Die Karosse der Feenkönigin.
von Joana Angelides
Tante Monika war schon
frühmorgens sehr beschäftigt. Sie lief Treppe ab und Treppe rauf, sodass die
Kinder es hören konnten.
Lisa war als Erste munter.
Sie stand vorsichtig auf um Klaus nicht zu wecken und öffnete die Türe des
Kinderschlafzimmers einen Spalt.
Sie sah gerade noch, wie
Tante Monika die Treppe wieder hinunter flitzte und ihren großen Korb über den
Arm trug. Lisa trat hinaus und lief zum Treppenabsatz.
„Tante Monika!“ rief sie,
„Was ist denn los?“
„Kinder aufstehen, heute
gehen wir auf den Markt, ich muss dort was erledigen!“
Lisa ging zurück und weckte
Klaus, sie wuschen sich und putzten die Zähne und liefen hinunter, wo Tante
Monika schon das Frühstück vorbereitet hatte.
Nach dem Frühstück stiegen
sie dann in das Auto ein. Die beiden Kinder wieder auf dem Rücksitz und der
Korb wurde im Kofferraum verstaut.
„Wir fahren noch bei Onkel
Eduard vorbei, den nehmen wir heute mit auf den Markt.“ Sagte Tante Monika.
„Onkel Eduard?“ Fragten Lisa
und Klaus gleichzeitig. Sie hatten schon
von Onkel Eduard gehört. Doch Mama wollte nicht über Onkel Eduard sprechen, sie
sagte immer, er sei das schwarze Schaf der Familie. Keiner wusste warum, aber
es war eben so.
Die Kinder waren sehr
neugierig auf Onkel Eduard. Sie hatten ihn noch nie gesehen. Tante Monika blieb
vor einem kleinen Haus, gleich beim Bach neben der Strasse stehen und hupte
zweimal.
Sofort ging die Türe auf und
es kam ein großer, hagerer Mann heraus. Er hatte eine lange Hose an, die mit
einem breiten Gürtel gehalten wurde und ein kariertes Hemd. Darüber eine
schwarze, ärmellose Weste mit vielen Taschen. Auf dem Kopf trug er eine
Mütze. Er verschloss sorgfältig die Türe
und drehte sich um, als ob er etwas suchen würde. Ein leiser Pfiff ertönte und
schon kam ein kleiner brauner Hund gerannt und blickte zu ihm auf. In Erwartung
des Kommenden wedelte er mit dem Schwanz und gab kleine spitze Laute von sich.
„Komm schon, Eduard, wir
haben es eilig.“ Rief Tante Monika. Er stieg vorne bei Tante Monika in das Auto
und der kleine Hund setzte sich zu seinen Füßen.
Er drehte sich zu den Kindern
um und lächelte sie an.
„Hallo, ihr Beiden! Wir
kennen uns noch nicht. Ich bin Onkel Eduard, komme so selten in die Stadt zu
euch. Das ist Snief.“ Dabei zeigte er auf den kleinen Hund.
„Guten morgen, Onkel Eduard,
guten morgen Snief.“ Sagte Lisa und Klaus nickten dazu.
Tante Monika war inzwischen
wieder angefahren und sie fuhren die schmale Straße neben dem Bach entlang, in
der Richtung zur kleinen Stadt wo der Markt heute stattfand.
„Also, Monika, was gibt es
denn so Wichtiges, dass du mich unbedingt dabeihaben musst?“
fragte Onkel Eduard.
„Die Feenkönigin aus dem
Märchenwald hat heute die Biene Salfi zu mir geschickt und mich um Hilfe gebeten.
