EIN ENGEL AUF ERDEN.
Von Joana Angelides
Im dritten
Stock eines alten Patrizierhauses brennt wie in jeder Nacht, Licht. Schläft er
nie?
"Er" ist
ein junger Mann, der scheinbar nur nachts arbeitet. Denn sie sieht jede Nacht
das Licht brennen und manchmal seine Gestalt an dem bis hinunterreichenden
Fenster vorbeigehen, die Schatten auf die zugezogenen Vorhänge wirft.
Durch die Vorhänge
hindurch kann man eine Sektion des Raumes sehen. Ein Schreibtisch mit einer
noch zusätzlichen Arbeitslampe beleuchtet den Arbeitstisch. Ein Computerschirm
ist zu erkennen und einige Bücher liegen herum. Man kann ihn dort regungslos
sitzen sehen, oder eifrig schreiben.
Nun steht er wieder
einmal auf und tritt an das Gitter vor der Türe. Er raucht und man kann das
Glimmen der Zigarette durch das Dunkel der Nacht sehen.
Er blickt hinüber zu
dem ebenfalls alten Haus gegenüber. Er hatte
schon öfters bemerkt, dass da ein junges Mädchen am Fensterbrett leicht an den Fensterstock
ihres Wohnzimmers gelehnt sitzt irgendein ein Manuskript in der Hand hält, in
dem sie hin und wieder blättert.
Offenbar kommt da ein kleiner Windhauch und weht eines der Blätter
hinaus in die Nacht und es beschreibt einen weiten Bogen um sich dann zur
Straße hin zu senken.
Sie erscheint ihm im
Fensterrahmen wie eine Engelsgestalt. Sie trägt das Haar offen und über die
Schulter fallend. Ihre Haarfülle, dem leicht gekrausten, naturblonden Haar,
strahlt von weitem wie ein Lichterkranz, unterstützt durch eine kleine Lampe im
Raum dahinter.
Das helle, weite,
durchsichtige Hauskleid mit den langen weiten Ärmel, das ihre Gestalt umspielt
und über ihre Knie gezogen ist, vermittelt den Eindruck einer Lichtgestalt.
Das Mädchen am
Fenster bemerkt ihn plötzlich und dass er nicht aufhört zu ihr herauf zu blicken
und bleibt verlegen regungslos sitzen, bewegt nur hin und wieder den Kopf ein
wenig.
"Dort oben sitzt
scheinbar ein Engel?" Der Mann kann seinen Blick nicht abwenden, so
fasziniert ist er von dieser Erscheinung. Dann lächelt er leicht. Ist es eine
Sinnestäuschung?
Es ist eigentlich
schade, dass das Mädchen dieses Lächeln von gegenüber nicht sehen kann.
Die Nacht wird
kühler, ein leichter Wind kommt auf und spielt mit dem dünnen Stoff ihres
Kleides und lässt ihren Schal leicht flattern.
Er steht noch immer
regungslos gegenüber und blickt hinauf. Es scheint ihm, als würde sie jeden
Moment ihre Flügel ausbreitet und wegfliegen.
Sie lässt sich
von der Fensterbank gleiten und entschwindet so seinen Blicken, löscht das
kleine Lämpchen im Raum und geht ins Bett. Sie merkt gar nicht die helle
Lichtgestalt, die kurz vor dem Einschlafen über sie goldenen Sternenstaub
verstreut und so ihre Träume beeinflusst. Sie sieht im Dämmerschlaf die Gestalt
im Schatten gegenüber vor sich und träumt, dass er unentwegt zu ihr hinaufblickte.
Der erste Blick des
Mädchens am Morgen, noch mit der Kaffeetasse in der Hand gilt dem Fenster
schräg unter ihr, gegenüber in dem schönen Patrizierhaus.
Alle Fenster und auch
die hohe Türe mit dem Gitter sind verschlossen und man kann keine Bewegung
sehen.
Irgendwie enttäuscht
wendet sie sich ihrem Zeichentisch zu und beginnt zu arbeiten.
Abends die gleiche
Situation, wie gestern. Das Mädchen sitzt verträumt am Fensterbrett und liest
in ihrem Manuskript.
