche
Landschaft draußen romantisch, still und verträumt aus.
Die weiße Schneedecke liegt wie ein Leichentuch
über der schlafenden Natur und glitzert im Lichte des Mondes. Es scheint, als wäre es mit kleinen Diamanten
übersät, die sich im fahlen Lichte des geheimnisvollen Erdtrabanten drehen und räkeln.
Vom Haus bis zum See dehnt sich eine unberührte Fläche, ihre Schatten sind
dunkelblau und fließend.
Sie wird nie wiederkommen, nie wieder wird ihr
helles Lachen die Stille im Haus verdrängen.
Der See liegt dunkel und träge da, auf der
bewegungslosen Wasserfläche gleiten Nebelschwaden langsam dahin und scheinen
jede andere Bewegung oder eventuelle Geräusche zu verschlucken. Sie formen sich
und verändern sich. Ich sehe Gesichter, schwingende weiche Frauenarme in
silbernen Schleiern gehüllt, goldene Haarsträhnen wehen. Immer wieder nach
rückwärts gebogene schlanke Körper, geschmeidige schlangenartige Bewegungen
ausübend. Ein Ballett, elegant, gleichzeitig fordernd und aufreizend. Der
Fantasie sind offenbar keine Grenzen gesetzt. Was gaukelt mir da diese
unwirkliche Welt vor meinem Fenster vor?
Das gelblich-goldene Licht, welches aus dem Haus
quillt, ist der einzige störende Faktor in dieser Märchenwelt und ich
entschließe mich instinktiv dazu, es zu löschen.
Nun stehe ich hinter dem großen Fenster im
Dunkeln, das Glas mit dem Cognac leicht in der Hand schwenkend und versuche die
Bewegungen auf dem See zu deuten.
Ist es ihr schlanker biegsamer Körper, der sich im
Nebel vervielfacht, sich zu leichten Schleiern formt, sich wieder auflöst?
Da löst sich nun einer dieser Schleier aus dem
umher wirbelnden Ballett des Nebels und gleitet, ohne sichtbare Spuren auf der
glitzernden Schneedecke zu hinterlassen auf das Haus zu. Die Schleier
versprühen glitzernde Sterne und Tropfen und hinterlassen an den Bäumen kleine
Lichter, die langsam in kleinen Wirbeln zu Boden fallen. An den Ästen der Bäume
rund um den See bleiben immer wieder kleine Schleierfetzen hängen, flattern
leicht im Wirbel der Bewegungen und die Welt rund um das Haus wird immer
märchenhafter, das Haus ist eingehüllt in diese Nebelschleier und Eiskristalle.
Je näher die Schleier kommen, umso deutlicher hebt
sich daraus ihre Gestalt hervor. Sie
streckt ihre Arme nach vor, als würde sie nach mir greifen, mich rufen. Ich
stelle das Glas in meiner Hand nieder und öffne die Türe. Ich trete hinaus in
eine Märchenwelt, bestehend aus Vorhängen aus Eiskristallen und silbernen
Stoffbahnen. Sie klirren und singen, wie leise Sphärenmusik.
Alle Farben eines Regenbogens sind eingefangen in
den einzelnen Kristallen und verwirren mich. Ihre weiche Gestalt drängt sich an
mich, ihre Arme gleiten an mir auf und ab und erzeugen unaufhörliches Vibrieren.
Unerklärlicher Weise fühlt sich ihr Körper warm
an, ich spüre das Blut durch ihre und meine Adern fließen und es erscheint mir
völlig normal, dass ich mich danach sehne, mich ebenfalls, nur mit Schleiern bekleidet,
mit ihr im Schnee zu wälzen, in den dunklen, ruhigen See einzutauchen.
Es ist, als würde sie meine Gedanken erraten, sie
erfühlen. Sie umfasst mich, wir drehen uns wild im Kreise, beschreiben Elypsen
im knisternden Schnee und treiben so immer näher dem Ufer des Sees zu.
Und plötzlich spüre ich, wie ich emporgehoben
werde, getragen von den uns umgebenden Nebelschwaden, schwebend über der
dunklen Wasserfläche des Sees und höre leises rhythmisches Singen rundum. Wie
durch Magie sind wir beide nun eingehüllt in diese weichen, silbrigweißen
Schleier, berühren uns, küssen uns und verlieren langsam die Wahrnehmung von
Zeit und Raum. Das Feuer und die Intensität unserer Gefühle müssten eigentlich
das Eis und den Schnee rund um uns zum Schmelzen bringen. Doch unsere Schritte
hinterlassen nicht einmal eine leichte Spur darauf.
Das Eintauchen in den dunklen Fluten des halb
gefrorenen Sees gelingt mühelos und war unabwendbar.
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