Montag, 20. Januar 2025

Surreale Zeitenwende, Satire

 

Surreale Zeitenwende

Von Joana Angelides



 

Wir leben in einer Zeit, in der der Schulterschluss von politischen Machthabern und Superreichen neue Dimensionen erreicht hat.

Über den Surrealisten Luis Buñuel geistert eine amüsant-sonderbare Geschichte umher. Angeblich habe der spanische Weltregisseur testamentarisch verfügt, dass sein Nachlass an die milliardenschwere amerikanische Industriellenfamilie Getty gehen solle. Zweck der Übung: erstens die Nachkommen noch posthum so zu vergrätzen, dass sie ihm am liebsten aufs Grab spucken würden, und, zweitens, dafür zu sorgen, dass die Reichsten der Reichen noch reicher werden.

Eine recht surreale Zeitenwende also, die sich anbahnt. Vielleicht wäre es angezeigt, sich schnell anzupassen und Musk, Zuckerberg und Bezos als Erben einzusetzen.  Man stelle sich folgende Szene vor: In einer staubigen Kanzlei irgendwo in Madrid liest ein Notar mit buschigem Schnurrbart und randloser Brille das Testament des berühmten Surrealisten Luis Buñuel vor. "Ich, Luis Buñuel, setze hiermit die Familie Getty als meine Alleinerben ein. Sollte ich einmal im Grab rotieren, so möge das zumindest mit der Geschwindigkeit einer Geldpresse geschehen." Die anwesenden Verwandten sinken in ihre Stühle, unfähig, zwischen Empörung und Lachen zu entscheiden. Die Gettys hingegen lassen sogleich die Korken knallen – Champagner schmeckt eben besser, wenn er mit der bitteren Träne der Enterbten gewürzt ist.

Ob diese Geschichte nun wahr ist oder nicht, sei dahingestellt. Doch ihr surrealistischer Geist ist unbestreitbar. Buñuels angeblicher letzter Wille ist nicht nur ein Streich, sondern ein poetisches Stück Gesellschaftskritik: Warum nicht die Reichsten der Reichen noch reicher machen? Schließlich gilt doch: Wer hat, dem wird gegeben. So steht es zumindest in den Heiligen Schriften des Neoliberalismus.

Doch was würde Buñuel wohl zu unserer heutigen Welt sagen, in der die wahre Macht in den Händen von Tech-Milliardären liegt? Während Zuckerberg und Musk sich auf Twitter (oder wie auch immer diese Plattform inzwischen heißen mag) überlegen, ob sie ihren Kampf im Cage oder im Metaverse austragen, wird hinter den Kulissen die Demokratie filetiert wie ein Thunfisch. "Das Ende der Demokratie? Kein Problem!" ruft der MAGA-Influencer Curtis Yarvin. "Staaten sollten wie Start-ups geführt werden." Klar, warum nicht? Eine Keynote hier, ein bisschen Downsizing dort – und wenn die Rendite nicht stimmt, wird das Land einfach abgestoßen wie ein unrentables Unternehmen.

In dieser absurden neuen Welt wäre es wohl am besten, sich schnell anzupassen. Warum nicht schon zu Lebzeiten Musk, Bezos und Zuckerberg als Erben einsetzen? Die können dann alles zu ihrem eigenen Wohl umdeuten, natürlich im Namen des Fortschritts. Hat man nicht immer gesagt, dass Geld in den richtigen Händen Gutes bewirken kann? Und wer wäre besser geeignet, das Wohl der Menschheit zu sichern, als ein paar altruistische Milliardäre mit Weltraumplänen und Social-Media-Monopolen?

Die Ironie daran: Während die Tech-Lords sich öffentlich gegenseitig an die Gurgel gehen, schalten ihre Algorithmen in aller Stille die Realität auf "Easy Mode" für die Reichen und "Hardcore Survival" für alle anderen. Fake News, Datenhandel, digitale Enklaven – das alles wird als "Innovation" verkauft. Wer das nicht versteht, ist einfach nur zu rückständig, um mit der schönen neuen Welt Schritt zu halten.

Doch vielleicht ist das alles gar nicht so schlimm. Vielleicht könnte man sich an diesen surrealistischen Zeitgeist gewöhnen. Die nächste Generation wird ja ohnehin in einer Welt aufwachsen, in der es normal ist, dass Kinder ihre Eltern nicht mehr fragen: "Was willst du später mal werden?", sondern: "Welcher Milliardär soll dein Vormund sein?" Schulen könnten Patenschaften von Tech-Giganten annehmen. "Die Jeff-Bezos-Oberschule präsentiert stolz: Wirtschaftskunde mit Schwerpunkt Monopolbildung."

Am Ende bleibt uns vielleicht nur der Humor. Ein Lachen über die Absurdität einer Welt, die sich selbst so ernst nimmt, dass sie keine Zeit mehr hat, zu merken, wie surreal sie geworden ist. Luis Buñuel würde sich freuen. Und wenn nicht, dann lässt er sich vielleicht von Musk klonen, um persönlich dafür zu sorgen, dass niemand sein Grab schändet. 

Denn eins ist sicher: Selbst in der surrealstischen aller Welten bleibt die Ironie unser schärfstes Schwert.

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