Gegenüber tritt der
Mann an die offene Türe und blickte überrascht hinauf. Da war sie wieder, diese
helle, weiße Gestalt, mit dem Lichterkranz um den Kopf und dem weißen,
durchsichtigen Kleid, mit dem flatternden Schal, sein Engel!
Durch das Hochheben
der Arme, sah es einen Augenblick wieder aus, als würde dieser Engel wegfliegen
wollen.
Er konnte seinen
Blick nicht abwenden und er wünschte sich sogar, fliegen zu können, um diesen
Engel zu berühren. Er streckte seine Arme aus.
Er überlegt sich, wie
sich wohl das Haar anfüllen würde, wenn er mit seinen Fingern darin versinken
würde? Wie würde der Engel, oder war es doch eine "Sie", wohl
riechen? Nach weißem Leinen und Blüten, stellte er sich vor.
Sie sah ihn
ebenfalls, an das Gitter seiner Türe gelehnt und zu ihr hinaufblicken. In
diesem Moment war sie wie verwandelt. Sie genoss seine Blicke, die sie gar
nicht sehen, sondern nur spüren konnte, fing seine Gedanken auf und konnte sich
nicht entschließen, von der Fensterbank zu gleiten, um sich diesen Blicken zu
entziehen.
Sie beließ die Arme
oben und bewegte sich leicht, so wie als würde sie in sich in seinen Armen
räkeln.
Sie nahm ihre Arme
nun wieder herab und betrachtete den Mann am Fenster gegenüber. Seine Gestalt
schien größer geworden zu sein, sie meinte seine Augen vor sich zu sehen. Sie
spürte seinen Blick, wie er sich in ihre Seele senkte und sie nicht wieder losließ.
Die Arme leicht
ausgestreckt berührte er im Geiste ihren Körper und sie fühlte sich von seinen Gedanken,
schwebend über die Dächer davongetragen.
Es mischte sich Traum
mit Wirklichkeit, ihre Haut wurde wie Seide und der leichte Luftzug der
Nacht gaukelte ihr Berührungen und ihre Haut liebkosende Lippen vor.
Es war, als würde ihr
ganzer Körper im Takte der sich bewegenden Zweige des Baumes vor dem Haus,
vibrieren. Es war Flüstern und Raunen zu hören, die Blätter summten ihr Lied
dazu.
Das Mondlicht
beleuchtete diese Szene mit seinem hellen weichen Licht und ließ alles
unwirklich erscheinen. Neben dem Mond konnte man den Abendstern blinken sehen
und sie stellte sich vor, wenn dann alle Menschen schlafen werden, dass sich
die Beiden treffen.
Das Mädchen stellte
sich vor, der Abendstern wird sich im Schoße von Frau Luna niederlassen, sich
von der Sichel schaukeln lassen und erst mit der Morgendämmerung am Himmel
unsichtbar werden.
Lächelnd ob dieser
Träumereien, beschloss sie nun aber doch, wieder von der Fensterbank herab zu
gleiten und in der Dunkelheit des Raumes zu verschwinden.
Am nächsten Morgen stand,
wie von Zauberhand ein mobiler Blumenstand auf der gegenüberliegenden
Straßenseite. bestückt mit Flieder, Freesien und Mimosen, Vergissmeinnicht
in kleinen Sträußchen und Stiefmütterchen in Schalen und stellt sich dahinter.
Ein bunter Sonnenschirm schützt vor der Sonne.
Das Mädchen verlässt soeben das Haus und der junge Mann von gegenüber überquert
wie zufällig die Straße.
„Blumen für das Fräulein Braut?“,
fragt die kleine rundliche Blumenverkäuferin den jungen Mann. Sie hat ein
Gespür für solche Momente.
Er blickt das Mädchen an, dann wieder die Verkäuferin und lächelt.
„Ja, geben Sie mir allen Flieder den Sie haben!“
Und zu dem Mädchen
gewandt:
„Er passt so
wunderbar zu Ihren Augen, mein Engel!“ Er überreicht ihr die Blumen.
Es war der Beginn
einer wunderbaren Beziehung.
Hört da jemand den
Pfeil des Amor durch die Luft schwirren?
Auch über https://www.bookrix.de/-joanavienna/
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