Sie muss an einem Treffen aller Feenköniginnen teilnehmen und hat keine
Staatskarosse. Es ist aber wichtig, dass sie wie eine richtige Königin
auftritt, weil sie sich sonst bei dem Treffen nicht wohl fühlt unter all den
anderen Königinnen. Und ich weiß nicht genau, wo wir die Karosse hernehmen
sollen. Wir fahren auf den Markt und werden uns dort umsehen. Es kommen immer
so viele fremde Menschen von außerhalb und auch viele Tiere und auch Zauberer
und Hexen, vielleicht weiß jemand einen Rat. Dich brauche ich, weil ich nicht
mit allen Tieren sprechen kann. „
„Waas, Hexen und Zauberer am
Markt?“ riefen Lisa und Klaus gleichzeitig.
„Ja, ihr erkennt sie aber
nicht. Ich aber schon.“ Sagte Tante Monika ganz selbstverständlich.
Inzwischen waren sie angekommen
und hatten das Auto geparkt. Tante Monika nahm wieder ihren Schirm und den
großen Korb, hakte sich bei Onkel Eduard unter und deutete den Kindern, ihr zu
folgen. So marschierten sie gemeinsam in den Markt ein.
Es herrschte ein emsiges
Treiben. Die Marktfrauen hatten schon ihr Obst und Gemüse aufgebaut und priesen
alles mit lauten Stimmen an. Es waren auch einige Gaukler erschienen, die
Kunststücke mit dem Ball vorführten und dann ein paar Münzen als Dank
erhielten. Es wurden auch Hühner und Gänse angeboten, die noch lebendig in den
Käfigen saßen und das uneingeschränkte Mitleid von Tante Monika hatten. Snief
der Hund von Onkel Eduard zog an der Leine und wollte dahin und dorthin. Es
waren so viele Gerüche, die ihn reizten!
Da war eine alte Frau am Ende
der Hauptstraße, die auf ihrem Tisch viele getrockneten Kräuter und Wurzeln
anbot. Sie sah sehr lustig aus, hatte eine lange Nase und einen Zopf, der unter
dem Kopftuch hervor zu sehen war. Dorthin zog sie Tante Monika.
„Hallo, Essmeralda",
sagte sie. „Wie geht es dir denn?“
„Ach ja, danke gut. Habe ein
paar Zaubermittel für dich.“ Sie zog einige kleine Fläschchen hervor und
deutete auch auf die Säckchen auf ihrem Tisch.
„Nein danke, heute brauchen
wir Deinen Rat.“
Und sie beugte sich hinunter
zu der alten Frau und flüsterte ihr was ins Ohr. Die alte Frau nickte und
flüsterte ihrerseits wieder was zurück.
„Ah, bei den Fischen?“ Fragte Tante Monika ganz erstaunt. Essmeralda
nickte und deutete zu einer der Lagerhallen hin.
„Vergiss den Kürbis nicht!!“
Rief sie ihnen noch nach.
„Komm, Eduard, Kinder folgt
mir!“ Zielstrebig ging sie über die Straße und alle folgten ihr.
Bevor sie die Lagerhalle
betraten, kaufte Tante Monika noch einen großen Kürbis. Lisa fand das sehr
seltsam. Wozu braucht sie jetzt einen Kürbis?
Die Lagerhalle lag etwas
dunkel vor ihnen, da das Tageslicht nur durch die Fenster am Dach hereindrang
und die Halle sehr hoch und groß war.
„Sag, Tante Monika, war das
eine Hexe?“ Fragte Klaus ganz kleinlaut.
„Ja, eine sehr liebe und sehr
alte Hexe, die ich schon lange kenne.“ Antwortete Tante Monika ganz
selbstverständlich.
„Hier müssen wir nach rückwärtsgehen,
zwischen den großen Paletten soll eine Türe sein.“ Onkel Eduard ging mit Snief
voran. Schließlich war er viel größer als die anderen und außerdem war er ein
Mann. Er fühlte sich ganz als Beschützer.
Sie gingen ganz nach
rückwärts und stießen schließlich an die letzten Paletten an, die mit Fischen vollgepackt
waren. Hier roch es ganz fürchterlich nach Fischen und Meertang, so dass sich
die Kinder die Nase zuhalten mussten.
