Aus der Tiefe des Sees
eine Dreiecks-Geschichte
von Joana Angelides
Das Bild, gemalt von Bernie, ist überdimensional und den Raum beherrschend.
Es stellt die Oberfläche eines Sees, gesehen aus einem Flugzeug, dar. Wenn sie,
wie jeden Nachmittag von ihrem Schreibtisch aus auf die gegenüberliegende Wand
auf das Bild starrt, dann beginnt sich nach einer Weile das Wasser des Sees
leicht zu kräuseln und leichte Wellen schlagen am Ufer an.
Das Bild zeigt den See an manchen Stellen, besonders im Zentrum dunkelblau,
zu den Rändern hin ein wenig heller und eine imaginäre Sonne zaubert Sonnenkringel
auf einige Wirbelkämme.
Ganz tief am Grunde dieses Sees liegt Bernie.
Sie weiß es, sie sah ihm zu, wie er langsam und ohne sich zu wehren darin versank.
Sie konnte nichts dagegen tun, sie saß wie gelähmt am Ufer. Dieses Versinken in
den Fluten war der Schlussakkord eines langen, sich durch viele Wochen
hinziehenden Kampfes einer verzweifelten Seele.
.
Alles begann damit, dass genau vor einem Jahr Margo verunglückte und starb.
Sie war sein Leben, seine Muse und jene Kraft, die sein Leben in geordneten
Bahnen leitete und sich um alle kleinen und großen Dinge ihres gemeinsamen
Lebens kümmerte. Plötzlich war sie nicht mehr da und all diese Dinge stürmten
nun auf ihn ein.
Wie sollte er sich um Bezahlung offener Rechnungen kümmern, dafür Sorgen,
dass der Kühlschrank gefüllt war und die Blumen im Garten betreut werden, wo er
bisher nicht einmal gemerkt hatte, dass dies alles erledigt werden musste, um
das Sein auf dieser Welt reibungslos ablaufen zu lassen?
Er hatte sich bisher nur um seine Malerei gekümmert, sich in seine Bilder
versenkt, Er begann immer drei oder vier Bilder gleichzeitig zu malen, aß oft
tagelang nichts, tobte manches Mal in seinem Atelier herum um dann wieder
stundenlang völlig apathisch vor einem der Bilder zu sitzen und es anzustarren.
Margo war die einzige, die dann das Atelier betreten durfte, sich manchmal auch
zu seinen Füßen setzte und mit ihm litt.
Unweit des Hauses lag der See. In den Abendstunden schlenderte er oft dahin,
saß dann am Ufer und ließ seine nackten Zehen von den gekräuselten Wellen
umspielen. Er gab ihm Kraft und Inspiration und glättete seine zerfurchte
Seele. Es gab immer wieder Bilder, in denen der See eine zentrale Rolle
spielte.
An manchen Tagen, kehrte er oft erst in der Dunkelheit zum Haus zurück.
Margo saß dann immer im Halbdunkel im Wohnraum und wartete auf ihn. Schweigend
nahmen sie das Abendessen gemeinsam ein. Und immer nahm er sie dann in die
Arme. Oft lagen sie dann nur regungslos nebeneinander, ließen ihre Hände auf
der Haut des anderen auf und abgleiten, oder liebten sich leidenschaftlich bis
sie erschöpft einschliefen.
Sie schämte sich nun fast, in diese intimen Details der Beiden eingedrungen
zu sein, doch es war ein unwiderstehlicher Drang, dass vor ihr liegende
Tagebuch Margo´s zu lesen.
Sie, Margo und Bernie hatten eine unbeschwerte, gemeinsame Kindheit. Sie
waren unzertrennlich und eine eingeschworene Gemeinschaft. Sie liebte Bernie
von Anbeginn und litt schrecklich darunter, dass er plötzlich nur Augen für
Margo hatte. Wenn sie alle Drei so im Gras lagen und den Wolken nachsahen, stützte
er sich auf seine Hand, blickte aber immer nur auf Margo nieder; manches Mal
neckte er Margo auch mit einem Grashalm. Dann fühlte sie sich immer wie das fünfte
Rad am Wagen, völlig überflüssig. Die
beiden flüsterten und lachten gemeinsam und sie war dann immer ausgeschlossen
und wollte fliehen, doch sie blieb letztlich.
Als sie eines Tages sein Atelier betrat um ihn etwas zu fragen, prallte sie
erschrocken zurück. Überlebensgroß war das Bild Margos auf der Staffel zu
sehen. Er hatte sie nackt gemalt, das Bild strahlte ihre völlige Hingabe aus.
Da erkannte sie zum ersten Mal sein unglaubliches Talent und auch, dass die
beiden sich liebten.
Im ersten Moment war sie sehr zornig, sie fühlte sich ausgeschlossen,
betrogen und hintergangen. Doch dann siegte die Vernunft und sie gestand sich
ein, dass sie das ja in den vergangenen Jahren bereits gewusst, nur verdrängt
hatte!
Als sie das Haus verließ, ohne dass sie Bernie angetroffen hatte, spürte
sie eine ungeheure Erleichterung. Nun
war es offenkundig und nicht mehr wegzuleugnen.
Kurze Zeit später zog Margo zu Bernie und sie galten offizielle als
Liebespaar.
Er absolvierte die Akademie und begann in der Folge, sich einen Namen zu
machen. Ihre Freundschaft bestand weiterhin und sie unternahmen vieles
gemeinsam, lachten und philosophierten Nächte lang über Gott und die Welt.
Sie liebte ihn weiterhin ohne Wenn und Aber, nahm es hin, dass ihre Liebe
nicht erwidert wurde.
Sie und Margo vertrauten sich so ihre kleinen Geheimnisse an, über ihrer beider Gefühle über Bernie sprachen sie jedoch niemals. Es war ein Tabuthema
zwischen ihnen.
