Dienstag, 11. August 2020

Dämmerung im Wald, vampirig


Dämmerung im Wald.

von Joana Angelides

Unheimliche Geschichten

Sie stand in einiger Entfernung, im Schatten einer großen Ulme und betrachtete ihn, wie sie das in den vergangenen Tagen immer tat

Er saß täglich in den frühen Abendstunden auf der letzten Bank im Schlosspark, gleich neben dem Brunnen und hatte die Beine übereinander geschlagen. Beide Arme waren ausgestreckt und lagen auf der Rückenlehne.

Der rechte, überschlagene Fuß wippte leicht und seine Augen waren geschlossen. Er schien innerlich Musik zu hören und zu träumen.

Er faszinierte sie.

Der weiße Schal war um seinen Hals geschlungen und das längere Ende hing seitlich hinab und streifte am Kies. Das dichte schwarze Haar war lockig und hatte eine Länge, die an einen Bohemien erinnerte.

Sie war schon einige Male vorbeigegangen, doch er beachtete sie kaum.

Heute jedoch war sie entschlossen, auf sich aufmerksam zu machen und setzte sich neben ihn, anstandshalber einen größeren Abstand lassend.
Er öffnete seine Augen, drehte den Kopf und sah kurz zu ihr hinüber. Ihr Lächeln ignorierte er völlig und schloss wieder seine Augen, um der Musik in seinem Inneren zu folgen.

Plötzlich stellte er sein rechtes Bein ebenfalls auf den Boden und drehte sich ihr zu.

„Ich habe sie schon einige Male hier gesehen, gehen sie immer alleine spazieren?“

Sie zeigte sich über sein plötzliches Interesse sehr erfreut und lächelte ihn mit geschlossenen Lippen leicht zu.

„Ja, ich liebe die Abende, die Dämmerung ist für mich der schönste Teil des Tages. Ich liebe es, wenn der Tag sich anschickt in die Nacht überzugehen. Ich genieße ich es. Es sind auch um diese Jahreszeit nicht sehr viele Menschen hier im Park.“

„Ja, das ist wahr. Aus diesem Grunde bin auch ich hier. Ich höre dann die in der Luft vibrierende Musik besser.“
„Sie sind Musiker?“
„Ja, ich möchte Dirigent werden, Komponist! Möchte Symphonien schreiben, mich von Beethoven und Bruckner tragen lassen!“ Seine Augen glänzten, er kam ins Schwärmen.

„Oh, was würden Sie sagen, wenn Sie in die Zeit reisen könnten, mit diesen Genies sprechen könnten, sie in Aktion erleben könnten?“

Er schaute sie erstaunt an und lachte auf.

„Ja, das wären natürlich unvergessliche Erlebnisse. Aber leider bin ich zu spät geboren.“  Es klang tiefes Bedauern aus seiner Stimme.

„Gehen wir ein Stück? Dort drüben beginnt ein kleines Wäldchen. Ich gehe dort gerne spazieren, man hört dort das Wispern der Baumkronen, das Rauschen eines Baches und der Wind streicht durch die Stämme, ist fast wie Musik!"

Er schaute sie erstaunt an. Sollte diese Frau die gleichen Empfindungen haben, wie er? Sollte es auch andere Menschen geben, die die Musik herausfiltern aus den Geräuschen rundum?
Er erhob sich und reichte ihr den Arm.

„Gestatten Sie?“

„Ja, kommen Sie, ich zeige Ihnen meine geheimen Plätze!“

Nun nahm er sie zum ersten Mal in ihrer ganzen Schönheit wahr. Sie war hochgewachsen, unter dem dunklen, weiten Mantel schien sie schlank und biegsam zu sein.
Der Mantel und das Kleid darunter waren fast bodenlang und das dunkle Haar hatte sie rückwärts zusammengebunden und es lag in der Kapuze des Mantels.

Sie schritten nebeneinander her und er nahm ihre Leichtigkeit wahr, wie sie über den Kies glitt, als wäre sie schwerelos.

Als sie in das kleine Wäldchen einbogen, umfing sie unvermittelt die inzwischen stärker gewordene Dämmerung und es roch nach Erde, Moder und Moos.

Sie ging ein wenig schneller als er und er hatte Mühe ihr zu folgen.
„Hören Sie das?“ Sie hob den Kopf etwas und richtete ihre Blicke nach oben in die Bäume.

„Ja, es sind eindrucksvolle Töne, schwingend, rauschend wie tosende Wasserfälle in der Ferne und ein Raunen liegt in der Luft!“

Er konzentrierte seine Sinne ganz auf die Geräusche und es schien ihm, als hörte er auch sein Herz pochen, spürte das Blut in den Kopf zu steigen.

„Kommen Sie, wir tanzen zwischen den Bäumen, wir folgen dem Ruf der Natur!“

Ohne seine Antwort abzuwarten nahm sie ihn mit beiden Armen und sie drehten sich rasch im Kreise.
Der erhobene Kopf, mit dem Blick auf die Baumkronen, das fahle Licht, das die Dämmerung zu durchdringen versuchte und die Gerüche um ihn herum, versetzten ihn in einen Rausch der Sinne. Die Baumstämme flogen an ihm vorbei und alles um ihn herum schien sich in einem Wirbel zu drehen.
Er senkte den Blick und seine Augen trafen direkt mit den ihren zusammen. Es waren dunkle, schwarze Augen, mit einem Feuer tief drinnen und dämonischen Schleiern am Rande der Pupillen. Sie erschienen ihm immer größer werdend und er versank darin.
Sie hatte den Kopf zurückgeworfen, ihr blutroter Mund war geöffnet und es kam lautes Lachen aus ihrer Kehle, das sich mit dem Schrei eines Uhus aus dem Wald mischte.

Als sie ihn küsste, seinen Mund nicht mehr losließ und ihren Körper an ihn drängte, verlor er vollends den Boden unter den Füßen.
Es war ihm, als schwebe er zwischen den Baumkronen, er sah schwarze Vögel vorbeifliegen, deren Krächzen sich mit den Schreien des Uhus vermischten und die Schatten der Bäume könnten auch dunkle Gestalten sein, die das Spiel der Tanzenden begleitenden.

Als ihre Zähne sich langsam in seinen Hals versenkten, fühlte er sich wie betäubt, um sofort in eine Art Hochgefühl zu fallen und nun war es nicht mehr nur ein Eindruck, dass sie sich emporhoben und zwischen den Baumkronen in der Dunkelheit dem Mond entgegenflogen.


Elf gruselige Erzählungen der bekannten Wiener Autorin Joana Angelides. Erneut schafft es Joana einen weiten Spannungsbogen zu schaffen.
Vampire, Hexen, Werwölfe.
Die Charaktere wechseln wie die Orte und Zeiten, mal im Mittelalter während der Pest, mal im hier und jetzt.
Nie wird es langatmig: spannend, gruselig, unheimlich, nachdenklich und wie immer mit einem Schuss Sinnlichkeit.


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