Dämmerung im Wald.
von Joana Angelides
Sie stand in einiger
Entfernung, im Schatten einer großen Ulme und betrachtete ihn, wie sie das in
den vergangenen Tagen immer tat
Er saß täglich in den
frühen Abendstunden auf der letzten Bank im Schlosspark, gleich neben dem
Brunnen und hatte die Beine übereinander geschlagen. Beide Arme waren
ausgestreckt und lagen auf der Rückenlehne.
Der rechte,
überschlagene Fuß wippte leicht und seine Augen waren geschlossen. Er schien
innerlich Musik zu hören und zu träumen.
Er faszinierte sie.
Der weiße Schal war
um seinen Hals geschlungen und das längere Ende hing seitlich hinab und
streifte am Kies. Das dichte schwarze Haar war lockig und hatte eine Länge, die
an einen Bohemien erinnerte.
Sie war schon einige
Male vorbeigegangen, doch er beachtete sie kaum.
Heute jedoch war sie
entschlossen, auf sich aufmerksam zu machen und setzte sich neben ihn,
anstandshalber einen größeren Abstand lassend.
Er öffnete seine
Augen, drehte den Kopf und sah kurz zu ihr hinüber. Ihr Lächeln ignorierte er
völlig und schloss wieder seine Augen, um der Musik in seinem Inneren zu folgen.
Plötzlich stellte er
sein rechtes Bein ebenfalls auf den Boden und drehte sich ihr zu.
„Ich habe sie schon
einige Male hier gesehen, gehen sie immer alleine spazieren?“
Sie zeigte sich über
sein plötzliches Interesse sehr erfreut und lächelte ihn mit geschlossenen
Lippen leicht zu.
„Ja, ich liebe die
Abende, die Dämmerung ist für mich der schönste Teil des Tages. Ich liebe es,
wenn der Tag sich anschickt in die Nacht überzugehen. Ich genieße ich es. Es
sind auch um diese Jahreszeit nicht sehr viele Menschen hier im Park.“
„Ja, das ist wahr.
Aus diesem Grunde bin auch ich hier. Ich höre dann die in der Luft vibrierende
Musik besser.“
„Sie sind Musiker?“
„Ja, ich möchte
Dirigent werden, Komponist! Möchte Symphonien schreiben, mich von Beethoven und
Bruckner tragen lassen!“ Seine Augen glänzten, er kam ins Schwärmen.
„Oh, was würden Sie
sagen, wenn Sie in die Zeit reisen könnten, mit diesen Genies sprechen könnten,
sie in Aktion erleben könnten?“
Er schaute sie
erstaunt an und lachte auf.
„Ja, das wären
natürlich unvergessliche Erlebnisse. Aber leider bin ich zu spät geboren.“ Es klang tiefes Bedauern aus seiner Stimme.
„Gehen wir ein Stück?
Dort drüben beginnt ein kleines Wäldchen. Ich gehe dort gerne spazieren, man
hört dort das Wispern der Baumkronen, das Rauschen eines Baches und der Wind
streicht durch die Stämme, ist fast wie Musik!"
Er schaute sie
erstaunt an. Sollte diese Frau die gleichen Empfindungen haben, wie er? Sollte
es auch andere Menschen geben, die die Musik herausfiltern aus den Geräuschen
rundum?
Er erhob sich und
reichte ihr den Arm.
„Gestatten Sie?“
„Ja, kommen Sie, ich
zeige Ihnen meine geheimen Plätze!“
Nun nahm er sie zum
ersten Mal in ihrer ganzen Schönheit wahr. Sie war hochgewachsen, unter dem
dunklen, weiten Mantel schien sie schlank und biegsam zu sein.
Der Mantel und das
Kleid darunter waren fast bodenlang und das dunkle Haar hatte sie rückwärts zusammengebunden
und es lag in der Kapuze des Mantels.
Sie schritten
nebeneinander her und er nahm ihre Leichtigkeit wahr, wie sie über den Kies
glitt, als wäre sie schwerelos.
Als sie in das kleine
Wäldchen einbogen, umfing sie unvermittelt die inzwischen stärker gewordene
Dämmerung und es roch nach Erde, Moder und Moos.
Sie ging ein wenig
schneller als er und er hatte Mühe ihr zu folgen.
„Hören Sie das?“ Sie
hob den Kopf etwas und richtete ihre Blicke nach oben in die Bäume.
„Ja, es sind
eindrucksvolle Töne, schwingend, rauschend wie tosende Wasserfälle in der Ferne
und ein Raunen liegt in der Luft!“
Er konzentrierte
seine Sinne ganz auf die Geräusche und es schien ihm, als hörte er auch sein
Herz pochen, spürte das Blut in den Kopf zu steigen.
„Kommen Sie, wir
tanzen zwischen den Bäumen, wir folgen dem Ruf der Natur!“
Ohne seine Antwort abzuwarten
nahm sie ihn mit beiden Armen und sie drehten sich rasch im Kreise.
Der erhobene Kopf,
mit dem Blick auf die Baumkronen, das fahle Licht, das die Dämmerung zu
durchdringen versuchte und die Gerüche um ihn herum, versetzten ihn in einen
Rausch der Sinne. Die Baumstämme flogen an ihm vorbei und alles um ihn herum
schien sich in einem Wirbel zu drehen.
Er senkte den Blick
und seine Augen trafen direkt mit den ihren zusammen. Es waren dunkle, schwarze
Augen, mit einem Feuer tief drinnen und dämonischen Schleiern am Rande der
Pupillen. Sie erschienen ihm immer größer werdend und er versank darin.
Sie hatte den Kopf zurückgeworfen,
ihr blutroter Mund war geöffnet und es kam lautes Lachen aus ihrer Kehle, das
sich mit dem Schrei eines Uhus aus dem Wald mischte.
Als sie ihn küsste,
seinen Mund nicht mehr losließ und ihren Körper an ihn drängte, verlor er
vollends den Boden unter den Füßen.
Es war ihm, als schwebe
er zwischen den Baumkronen, er sah schwarze Vögel vorbeifliegen, deren Krächzen
sich mit den Schreien des Uhus vermischten und die Schatten der Bäume könnten
auch dunkle Gestalten sein, die das Spiel der Tanzenden begleitenden.
Als ihre Zähne sich langsam
in seinen Hals versenkten, fühlte er sich wie betäubt, um sofort in eine Art
Hochgefühl zu fallen und nun war es nicht mehr nur ein Eindruck, dass sie sich emporhoben
und zwischen den Baumkronen in der Dunkelheit dem Mond entgegenflogen.
Elf gruselige Erzählungen der bekannten Wiener Autorin Joana Angelides. Erneut schafft es Joana einen weiten Spannungsbogen zu schaffen.
Vampire, Hexen, Werwölfe.
Die Charaktere wechseln wie die Orte und Zeiten, mal im Mittelalter während der Pest, mal im hier und jetzt.
Nie wird es langatmig: spannend, gruselig, unheimlich, nachdenklich und wie immer mit einem Schuss Sinnlichkeit.
Vampire, Hexen, Werwölfe.
Die Charaktere wechseln wie die Orte und Zeiten, mal im Mittelalter während der Pest, mal im hier und jetzt.
Nie wird es langatmig: spannend, gruselig, unheimlich, nachdenklich und wie immer mit einem Schuss Sinnlichkeit.
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