Zwischenzeitlich zog sie sich zurück, denn sie wollte nicht den Eindruck
erwecken, dass sie sich zwischen die Beiden drängen wollte. Obwohl sie es gerne
getan hätte. Denn irgendwie gehörte Bernie auch zu ihrem Leben!
Als sie im Zentrum der Stadt eine Kunstgalerie eröffnete, übernahm sie auch
immer wieder Bilder von Bernie. Sie verkauften sich gut. Auf diese Art hatte
sie nun einen neuen Zugang zu Bernie gefunden und konnte es so einrichten, dass
sie stundenlang gemeinsam über seine Bilder diskutierten und es schien fast
wieder so zu werden wie früher.
In den Wochen nach dem Tod Margos hatte sie an manchen Tagen und in
Nächten, in denen sie wach lag, mit Gewissensbissen zu kämpfen. Hätte sie den
Tod der Freundin verhindern können, wenn sie sie rechtzeitig zurückgezogen
hätte, als der Zug in die Station einfuhr? Wieso war sie wie gelähmt und konnte
sich nicht vom Fleck rühren, sie nicht zurückreißen?
Oder hatte sie doch nach ihr gegriffen, sie vielleicht sogar gestoßen,
anstatt sie zu halten?
Sie verdrängte die Gedanken darüber, wollte sich damit nicht auseinandersetzen.
Sie hörte jedoch noch immer die Schreie der Menschen, das Kreischen der
Bremsen, als sie die Treppe hinauf lief und sich oben übergeben musste.
Eigentlich stand sie weiter hinten und konnte auch keinerlei Angaben
machen, als sie befragt wurde. In ihrer Erinnerung kamen die Ereignisse immer
durcheinander, sie hörte nur den Schrei, sagte sie aus. Alles andere war
Einbildung, Fiktion, da war sie sich ganz sicher.
Nach dem Tode Margos wurde Bernie immer stiller, unruhiger und chaotischer.
Er verstand nicht, wieso der Strom abgeschaltet wurde, weil er einfach vergaß
die Rechnung zu bezahlen oder die Blumen im Garten verdursteten.
Sie versuchte einiges für ihn zu regeln, doch es gelang ihr nicht, Zugang
zu ihm zu finden. Auch seine Bilder wurden immer greller, unverständlicher und
in der Folge unverkäuflich.
Die totale Abhängigkeit Bernies von Margo war ihr vor deren Tode eigentlich
gar nicht so aufgefallen. Erst als Margo
nicht mehr da war, wurde es offensichtlich.
Er begann immer öfter über den Tod zu sinnieren, entwickelte unübersehbar
eine Todessehnsucht, die ihn immer mehr in sich zurückziehen ließ.
Wie im Nebel sah sie immer wieder, wie Bernie gestern ohne ein Wort zu
sagen, sich von ihr löste, sie einfach am Ufer stehen ließ und langsam aber
stetig auf den See zuging. Er ging ohne zu zögern weiter, das Wasser stieg
immer höher und höher.
Erst als er sich einfach ins Wasser gleiten ließ, rücklings aufschlug, seine Arme ausstreckte und in den Himmel blickte, rief sie seinen Namen. Doch er reagierte in keiner Weise, er hörte sie gar nicht.
Erst als er sich einfach ins Wasser gleiten ließ, rücklings aufschlug, seine Arme ausstreckte und in den Himmel blickte, rief sie seinen Namen. Doch er reagierte in keiner Weise, er hörte sie gar nicht.
Er trieb langsam auf den See hinaus, und plötzlich versank er einfach.
Sie starrte ungläubig hinaus, die Oberfläche kräuselte sich noch eine Weile
und dann war die Wasseroberfläche wieder so ruhig, wie vorher.
Sie kam gar nicht auf den Gedanken, ihm nachzulaufen, zu versuchen ihn
wieder heraus zu holen. Sie stand nur da und starrte auf die Wasserfläche.
Die Polizei machte ein Protokoll mit ihr, sie unterschrieb es.
Wahrscheinlich wird sie eine Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung
bekommen.
Es war nur ein weiterer Baustein in dem abbröckelnden Gebäude ihres Lebens
Sie löschte das Licht, ordnete einige Papiere auf dem Schreibtisch und
schloss die Galerie ab
Während der Fahrt hinaus zum See, passierte sie einige Orte ihres
gemeinsamen Lebens. Die kleine Kirche in der Mitte der Siedlung, die kleine
Schule daneben, in der sie alle Drei die ersten Schuljahre verbrachten, die in
der Hauptstraße liegenden Elternhäuser und den Bahnhof.
Dann bog sie langsam in die Forststraße ein, die zum See führte und parkte
nicht weit vom Ufer des Sees und stieg aus. Ohne den Wagen zu versperren, wozu
denn auch, ging sie langsam auf den See zu. Es begann zu regnen.
Ihre Tränen flossen nach
innen, unbemerkt. Die Sehnsucht, sich umarmen
zu lassen erreichte ihren Höhepunkt. Es wäre Erlösung sich von den Wellen empfangen,
umschließen zu lassen vom schwarzen Glas der Fluten. Sie hörte Rufe aus der
Tiefe, es klang wie seine leise flüsternde Stimme. Die Wellen erzeugten
Bewegungen, Treppen gleich, die abwärtsführten. Sie war vor Tränen fast blind,
sie mischten sich mit dem Regen. Sie ließ sich führen von ihrer Sehnsucht. Sie
ging diese Treppe hinab, ließ sich ziehen und locken und Erleichterung machte
sich breit.
Der Tod umklammerte sie mit
ehernen Armen, die Strudel zogen sie hinab in die Erlösung.
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