Onkel Eduard klopfte mit der
Hand die Paletten ab, aber es tat sich nichts, hier konnten sie nicht
weitergehen. Doch da sprang Snief am Ende der Reihe an einer Palette hoch und
bellte laut. Onkel Eduard lief zu ihm hin um ihn zu beruhigen, doch als er mit
der Hand die Palette berührte, schob sich diese zurück und es tat sich ein
Spalt auf und Tante Monika deutete ihnen, sie sollten durchschlüpfen.
Das taten sie dann auch und
blieben ganz erstaunt stehen, Vor ihnen lag eine Küstenlandschaft, ein
wunderschöner Sandstrand, mit Palmen und niedrigen Sträuchern. Auch ein Boot
war da. Und da war sie wieder, die alte Frau vom Markt, doch diesmal war sie
viel schöner gekleidet und hatte ein wunderschönes Kleid aus blauen Netzen an,
über und über mit Muscheln behangen.
„Ihr müsst in das Boot einsteigen und hinausfahren. Dort wird euch Milan, der Barsch
weiterhelfen. Viel Glück.“
Sie stiegen in das Boot ein;
Snief mussten sie hochheben, er war zu klein um selbst in das Boot zu kommen.
Onkel Eduard nahm die Ruder
und mit kräftigen Schlägen trug sie das Boot hinaus aufs offene Meer. Die
Kinder konnten es gar nicht fassen. Mama würde ihnen das alles nicht glauben!!!
Sie waren eine Weile
gerudert, da stieß etwas an das Boot an. Onkel Eduard legte die Ruder ins Boot
und schaute ins Wasser.
„Oh, bist du Milan der
Barsch?“ fragte er
Der Fisch antwortete:
„Ja, bin ich. Habe gehört,
ihr braucht meine Hilfe?“
„Wir kommen von der
Feenkönigin aus dem Märchenwald. Sie braucht eine Karosse für das Treffen der
Feenköniginnen, und wir konnten keine finden.“ Sagte Onkel Eduard.
„Hmmmm, ja, hmmmmm“
Offensichtlich dachte der Barsch nach.
„Kommt zu mir herunter, wir
werden bei den See-Anemonen und Korallen schon was finden.“ Sagte er und
tauchte unter.
„Was hat er gesagt?“ Fragte
Tante Monika. Sie konnte mit allen Tieren sprechen, nicht aber mit Fischen, das
konnte nur Onkel Eduard. Er war einmal Fischer und da hatte er gelernt, mit den
Fischen zu sprechen.
Er sagte ihnen alles, was
Milan der Barsch gesagt hatte und Tante Monika nickte dazu.
„Oh, wie sollen wir denn da
folgen?“ Klaus und Lisa schauten ängstlich drein.
Da öffnete Tante Monika ihren
Korb und entnahm ihm den großen Kürbis, den sie am Markt auf Anraten der Hexe
Essmeralda gekauft hatte. Onkel Eduard schnitt ihn unten auf, höhlte ihn aus
und machte Löcher, wie Fenster darin, verschloss diese mit einer durchsichtigen
Nylonfolie, die er in einer seiner Jackentaschen hatte und legte ihn aufs
Wasser und er wurde immer größer und größer. Bis er riesengroß war. Lisa und
Klaus rissen die Augen auf und wunderten sich.
Er wurde so groß, dass sie
alle in den Kürbis hineinpassten.
Außer Snief, der wollte
lieber im Boot bleiben.
Der Kürbis funktionierte wie
eine Taucherglocke.
Als sie alle drinnen waren,
sank der Kürbis ganz langsam zum Meeresgrund. Durch die Fenster, die Onkel
Eduard geschnitten hatte, konnten sie Fische vorbeischwimmen sehen, die sie
noch niemals im Leben gesehen hatten. In der Ferne konnten sie einen großen Rochen
sehen. Wunderschön in der Bewegung und sehr langsam. Es schien, als ob er durch das Wasser flog.
Als sie am Meeresgrund
angekommen waren, blieb der Kürbis mit einem Ruck stehen. Da kam schon der
große Barsch Milan herbei und brachte acht wunderschöne Seepferdchen mit.
„Das sind die Pferdchen für
die Karosse", brummelte er, „und dort drüben, seht ihr, habe ich eine
wunderschöne Karosse aus Korallen und Seeanemonen gemacht. Sie wird
emportauchen, durch die Fluten des Meeres und die Wellen werden weiße
Schaumkronen bilden und die Algen werden wie Glas rund um die Karosse
erstarren. Es wird die schönste Karosse sein, die jemals gesehen wurde.“
Die Seepferdchen schwammen zu
der Karosse hin und wurden von den anderen Fischen eingespannt und die Kinder
konnten sehen, wie sie sich emporhob und langsam an die Oberfläche schwebte.
„Ach, ich danke dir im Namen
der Feenkönigin", sagte Tante Monika", sie wird sich riesig freuen
und die Elfen und Feen aus dem Märchenwald werden für euch tanzen. Eduard, übersetze
ihm das!“
Onkel Eduard übersetzte es
ihm und der Barsch machte eine Bewegung zu Tante Monika hin, als würde er sich
verneigen. Seine seitlichen und die Rückenflosse machten wellenartige
Bewegungen.
Onkel Eduard stieß sie nun
mit den Füssen vom Meeresgrund ab und auch der Kürbis begann langsam
aufzusteigen. Als sie wieder an der Oberfläche waren, kletterten sie in das
Boot und wurden von Snief freudig begrüßt.
„Schau, Tante Monika, wie
wunderschön!“ Lisa und Klaus zeigten hinaus aufs Meer und da tauchte auch die
Karosse auf. Sie war zartrosa, hatte wunderschöne weiße Krönchen rundherum, aus
dem Schaum der Wellen geboren und dazwischen grüne Blüten und Blätter, wie aus
Glas. Die acht Seepferdchen zogen die Karosse ans Ufer und da stand sie nun,
Ganz prachtvoll anzusehen.
Tante Monika machte ihren
großen Korb auf und griff hinein. Als sie mit ihrer Hand herauskam, saß die
Biene Salfi auf ihrem Finger.
„Du kannst zur Feenkönigin
fliegen und ihr sagen, dass hier die Karosse auf sie wartet. Wir müssen jetzt
wieder zurück.“ Sagte sie und hob den Finger in die Höhe und die Biene flog in
einem großen Bogen davon.
Sie machte den Korb wieder zu
und befahl Onkel Eduard auch ans Ufer zu rudern.
Als sie dort ankamen,
warteten die Seepferdchen schon ungeduldig.
„Ganz ruhig", sagte
Tante Monika, „die Feenkönigin wird gleich da sein.“
„Und wir gehen jetzt wieder
nach Hause und trinken Kakao und essen einen Kuchen, den ich heute gebacken
habe.“ Tante Monika nickte zufrieden vor
sich hin.
Sie gingen über den
Sandstrand zu dem Lagerhaus zurück und tauchten wieder in das Halbdunkel ein,
das zwischen den Paletten herrschte. Als sie wieder am Markt draußen standen,
liefen Klaus und Lisa um das Lagerhaus herum, um das Meer noch mal zu sehen.
Doch da war kein Meer, keine Palmen, kein Strand. Es waren nur kleine Häuser,
die sich aneinanderschmiegten und alte Kastanienbäume.
Auch die Hexe Essmeralda war
verschwunden. Ihr kleiner Tisch war nun von einer anderen Marktfrau besetzt,
die frisches Obst verkaufte.
Sie gingen zum Auto zurück.
Tante Monika hatte den Korb im Kofferraum verstaut, Onkel Eduard saß auch schon
im Auto. Nur Snief wartete mit wedelndem Schwanz auf sie.
„Also wo ward ihr denn?
Steigt ein, wir fahren nach Hause.“
Tante Monika gab Gas und sie
fuhren wieder zurück in das kleine Haus am Rande des Waldes, neben dem Bach.
Und es war, als wäre nichts
geschehen.
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